«Frankfurter Rundschau» zu Haushaltsplanentwurf der Ampel
Die drei Parteien können sich auf keine kohärente Finanzpolitik einigen.
Ihre Vorstellungen sind einfach zu unterschiedlich. Deshalb fehlen große Summen, um die auseinanderstrebenden Wünsche zu bedienen. In dieser Misere allerdings befleißigt sich die Regierung eines großen Pragmatismus. Zum Beispiel jazzt sie die Neuverschuldung mit Kniffen so hoch, dass sie weit über dem liegt, was die Schuldenbremse erlaubt. Da erübrigt sich eine Debatte über deren Reform - es geht ja auch so.
«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu deutschen Grenzkontrollen
(.) Die von Faeser angeordneten sechs Monate werden nicht reichen, um die zahlreichen Irrtümer der deutschen und europäischen Asylpolitik zu beseitigen, die den Kontinent seit 2015 an seine Grenzen geführt hat, materiell wie politisch.
Dass gerade der Schengenraum zum Opfer der irregulären Migration werden würde, war leider absehbar. (.) So bleibt fürs Erste nur die Aussicht, dass andere Mitgliedstaaten es den Deutschen in einer Art Dominoeffekt gleichtun, so wie das ja auch jetzt an einzelnen Grenzen schon geschieht. Das wiederum könnte Mi¬granten davon abhalten, sich auf den teuren und gefährlichen Weg nach Europa zu machen, denn die freie Auswahl des Ziellandes wird dann schwieriger. Eingeschränkt wird allerdings auch die Reisefreiheit der EU-Bürger, die sich an ein Europa ohne Schlagbäume gewöhnt hatten.
«Münchner Merkur» zu BDI/Notlage
Europas Wirtschaft befinde sich in einem "langsamen Todeskampf", warnte am Montag der EU-Beauftragte für Wettbewerbsfähigkeit, Mario Draghi.
Tags darauf setzte der Bundesverband der deutschen Industrie noch einen drauf: Ein Fünftel der industriellen deutschen Wertschöpfung sei bedroht. Wettbewerbsfähigkeit stand auf der Prioritätenliste der Brüsseler und Berliner Politik lange weit hinten. In Mode waren stattdessen "Green Deal", Verbrenner-Aus, bis ins Kleinste ausformulierte Heizungsvorschriften und das Lieferkettengesetz nebst entsprechender zusätzlicher Bürokratie. Will Europa seine Zukunft nicht verspielen, braucht es einen grundlegenden Richtungswechsel. Weder unser Sozialstaatsmodell noch die grüne Transformation sind auf Dauer bezahlbar, wenn es nicht gelingt, Wachstumskräfte neu zu entfesseln. Europa muss das grüne Denken überwinden, dass nur Schrumpfung und Verzicht das Klima retten können.
«Diena»: Kommunikationskrise statt Krisenkommunikation
RIGA: Zur Reaktion der Armee und des Verteidigungsministeriums auf den Absturz einer scharfen russischen Drohne in Lettland schreibt die lettische Zeitung «Diena» am Dienstag:
«Die Tatsache, dass ein solch gefährliches Objekt ungehindert eine beträchtliche Distanz im Luftraum Lettlands zurücklegen konnte, löst in der Öffentlichkeit ganz natürlich Besorgnis und Fragen hinsichtlich der Sicherheit von uns allen aus. Zugleich ist es auch verständlich, dass der militärische Bereich, insbesondere in der aktuellen geopolitischen Situation, der Bereich ist, in dem eine ziemlich große und begründete Geheimhaltung besteht und bestehen sollte. Doch die eigentliche Sache wiederum ist zum wiederholten Mal ein anderer Faktor: die katastrophal absurde Art und Weise der Kommunikation der Politiker mit der Öffentlichkeit, die zudem offensichtlich mit erheblicher Verzögerung erfolgte. (...)
Nach der Pressekonferenz, bei der der Verteidigungsminister der Öffentlichkeit die volle Gewissheit hätte vermitteln müssen, dass das Schweben der «gutartigen» Drohne über Lettland und ihr Absturz tatsächlich vollständig unter Kontrolle waren und die absolute Bereitschaft bestand, jederzeit schnell zu handeln, um die Menschen in Lettland zu schützen, blieb genau das gegenteilige Gefühl bestehen. Die wirren, unklaren Aussagen und die nahezu gleichen Antworten auf die Fragen der Journalisten schaffen den Nährboden für angstvolle Gedanken zum was wäre, wenn.»
