Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zur Debatte um die Äußerungen von Friedrich Merz

Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es: «Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.» Merz spricht allerdings von Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können.

Wer 18 Monate in Deutschland ist, wird als Geduldeter oder auch als Asylbewerber von den gesetzlichen Kassen betreut. Das bedeutet aber auch: Bei Zahnersatz müssen diese Menschen einen großen Anteil zuzahlen. Welcher Geflüchtete kann sich das leisten? Dass Geflüchtete anderen Menschen massenweise Termine wegnähmen, um sich Zahnersatz machen zu lassen, ist blanker Unsinn. Merz sagt das, um auf Kosten von Schwächeren einen kurzfristigen Gewinn in der Debatte zu erzielen. Wenn er glaubt, das sei eine anständige Art, Politik zu machen, sollte man ihm diesen Zahn ziehen.


Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Merz-Äußerungen über abgelehnte Asylbewerber

Die Folge von Fehlern und Zuspitzungen darf (...) nicht sein, dass das zentrale Thema Migration nicht mehr deutlich zur Sprache gebracht wird.

Es bewegt viele Bürger im Alltag. Die unkontrollierte Einwanderung auf Einladung war der entscheidende Grund für den Aufstieg der AfD. Wer das Migrationsproblem nicht ernsthaft anpackt, der ist verantwortlich für ein populistisches Gegeneinanderausspielen von Einheimischen und jenen, die hier Zuflucht und Auskommen suchen. Ein Blick auf die Flüchtlingsströme und das Verhalten auch in der EU mit ihren unterschiedlichen Sozialleistungen zeigt, warum Deutschland die meisten Menschen anzieht. Die hiesigen Volksvertreter, insbesondere die bürgerlichen, sollten Nöte und Sorgen der eigenen Bürger kennen und nicht hintanstellen.


«Münchner Merkur» zu Merz

Ja, es gibt viel zu bemängeln an Fehlentwicklungen und Fehlanreizen im deutschen Asylsystem.

Aber Friedrich Merz wählte zum Beweis für seine Asyl-Anklage ein unglückliches Beispiel, eines, das so giftig ist, dass es Pauschalisierungen und Halbwahrheiten nicht gut verträgt. Für die von Merz beklagte zahnärztliche Generalsanierung für abgelehnte Asylbewerber mögen sich Beispiele finden lassen. Doch die Gesetzeslage ist viel differenzierter als von Merz dargestellt. Schon einmal haute der CDU-Chef mit seinem den Ukrainerinnen unterstellten «Sozialtourismus» grob daneben. Schon klar: Der Oppositionsführer will Klartext sprechen, um verärgerte Bürger nicht rechten Stimmenfängern zu überlassen. Doch von einem Kanzler im Wartestand muss man erwarten können, dass er seine Sätze so wählt, dass seine Partei sie nicht anderntags wieder zurecht rücken muss.


«Washington Post»: Kein echter Abschluss im Mordfall Khashoggi

WASHINGTON: Fünf Jahre nach dem Mord am saudi-arabischen Journalisten und Regierungskritiker Jamal Khashoggi ist der Täter noch frei und setzt die Verfolgung Andersdenkender fort, schreibt die «Washington Post» am Donnerstag:

«Fünf Jahre nach dem Mord an unserem Autoren Jamal Khashoggi durch einen aus Saudi-Arabien geschicktes Killerkommando hat es keinen Abschluss gegeben - nicht für uns, nicht für seine Familie und Freunde, und nicht für all jene in der Arabischen Welt, die von seiner Vision von mehr Offenheit und Demokratie in der Regierungsführung profitieren würden. Damit abzuschließen würde bedeuten, endlich die Wahrheit zu erhalten, und Kronprinz Mohammed bin Salman - bekannt als MBS, welcher die Killer entsandte - und alle anderen Beteiligten zur Rechenschaft zu ziehen.(...)

