Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Die Presse»: Öffnungsschritte an Impffortschritt knüpfen

WIEN: Der Zeitpunkt für Lockerungen der Corona-Beschränkungen sollte an den Impffortschritt, nicht an ein Datum geknüpft werden, schreibt die Zeitung «Die Presse» in Wien:

«Nun ist das unwürdige Gezerre um Öffnungsschritte kein österreichisches Phänomen, wie ein Blick nach Deutschland zeigt - aber auch kein europäisches, wie etwa Dänemark und Großbritannien erfolgreich vorexerzieren. Dort wurde gleich zu Beginn der Impfkampagne ein Fahrplan präsentiert, der exakt festlegt, bei welchem Impffortschritt welche Lockerungen möglich sind - zu verstehen wie eine Waage mit Genesenen bzw. Geimpften auf der einen und Kontaktmöglichkeiten wie offene Geschäfte und Schulen auf der anderen Seite. Austariert von einem Gremium aus Simulationsforschern und Epidemiologen.

Dänemark will den Großteil der Beschränkungen erst dann aufheben, wenn sämtliche über 50-Jährigen und alle Menschen mit gefährlichen Vorerkrankungen zumindest einmal geimpft sind, sofern sie das wollen. In Großbritannien wiederum erfolgen größere Öffnungsschritte etappenweise - jeweils nach zehn Millionen Verabreichungen.»


«Stuttgarter Zeitung» zu Lockdown-Debatten

Zu dumm, dass das Coronavirus so politisch ungebildet ist.

Es nimmt einfach keine Rücksicht auf die Behäbigkeiten und Ängstlichkeiten der Politik. Im Gegenteil, es macht einfach weiter, nutzt jede Chance, sich auszubreiten. Wenn sich das Virus nicht an die Politik anpasst, sollte der Gedanke nicht zu komplex sein, dass sich die Politik dem Ausbreitungstempo der Pandemie anpassen muss. Es ist ein Skandal, mit welch realitätsverweigernder Bräsigkeit auf der Hand liegende Maßnahmen immer wieder hinausgeschoben werden, was ja doch nur dazu führt, dass sie später mit umso größerer Härte durchgeführt werden müssen.


«Berliner Morgenpost» zu Berliner Corona-Beschlüsse

Ab Mittwoch darf man - ein negativer Corona-Test vorausgesetzt - wieder ohne Termin shoppen gehen.

Das ist riskant, und die Gefahr, den Beschluss zurücknehmen zu müssen, ist da. Es scheint so, als habe die Politik aus dem Fiasko rund um die Osterruhetage nichts gelernt. Dass nun der Regierende Bürgermeister ausgerechnet als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz von den Beschlüssen abweicht, ist ein verheerendes Zeichen. Dem Virus ist das im Zweifel egal, aber Müller muss aufpassen, dass der eingeschlagene Weg nicht zu einer Irrfahrt wird.


«The Observer»: China muss in globale Agenda einbezogen werden

LONDON: Die britische Sonntagszeitung «The Observer» kommentiert die Spannungen im Verhältnis zwischen China und dem Westen:

«Ebenso wie Großbritannien brauchen Europa und die USA friedliche und funktionsfähige Beziehungen mit China. Doch einzelne Staaten sind nicht in der Lage, die Exzesse von (Chinas Staats- und Parteichef) Xi Jinping einzudämmen. Es gibt zudem eine vordringliche gemeinsame globale Agenda - darunter die Pandemie, der Hunger und die Weiterverbreitung von Atomwaffen -, wie US-Präsident Joe Biden in der vergangenen Woche einräumte, als er China zu einem virtuellen Klimagipfel im kommenden Monat einlud. Solche Probleme lassen sich nur durch internationale Zusammenarbeit wirkungsvoll angehen. Notwendigerweise schließt das China mit ein. (...)

Anfälle von berechtigtem Ärger dürfen eine besonnene, sachliche Analyse der langfristigen Herausforderung China nicht beeinträchtigen. Sich in dieser Sache zu irren, wäre zu gefährlich.»


«Sonntagszeitung»: Unfall im Suezkanal kein Argument gegen Globalisierung

ZÜRICH: Die Schweizer «Sonntagszeitung» kommentiert die Blockierung des Suezkanals durch ein Containerschiff:

«Der Unfall der Ever Given lenkt die Aufmerksamkeit erneut auf die Störanfälligkeit der internationalen Lieferketten. Bereits die Pandemie hat Schwachstellen aufgedeckt und den Welthandel beeinträchtigt. Dazu kommt der politische Druck. Globalisierungskritiker erhalten Zulauf. Immer mehr Staaten verfolgen protektionistische Praktiken. (...)

