Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu Biden-Erklärung/Völkermord an den Armeniern

Die Erklärung von US-Präsident Biden zum Völkermord an den Armeniern ist ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den USA und der Türkei.

Präsident Erdogan hat bisher in der Annahme gehandelt, die Türkei sei für den Westen so unentbehrlich, dass selbst die Supermacht USA darauf achten müsse, sie nicht zu verärgern. Das hat sich geändert. Biden will Ankara klarmachen, dass die Türkei Amerika mehr braucht als umgekehrt. Die Biden-Regierung sieht Erdogan als Autokraten, dem Grenzen gesetzt werden müssen. Biden signalisiert: Die Türkei ist dabei, den Westen zu verlieren. Damit ändern sich die Spielregeln.


«Sunday Times»: Corona-Krise in Ländern wie Indien geht uns alle an

LONDON: Die britische Sonntagszeitung «The Sunday Times» kommentiert das Ausmaß der Corona-Krise in Indien:

«Ein Land mit engsten historischen Beziehungen zu Großbritannien - etwa 1,5 Millionen Menschen indischer Herkunft leben hier - erleidet ein Covid-19-Desaster. Kein Land hat so viele Corona-Infektionen erlebt wie Indien - mehr als 300.000 pro Tag - oder das Leid, das dadurch verursacht wird. (...)

Wir können das Geschehen in Indien nicht als bloße Zuschauer betrachten. Diese Pandemie wird nirgendwo wirklich gezähmt worden sein, solange sie nicht überall unter Kontrolle ist. Und die indische Variante, deren ungehinderte Ausbreitung in Indien zugelassen wurde, ist bereits in diesem Land angekommen. (...)

US-Präsident Joe Biden hat in der vergangenen Woche einen Gipfel zur Bewältigung der Klimakrise einberufen. Das war gut, doch angesichts einer so ungleichen Verteilung von Impfstoffen ist nun eine dringende globale Aktion zur Eindämmung der Covid-Krise in Ländern wie Indien erforderlich. Genau wie beim Klimawandel sind wir alle betroffen. Allerdings fühlt sich das im Moment nicht wirklich so an.»


«Sonntagszeitung»: Debattenkultur in Deutschland empörungsgetrieben

ZÜRICH: Die Schweizer «Sonntagszeitung» kommentiert die Reaktionen auf die Schauspielerkritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung:

«Einige Filmchen sind richtig gut, treffen den Nagel auf den Kopf, andere überzeugen nur mäßig. Die Aktion macht aber genau das, was Satire tun sollte: der Regierung auf die Finger schauen und ihre Handlungen durch Überzeichnung zur Kenntlichkeit verzerren.

Die Argumentation der Kritiker ist perfide: Dass auch AfD-Politiker und sogenannte Corona-Leugner die Filmchen lobten, sei Beweis dafür, dass es sich um Hetze handle - als ob Künstler für die Haltung jener Leute verantwortlich wären, die ihnen applaudieren. Dass die Beiträge auf Youtube Zustimmungsraten von über 90 Prozent erhalten, zeigt, wie wenig die mediale Aufregung mit der allgemeinen Stimmungslage zu tun hat.

#allesdichtmachen stellt sich als mutigste und wichtigste satirische Aktion der letzten Jahre heraus. Nicht nur, weil sie mit der Kritik an den Corona-Massnahmen ein Tabu in dieser Szene bricht, sondern vor allem, weil sie vor Augen führt, wie beschädigt und empörungsgetrieben die Debattenkultur in Deutschland mittlerweile ist.»


«NZZ am Sonntag»: Satire ist auch in schweren Zeiten berechtigt

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag» kommentiert die Reaktionen auf die Corona-Aktion von Schauspielern:

«Natürlich kann man sagen, diese rund 50 deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler seien alle wohlstandsverwahrlost, zynisch, unsolidarisch und was der Herablassungen mehr sind. Denn schließlich haben sie versucht, sich mit mehr oder minder gelungenen Videos auf Youtube mitten im herrschenden Lockdown über den staatlichen, also unser aller Umgang mit dem Virus lustig zu machen. Das ist gefährlich, weil es etwas Zersetzendes hat. In Deutschland ist aber derzeit Disziplin gefragt. Und darin kennt der gemeine Deutsche keine Gnade.

Der Hass, der den Kunstschaffenden gerade entgegenschlägt, macht sprachlos. Man könnte doch auch in Erwägung ziehen, dass diese Schauspielerinnen und Schauspieler Mut bewiesen haben, einen Mut, der sie psychisch wie ökonomisch etwas kosten wird. Sie haben von ihrem Recht auf Kunstfreiheit Gebrauch gemacht. Sie haben getan, was Kunst in ihren besten Momenten leisten kann: stören, ja verstören. Und zuletzt könnte man auch sagen, dass eine Gesellschaft, die Satire nur in guten Zeiten als zulässig erachtet, vergessen hat, was sie an der Satire hat: den gepflegten Tritt gegen oben. Wo Satire ist, ist keine Diktatur.»


«La Repubblica»: Biden fordert Erdogan heraus

ROM: Zur Anerkennung des Massakers an den Armeniern als Völkermord durch US-Präsident Joe Biden schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Sonntag:

«Joe Biden fordert Recep Tayyip Erdogan heraus, indem er das Massaker an den Armeniern «Völkermord» nennt, eine Geste, die die Türkei immer als Beleidigung ihrer Vergangenheit angesehen hat. Die Entscheidung Bidens, die diplomatischen Konventionen zu ignorieren, ist ein Zeichen für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Washington und Ankara. Es ist der Sieg einer langen Kampagne, geführt von amerikanischen Parlamentariern unter dem Druck der starken armenischen Diaspora in den Vereinigten Staaten. Nur ein Präsident, der Republikaner Ronald Reagan, hatte in den 1980er Jahren den Begriff «Völkermord» verwendet. Nach ihm hatten es die folgenden Präsidenten vorgezogen, die türkische Regierung nicht zu beleidigen.»

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