«Neatkariga Rita Avize»: Drohnen-Vorfälle nicht zufällig
RIGA: Zu den jüngsten Vorfällen mit russischen Drohnen schreibt die lettische Zeitung «Neatkariga Rita Avize» am Dienstag:
«Höchstwahrscheinlich besteht das Ziel darin, auf provokante Weise eine Reaktion hervorzurufen und nach Schwachstellen zu suchen. Auch Lettland, Polen und Rumänien sind keine zufällige Wahl. Rumänien, weil Russland seine Bemühungen zur Destabilisierung der Lage in Moldau nicht aufgegeben hat, indem es seinen Fremdkörper einsetzt - die selbsternannte «Volksrepublik Transnistrien». Polen wiederum ist das Haupttor, durch das militärische Hilfe in die Ukraine gelangt, und Russlands «Z-Patrioten» fordern bereits seit langem «energische Maßnahmen», um dieses Tor zu schließen. Lettland hingegen ist ein Nato-Land mit traditionell dem schwächsten nationalen Selbstbewusstsein im Baltikum.»
«Dagens Nyheter»: Trump-Bewegung gräbt ihr eigenes Grab
STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert die unter Donald Trump herrschende Parteikultur bei den Republikanern in den USA:
«Das Bild der Republikaner ist eines einer Partei, die keine Kritik oder internen Debatten zulässt. Die Logik ist simpel: Entweder bist du für Trump oder gegen ihn. Keine Nuancen werden akzeptiert. Das kann in der kommenden Amtsperiode zu einer Katastrophe führen, und auf lange Sicht ist die neue Parteikultur der Republikaner im Grunde selbstzerstörerisch.
Kluge Menschen, die es wagen, Denkweisen infrage zu stellen oder Schwächen in ihrer eigenen Bewegung zu erkennen, werden sorgfältig herausgeworfen. Diejenigen, die bleiben, sind entweder fanatische Anhänger oder meist gut im Schweigen. So erhält man eine Partei, in der ein Mitarbeiter das berichtet, von dem er glaubt, dass die Führung es hören will - nicht das, was wahr ist.
Man hat eine Bewegung von Jasagern aufgebaut. Ein Preis für Fanatismus ist dabei immer Inkompetenz. Ein Despot kann sich trotzdem an der Macht halten, aber für eine Partei ist das verheerend. Durch die Trump-Idolisierung schaufelt sich die Bewegung früher oder später ihr eigenes Grab.»
«Sme»: Mit Trump gewinnen auch alle anderen Autokraten
BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Sme» warnt am Dienstag vor weltweiten Folgen eines möglichen Sieges von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen:
«Die nächsten Wahlen in den USA entscheiden über die längerfristige Zukunft der liberalen Demokratie, wie wir sie kennen und wie sich ihre manipulierten Gegner denken, sie auch zu kennen. Donald Trump macht überhaupt kein Geheimnis aus seiner Bewunderung für autokratische Herrscher und seiner Abneigung gegen alles, was seine Willkür einschränken könnte. Er pflegt eine Freundschaft zu (Russlands Präsident Wladimir) Putin, besucht Nordkorea, während er seine Gegner entmenschlicht, lächerlich macht und angreift. (...)
Der Herdentrieb in einer Autokratie funktioniert. Es genügt, einen äußeren und inneren Feind zu haben. Einen gemeinsamen Hass aufzubauen, ist viel einfacher als eine gemeinsame Übereinstimmung zu finden. Wenn Trump gewinnt, ist mit einer neuen Etappe der modernen Geschichte zu rechnen. Mit ihm gewinnen nämlich auch alle anderen Autokraten, die schon an der Macht sind oder kurz vor ihrer Machtübernahme stehen. Sie können ihre Positionen festigen, und auf den Trümmern der ehemaligen Demokratien entsteht ein neuer Feudalismus, mit einem oligarchischen Adel und einer Söldner-Gefolgschaft von Opportunisten.»
