Zeitungen zum Geschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu Grünen/Asylkurs

Es liegt in der Tradition der Grünen, dass sie sich jetzt rühren, da in Brüssel über ein schärferes Asylrecht verhandelt wird.

Etliche Hundert Parteimitglieder wollen die eigene Führung an die Kandare nehmen und ein humanitäres Asylrecht verteidigen. Das ist besonders für Außenministerin Annalena Baerbock heikel, die gerne die Moralistin gibt, von heiklen Fragen indes Abstand hält. In der Asylpolitik aber muss sie jetzt Farbe bekennen. Der Schutz der Verfolgten zählt nicht nur zum ideellen Kern der Grünen, sondern auch zu dem des Grundgesetzes. Die vom Flüchtlingsschutz zu trennende Armutswanderung ist den Deutschen ebenfalls wohlbekannt. Viele Menschen können auf Verwandtschaft in den USA oder sonst wo auf der Welt verweisen. Deren Vorfahren entflohen einst der Armut der Schwäbischen Alb und anderer Regionen. Es ist gut, in dem Geraune und Gegröle in der "Asyldebatte" Stimmen zu vernehmen, die der Menschlichkeit ein Gesicht und Gewicht geben, auch wenn das mitunter naiv wirkt.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zur Staudammzerstörung am Dnipro

(.) Seit der Kreml einsehen musste, dass es den russischen Truppen nicht gelingen wird, die Ukraine zu besetzen und ihre demokratisch gewählte Führung zu stürzen, zielt seine Kriegsführung darauf ab, der Ukraine ihre Überlebensfähigkeit als Staat zu nehmen.

Wladimir Putins Propagandisten schwadronieren Tag für Tag von der Notwendigkeit der vollständigen Zerstörung des Landes, das der Herr im Kreml als "Anti-Russland" bezeichnet hat. In den Niederungen der Hetze staatlicher russischer Medien wird der Angriff auf die Ukraine nur noch selten mit der "Befreiung" der Ukrainer von einem "Naziregime" und ähnlichen Lügen begründet. Stattdessen sind dort oft unverhohlene Vernichtungsphantasien zu hören. Es wäre nicht verwunderlich, hätten sie am Dnipro Gestalt angenommen.


«Frankfurter Rundschau» zu Asylpolitik/EU

Niemand kann froh darüber sein, wie schlecht die europäische Asylpolitik derzeit funktioniert.

Der Vorschlag der EU-Kommission, hinter den sich die Bundesregierung stellt, würde hingegen nichts besser, aber vieles schlimmer machen. Haftlager an den Außengrenzen, Kettenabschiebungen in Verfolgerstaaten und eine neuerliche Überlastung der Mittelmeerstaaten können nicht die richtige Lösung sein. Menschenrechtlich ist eine Einigung auf dieses Paket nicht hinnehmbar. In den Reihen von Grünen und SPD haben das viele erkannt. Ihr Aufschrei ist gut hörbar. Die Bundesregierung sollte diese Kritik aufnehmen.


«Rzeczpospolita»: Eine Demonstration entscheidet noch keine Wahlen

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» kommentiert am Dienstag die große Demonstration gegen die nationalkonservative Regierung:

«Der Protestmarsch am Sonntag war ein großer politischer Erfolg. Aber selbst die gelungenste Demonstration entscheidet nicht über den Ausgang einer Wahl. Die Kundgebung hat der (liberalkonservativen Oppositionspartei) Bürgerplattform den Glauben gegeben, dass ein Sieg möglich ist, und das ist ein in der Politik wichtiges Gefühl.

Die Frage ist nun, ob die Partei es schafft, diese Emotionen bei der Rückkehr in den politischen Alltag aufrechtzuerhalten und dabei die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Bei der Präsidentenwahl 2020 wurde das Potenzial des (Warschauer Oberbürgermeisters und) Präsidentschaftskandidaten Rafal Trzaskowski, der zehn Millionen Stimmen erhielt, nicht genutzt.»


