Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Süddeutsche Zeitung» zum Kandidatenduell zwischen Laschet und Söder

Wenn Söder tatsächlich Kanzlerkandidat werden sollte, würde das die Tektonik der CDU gefährden.

Der frischgewählte Parteichef wäre wenige Wochen nach seiner Wahl schon wieder desavouiert, weil er sich nicht gegen Söder hat durchsetzen können. Auch Laschets Renommee als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wäre gefährdet - die CDU liefe Gefahr, das Land bei der nächsten Wahl zu verlieren. Und wie soll - gesetzt den Fall, Söder würde Kanzler - eine Bundesregierung funktionieren, in der der Chef der kleinsten Koalitionspartei die Regierung anführt? Dafür bräuchte es mehr diplomatisches Geschick als es die Kanzlerin nach 16 Jahren im Amt hat.


«La Stampa»: Votum der Amazon-Mitarbeiter als Hinweis auf Wandel

ROM: Zum Nein der Amazon-Mitarbeiter bei einer Abstimmung über eine US-Gewerkschaft in ihrem Unternehmen schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Sonntag:

«Die Amazon-Beschäftigten in Alabama stimmten gegen die Gewerkschaft an dem Standort in dem US-Bundesstaat, obwohl es an Gesundheitsversorgung mangelt und an einem Mindestlohn und obwohl Auslieferer oft gezwungen sind, in eine Flasche zu pinkeln (...). Es herrscht eine Arbeitssituation, die es auch in Europa gibt und die kürzlich in mehreren Ländern zu Streiks geführt hat. Die Haltung der US-amerikanischen Amazon-Arbeiter, ihre Weigerung, sich gewerkschaftlich zu organisieren, um menschenwürdige Bedingungen zu erreichen, ist auffällig. (...) Was jedoch bei Amazon in Alabama geschah, könnte ein Hinweis sein auf eine Veränderung der Erwartungen der Arbeitnehmer auf einem Arbeitsmarkt, auf dem sich die Bedingungen immer stärker diversifizieren - sowohl vertraglich als auch in Bezug auf Art und Ort der Arbeit. Es ist möglich, dass sich die Beschäftigten - die es bereits kennen, um Niedriglöhne und ein bisschen Schutz miteinander zu konkurrieren - daran gewöhnen müssen, für sich selbst zu kämpfen, ohne auf kollektives Handeln zu vertrauen (...)?»


«The Observer»: Ein Wendepunkt in der amerikanischen Wirtschaftspolitik

LONDON: Die britische Sonntagszeitung «The Observer» kommentiert die von US-Präsident Joe Biden angestrebten Milliardeninvestitionen:

«Erwartungsgemäß zielt der US-Präsident darauf ab, den durch die Pandemie entstandenen Schaden zu beheben. Aber enorme, längerfristige Investitionen in Arbeitsplätze, Bildung und saubere Energie sowie sein neues Beharren auf der sozialen Verantwortung von Großunternehmen deuten auf etwas weitaus Bedeutsameres hin: auf einen Wendepunkt in der amerikanischen Wirtschaftspolitik. (...)

Wenn Biden nur die Hälfte von dem erreicht, was er plant, wird das eine bemerkenswerte Leistung sein. Was auch immer geschieht, er hat die Debatten bereits in eine neue Richtung gelenkt. Wirtschaftlich wurde die essenzielle, führende Rolle des Staates nachdrücklich wieder geltend gemacht. Das gilt im Zeitalter der Transformation durch die Covid-Pandemie für die USA ebenso wie für Großbritannien und Europa. In der Politik demonstriert Biden gerade, dass liberale Demokratien, wenn sie kompetent geführt werden, sich sowohl selbst reformieren als auch autoritäre Regime überflügeln können. Eine positive globale Führungsrolle der USA, die auf erneuertem Wohlstand und Multilateralismus beruht, kehrt zurück.»


«NZZ am Sonntag»: Biden setzt Trumps Versprechen um

ZÜRICH: Zur Politik von US-Präsident Joe Biden schreibt die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag»:

«So fahrig Biden als Redner sein mag, seine Politik ist das pure Gegenteil. Er handelt mutig, bestimmt und dynamisch. Das ist nur scheinbar überraschend. Biden ist zu lange im politischen Geschäft, um die historische Gelegenheit für große Taten zu übersehen, die ihm die Corona-Krise geschenkt hat. Die Pandemie hat den Amerikanern und der Welt vor Augen geführt, wie schwach das soziale Auffangnetz der USA ist. Nun kann Biden den Sozialstaat ausbauen, selten zuvor war der Widerstand dagegen schwächer. (...)

Es ist unübersehbar, wie Biden versucht, Boden gutzumachen, den die Demokraten an Trump verloren haben. Wie er sich bemüht, umzusetzen, was Trump großmäulig versprochen, aber nie verwirklicht hat: Investitionen in die Infrastruktur und in Industriejobs. Tatsächlich hätte auch Donald Trump wohl gerne Teile von Bidens Programmen umgesetzt. Deshalb fällt es den Republikanern - Trump hat sie noch immer fest im Griff - so schwer, die Pakete kategorisch zu bekämpfen. Sie stürzen sich darum lieber auf das schwärende Problem der Migration und kulturelle Grabenkämpfe. Bis jetzt brachte es Biden noch nicht aus der Ruhe.»

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