Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Gazeta Wyborcza»: Die EU-Kommission bietet Polen die Stirn

WARSCHAU: Die Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» schreibt am Samstag zum Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das nationalem Recht den Vorrang vor EU-Recht gab:

«Der Chef der (nationalkonservativen Regierungspartei) PiS, Jaroslaw Kaczynski, ist es gewohnt, Polen schamlos nach Banditenart zu regieren. Im Streit mit der EU-Kommission um die Rechtsstaatlichkeit verhielt er sich wie bei einem Duell von zwei Fahrern, die aufeinander zurasen. Kaczynski ist überzeugt, dass die EU schwach ist und nachgibt. Der bisherige nachsichtige Umgang Brüssels mit dem PiS-Staat ließ so eine Strategie erfolgreich erscheinen. Doch hat sich etwas geändert in Europa. Die Kommission spürt den Rückhalt der Mitgliedsstaaten und hat sich entschlossen, der PiS die Stirn zu bieten. Sie bremst nicht, sie weicht nicht aus.

Bislang hat Polen durch die PiS seinen Ruf und seine politische Handlungsfähigkeit verloren. Jetzt wird es durch die Hartnäckigkeit Kaczynskis auch noch viele Milliarden Euro verlieren. Auf Kaczynski macht das keinen Eindruck, es scheint, als habe er sich bereits damit abgefunden, dass Polen irgendwie aus der EU rausfällt. Seine Umgebung sieht darin sogar eine Chance. Dies ist der letzte Moment, um diesen Wahnsinn aufzuhalten.»


«The Times»: Militärische Pannen können Krieg auslösen

LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Samstag Chinas Anspruch auf «Wiedervereinigung» mit Taiwan:

«Die USA sind nicht vertraglich verpflichtet, Taiwan zu verteidigen, aber die Annahme, dass sie dies tun würden, diente bislang als starke Abschreckung für Chinas Bestreben, die Wiedervereinigung mit Gewalt zu erreichen. (...)

Einige befürchten, dass Chinas wachsende militärische Überlegenheit es dazu verleiten könnte, Gewalt anzuwenden. Der schmachvolle Rückzug der Nato aus Afghanistan wird die Zweifel am politischen Willen Amerikas, seine Verbündeten militärisch zu verteidigen, nur noch verstärkt haben. Eine erfolgreiche Eroberung Taiwans würde das endgültige Ende der Pax Americana und den unbestreitbaren Aufstieg Chinas zur überragenden Macht in Asien signalisieren.

Der Westen muss Peking zeigen, dass die Kosten einer Invasion zu hoch sind. Die Spannungen müssen auch durch einen Dialog abgebaut werden, wobei Taiwan bereit sein muss, Entgegenkommen zu zeigen. Die Kollision eines US-Atom-U-Boots mit einem unbekannten «Hindernis» im Südchinesischen Meer in dieser Woche erinnert daran, dass militärische Pannen inmitten von Spannungen, nicht zuletzt am gefährlichsten Ort der Erde, in einen Krieg münden können.»


«De Standaard»: Kampf gegen Klimawandel braucht Zusammenarbeit

BRÜSSEL: Zum Kampf gegen den Klimawandel meint die belgische Zeitung «De Standaard» am Samstag:

«Das Klima betrifft alle Menschen und alle Regierungen. Und da die Emissionen nicht an den Grenzen Halt machen, bleibt die (föderale, aber auch internationale) Zusammenarbeit unerlässlich. (...) Diese Aufgabe erfordert einen systemischen Wandel, bei dem Regierungen und Industrie das Tempo vorgeben. Diese Politik wird Jahrzehnte dauern und unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern. Zudem haben wir keine Zeit zu verlieren. Minimalisierung treibt die Kosten in die Höhe.

Die Jugend hat eine Vorreiterrolle bei der Bewusstmachung; mehr als die älteren Generationen ist sie mit den Folgen konfrontiert. Die Diabolisierung ihrer Wortführer erzeugt nur negative Energie. Andererseits drohen Untergangsstimmung und Pessimismus sie zu entmutigen. Der Glaube an die Wissenschaft, die Technologie und die Anpassungsfähigkeit des Menschen sollte jedoch den Optimismus beflügeln.»


