Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Süddeutsche Zeitung» zur EU-Kommission und Polen

Im Umgang mit autoritären Tendenzen in Osteuropa muss die EU-Kommission klarer handeln.

Bei Verstößen gegen die gemeinsamen Werte helfen nicht allein Gespräche, wie Merkel sie fordert. Es gilt, die Rechtsmittel anzuwenden, die es längst gibt. Vor ein paar Tagen hat die Kommission immerhin Strafzahlungen gegen Polen beantragt wegen der fortgesetzten Einschränkung der Freiheit der Gerichte. Das reicht aber nicht.


«Berliner Morgenpost» zu Polen

Angela Merkel absolvierte ihre wohl letzte Polen-Reise als Kanzlerin eher pflichtschuldig.

Eine Kranzniederlegung, ein paar freundlich mahnende Worte - das war's. Der trostlose Abschied war umso bitterer, als Merkel das Verhältnis zu den Nachbarn im Osten stets besonders am Herzen lag. Seit 2015 jedoch, seit in Warschau die rechtsnationale PiS regierte, steckte die polenbegeisterte Kanzlerin in einer Zwickmühle. Sie entschied sich für eine Strategie des Beschwichtigens. Merkel hat viel dafür getan, dass das historische Leid unserer östlichen Nachbarn stärker ins Bewusstsein der Deutschen gerückt ist. Das war gut und richtig. Der empathische Blick zurück ersetzt aber keine zukunftsgerichtete Politik. Und da hat Merkel unterm Strich sechs Jahre verschenkt. Die Strategie des Herunterkochens hat schlechte Ergebnisse gebracht.


«Frankfurter Rundschau» zum Bahnstreik

Claus Weselsky steht kurz vor dem Ziel.

Das Angebot der Bahn vom Wochenende ist erstmals eines, bei dem es sogar ihm schwer fallen dürfte, es einfach beiseite zu wischen. Das zeigt vor allem eins: Die drei Streikrunden scheinen nötig gewesen zu sein. Politischer Druck und Appelle reichten nicht aus, um das DB-Management zum Entgegenkommen zu bewegen. Der Konzern zog sogar vor Gericht, um den Streik verbieten zu lassen, und verlor in zwei Instanzen. Nun aber muss die GDL an den Verhandlungstisch zurückkehren. Eine weitere Streikrunde würde Weselskys Rückhalt schwinden lassen. Die DB hat sich bewegt, die GDL sollte es auch. Am Ende könnte ein Ergebnis stehen, bei dem die GDL gestärkt ihren Konkurrenzkampf gegen die EVG weiter führen und nach der Wahl auf Rückhalt aus der Politik hoffen kann.


«Münchner Merkur» zu CSU/Laschet

In der Politik gilt fast immer eine simple Regel: Sei ganz dafür - oder ganz dagegen.

Wischiwaschi dazwischen führt zu nix. Das merkt auch die auf 20 plus x geschrumpfte CSU-Spitze. Söder hätte Laschet im April verhindern müssen, wenn er ihn für den verheerend Falschen hält. Oder ihn ohne Wenn und Aber unterstützen müssen. Für beides hätte es gute Argumente gegeben, auch dafür, dass Söder der Bessere gewesen wäre. Aber monatelang ein bisschen unterstützen, ein bisschen kritisieren oder die freundlichen Sätze ironisch brechen - das zog die CSU mit in Laschets Abwärtssog. Viele Wahlkämpfer vor Ort wissen seit Wochen nicht: Ist mein Kanzlerkandidat Wicht oder Wucht? Deshalb kommt jetzt der übereuphorische CSU-Jubelparteitag zu spät. Zwei Wochen vor dem Wahltag, die Briefwahl in vollem Gange, lässt sich keine neue Erzählung erfinden, wie und warum in der CSU plötzlich Laschet-Liebe entflammt.


«The Observer»: Afghanen kennen ihre Rechte

LONDON: Die britische Sonntagszeitung «The Observer» kommentiert die Taliban-Herrschaft in Afghanistan:

«Die Frage, ob sich die Taliban verändert haben, ist in aller Munde. Zum Teil ist das Wunschdenken. Sollten die Islamisten zur Vernunft gekommen sein, wäre die Niederlage der Alliierten für sie weniger schmerzhaft. Alle Anzeichen sprechen jedoch eher für das Gegenteil. (...)

Doch während die Islamisten dabei sind, das Land wieder nach unten zu ziehen, lautet die wichtigere Frage: Hat sich Afghanistan verändert? Einzelne mutige Aktionen und Demonstrationen zeugen von einer Stimmung des Trotzes in der Bevölkerung, die vor 2001 weniger ausgeprägt war. Sie deuten auf einen Willen zum Widerstand hin.

Die Afghanen, insbesondere die jugendliche Mehrheit, kennen ihre Rechte. Sie wissen, wie sich Freiheit anfühlt. Sie haben Erwartungen in Bezug auf Bildung, Karriere, Gesundheitsfürsorge, Reisen und eine moderne, vernetzte Wirtschaft, in der die Banken effizient funktionieren, die Währung einen Wert hat und es in den Geschäften Lebensmittel gibt. (...) Wie lange können die Islamisten noch rücksichtslos mit Peitschen und Gewehren vorgehen, bevor ihre Kontrolle ins Wanken gerät?»


«NZZ am Sonntag»: Dreierkoalition wird Normalfall

ZÜRICH: Zum Wahlkampf in Deutschland schreibt die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag»:

«Für eine so genannte große Koalition von Sozial- und Christlichdemokraten wird es nicht mehr reichen, eine Dreierkoalition wird auf absehbare Zeit der Normalfall in Berlin. Die Politik ist zurück. Sowohl Scholz wie Laschet müssen ein Bündnis widerstreitender und selbstbewusster Kräfte managen, sollten sie nach der Wahl am 26. September eine Regierungsmehrheit hinter sich bringen. Vor allem Scholz müsste dabei nicht nur Zugeständnisse an den liberalen und an den grünen Koalitionspartner machen, die beide auf ihre Weise den Deutschen einen Politikwechsel zumuten wollen; der Kanzlerkandidat der SPD wird - wie einst Helmut Schmidt - noch dazu mit seiner linksgeführten Partei kämpfen müssen.

Doch all das - so lautstark und vielleicht auch unschön ein solches Dreiergespann auf Regierungsfahrt ginge - wäre ein Dienst an den deutschen Wählern. Die nächste Koalition in Deutschland wird vom politischen Wettstreit leben, nicht mehr von der Apathie, der Angst und der selbst gewählten Entmündigung der Bürger.»

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