Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Sonntag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
Foto: Adobe Stock/©elis Lasop

«Standard»: Die Reise muss Richtung Waffenstillstand gehen

WIEN: Über die Zukunft der Ukraine schreibt die österreichische Zeitung «Der Standard» am Montag:

«Jahrelange Kämpfe dort wird der Westen nicht finanzieren können. Die EU und die USA haben der überfallenen Ukraine unbegrenzt Hilfe zugesagt. Moralisch ist das sicherlich richtig. Realistisch ist es nicht. Die Reise muss zunächst in Richtung Waffenstillstand gehen - und dann in Richtung Frieden. Und über den Weg dahin muss auch der Westen, der bezahlt, mitentscheiden dürfen.

Bleibt zu hoffen, dass Chinas starker Mann Xi Jinping seinen alten, neuen Freund Wladimir Putin in Richtung Frieden drängt. Und umgekehrt müssen die USA und die EU auf die Ukraine einwirken. US-Außenminister Antony Blinken hat bereits reagiert: Vorsichtig formuliert, ließ er durchblicken, dass die USA die Rückeroberung sämtlicher annektierter Gebiete durch Kiew für nicht wahrscheinlich halten.»


«Berliner Morgenpost» zu Putins stärkste Waffe

Wladimir Putin hält eine Botschaft bereit, die sofort weltweit über die Ticker läuft: Russland wird taktische Atomwaffen in Belarus stationieren.

Dabei tut er so, als könnte er gar nicht anders. Der belarussische Präsident Lukaschenko habe ihn gebeten, ihn mit dem Argument überzeugt, dass «die Amerikaner dasselbe auf den Territorien ihrer Verbündeten auch machen». Es ist ein klassischer Putin. Der Kremlchef, der vor einem Jahr den Angriffskrieg in der Ukraine entfesselt hat, eskaliert und weist die Schuld dem Westen zu. In Wirklichkeit geht es ihm nicht ums Prinzip, nicht um Verträge. Die Stationierung in Belarus ist nichts anderes als eine erneute, zugespitzte Drohung mit der Bombe. Der Rest ist Propaganda. Putin zielt damit auf uns, will Furcht und Schrecken auslösen. Damit der Druck auf die Regierungen wächst, lieber die Ukraine fallen zu lassen als einen Atomkrieg zu riskieren. Diese Angst ist Putins stärkste Waffe. Dabei wäre es ein fundamentaler Fehler, der Angst nachzugeben. Denn dann wird Putin weitermachen und immer weitermachen.


«Stuttgarter Zeitung» zum Streik

Die Dienstleistungsberufe sind infolge des veränderten Arbeitsmarktes nicht mehr geprägt von Zukunftsangst; die Beschäftigten trachten nach Anerkennung, die sich auch in Geld ausdrückt.

Die Gewerkschaftsführer machen sich das neue Selbstbewusstsein der Basis zunutze. Man kann es - aus ihrer Sicht - als strategischen Coup sehen, dass Verdi und die Eisenbahn-Gewerkschaft EVG ihre Tarifkonflikte in unterschiedlichen Mobilitätsbereichen so eng zusammenführen, dass sie eine Wirkung tarifhistorischen Ausmaßes erzielen. Dabei machen sie sich einen jahrzehntelangen Trend der Deregulierung zunutze, in deren Folge auch von staatlicher Seite eine zerklüftete Tariflandschaft geschaffen wurde. Dies hat die Gewerkschaften zunächst massiv geschwächt, doch nun orientieren sie sich neu und gewinnen daraus eine Stärke, indem sie immer wieder neue Tarifkonflikte führen.


«Süddeutsche Zeitung» zum Streik

Deutschland wird sich an die neue Macht der Arbeitnehmer gewöhnen müssen.