«Lidove noviny»: Draghis Reformen haben wenig Aussicht auf Umsetzung
PRAG: Der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat die EU in einem Strategiebericht zu massiven Investitionen aufgerufen. Dazu schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Dienstag:
«Der Ökonom Draghi verlangt nicht gerade wenig. Sein Bericht ist ein ganzer Katalog von Reformen, welche Schlüsselbereiche wie die Rohstoffgewinnung, die Energiepolitik, die Digitalisierung, die Chipherstellung, die Pharmabranche und den Verkehr betreffen. (...) Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Plan verwirklicht wird, ist sehr gering. Man darf darauf wetten, dass von Draghis Vorschlägen nur ein paar wenige umgesetzt werden, während der europäische Niedergang ungebremst weitergeht. Offenbar wird es erst eine weitere große Erschütterung brauchen, damit die Europäer einsehen, dass etwas geschehen muss. (...) Bis dahin wird es so weiter gehen wie bisher. Draghi hat das sehr treffend als die Illusion bezeichnet, dass wir durch Prokrastination den europäischen Konsens aufrechterhalten können. Das ist, wie wir bereits heute sehen können, ein gemütlicher Weg, der aber in die Hölle führt.»
«Le Monde»: Frankreich sollte Kraft aus Olympischen Spielen schöpfen
PARIS: Zum Abschluss der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris schreibt die französische Tageszeitung «Le Monde» am Dienstag:
«(...) Die Geschichte wird sich vor allem an den immensen Erfolg dieser Spiele erinnern, denen die Pariser mit so viel Angst entgegensahen, die aber von Anfang bis Ende Frankreich verzauberten und im Ausland Bewunderung erregten.
Zunächst einmal war die Organisation und Logistik ein Erfolg. Vom Transport bis zur Sicherheit haben die öffentlichen Dienste die Herausforderung perfekt gemeistert (...). Die Sportanlagen erfüllten ihre Aufgabe mit der Unterstützung und dem großartigen Einsatz der 45.000 Freiwilligen problemlos. Auch die Seine erfüllte ihre Aufgabe, wenn auch schwieriger: Hier müssen die Anstrengungen noch verlängert werden.
Dann der kulturelle Erfolg. Die kühne Eröffnungsfeier unter einem Wolkenbruch machte sie zu einem unvergesslichen Spektakel, das sofort den Ton für diese nicht alltäglichen Spiele angab, die aus dem Stadion hinaus in die Stadt gingen. (...)
Die eigentliche Herausforderung besteht nun darin, herauszufinden, was von dem bleibt, was man schnell als das "zauberhafte Zwischenspiel" der Spiele bezeichnet hat, als ob die besten Dinge zwangsläufig ein Ende haben müssten. "Diese Begegnung wird uns für immer prägen", versprach Olympia-Organisator Tony Estanguet bei der Abschlusszeremonie und lobte "diesen Sommer, in dem Frankreich glücklich war«. Kann man diesen Zustand der Gnade auch nur ein wenig verlängern? In einer Zeit, in der das Land vor besorgniserregenden Herausforderungen steht, wäre dies eine Möglichkeit, das Zwischenspiel nicht zu beenden.»
«La Vanguardia»: Europa steht auf dem Spiel
MADRID: Zum Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU, in dem der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi eine grundlegende und sehr teure Reform von Europas Wirtschaft fordert, schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Dienstag:
«Der Retter des Euro warnt, dass das Überleben des europäischen Modells in Gefahr ist. Seine Rezepte: drastische Fortschritte zur Verwirklichung des Binnenmarktes und ein neuer Gemeinschaftsplan für Investitionen in Innovationen (...) Der ehrgeizige Fahrplan, den Draghi vorschlägt, ist weder einfach noch billig noch schnell. (...) Draghis Plan zur Rettung des europäischen Projekts ist aber ausgezeichnet. Er legt genau fest, was wirklich getan werden muss. Das Problem ist, dass er jetzt nicht mehr die finanzielle Macht und den Kassenschlüssel hat - wie zu der Zeit, als er als Präsident der EZB den Euro rettete.