«Lidove noviny»: Situation in Polen ähnlich wie Israel

PRAG: Zu den Protesten gegen Polens nationalkonservative Regierung schreibt die tschechische Zeitung «Lidove noviny» am Dienstag:

«Am besten vergleichbar ist die Situation in Polen mit Israel. In beiden Staaten gibt es zwei Seiten, die sich politisch zutiefst hassen. In Polen handelt es sich um das Kaczynski-Lager und das Anti-Kaczynski-Lager (benannt nach der grauen Eminenz der Nationalkonservativen, Jaroslaw Kaczynski), in Israel um das Bibi-Lager und das Anti-Bibi-Lager (benannt nach Ministerpräsident Benjamin Netanjahu).

Sowohl in Polen als auch in Israel streiten die Parteien über eine Justizreform und den Rechtsstaat. Doch wenn es um wirkliche Gefahren für die Sicherheit des Landes geht, verfolgen sie im Grunde dieselbe Politik. In Polen spielen dabei Ängste vor Russland eine Rolle, in Israel Befürchtungen vor dem Iran.»


«Nepszava»: Gegenoffensive zielt auf Verunsicherung der Russen ab

BUDAPEST: Über die erwartete Gegenoffensive der Ukraine gegen die russischen Angreifer schreibt die ungarische Tageszeitung «Nepszava» am Dienstag:

«Man hat so lange darüber gesprochen, dass die Ukrainer inzwischen ohne großes Aufsehen ihre Taktik zu ändern vermochten. Anstelle großer Panzervorstöße und Durchbrüche an diesem oder jenem Frontabschnitt richtet sich die erste Phase der Gegenoffensive gegen grenznahe russische Ortschaften. Die Russen sind darauf weder militärisch noch mental darauf vorbereitet.

Der Diktator (Wladimir Putin) kann seinem Volk nur zwei Dinge geben, mit denen er die Frage der Demokratie - und damit seiner Abwählbarkeit - irrelevant machen kann: Wohlstand und Sicherheit. Die finanziellen Reserven reichen in Russland noch aus. Das Sicherheitsgefühl ist hingegen erschüttert, wenn sich in Russlands grenznahen Dörfern Explosionen ereignen oder sogar in Moskauer Wohngebieten.»


«Libération»: Hoffnung auf ein anderes Russland?

PARIS: Zu den gefangenen russischen Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa und Alexej Nawalny, gegen den ein neuer Prozess beginnt, schreibt die französische Tageszeitung «Libération» am Dienstag:

«Er (Kara-Mursa) war im April zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, weil er die russische Invasion in der Ukraine angeprangert hatte. (...) Sein Brief aus dem Gefängnis, den er kurz vor seinem Urteil an Jacques Maire, den ehemaligen Vorsitzenden der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) im Europarat, schickte, sendet eine starke Botschaft: Ein anderes Russland ist möglich. Sollte man daran glauben? Ein anderer Oppositioneller, Alexej Navalny, (...) verbrachte schon seinen dritten Geburtstag in Folge im Gefängnis. Der Mut dieser Männer, die sich weigern zu sterben, ohne die Welt auf das repressive System ihres Landes aufmerksam zu machen, das sie zermalmt, trägt die Hoffnung in sich, dass eines Tages ein anderes Russland entstehen wird. Aber wann?»


«Dagens Nyheter»: Unterschätzt nie die polnische Zivilgesellschaft

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Dienstag die große Demonstration gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung in Polen:

«Der anhaltende Streit mit der EU spielt der polnischen Führung in die Karten. Sie stellt sich als eine demokratisch gewählte Regierung gegen die überstaatlichen Bürokraten in Brüssel dar. Die Proteste am Sonntag - vielleicht die größten, seit der Kommunismus 1989 auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt wurde - erinnern daran, dass das ein Zerrbild ist: Der wirkliche Kampf um die polnische Demokratie ist ein nationaler. Vor allem erinnern die Proteste an die Kraft der polnischen Zivilgesellschaft. Die Polen haben eine lange Geschichte der breiten Mobilisierung zur Verteidigung liberaler Werte. Viele der Protestteilnehmer erinnern sich selbst an den Sturz des Kommunismus und die Einführung der Demokratie. Jetzt gehen sie auf die Straßen, um diese zu verteidigen.»