Sie speist sich nicht nur aus der mobilisierenden Wirkung der hohen Inflation, sondern auch - und das viel nachhaltiger - aus der Demografie. Die Babyboomer werden in den nächsten Jahren scharenweise in Rente gehen, den Mangel an Arbeitskräften wird das weiter verschärfen. Die Politik arbeitet an Gegenmitteln, aber bis diese wirken, wird es lange dauern. Arbeitnehmer werden damit zu einem knappen Gut, dessen Preis - also ihr Lohn - weiter steigen wird. Das ist gut, weil es dabei hilft, den Graben zwischen der Mittelschicht und den Reichen, deren Vermögen ja wachsen, nicht noch größer werden zu lassen.


«Handelsblatt» zum Warnstreik am Montag

Die Empörung von Wirtschaft und Politik ist verständlich.

Indem sich Eisenbahnergewerkschaft EVG und Verdi beim Arbeitskampf zusammentun, werden Tarifkonflikte miteinander vermischt, die per se nichts miteinander zu tun haben. Das ist fragwürdig, rechtlich angreifbar dürfte es hingegen kaum sein. (...) Auch wenn der Großstreik Fragen nach der Verhältnismäßigkeit aufwirft, die Kritik wird an den Gewerkschaften abperlen. Die Arbeitnehmervertreter können sich die Machtdemonstration leisten. Sie haben volle Rückendeckung der Arbeitnehmer. Die Mitgliederzahlen bei Verdi wachsen.


«NZZ am Sonntag»: Tiktok-Streit gehört zum kalten Krieg der Großmächte

ZÜRICH: Zur Debatte in den USA um ein Verbot von Tiktok meint die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag»:

«Der Fall Tiktok ist ein weiteres Kapitel im kalten Krieg zwischen den beiden Großmächten. Die USA versuchen dabei, die Chinesen aus Sicherheitsgründen von technologischem und militärischem Know-how abzukoppeln. Die Chinesen dagegen argumentieren, Amerika befinde sich im Niedergang und versuche bloß, den Aufstieg Chinas zu verhindern. Recht haben wohl beide, ein bisschen. Dass die Amerikaner nun aber ausgerechnet Tiktok den Garaus machen wollen, ist etwas peinlich. Handelt es sich doch um eine Plattform der freien Rede, der Unterhaltung, des Frohsinns - sehr amerikanische Dinge. Wir Europäer mögen schmunzeln über die Debatte, doch sie wird auch uns einholen. Nutzerdaten sind wertvoll, ebenso wie 5G-Netze oder Halbleiter. Auch Biotech-Produkte oder Quantencomputing könnten dereinst auf eine schwarze Liste für China kommen. Europa wird sich entscheiden müssen, wo es steht.»


«The Observer»: Macron ist zum Blitzableiter geworden

LONDON: Die Londoner Sonntagszeitung «The Observer» kommentiert die Proteste gegen die Rentenreform in Frankreich:

«Es wird behauptet, dass eine sich immer wieder selbst erneuernde technokratische Elite, für die Präsident Emmanuel Macron das Paradebeispiel ist, nicht begreift, wie der französische Gesellschaftsvertrag funktioniert: Akzeptanz hoher Steuern und allgegenwärtiger staatlicher Regulierung im Gegenzug für eine kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenlose Bildung, eine 35-Stunden-Woche, frühe Verrentung - und anständige Renten.

Es herrscht Wut über einen Mangel an gut bezahlten Jobs und wirtschaftlicher Sicherheit in einem post-industriellen Zeitalter. Wut über die relative Machtlosigkeit in einer Welt, die Frankreich einst stolz dominierte. Wut über die Verschiebung kultureller Konturen, über die Fragmentierung der nationalen Identität. (...) Macron ist zu einem Blitzableiter für ein aufgebrachtes Volk geworden, was in gewisser Weise zu seinen Aufgaben gehört. Es wird diesmal keine Revolution und keine Guillotine geben. Doch selbst wenn die Proteste irgendwann abklingen werden, die zugrunde liegende Unzufriedenheit wird bleiben.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.