Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zum Wahlkampf

Am Sonnabend haben alle drei Regierungsparteien ihre Spitzenkandidaten für die anstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus gewählt.

Erwartungsgemäß wurden Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) von ihren Parteien ins Rennen um das Rote Rathaus geschickt. Für die CDU kämpft zudem Kai Wegner, für die FDP Sebastian Czaja um die Zustimmung der Wähler. Der Wahlkampf ist offen wie selten. Umso wichtiger ist es für die Parteien, sich thematisch von der Konkurrenz abzusetzen. Nach diesem Wochenende zeichnen sich die Themen ab: Bezahlbare Mieten, Neubau, Klimaschutz und Verkehrswende samt Ausbau der A100, Bau der Tangentialverbindung Ost und der Infrastruktur für die Radfahrer. Es wird spannend sein zu beobachten, welche Partei dafür bis zum 26. September die stärksten Argumente liefert.


«Gazeta Wyborcza»: Die Antwort an Russland muss wehtun

WARSCHAU: Russland hat nach Manövern auf der Krim mit dem Abzug der zusätzlich dorthin verlegten Truppen begonnen. Dazu schreibt die linksliberale polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Samstag:

«Die beispiellose Verlegung von Tausenden Soldaten und schwerem Gerät an die ukrainische Grenze ist ein Beweis dafür, dass Russland in der Außenpolitik ausschließlich auf die Sprache der Stärke und der Einschüchterung setzt. Deshalb kann der Westen jetzt, wo Putin Soldaten abzieht, nicht von Erleichterung sprechen. Die russischen Soldaten können jederzeit an die vorherige Position zurückkehren. Dann beginnt der Nervenkrieg erneut. Dies ist ein klassisches Szenario des Kalten Krieges. Man verlegt Soldaten nahe an die Grenze, um den Gegner zu testen. Wie schnell kann er seine Einheiten mobilisieren? Behält er ruhig Blut? Was befielt er seinen Diplomaten?

Da Russland bewiesen hat, dass er mit seinen Nachbarn nicht anders sprechen kann als mit Hilfe von Drohungen, Provokationen und Geheimdienstaktionen, muss Europa nun Schlussfolgerungen ziehen. Deshalb muss die Antwort wehtun. Das Projekt der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2 muss verworfen werden, genauso wie Frankreich während des Ukrainekriegs 2014 nach langem Zögern den Verkauf von Hubschrauberträgern der Mistral-Klasse an Russland abgesagt hat.»


«Corriere della Sera»: Corona-Notbremse - eine «halbe Revolution»

ROM: Zur Corona-Notbremse des Bundes schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Samstag:

«Es ist eine halbe Revolution, weil der Föderalismus entzerrt wird, das Totem des deutschen Systems. (...) Die Maßnahme geht auf einen der Hauptgründe für das Scheitern der Anti-Covid-Strategie zurück: nämlich die zerstreute Ordnung, mit der die Bundesländer agierten, und wegen der Bundeskanzlerin Merkel gezwungen war, das Verhalten bestimmter Ministerpräsidenten öffentlich zu kritisieren, einschließlich das des Kanzlerkandidaten und Bundesvorsitzenden ihrer Partei, Armin Laschet. Theoretisch ist das Land seit dem 12. Dezember im Lockdown, aber in Wirklichkeit macht jedes Bundesland was es will: sehr restriktive Maßnahmen in den einen und ziemlich lockere Regelungen in anderen. Das Chaos herrschte souverän.»


«La Repubblica»: Gefühl der Schande nach Tod vieler Bootsmigranten

ROM: Zum Fall der Dutzenden ertrunkenen Migranten vor der Küste Libyens schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Samstag:

«Es ist das Gefühl der Schande, Machtlosigkeit, Wut über den Zynismus und das schlechte Gewissen eines Landes - nämlich unseres - und eines Kontinents - nämlich Europas -, die diese Leichen lange Zeit als Kollateralschaden bezeichnet hatten. Wissenschaftlich wurde für die politischen Berechnungen, die Feigheit und die Untertänigkeit darauf verzichtet, auch nur an eine Politik für die Migrantenströme, das Asylrecht und an ein gemeinsames Rettungssystem im Meer mit Ausgewogenheit und Menschlichkeit sowie an die Sicherheit an den Grenzen und den Kampf gegen Menschenhandel mit fundamentalen Rechten zu denken. (...)

Man kann sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass wir uns auch heute damit zufriedengeben, niederzuknien und vergebens «nie wieder» zu schwören, nur um dann wieder in das Gefängnis unserer Bequemlichkeit zurückzukehren, so wie am 2. September 2015 vor dem leblosen Körper des syrischen Jungen Alan Kurdi und genau wie nach allen stillen Bildern und ungeheuerlichen Katastrophen.


«El País»: Politisches Klima in Spanien unerträglich

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Samstag die Rolle der rechtspopulistischen Partei Vox in der zunehmenden Konfrontation vor der Regionalwahl in Madrid am 4. Mai:

«Der Wahlkampf hat eine besorgniserregende Wende genommen, die die Alarmglocken schrillen lässt: die Gefahr der Ausbreitung von Hass und Feindseligkeit in der spanischen Gesellschaft. Die Briefe mit Morddrohungen und Kugeln, die Innenminister Fernando Grande-Marlaska, die Generaldirektorin der Guardia Civil, María Gámez, und der frühere Vizepräsident der Regierung und Kandidat in Madrid für Unidas Podemos, Pablo Iglesias, erhalten haben, müssen alle demokratischen Kräfte energisch verurteilen. Aber die Kandidatin von Vox, Rocío Monasterio, banalisierte diese Drohungen und bezweifelte sogar, ob sie denn überhaupt echt seien. Der Podemos-Chef brach daraufhin eine Wahldebatte ab.