«NZZ»: Erdogan weckt Hoffnung auf einen Kurswechsel

ZÜRICH: Zur neuen Regierung in der Türkei meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Dienstag:

«Mit seinem neuen Kabinett weckt Recep Tayyip Erdogan die Hoffnung auf eine Rückkehr in ruhigere Fahrwasser. Statt ideologischer Hardliner hat der türkische Präsident vorwiegend erfahrene, pragmatische Fachpolitiker nominiert. Besonders die Ernennung des früheren Merrill-Lynch-Bankers Mehmet Simsek als Finanzminister signalisiert Erdogans Bereitschaft, zu einer orthodoxen Finanzpolitik zurückzukehren. Auch die Wahl des Ökonomen Cevdet Yilmaz als Vizepräsident soll wohl helfen, das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen.

Allerdings bleibt abzuwarten, ob Erdogan den zwei Wirtschaftsexperten tatsächlich freie Hand lässt. Ihre Nominierung zeigt zwar, dass er die Notwendigkeit eines Kurswechsels erkannt hat, um den Absturz der Lira aufzuhalten und die Investoren ins Land zurückzuholen. Auch ist anzunehmen, dass Erdogan Simsek zugesichert hat, eine orthodoxere Finanzpolitik verfolgen zu können. Andernfalls hätte der 56-Jährige sich kaum zur Rückkehr in die Regierung bereit erklärt. Es ist aber fraglich, ob Erdogan auch dann noch eine Anhebung der Leitzinsen und schmerzhafte Sparmaßnahmen akzeptieren wird, wenn ihn dies Stimmen bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2024 zu kosten droht.»


«Tages-Anzeiger»: Aufstieg der AfD als Warnung betrachten

ZÜRICH: Zum Umfragehoch der AfD heißt es am Dienstag im Schweizer «Tages-Anzeiger»:

«Selbst wenn Ampelparteien und CDU/CSU für den Aufstieg der AfD höchstens mittelbar verantwortlich sind, sollten sie diesen doch als Warnung betrachten: Die Regierung muss mit Streiten aufhören, überzeugender arbeiten und die soziale Frage im Auge behalten - insbesondere die SPD. CDU und CSU wiederum sollten die Finger von Populismus lassen und sich um Sachlichkeit bemühen, wo die AfD Emotionen schürt.

Direkte Auswirkungen könnten die Rekordwerte der AfD in der Asylpolitik haben. Angesichts stark steigender Zahlen stellen Teile von CDU/CSU bereits das Asylrecht, ja sogar die Genfer Flüchtlingskonvention infrage. Was manchen Christdemokraten wie eine Lösung für ein drängendes Problem vorkommen mag, wäre für die AfD ein unverhofftes Geschenk: Sie könnte ihren Wählerinnen und Wählern zeigen, dass ihre Stimme nicht nur zum Protest taugt, sondern tatsächlich die Macht hat, etwas zu verändern.»


«De Standaard»: Nur Waffen können Moskau zu Verhandlungen zwingen

BRÜSSEL: Zum Krieg in der Ukraine meint die belgische Zeitung «De Standaard» am Dienstag:

«Nach dem Überfall auf die Ukraine hat der Westen die bislang umfangreichsten Sanktionen gegen Russland verhängt. Unternehmen zogen sich zurück. Der Export von Technologie wurde verboten. Es kam ein Preisdeckel für russisches Öl. Europa entkoppelte sich von russischen Gasleitungen. Und russische Banken wurden vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Doch entgegen den Erwartungen stürzte die russische Wirtschaft nicht in sich zusammen. (...)

Auch die diplomatische Gegenoffensive konnte Russland nicht in die Knie zwingen. So einheitlich wie das westliche Bündnis standhält, so heuchlerisch hält der Rest der Welt die Beziehungen zu Russland aufrecht: China, Indien, Brasilien, die Türkei, Saudi-Arabien - es ist eine lange Liste aufstrebender Mächte, die sich weigern, Stellung zu beziehen gegen ein Russland, das internationales Recht mit Füßen tritt. Weil Sanktionen und Diplomatie versagen, können allein die Waffen den Aggressor zu Verhandlungen zwingen. Darum geht es bei dem hohen Einsatz der ukrainischen Gegenoffensive: irgendwo entlang der 900 Kilometer langen Front den schwachen Punkt zu finden und einen militärischen Durchbruch zu erzwingen, so dass der Preis für Russland doch zu hoch wird.»

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