Die Umsetzung des Plans erfordert eine enorme politische Führungsstärke und einen starken Willen der Regierungen der 27 Mitgliedstaaten, mehr Europa zu schaffen. Zunächst einmal gibt es das Problem, dass Deutschland und die anderen wohlhabenden Länder des Nordens wieder einmal zögern, neue gemeinsame Investitionspläne aufzustellen. Aber das europäische Modell steht auf dem Spiel. Niemand macht einen Hehl daraus, dass die Aufgabe, die EU zu retten, ebenso schwierig, teuer und komplex wie notwendig und dringend ist. Draghi hat zumindest seine Karten bereits auf den Tisch gelegt.»
«La Stampa»: TV-Duell bestimmt Rest des Wahlkampfes
TURIN: Vor dem TV-Duell zwischen den US-Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» am Dienstag.
«Bei dem TV-Duell zwischen Harris und Trump steht viel auf dem Spiel und die 90-minütige Debatte könnte für beide erhebliche Auswirkungen haben. Sie könnte den Rest des Wahlkampfes bestimmen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. (...) Für Harris sieht es derzeit gut aus. Und sollte die Periode ihres leichten Aufstiegs noch ein wenig länger andauern, könnte es sein, dass die Wahl im November wie viele andere US-Wahlen in den USA nur durch wenige Prozentpunkte entschieden wird. Da die Wahl durch die Wahlmänner entschieden wird, könnte Harris auch trotz Mehrheit der Wählerstimmen das Weiße Haus verlieren.
Wir dürfen uns angesichts der Umfragen und derzeitigen Trends nicht täuschen: Die wahre Stunde der Wahrheit schlägt am Dienstag. Das TV-Duell der beiden Kontrahenten kann noch alles ändern - oder eben auch nicht. Wird Trump ausrasten? Wird er einen kühlen Kopf bewahren? Wird Kamala einen entscheidenden Schlag landen? Wird ein entscheidender Moment der Debatte viral gehen? Zu wessen Vorteil? Merken Sie sich meine Worte: Bei den US-Wahlen kann in diesen Zeiten alles passieren. Und es wird zweifelsohne geschehen.»
«Financial Times»: Draghi-Empfehlungen schwer umzusetzen
LONDON: Zum Bericht des ehemaligen italienischen Regierungschefs und EZB-Chefs Mario Draghi zur Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft meint die Londoner «Financial Times» am Dienstag:
«Der Bericht enthält eine Reihe sinnvoller, wenn auch nicht unbedingt neuer Empfehlungen, die Europa helfen sollen, die Chancen des digitalen und ökologischen Wachstums zu nutzen. Dazu gehören die Integration der Kapitalmärkte durch die Zentralisierung der Marktaufsicht, die Entwicklung neuer gemeinsamer Finanzierungstöpfe und die Angleichung sowie Straffung von Industrie-, Wettbewerbs- und Handelsregelungen. Ebenso begrüßenswert ist sein weitergehender Vorstoß für eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Innovation und nationale Sicherheit.
Draghis Empfehlungen geben der neu gewählten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - die den Bericht in Auftrag gegeben hat - einen wertvollen Rahmen für ihre neue Amtszeit.
Die eigentliche Herausforderung wird jedoch in der Umsetzung der Empfehlungen bestehen. Erstens haben es die beiden größten Volkswirtschaften des Blocks, Frankreich und Deutschland, mit instabilen Koalitionsregierungen zu tun, die jeden Fortschritt in EU-weiten Angelegenheiten behindern könnten. Zweitens: Strategische Zusammenarbeit ist leichter gesagt als getan. Die sparsamen nordeuropäischen Länder sind immer noch zurückhaltend, wenn es darum geht, die Ausgaben zu erhöhen oder gemeinsame Schulden zu machen. Pläne für eine Kapitalmarktunion werden seit langem von innenpolitischen Interessen durchkreuzt.»
«NZZ»: US-Behörden demonstrieren Wachsamkeit
ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Dienstag das Vorgehen der US-Behörden gegen Versuche Russlands, mit gezielten Desinformationen die Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen:
«Ein starkes Signal sendeten die amerikanischen Behörden vergangene Woche aus, als sie mehrere Aktivitäten Russlands zur Einflussnahme entlarvten. Die detaillierte Beschreibung des russischen Vorgehens und der Finanzflüsse zur Bezahlung rechter Influencer in den USA zeigt, dass amerikanische Ermittler diese Aktion über Monate mit großem Aufwand verfolgt haben müssen.