«de Volkskrant»: Jeder Markt kann verrückt spielen

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Samstag den starken Anstieg der Gaspreise:

«Seit einem Vierteljahrhundert hat die niederländische Regierung ein fast unbegrenztes Vertrauen in den Markt als Lösung für alle Ungleichgewichte in der Wirtschaft. Dass jeder Markt - sei es der Aktienmarkt oder der Energiemarkt - zuweilen verrückt spielen kann, was zu nie dagewesenen und oft irrationalen Preisänderungen führt, wird nicht ausreichend beachtet. Nicht zum ersten Mal zeigt sich, dass die Regierung zu wenig in Worst-Case-Szenarien denkt. (...)

Nach der Finanzkrise 2008, die ebenso unerwartet kam wie der aktuelle Anstieg des Gaspreises, geriet das Phänomen der Stresstests für Banken in Mode. Es wäre gut, auch für die niederländische Wirtschaft Stresstests durchzuführen. Was tun wir, wenn der Gaspreis explodiert? Was werden wir tun, wenn Putin den Gashahn zudreht? Werden wir genügend Reserven und Alternativen parat haben?»


«El Mundo»: Polen überschreitet rote Linie der EU

MADRID: Die spanische Zeitung «El Mundo» kommentiert am Samstag das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das den Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht verneint:

«Polen hat mit der Entscheidung (des Verfassungsgerichts) eine rote Linie überschritten, die es in eine unhaltbare Lage bringt. Wenn Brüssel einen die EU gefährdenden Dominoeffekt in anderen Mitgliedsstaaten verhindern will, muss es jetzt entschieden dagegen vorgehen. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist ein Schuss genau auf die Wasserlinie der Union, denn es ist ein unveräußerlicher Grundsatz, zu dem sich jedes Land beim EU-Beitritt verpflichtet hat, dass die Entscheidungen des EuGH über nationale Gerichte stehen. Das Urteil bestätigt die störrische Haltung der populistischen und nationalistischen Regierung Polens, die seit Jahren versucht, eine Justizreform durchzusetzen, die die Gewaltenteilung untergräbt.

Aber die EU ist eine Wertegemeinschaft und Prinzipien wie Toleranz, Freiheit und Gleichheit gibt es nicht à la Carte. Kein illiberales Regime darf sie wie mit einem Trojanischen Pferd von innen aushöhlen. Noch hat Brüssel die Gelder für den Wiederaufbau nach der Pandemie für Polen nicht freigegeben. Warschau sollte nicht vergessen, wie viel kälter es außerhalb der EU ist.»


«Tages-Anzeiger»: Ein Alarmsignal über Österreich hinaus

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Samstag die Korruptionsvorwürfe gegen den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz:

«Wenn die Vorwürfe stimmen, hat sich der Studienabbrecher den Aufstieg vom Jungpolitiker an die Spitze seiner konservativen Volkspartei und ins Kanzleramt mit manipulierten Umfragen, gekaufter Berichterstattung und Postenschacherei geebnet. Und im Kanzleramt angekommen, sollte das System Kurz den Machterhalt auf alle Zeiten sicherstellen. Er gab sich gerne als Modernisierer, hat aber offenbar Filz und Korruption auf höchster Ebene perfektioniert. Er kämpfte gegen das «Establishment» und etablierte seine Spezies an den Schaltstellen.

Es wird für Sebastian Kurz schwierig sein, diesmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Zu deutlich sind die sichergestellten Chats, die zudem ein abstoßendes Sittenbild ergeben. Der Masterplan zur Machtübernahme, missbräuchlich finanziert aus Steuergeldern, scheint bestens dokumentiert. (...) Es ging Kurz immer nur um Selbstdarstellung und Machterhalt. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Medien, Politiker und Wählerstimmen käuflich sind. Das rührt an den Kern der Demokratie. Deshalb sind die Ereignisse ein Alarmsignal über das Land hinaus.»