Der Kronprinz spricht nun von dem Verbrechen, als wäre irgendeine entfernte dritte Partei dafür verantwortlich. (...) Bei einem Treffen mit MBS in Dschidda am 15. Juli 2022 brachte Präsident (Joe) Biden den Khashoggi-Mord zur Sprache und «erhielt Zusagen hinsichtlich Reformen und institutioneller Schutzmaßnahmen, um solche Vorgehensweisen in der Zukunft zu verhindern», hieß es damals in einer Erklärung des Weißen Hauses. Nach Bidens Abreise verhängte Saudi-Arabiens Sonderstrafgericht eine Reihe drakonischer Gefängnisstrafen gegen Kritiker des Regimes. (...) Niemand sollte die saudische Schönfärberei akzeptieren. MBS hat Jamal Khashoggi seiner Familie, seinen Freunden und Kollegen gestohlen, ist der Verantwortung für seinen Mord entkommen und quält weiter Saudis, die anderer Meinung sind.»


«The Guardian»: Sunak opfert Klimaschutz für Wahlkampf

LONDON: Die britischen Behörden haben die Ausbeutung des Rosebank-Ölfelds auf dem Grund der Nordsee nordwestlich der Shetland-Inseln genehmigt. Dazu meint der Londoner «Guardian» am Donnerstag:

«Das Rosebank-Projekt in der Nordsee hat das Potenzial, 500 Millionen Barrel Öl zu fördern, die bei ihrer Verbrennung die gleiche Menge Kohlendioxid ausstoßen würden wie der Betrieb von 56 Kohlekraftwerken in einem Jahr. Durch die dem norwegischen Energieunternehmen Equinor angebotenen Steuervergünstigungen wird eine Entwicklung subventioniert, die die Glaubwürdigkeit des Landes bei künftigen Klimaverhandlungen untergraben wird.

Etwa 80 Prozent des Nordseeöls werden ins Ausland verkauft, was die Argumente der Regierung, es gehe um die Energiesicherheit der bedrängten Briten, Lügen straft. Warum also? Die Wahrheit ist, dass Premierminister Rishi Sunak, wie schon bei der Kehrtwende in der letzten Woche in Bezug auf die Netto-Null-Ziele, mit dem Klimanotstand Politik macht.

Der Premierminister kalkuliert, dass die Herausforderungen des grünen Wandels im Zusammenhang mit der Krise der Lebenshaltungskosten zu einem Streitthema mit Labour werden können. Für vermutete kurzfristige Vorteile im Wahlkampf zerschlägt er methodisch einen ehemals breiten Konsens über Klimaverpflichtungen.»


«Dagens Nyheter»: Trump-Rechte spielt russisches Roulette

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Donnerstag den Haushaltsstreit in den USA:

«Die Republikaner, die eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, befinden sich im Krieg mit sich selbst. Eine kleine Gruppe ganz rechts stellt dem Vorsitzenden der Kammer, Kevin McCarthy, ein Bein - mit der lautstarken Unterstützung von Donald Trump. Er glaubt, dass der Haushalt als eine Art symbolischer Protest gegen das Gerichtsverfahren gestoppt werden muss, das das Justizministerium gegen ihn eingeleitet hat. Mindestens genauso beunruhigend ist, dass das politische Spiel um den Haushalt Gefahr läuft, das Vertrauen in die US-Institutionen im Ausland zu untergraben. Was passiert, wenn die Außenwelt ernsthaft beginnt, an der Funktionsfähigkeit des amerikanischen politischen Systems zu zweifeln? Niemand kann das mit Sicherheit sagen - aber die Welt wäre ein viel instabilerer Ort und niemand wäre glücklicher als die Despoten in Moskau und Peking.»


«La Vanguardia»: Die kurzsichtige Migrationspolitik der EU

MADRID: Zur Migrationsdebatte und der geplanten Asylreform in der Europäischen Union schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Donnerstag:

«Die EU hat eine kurzsichtige Migrationspolitik (...) Sie muss ihre Einstellung zur Einwanderung drastisch revidieren. Und sie muss dies dringend tun, nicht zuletzt, weil die 27 bis 2050 etwa 44 Millionen ausländische Staatsangehörige benötigen werden, um dem gravierenden Trend einer alternden Bevölkerung und dem daraus resultierenden Mangel an Arbeitskräften für die Produktion von Waren und Dienstleistungen entgegenzuwirken. (...)

Angesichts des enormen Bedarfs, der fast der Einwohnerzahl Spaniens entspricht, stellen sich Fragen: Ist die aktuelle Migrationspolitik der EU logisch? Und beruht sie auf einer strategischen Vision für die Zukunft? (...) Anstelle von Mauern, Zäunen, Inhaftierungen, Internierungszentren und sofortiger Rückführung sollte die irreguläre Einwanderung durch die Errichtung von Bildungs-, Berufs- und Sprachausbildungszentren sowie mit Maßnahmen zur kulturellen und sozialen Integration geregelt werden.»


