Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«La Stampa»: Katholische Kirche hat kein Interesse an Selbstkritik

ROM: Zur Reaktion des Vatikans auf das Münchner Gutachten zum jahrzehntelangen Missbrauch in der katholischen Kirche schreibt die Tageszeitung «La Stampa» aus Turin am Samstag:

«Die Mitteilung des Vatikans nach der Veröffentlichung des deutschen Berichts war eine Wiederkehr der alten Phrasen wie bei jedem bisherigen Skandal: nachdem «Scham und Reue» ausgedrückt wurde, teilt der Heilige Stuhl mit, er bestätige «den eingeschlagenen Weg für den Schutz der Kleinsten, indem ihnen ein sicheres Umfeld garantiert wird». Schon die Formulierung «den eingeschlagenen Weg bestätigen» macht ganz deutlich, dass die Kirche kein Interesse an Selbstkritik hat, genau jene Selbstkritik, die (Erzbischof Reinhard) Marx zeigt.

Dass man auf die Zukunft schaut, auf die Prävention, schließt jede Aussicht auf eine Untersuchung und Verurteilung der Schuldigen aus. Als ob man einen Rückgang oder gar ein Verschwinden von sexuellem Missbrauch erreichen könnte, wenn die Täter nicht ausfindig gemacht, angeklagt und bestraft werden.

Wenn die Kirche weiterhin ihre Augen verschließt vor den Vorgängen der Vergangenheit und einen Schlussstrich ziehen will im Gegenzug zum Versprechen, künftig solche Verbrechen verhindern zu können, wird sie nie aus diesem Drama rauskommen, wird nicht glaubwürdig sein.»


«Nepszava»: Biden kämpft zwischen tiefen Gräben

BUDAPEST: Zum ersten Amtsjahr von US-Präsident Joe Biden schreibt die oppositionelle ungarische Tageszeitung «Nepszava» am Samstag:

«Biden hatte geglaubt, dass sein unterlegener Vorgänger (Donald Trump) langsam von der Bildfläche verschwinden würde und dass dessen Anhänger in den traditionellen konservativen politischen Raum zurücksickern würden, den er gut kannte und in dem er Kompromisse eingehen könne. Das stellte sich schnell als Fehler heraus: Die Gräben waren bereits zu tief, die Wunden viel schwerer. Die Situation war zu schlimm, um sie allein Trump in die Schuhe zu schieben. Es war wohl das Gegenteil: Trump hatte Präsident werden können, weil die eine Hälfte Amerikas bereits in einem Zustand der völligen Hoffnungslosigkeit die Veränderungen in der Welt erlebte. Dann kam Biden, der Einheit und Versöhnung predigte, und benahm sich wie ein Fremder in der Kneipe, der betrunkene Schläger besänftigen will: Sie begannen, ihn von beiden Seiten zu schlagen.»


«El País»: Eine Woche Zeit für Deeskalation

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Samstag die Bemühungen um eine Deeskalation der Ukraine-Krise:

«Die Nachrichten von gestern lassen sich so zusammenfassen: Der diplomatische Weg bleibt offen, wie aus dem 90-minütigen Treffen der Außenminister der USA und Russlands, Antony Blinken und Sergej Lawrow in Genf geschlossen werden kann. Mindestens für eine weitere Woche sollte alles so bleiben, wie es ist. Das ist die Zeit, in der Washington schriftlich auf Russlands Ablehnung einer Nato-Erweiterung antworten muss. Zudem fordert Moskau den Abzug aller Nato-Truppen aus Ländern, die bis zum Ende des Kalten Krieges unter sowjetischem Joch standen. Russland hat Truppen an den Grenzen zur Ukraine aufmarschieren lassen, hält Marinemanöver in praktisch allen Weltmeeren ab und seine Verlautbarungen kommen in einer für die Diplomatie unangemessen drohenden Sprache daher.

Es gibt deshalb keine Garantie dafür, dass Moskau die Antwort der USA akzeptieren wird. Die Antwort Blinkens an Lawrow wird sich auf Garantien für die Sicherheit aller in Bezug auf Abrüstung, Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen beziehen. Eine angemessene Reaktion Moskaus wäre der Beginn des Abzugs seiner Truppen von Grenzen der Ukraine.»


«The Times»: Deutschland muss Nord Stream 2 zur Disposition stellen

LONDON: Zur Vorgehen des Westens in der Ukraine-Krise meint die Londoner «Times» am Samstag:

«Der US-Präsident hat Recht, wenn er sagt, dass sich die Nato-Verbündeten über ihre mögliche Reaktion auf eine russische Invasion in der Ukraine nicht völlig einig sind. Deutschlands Unbehagen darüber, dass die Nord Stream 2-Gaspipeline als Druckmittel gegen Russland eingesetzt werden soll, und seine Bedenken, Russland aus dem globalen Swift-Zahlungsmechanismus auszuschließen, sind die Hauptgründe dafür, dass Berlin die letzte Station von US-Außenminister Antony Blinken vor dem Treffen mit (seinem russischen Amtskollegen) Sergej Lawrow in Genf war. (...)

