Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Rundschau» zur Lage der Geflüchteten auf Lesbos

Bis heute folgen Deutschland und die EU dem Irrglauben, die Tragödie der massenhaften Flucht vor Krieg und Armut ließe sich durch Schlagbäume und Frontex-Truppen fernhalten aus dem Sichtfeld Europas.

Sie werden kommen, solange die Weltverhältnisse so sind, wie sie sind. Und deshalb ist es nicht nur eine moralische Pflicht, entsprechend der eigenen ökonomischen Stärke in geordneter Form mehr Menschen aufzunehmen als bisher. Es läge auch im Interesse aller, die nach eigenem Bekunden der Stabilität den Vorzug geben vor Chaos und nationalem Eigensinn. Nichts müsste die Verantwortlichen in Deutschland hindern, wenigstens jetzt einmal mutig zu verkünden: Wir holen sie alle her.


«La Repubblica»: Bahrain provoziert ein gewaltiges Gewitter

ROM: Die römische Tageszeitung «La Repubblica» schreibt am Sonntag zur angekündigten Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bahrain und Israel und den Reaktionen darauf:

«Das vierte arabische Land schließt Frieden mit Israel. Und Iran entfesselt einen Krieg der Worte wie nie zuvor. Bahrain ist das kleinste Land am persischen Golf, es scheint fast unbedeutend. Doch stattdessen provoziert die Maßnahme der Regierung, die am kommenden Dienstag in Washington mit Benjamin Netanjahu und unter den Augen von Donald Trump getroffen werden soll, ein gewaltiges Gewitter am Golf.»


«Sunday Times»: Dublin-System versagt

LONDON: Die Londoner «Sunday Times» meint zur Asyl-Debatte nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria:

«Das Dublin-System - wonach Asylsuchende ihren Antrag im ersten EU-Land stellen müssen, das sie erreichen - lädt Mittelmeerländern wie Griechenland und Italien enorme Bürden auf. Vorkehrungen innerhalb dieses Systems, die verhindern sollen, dass ein Land eine unverhältnismäßig große Zahl von Asylanträgen bearbeiten muss, haben sich als ineffektiv erwiesen. Einige EU-Länder haben auf die Migrationskrise mit Humanität reagiert. Die Niederlande haben angeboten, 100 Flüchtlingen aufzunehmen, Frankreich und Deutschland 400. Aber das ist nicht genug, und andere haben gar keine Angebote gemacht.»


«The Observer»: Sorgen wegen migrationsfeindlicher Stimmung

LONDON: Zur Migrationspolitik nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria meint die britische Sonntagszeitung «The Observer»:

«Mehrere deutsche Regionen und Städte haben angeboten, Flüchtlinge aufzunehmen. In Berlin gingen vergangene Woche 3000 Menschen auf die Straße, um ein großzügigeres Verhalten zu fordern. Innenminister Horst Seehofer erklärte hingegen, man solle sich auf die Gewährung von Hilfe «vor Ort» konzentrieren. Eine solche Vorsicht spiegelt die europaweite Sorge über ein Wiederaufleben der migrationsfeindlichen Stimmung wider, die weit rechts stehenden populistischen sowie ultranationalistischen Gruppierungen Auftrieb gab. Sie reflektiert zugleich die wiederholte Unfähigkeit einer zerstrittenen EU, sich auf eine Migrations- und Asylpolitik zu verständigen, die auf gemeinsamer Verantwortung beruht - wenngleich die EU sagt, es werde nun bald neue Vorschläge geben.»


«Sonntagszeitung»: Migration ist Frage der Machbarkeit

ZÜRICH: Die Zürcher «Sonntagszeitung» schreibt zur europäischen Flüchtlingspolitik:

«Man stelle sich vor, die Regierungen kämen den Forderungen nach und würden sämtliche Flüchtlinge von Lesbos auf das europäische Festland evakuieren, was würde passieren? Die Insel wäre innert kürzester Zeit erneut voller Menschen, die sich auf den Weg gemacht hätten. (...) Die neuen Flüchtlinge würden zurecht fordern, ebenfalls kommen zu dürfen. Und um die nötige Aufmerksamkeit und Dringlichkeit zu erhalten, könnten auch sie zum Mittel der Brandstiftung greifen - immerhin hätte es dann bereits einmal funktioniert. Die EU würde ihre Glaubwürdigkeit verlieren und sich erpressbar machen.

Doch sie kann es sich nicht leisten, ihre Flüchtlingspolitik - die sie nach dem totalen Kollaps 2015 wieder mühsam zusammenschraubte - erneut infrage zu stellen. Kurzfristig führt diese Härte zu viel Leid, daran besteht kein Zweifel. Aber auf Dauer verhindert sie aller politischer Wahrscheinlichkeit nach weit Schlimmeres. (...) Das übergeordnete Ziel muss bleiben, den Menschen vor Ort zu helfen, so gut es nur geht - und alle unnötigen Fluchtgründe zu verhindern. Die Bewältigung der Migration und Integration ist in erster Linie eine Frage der Machbarkeit - und nicht der Moral.»


«NZZ am Sonntag»: Moria zwingt EU zu neuer Asylpolitik

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag» kommentiert die europäischen Asylpolitik:

«Es hat die Zerstörung von Moria auf der griechischen Insel Lesbos gebraucht und das neue Elend Tausender Flüchtlinge, um die Lähmung in den Hauptstädten der Europäischen Union zu beenden. Eine zumindest teilweise Einigung auf eine große Reform der Asylpolitik (...) scheint nun wahrscheinlicher, nicht etwa weiter entfernt. Zu groß ist der Druck, zu beschämend das Versagen der Europäer, einen menschenwürdigen Umgang mit Asylsuchenden zu organisieren.

Die drei Pfeiler dieser geplanten neuen Asylpolitik sind bekannt: Hilfe für Transit- und Herkunftsländer von Migranten, stärkerer Schutz der Außengrenze der EU, einheitliche Regelung der Asylverfahren und der Aufnahme anerkannter Schutzsuchender. Nicht alle europäischen Länder werden überall mitmachen. Manche werden sich freikaufen, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Das nennt man «flexible Solidarität». Nicht schön, aber machbar.»

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Leserkommentare

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