Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«The Times»: Mit Keir Starmer hat die Labour-Partei bessere Chancen

LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Samstag das erste Jahr von Keir Starmer an der Spitze der Labour-Partei:

«Es ist der Partei nicht gelungen, eine Koalition zwischen überwiegend liberalen und pro-europäischen Wählern in großen Städten und den Brexit-Befürwortern unter den traditionellen Labour-Wählern in nördlichen Wahlkreisen zu bewerkstelligen, die sie 2019 auf spektakuläre Weise verloren hat. Nichts deutet darauf hin, dass es Sir Keir gelungen ist, sie neu zu erschaffen; möglicherweise ist das auch eine unlösbare Aufgabe. (...)

Sir Keir mag nicht so populär sein wie einst Harold Wilson oder Tony Blair, doch mit seiner Fähigkeit, politische Details rasch zu verarbeiten, macht er sich Schwächen von Premierminister Boris Johnson zunutze. Es war ein schwieriges erstes Jahr, aber anders als sein Vorgänger ist er als potenzieller Premierminister glaubhaft. Es wird ein langer Weg mit erheblichen Schwierigkeiten. Doch zumindest lässt sich sagen, dass die Chancen für die Labour-Partei jetzt größer sind als bei seinem Amtsantritt.»


«De Telegraaf»: Rutte wäre Belastung für neue Regierung

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «De Telegraaf» kommentiert am Samstag das von Mark Rutte nur knapp Überstandene Misstrauensvotum:

«Die Regierungsbildung ist durch Zutun des Wahlsiegers, dem VVD-Vorsitzenden Mark Rutte, in ein Chaos ausgeartet. Ein vierter Wahlsieg in Folge hat den Liberalen leichtsinnig gemacht. Er wird so sehr mit der Macht gleichgesetzt, dass er glaubte den gesamten Prozess der Sondierungsgespräche steuern zu können. Rutte benutzte sie, um auch darüber zu reden, wie man den unbequemen Abgeordneten Pieter Omtzigt wegloben könnte. (...)

Rutte hat das Spiel hart und clever gespielt. Aber der Mann, der stets Bedeutung und Autorität seines Amtes relativierte, klammert sich nun machtpolitisch daran fest. Als Führungskraft ist er schwer beschädigt. Das wäre für eine neue Regierung unter seiner Leitung eine enorme Hypothek für die Zukunft.»


«ABC»: Viele Fragen offen im Floyd-Prozess

MADRID: Die konservative spanische Zeitung «ABC» kommentiert am Samstag den Prozess gegen den weißen Polizisten Derek Chauvin wegen des Todes des Afroamerikaners George Floyd:

«Obwohl das öffentliche Urteil schon lange gefällt wurde, beginnt der Prozess wegen des Todes von George Floyd erst jetzt. Sein Fall gab der Black Lives Matter-Bewegung Auftrieb und löste wochenlange Unruhen aus, bei denen es viele weitere Verbrechen gab, für die niemand zur Verantwortung gezogen wird und die in der offiziellen Darstellung, in der Floyd zum Märtyrer im Kampf gegen Rassismus wurde, keine Rolle spielen. Ein Teil der Empörung ist verständlich. Das neunminütige Video ist verstörend: Es zeigt den Tod eines Menschen unter dem Knie staatlicher Macht, aber es sollte nicht übersehen werden, dass diese Empörung darauf abzielte, Trump aus dem Weißen Haus zu entfernen.

Es tun sich Fragen auf, die schon als Sünde erscheinen, wenn man sie nur ausspricht. Sie betreffen den Zustand Floyds, der nicht durch Verletzungen am Hals, sondern durch Herzversagen starb und unter Drogen stand. Wusste Chauvin von Floyds Zustand? Und war die von ihm angewandte Art, einen Verdächtigen festzunehmen, verboten? Die Antworten könnten die Strafe mindern und die Erzählung eines Falls widerlegen, der seine politische Funktion schon lange erfüllt hat.»


«Corriere della Sera»: Merkel lässt verirrte CDU zurück

ROM: Mit Blick auf die endende Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Samstag:

«Das Problem ist, dass auch Markus Söder keine Garantie für den Sieg ist. Die Merkel-Ära, die nach außen hin den Triumph Deutschlands als Weltexportmacht markierte, war im Inneren von geringer politischer Dynamik und erheblicher Selbstgefälligkeit geprägt, mit der sie entscheidende Herausforderungen wie die Digitalisierung und eine wagemutige grüne Agenda ignorierte. Herausforderungen, die jetzt an die Tür klopfen.

Mehr noch muss Deutschland die transatlantischen Beziehungen zusammen mit Europa im Lichte des von der Biden-Regierung neu angebotenen Pakts neu definieren. Die CDU/CSU scheint keine strategische Ausrichtung zu haben, um das anzugehen. (...) Jetzt bleibt eine verirrte und tief verkrampfte Partei zurück. Am Horizont tauchen neue Protagonisten auf, vor allem die Grünen, die im Hinblick auf die Green Economy eine 40-jährige Geschichte für sich beanspruchen und sich als die glaubwürdigsten Interpreten der neuen Moderne präsentieren können. In Deutschland kann alles passieren. Auch dass der nächste Kanzler oder die nächste Kanzlerin die Farbe der Hoffnung trägt.»

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