«Corriere della Sera»: Scholz' Europa wäre viel solidarischer
ROM: Zur Bundestagswahl in Deutschland und dem Szenario einer Regierung aus drei Parteien schreibt die italienische Tageszeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Samstag:
«Was das aus europäischer Sicht bedeutet, ist schwer zu sagen. Und das nicht nur deswegen, weil die Außen- und Europapolitik so abwesend war im Wahlkampf, außer bei Baerbock und den Grünen. Sowohl mit Laschet als auch mit Scholz wird es ganz generell Kontinuität geben. Aber der nächste deutsche Kanzler muss sich mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt beschäftigen, der wegen der Pandemie ausgesetzt ist.
Die Rückkehr zur Sparpolitik steht bereits in Aussicht und mit einer Regierung unter der Führung von CDU/CSU, vielleicht mit den Liberalen im Finanzministerium, könnte sie auch gelingen. Auch Scholz sagt eigentlich, dass man nach 2022 die alte Finanzdisziplin wieder herstellen müsse. Aber der sozialdemokratische Kandidat war auch derjenige, der den EU-Wiederaufbaufonds, die Vergemeinschaftung der Schulden, als «Hamilton-Moment» bezeichnet hat. Sein Europa wäre sicher viel solidarischer.»
«Nepszava»: Merkel hinterlässt große Leere in Europa
BUDAPEST: Die sozialdemokratische Budapester Tageszeitung «Nepszava» kommentiert das Ausscheiden Angela Merkels aus der Politik:
«Sie war nicht allmächtig. Mit den «Illiberalen» (in Europa) vermochte sie nichts anzufangen. Obwohl sie selbst lange Zeit hinter dem Eisernen Vorhang gelebt hatte, war sie unfähig zu begreifen, wie Ungarn und Polen dazu imstande sind, all das zu zerstören, wofür die beiden (ex-kommunistischen) Länder so lange gekämpft hatten. (...) Dennoch besteht kein Zweifel, dass sie eine große Leere hinterlässt, egal, ob der nächste Kanzler Armin Laschet oder Olaf Scholz heißen wird. Deutschland darf sich jedoch von Merkels Erbe nicht abwenden. Die EU steht weiterhin vor enormen Herausforderungen. Ohne Berlin sind sie nicht zu bewältigen.»
«The Times»: Viele werden Merkel vermissen
LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Samstag das Ende der Ära Merkel:
«Das Beste, was man über ihre Art der Staatsführung sagen kann, ist, dass sie geholfen hat, Europa durch eine Reihe von Krisen zu steuern. Insbesondere war sie maßgeblich daran beteiligt, in nächtlichen Gipfeltreffen eine Reihe von Rettungspaketen zu schnüren. (...)
Trotz all ihrer Schwächen verlässt sie ihr Amt nach 16 Jahren mit einer Zustimmungsrate, um die sie jeder Regierungschef der Welt beneiden würde. Viele werden ihren sturen, rationalen Pragmatismus vermissen, nicht zuletzt, wenn die nächste Krise kommt. Ihr vielleicht größtes Vermächtnis ist, dass sie den Aufstieg Deutschlands nach der Wiedervereinigung zu einer unbestrittenen Vormachtstellung in Europa geleitet hat, doch die Partner des Landes in der ganzen Welt wünschten sich eine stärkere deutsche Führung. Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, dass ihr Nachfolger dies tun wird.»
«de Volkskrant»: Deutschland braucht Veränderungen
AMSTERDAM: Zur Bundestagswahl meint die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Samstag:
«Merkels Politik war in der Welt nach dem Fall der Mauer verwurzelt. Einer Welt, die nicht mehr existiert. Eine neue Ära erfordert jedoch eine neue Ausrichtung. Für ein Deutschland, das mehr in seine Infrastruktur und in seine Menschen investiert. Ein Land, das sich weniger von Handelsinteressen als vielmehr von der Notwendigkeit europäischer geopolitischer Autonomie in einer immer unsicherer werdenden Welt leiten lässt.
Ob Deutschland nach Merkel mit dem 'Merkelismus' brechen wird, ist sehr fraglich. Der Wahlkampf stand nicht im Zeichen großer Veränderungen. Wahrscheinlich wird die nächste Koalition aus sehr unterschiedlichen Parteien bestehen, die sich gegenseitig neutralisieren. In diesem Fall wird Deutschland weiterhin eine Politik à la Merkel betreiben, aber mit einem Kanzler, der weniger Erfahrung und Format hat.»
«NZZ»: Rot-Grün-Rot wäre Worst-Case-Szenario
ZÜRICH: Zur Aussicht auf eine Koalition von SPD, Grünen und Linken schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:
«Das Worst-Case-Szenario, man kann es nicht freundlicher formulieren, wäre ein rot-grün-dunkelrotes Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei. Sollte es für ein solches Trio reichen, dann wird der Druck der Basis aus allen drei Parteien gewaltig sein, die «historische Chance» auf einen grundlegenden Politikwechsel nicht verstreichen zu lassen. Die Republik würde in der Folge ein wahres Festival an Steuererhöhungen, planwirtschaftlicher Regulierung und autoritärer Gesellschaftspolitik erleben, mit großzügigen Zuwendungen an staatsnahe linke Vereine und Gruppierungen und Kampfansagen an alle, die unter liberaler oder konservativer Flagge segeln.»