Die Behörden demonstrierten damit ihre Wachsamkeit. Sie signalisierten der eigenen Bevölkerung, aber auch dem Kreml, dass man die feindlichen Aktivitäten erkennen und stören kann. Im Unterschied zu früheren Jahren lassen sich die USA nicht mehr vorführen. (.)
Wichtig ist, dass die Medien heute für das Phänomen ausländischer Einflussnahme sensibilisiert sind. Sie müssen ihre Verantwortung als besonnene Stimme wahrnehmen und sich bei einer Publikation zumindest bewusst sein, was die Absicht einer anonymen Quelle sein kann. Idealerweise ist sich auch die Bevölkerung der Gefahr bewusst.»
«Tages-Anzeiger»: Bereitschaft für EU-Kraftakt nicht in Sicht
ZÜRICH: Zum Bericht des ehemaligen italienischen Regierungschefs Mario Draghi zur Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft heißt es am Dienstag im Schweizer «Tages-Anzeiger»:
«Mario Draghi spricht von einem schleichenden Niedergang: Wohlstand, Souveränität und letztlich auch die Freiheit seien längerfristig in Gefahr. (.) Pro Kopf sei das Einkommen in den USA fast doppelt so schnell gewachsen wie in Europa, sagt Draghi. Zwischen Amerika und der Europäischen Union habe sich bei der Wirtschaftsleistung ein tiefer Graben geöffnet. (.)
Draghi hat als Euronotenbankchef einst die Einheitswährung gerettet und gilt seither als «Super Mario». Sein Verdikt hat also Gewicht. Das Bedrückende an seiner Analyse ist, dass Europas Schwachpunkte und Defizite bekannt sind. Die Dringlichkeit wächst, weil Europa nun gleichzeitig auch noch die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, die Digitalisierung und die Sanierung der beschränkt einsatzfähigen Armeen finanzieren muss.
In Berlin und Paris amtieren schwache Regierungen, während in anderen Hauptstädten wenig Appetit nach «mehr Europa» besteht. 800 Milliarden Euro an zusätzlichen gemeinsamen Investitionen wären laut Mario Draghi jährlich nötig, damit Europa nicht weiter hinter die USA und China zurückfällt. Die Bereitschaft für den Kraftakt ist nicht in Sicht.»
«De Tijd»: Draghi-Strategie kollidiert mit der politischen Realität
BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Tijd» kommentiert am Dienstag den Bericht des ehemaligen italienischen Regierungschefs Mario Draghi zur Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft:
«Die von Draghi skizzierte Strategie macht wirtschaftlich Sinn. Europa kann von einer besseren Zusammenarbeit und von der Nutzung der sich bietenden Größenvorteile profitieren. Aber diese Strategie kollidiert mit der politischen Realität. In vielen EU-Staaten nehmen nationalistische Reflexe zu. Der Gedanke, dass nationale Interessen Vorrang vor europäischen haben, gewinnt an Boden. Mehrere Regierungschefs sind euroskeptisch. Sie wollen nicht mehr, sondern weniger Europa und machen sich antieuropäische Stimmungen unter Wählern zunutze, die sich über Einmischungen aus Brüssel ärgern, aber die Vorteile, die Europa ihnen bringt, als selbstverständlich ansehen.
Wenn es Europa gelingen würde, seine wirtschaftliche Dynamik zurückzugewinnen, könnte es die positive Stimmung rund um das europäische Projekt wiederherstellen und die Kritik der Euroskeptiker zum Schweigen bringen. Dafür bietet Draghis Bericht einen Fahrplan. Er kann als politisches Programm für die neue EU-Kommission dienen, die ein klares Ziel haben sollte: die Innovation ankurbeln, das Produktivitätswachstum steigern, den Wohlstand erhöhen, allen Regionen Europas die Teilhabe ermöglichen und dafür sorgen, dass auch das soziale Europa gewahrt bleibt. Das ist ehrgeizig. Aber nicht unmöglich.»