«NZZ»: Hoher Preis für Justizreform der PiS

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Samstag das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, wonach Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien:

«Die Situation ist dramatisch und für die EU komplizierter als der Brexit: Ein Land tritt zwar nicht formal aus der Union aus, foutiert sich aber um die Regeln. Der logische Weg wäre eine Suspendierung seiner Mitgliedsrechte über Artikel 7 der Verträge, doch dafür ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich. Das wird kaum geschehen, da Ungarn Polen bisher stets gedeckt hat. Aber auch Warschau geht ein hohes Risiko ein. Brüssel hat wegen des Konflikts um die Rechtsstaatlichkeit die Auszahlung der Polen zustehenden Gelder aus dem Corona-Aufbaufonds blockiert. Es geht um Zuschüsse von 24 Milliarden Euro - eine enorme Summe, mit der die PiS Wirtschafts- und Sozialprogramme finanzieren will, die ihr in zwei Jahren die Wiederwahl sichern sollen. Erhält Warschau dieses Geld nicht, lässt sich der Preis für die Justizreform der PiS plötzlich sehr genau beziffern. Die Partei wird Mühe haben, die polnische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass er das wert ist.»


«La Repubblica»: Europäische Rechte bläst zum letzten Angriff auf EU

ROM: Zum Urteil des polnischen Verfassungsgerichts über die Handhabung von EU-Recht und gleichzeitig der Aufforderung von zwölf Staaten nach Zäunen und Stacheldraht an den EU-Außengrenzen schreibt die Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Samstag:

«Ideologische Mauern, politische Mauern, Mauern aus Stacheldraht. Die europäische Rechte, die an allen Fronten zurückgedrängt wird, bläst zum letzten Angriff gegen die EU und deren Werte. (...) Nach den Wahlen in Deutschland, die das Ende bedeutet haben für die letzte christdemokratische Regierung in einem der großen Länder der Union, haben die Rechten endlich kapiert, dass Europa und seine Werte für sie eine Grenze darstellen. Und dass innerhalb dieser Grenze jene Werte vorschreiben, wie weit man politisch gehen kann. Wer außerhalb dieser Perimeters regieren will, der kollidiert unausweichlich mit Brüssel, mit dessen Regeln und mit dem Konsens der Demokratien, die sich darauf verständigt haben. (...)

Wer seine nationale Souveränität nicht jener Europas unterstellt, die im politischen Alltag aller Länder immer entscheidender wird, der manövriert sich raus aus der EU. Wer aber den politischen Führungsanspruch Europas anerkennt, hat immer weniger Ausreden und immer weniger Möglichkeiten, um einen Prozess der Integration zu stoppen, bei dem der Moment der Wahrheit erreicht wird.»


«Der Standard»: ÖVP ist toxisch geworden

WIEN: Über die Regierungskrise in Österreich schreibt die Wiener Tageszeitung «Der Standard»:

«Mit den Hausdurchsuchungen wurden zunächst nur Kurz und sein innerer Zirkel untragbar. Mit dem Treueschwur der Partei ist nun die ganze ÖVP toxisch geworden. Denn niemand kann es sich erlauben, mit einem Partner zu regieren, gegen dessen Führung wegen Korruption ermittelt wird. (...)

Auch wenn die ÖVP womöglich damit rechnet, ein zweites Mal mit Kurz in der Opferrolle in Neuwahlen zu gehen: Die Voraussetzungen für die Zeit danach sind schlecht. Den «neuen Stil» des Regierens, den Kurz versprochen hat, glaubt niemand mehr; vom Saubermann-Image ist nach der Lektüre der Chats nichts mehr übrig. Dem Parteichef drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, sollten ihm die vorgeworfenen Taten nachgewiesen werden.»

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Thomas Sylten 10.10.21 19:23
Schon atemberaubend - und irgendwie gespenstisch, wie gerade die konservativen Saubermänner auffliegen als sich via Korruption selbst bereichernde Mafiosi -
s. auch die Maskendeals einschl. unappetitlichen Provisionen gerade in unseren €DU-Zirkeln. Einfach sagenhaft..