Worte sind nicht folgenlos und Hassreden verbreiten sich auf subtile Weise: Bis sie eines Tages explodieren - der Angriff auf das Parlament in Washington ist ein aktuelles Beispiel -, und die Folgen sind verheerend. Das politische Klima in Spanien ist unerträglich geworden. Viele haben dazu beigetragen, aber niemand trägt mehr Verantwortung für diese Vergiftung als Vox.»


«de Volkskrant»: Joe Biden überrascht mit Radikalität

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Samstag die Amtsführung von US-Präsident Joe Biden:

«Von Anfang an klar war klar, dass Joe Biden nach Donald Trump für ein Aufatmen sorgen würde - schon allein wegen seiner ruhigen und besonnenen Art. Doch der Politik-Veteran, der wie kein anderer mit dem Washingtoner Status quo assoziiert wurde, überrascht mit seiner Radikalität. Er will die Ungleichheit in Amerika bekämpfen, indem er die Steuern für Reiche und Großkonzerne erhöht, während arme Menschen eine Art Kindergeld bekommen sollen. Er hat eine globale Steuer für internationale Konzerne vorgeschlagen, damit multinationale Unternehmen nicht mehr in Länder mit freundlichen Steuersätzen ausweichen können. Joe Biden ist ein alter Mann, der es eilig hat, wie der Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith sagte. Biden weiß, dass er schnell Ergebnisse erzielen muss, oder er wird seine ohnehin knappe Mehrheit im Kongress bei den Zwischenwahlen 2022 verlieren.»


«Guardian»: Russlands Opposition gibt nicht auf

LONDON: Zur Lage der Opposition in Russland meint der Londoner «Guardian» am Samstag:

«Vor allem hat die Tapferkeit von Alexej Nawalny gezeigt, dass es möglich ist, sich dem Präsidenten zu widersetzen. Wladimir Putins Unbarmherzigkeit zeigt zugleich, dass man es besser nicht versuchen sollte. Er kann keine Opposition tolerieren, weil er die öffentliche Begeisterung dafür nicht unter Kontrolle halten kann. Seine Rede zur Lage der Nation in dieser Woche hat unterstrichen, dass er seinem Land nichts Neues zu bieten hat. (...)

Obwohl die Umfragewerte des Präsidenten ebenso wie die Unterstützung für seine Partei Einiges Russland gesunken sind, sehen viele keine Alternative oder sie befürchten eine Rückkehr zum Chaos der 90er Jahre oder noch Schlimmeres. Während er die Daumenschrauben anzieht, tritt sein Land in eine neue Phase ein, in der das Überleben und Durchhalten und nicht das Aufrütteln der Öffentlichkeit die Priorität der Opposition sein dürfte. Aber Putin kann Unzufriedenheit nicht verbieten. Und wenn die Opposition vorläufig nachgeben muss, so wird sie doch nicht aufgeben.»


«Tages-Anzeiger»: Schauspieler verrechnen sich mit Protestaktion

ZÜRICH: Zum Videoprotest von Schauspielern gegen die Corona-Politik der deutschen Bundesregierung schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Samstag:

«Die Proteste waren groß, die Website ist nicht mehr zu erreichen, aber die satirische Botschaft wirkt nach. Sie stößt auf Lob - und noch viel mehr auf Kritik. Mehrere Akteure sahen sich veranlasst, sich nachträglich zu distanzieren. Das zeigt, wie sehr sie sich verrechnet haben. Denn: Die Satire operiert, wie die Ironie, mit der Übertreibung des Unerwünschten. Nur werden beide Stilmittel immer wieder missverstanden, wie jeder weiß, dessen ironisches SMS beim anderen Handy vibrierende Empörung auslöst.

«Ironie ist das Kondom der Romantiker», hat die Schauspielerin Stephanie Cole einmal gesagt. Auf die Aktion der Schauspieler und Schauspielerinnen angewendet, versteckt ihre Satire eine Sehnsucht: Wir möchten wieder auftreten, liebes Publikum, wollen wieder wahrgenommen werden. Lockdown runter, Vorhang auf. Vielleicht hätten sie es besser so gesagt; ungeschützt gewissermassen.»


«Der Standard»: Regierung hat die dritte Welle gut gemeistert

WIEN: Die Wiener Zeitung «Der Standard» kommentiert am Samstag die ab 19. Mai in Österreich bevorstehende Öffnung aller Branchen:

«Endlich, nach bleiernen Monaten des Lockdowns, sollen Wirtshäuser und Theater, Hotels und Sporthallen wieder öffnen dürfen. Der Anflug von Euphorie steht den handelnden Politikern durchaus zu. Denn dass Österreich guten Gewissens ans Aufsperren denken kann, ist auch ein Verdienst der Regierung. (...) Offenbar hat das Konzept der Ausreisekontrollen für regionale Corona-Hotspots ebenso gefruchtet wie die Strategie der Massentests. In der dritten Welle haben die Koalitionäre - und mit ihnen auch die Landesregierungen - sicher nicht alles, aber doch einiges richtig gemacht.»

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