Der nationalistische Reflex, es sei besser und sicherer, selber zu produzieren, ist gefährlich. Für die Herstellung des Impfstoffs von Pfizer/Biontech braucht es 280 Komponenten aus mehreren Ländern. Eine Nationalisierung wäre das Dümmste, was die Politik tun könnte. (...) Weder die Pandemie noch die Blockade des Suezkanals liefern gute Argumente gegen die Globalisierung. Handel ist eines der wirkungsvollsten Instrumente der Wohlstandssteigerung, Isolation ist ein sicheres Rezept für Armut.»


«NZZ am Sonntag»: EU hat nicht nur die Zeitumstellung vergeigt

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag» kommentiert die geplante Abschaffung der Zeitumstellung:

«Dieses Jahr ist die Sommerzeit abgeschafft worden. Also beinahe. 2021, drei Jahre nach der Online-Umfrage der EU-Kommission, sollte die regelmäßige Übung der Zeitumstellung in Europa beendet sein. So war das vereinbart. Die EU, so jubelte seinerzeit die Kommission von Jean-Claude Juncker, zeige sich in großen Fragen groß. Nicht nur der Blick auf die Uhr an diesem Sonntag lehrt, dass dem nicht so ist. Es gibt gewichtigere Dinge, welche die EU-Kommission vergeigt hat. Die nicht eingetretene Abschaffung der Zeitumstellung verblasst hinter der nicht eingetretenen raschen Impfkampagne. Aber direkte Demokratie muss reale Folgen haben. Andernfalls erledigt sie sich selbst. Das ist die Lehre von der Volksbefragung zur Sommerzeit.»


«Corriere della Sera»: Niemand in Myanmar wurde geschützt

ROM: Zum Konflikt in Myanmar schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Sonntag:

«Auch in diesem Teil der Welt wird Krieg mit Worten geführt. Wie sonst könnte man die Rede von General Min Aung Hlaing interpretieren, dem Chef der Junta, der die Macht übernahm, nachdem er die Zivilregierung von Aung San Suu Kyi des «Wahlbetrugs» bezichtigt hatte? «Terrorismus ist inakzeptabel und gefährdet das Zusammenleben der Bevölkerung», sagte er live im Fernsehen. Aber das Militär werde das Volk weiterhin schützen.

Die Szenen der Gewalt auf den Straßen, die heimlich gefilmt und in den sozialen Medien veröffentlicht wurden, sprechen eine andere Sprache. Die Soldaten schossen, um zu töten. Sie liefen Straßen und Nebenwege ab, griffen heftig an und zielten auf die Köpfe der Demonstranten. (...) Niemand wurde verschont, geschweige denn geschützt.»


«Handelsblatt» zur Karlsruher Entscheidung zum EU-Wiederaufbaufonds

Die Kläger um den AfD-Gründer Bernd Lucke werden sich bestätigt fühlen, aber sie treiben ein gefährliches Spiel.

Viel mehr als die 750 Milliarden Euro braucht Europa das Bekenntnis zur Solidarität, wenn es ökonomisch nicht noch weiter gegenüber den USA und China zurückfallen will. Mit seinem «Bündnis Bürgerwille» inszeniert sich Lucke als Vorkämpfer einer schweigenden Mehrheit in Deutschland. Doch glücklicherweise ist der Bürgerwille, den Lucke zu verkörpern glaubt, ein Minderheitenphänomen. Das Verfassungsgericht sollte den Eigenmittelbeschluss sorgfältig, aber zügig prüfen. Von einem juristischen Quertreiber darf es sich nicht instrumentalisieren lassen.

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Thomas Sylten 29.03.21 15:32
@M. Meier
Wenn Sie meinen..

Ich meine: Sicher nicht.
Aber unser Säbelrasseln bringt dort nicht die Demokratie voran, wie vielfach bewiesen, sondern verstärkt die einigelnden, autokratischen Tendenzen (übrigens nicht nur dort - leider auch bei uns). Denn Druck erzeugt zwangsläufig Gegendruck.

Tauwetter und demokratische Öffnungen gab es hingegen immer eher in Phasen internationaler Stabilität und wachsender Zusammenarbeit: DAS waren die Zeiten, in denen es politisch und gesellschaftlich voran ging.
Thomas Sylten 29.03.21 13:07
Zeitumstellung
"Direkte Demokratie muss reale Folgen haben":
Freilich muss sie das -
nur hat eine "Volksbefragung", an der - weil schlecht kommuniziert - nur 4% der europäischen Bevölkerung (davon 75% aus Deutschland) teilnahmen, eben NICHTS mit direkter Demokratie zu tun.

Ausgerechnet dieses Nicht-Votum mit Verve zu befolgen und zugleich so viel wichtigere, demokratisch weit legitimiertere Anliegen wie z.B. eine durchschlagende Impfkampagne oder weniger Säbelrasseln gegen Osten etc. schleifen zu lassen, will in Wahrheit nur die Idee der direkten Demokratie beschädigen, nicht durchsetzen.