Deutschland muss sich steigern und die Zukunft der Pipeline zur Disposition stellen - nicht nur wegen dieser Krise, sondern auch, um zu demonstrieren, dass Europa sich nicht von Moskaus Drohungen und Launen erpressen lässt. Auch die Versuche von Emmanuel Macron, der Europäischen Union mitten in der Krise eine eigene Sicherheitsrolle zuzuweisen, haben der Nato-Solidarität nicht gerade geholfen. Derartige Beweise für Uneinigkeit zu liefern, dient nur Putins Interessen.»


«De Standaard»: Invasion könnte für Russland teuer und blutig werden

BRÜSSEL: Zur Ukraine-Krise schreibt die belgische Zeitung «De Standaard» am Samstag:

«Was hat Putin durch eine Eskalation oder gar eine Invasion zu gewinnen? Auf den ersten Blick eher wenig. Denn im Fall eines frontalen Angriffs bliebe den USA und der EU nichts weiter übrig, als harte wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen zu verhängen. Obwohl Russlands Streitkräfte viel größer als die ukrainischen sind, würden sie auf Widerstand stoßen. Seit 2014 ist die ukrainische Armee viel stärker geworden. Die Amerikaner haben sie mit 2,5 Milliarden Dollar unterstützt. Zudem sagt die Bevölkerung, sie werde sich verteidigen. Russland droht daher, dass es sich festfährt in einem langwierigen, teuren und blutigen Konflikt. (...)

Vielleicht hat Putin nicht Unrecht, wenn er sagt, dass die Osterweiterung der Nato gegen Absprachen verstößt, die nach dem Fall der Berliner Mauer zwischen den Amerikanern und Michael Gorbatschow getroffen wurden. Der damalige US-Außenminister James Baker sagte 1990, die Nato werde «keinen Meter nach Osten verschoben». Es waren dann jedoch die Staaten des damaligen Warschauer Paktes - im Kalten Krieg das militärische Gegenstück zur Nato -, die von sich aus die Nato-Mitgliedschaft beantragten.»


«Tages-Anzeiger»: Merz weiß, was auf dem Spiel steht

ZÜRICH: Mit Friedrich Merz als neuem Vorsitzenden will die CDU das Signal für einen Neuanfang geben. Dazu heißt es am Samstag im Zürcher «Tages-Anzeiger»:

«Wer nun erwartet, der von vielen Deutschen als «konservativer Knochen» geschmähte Merz werde die Partei scharf nach rechts führen, um Stimmen von der Alternative für Deutschland zurückzugewinnen, verkennt dessen Aufgabe. Die CDU hat im Herbst drei Millionen Stimmen an SPD und Grüne verloren, 1,3 Millionen an die FDP - und nur 400.000 an die AfD. Merz schlägt deswegen nun neue Töne an, spricht davon, dass die Partei «modern» werden müsse und «soziale Gerechtigkeit» ein entscheidendes Thema sei. Nicht nur beim Klimaschutz, auch bei der Altersvorsorge müsse ein neuer Generationenvertrag her, der die Interessen der jungen Menschen besser schütze.

Merz weiß, was auf dem Spiel steht: der Status der CDU als letzter deutscher «Volkspartei». Die Grünen und die FDP drängen als neue Regierungsparteien immer stärker in die Mitte. Sie machen der CDU das liberale Bürgertum streitig und drängen sie an den konservativen Rand. Dort wiederum begrenzt die AfD deren Entfaltung nach rechts. In dieser Klemme steht die CDU in Gefahr, entweder auf einen konservativen Kern zu schrumpfen oder in der wenig unterscheidbaren Mitte zu zerbröseln.»


«NZZ»: Benedikt schuldet der Öffentlichkeit eine Erklärung

ZÜRICH: Zum Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:

«Was die Autoren der Studie, die das Verhalten der Münchner Bischöfe seit 1945 untersucht haben, dabei zutage förderten, bestätigt das schlechte Bild, das viele Deutsche vom Gebaren der katholischen Kirche haben: Ging es um sexuellen Missbrauch, schauten die Kirchenfürsten auch in München oft weg, so als sei es unter ihrer Würde, sich um derart unappetitliche Angelegenheiten zu kümmern. (.)

Als Münchner Erzbischof erwies sich Ratzinger (der spätere Papst Benedikt XVI.) als ebenso fehlbar wie seine Vorgänger und Nachfolger; in mindestens vier Fällen, in denen Priester Minderjährige missbraucht haben sollen, hat er offenbar nichts unternommen und damit nicht nur in Kauf genommen, dass mutmaßliche Übeltäter straflos davonkamen, sondern auch, dass sie weitermachen konnten wie bisher. (...) Auch für einen Papst gilt die Unschuldsvermutung, doch schuldet Benedikt dem Kirchenvolk und der Öffentlichkeit eine Erklärung.»

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