«de Volkskrant»: Aufweichung des Klimaschutzes verschärft Probleme

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kritisiert am Donnerstag die Aufweichung von Klimaschutzmaßnahmen in mehreren europäischen Ländern:

«Viele Länder befinden sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das gilt sicherlich auch für Deutschland und seine mächtige, aber inzwischen schwächelnde Autoindustrie. Zudem befürchten Politiker, dass Bürger revoltieren, wenn sie mit teuren Klimamaßnahmen konfrontiert werden, während die Lebenshaltungskosten ohnehin schon so stark gestiegen sind. Insbesondere Mitte-Rechts-Parteien, die in den meisten Ländern an der Regierung beteiligt sind, fürchten (rechtsextreme) Konkurrenten, die bereit sind, die Unzufriedenheit für ihren Kulturkampf gegen «die Elite» zu nutzen, die die Bedürfnisse «des Volkes» nicht versteht. Das Aufschieben von Umweltmaßnahmen ist jedoch nicht die richtige Antwort. Es wird die Klimaprobleme nur verschlimmern und später noch härtere Eingriffe erforderlich machen. Obendrein muss Europa in Klimafragen eine Führungsrolle übernehmen. Wenn Europa seine Ambitionen aufgibt, wird es noch schwieriger sein, den Rest der Welt mit ins Boot zu holen.»


«NZZ»: EU und USA haben einen schweren Fehler gemacht

ZÜRICH: Zur Eroberung der von Armeniern bewohnten Region Berg Karabach durch Aserbaidschan meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Donnerstag:

«Vor den Augen einer desinteressierten Weltöffentlichkeit spielt sich das Drama einer erbarmungslosen «ethnischen Säuberung» ab. Einmal mehr ist es nicht gelungen, einen Gewaltherrscher rechtzeitig zu stoppen, einmal mehr ging der Vorsatz «Nie wieder!» vergessen. (...)

Zu kommunistischen Zeiten war Nagorni Karabach ein autonomes Gebiet innerhalb der sowjetischen Teilrepublik Aserbaidschan. Daraus leiten sich die Ansprüche Bakus ab - und dies, obwohl zum Zeitpunkt der Sezession Karabachs noch gar kein unabhängiger Staat Aserbaidschan existierte. Die EU und die USA haben einen schweren Fehler begangen, indem sie diese Sichtweise übernahmen. Völkerrecht wurde auf diese Weise zum Völker-Unrecht. Die Großmächte hätten ihr politisches Gewicht vielmehr dafür einsetzen sollen, eine Volksabstimmung über die Zukunft des Gebiets durchzuführen oder zumindest auf eine Autonomielösung für die Karabach-Armenier zu dringen. Stattdessen haben sie zugeschaut, wie die Katastrophe ihren Lauf nahm. Nun ist die Territorialfrage zu Karabach wohl endgültig entschieden - aber nicht auf der Basis des Rechts, sondern mit roher Gewalt und einer faktischen Komplizenschaft des Auslands.»


«Nepszava»: Bye, bye Schengen!

BUDAPEST: Zur deutschen Debatte über die Einführung von stationären Grenzkontrollen meint die Budapester Tageszeitung «Nepszava» in einem Kommentar am Donnerstag:

«2015, als Angela Merkels geflügeltes Wort «Wir schaffen das!» die Runde machte, (...) gelang es Deutschland, den Großteil der Zuwanderer zu integrieren. (...) Heute jedoch ist die Situation eine andere. Die Parteien der Regierungskoalition, darunter selbst die Grünen, glauben nicht mehr daran, dass Deutschland in der Lage ist, so viele Flüchtlinge aufzunehmen. (...) Die Lösung wäre eine gemeinsame Regelung auf EU-Ebene. Doch einer solchen widersetzen sich Ungarn und andere mitteleuropäische Länder auf starrsinnige Weise. Damit wird aber nur erreicht, dass immer mehr westliche Länder mit den Errungenschaften des (grenzkontrollfreien) Schengen-Systems brechen und erneut Grenzkontrollen (an den Schengen-Binnengrenzen) einführen.»

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