Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«The Telegraph»: Merkels Autorität ist geschwächt

LONDON: Die konservative britische Tageszeitung «The Telegraph» kommentiert am Samstag die Endphase der Amtszeit von Angela Merkel:

«Was ist bloß mit dem deutschen Wunder passiert? Angela Merkels Finale ist zu ihrem miserabelsten Moment geworden. Jeder Tag scheint neues Unheil zu bringen. (...) Inmitten einer bizarren Verleumdungskampagne gegen Astrazeneca könnte die dritte Welle des Coronavirus zu Zehntausenden von unnötigen deutschen Todesfällen führen. Die stillschweigende Unterstützung der deutschen Kanzlerin für den Impfnationalismus der EU zersetzt derweil das positive Image ihres Landes. Merkels Autorität ist jetzt so geschwächt, dass sie diese Woche bei einem fünftägigen Oster-Lockdown zu einer demütigenden Kehrtwende gezwungen war. (...)

Während viele einfache Deutsche zu spüren beginnen, dass die gute Zeit des Landes zu Ende geht, hat die herrschende Klasse Mühe, Schritt zu halten. Sie muss sich beeilen. Merkels Abgang - und die mögliche Ersetzung durch den schlaffen und unpopulären Armin Laschet - wird ein emotionaler Wendepunkt sein.»


«La Stampa»: Karlsruher Damoklesschwert über EU-Wiederaufbaufonds

ROM: Nach dem Stopp des deutschen Ratifizierungsgesetzes zum Finanzierungssystem der EU bis zum Jahr 2027 durch das Bundesverfassungsgericht schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Samstag:

«Das Damoklesschwert des Karlsruher Gerichts hängt wieder über der europäischen Integration. Nachdem die Richter des Bundesverfassungsgerichts die Rechtmäßigkeit der «quantitativen Lockerung» - der EZB-Plan zum Ankauf von öffentlichen Anleihen, gewollt vom damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi - in Frage gestellt hatten, drohen sie «Next Generation EU» zu blockieren. Mit dem Instrument, bestehend aus 750 Milliarden Euro, soll über eine gemeinsame Verschuldung der Neustart der Wirtschaft in der Zeit nach der Pandemie finanziert werden. (...)

Brüssel kann nur dann auf den Markt gehen, wenn alle 27 Länder grünes Licht gegeben haben. Der deutsche Amtsweg endete jedoch kurz vor der Unterzeichnung des Gesetzestextes durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. (...) Es handelt sich um einen Eil-Antrag, aber es wurde kein Zeitpunkt für das Urteil festgelegt: Die Angelegenheit könnte zwei bis drei Monate dauern. Ein Zeitraum, in dem das Inkrafttreten und damit die Ankunft der ersten für Italien bestimmten Mittel verschoben werden könnten.»


«El País»: Aussichten für Katalonien düster

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Samstag den missglückten ersten Versuch des Separatisten Pere Aragonès, im Parlament zum neuen Regierungschef Kataloniens gewählt zu werden:

«Das Fiasko hat die Zerstrittenheit der separatistischen Parteien offengelegt. Katalonien droht wieder eine gelähmte Regierung und weiterer wirtschaftlicher Niedergang. Auch die Aussichten für eine bessere Einpassung Kataloniens in den spanischen Staatsverband sind düster angesichts der Sturheit (von Aragonès), der ein bereits gescheitertes Ziel propagiert: die Abspaltung.

Dass nach seiner Vorstellung ein Dialog (mit der Zentralregierung in Madrid) nach zwei Jahren abgebrochen werden soll, wenn er nicht die «Selbstbestimmung» (Kataloniens) und eine Amnestie (der inhaftierten Separatistenführer) gebracht hat, zeugt von einer Unnachgiebigkeit, die auf keinen vertrauenswürdigen Partner schließen lässt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums schlug (der eine Abspaltung ablehnende Sozialist) Salvador Illa ein linkes Bündnis vor und legte ein Programm realer praktischer Ziele vor, nicht nur Tagträume. Lobenswert, aber vermutlich chancenlos angesichts einer sektiererischen Unabhängigkeitsbewegung.»


«The Times»: Chinas Umgang mit den Uiguren nicht ignorieren

LONDON: Die britische Tageszeitung «The Times» kommentiert am Samstag die Spannungen im Verhältnis zwischen China und dem Westen:

«Angesichts der öffentlichen Empörung über die Verletzung von Menschenrechten und der Forderungen, Firmen zu boykottieren, die in der Xinjiang-Region Geschäfte machen, können westliche Regierungen Chinas Umgang mit der dortigen Minderheit der Uiguren nicht mehr ignorieren. (...) Derweil hat China versucht, seinerseits Druck auf westliche Unternehmen auszuüben, indem es die Verbraucher ermutigte, britische Luxusmarken wie Burberry zu meiden, weil diese sich weigern, Baumwolle aus Xinjiang zu verwenden, die mit uigurischer Zwangsarbeit gepflückt wurde.

Diese Boykotte sollen eine Botschaft an Chinas asiatische Nachbarn senden, die US-Präsident Joe Biden umwirbt, sich seiner Allianz zur Eindämmung Pekings anzuschließen. Die Tatsache, dass Biden in der Lage war, eine Koalition zu schaffen, um koordinierte Sanktionen zu verhängen, deutet jedoch darauf hin, dass die westliche Allianz stärker ist, als Peking denkt.»


«Tages-Anzeiger»: Auf Einsicht muss gute Politik folgen

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Samstag die Entschuldigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für die vorschnelle Anordnung einer Osterruhe:

«Indem die Bundeskanzlerin für einmal sagt: Das war falsch, und ich bins, die es verbockt hat, lüftet sie den Deckel über dem Kochtopf des Unmuts. Und sie zieht eine Verantwortung an sich, die sie an die Ministerpräsidenten verloren zu haben schien. Möglicherweise gebiert der gewonnene moralische Respekt eine neue Handlungsfreiheit. Allerdings muss sie diese nutzen. Denn faktisch gewonnen ist durch die Rücknahme der «Osterruhe» erst mal nichts - Misere bleibt Misere.

Eine Entschuldigung im politischen Leben kann ein starker symbolischer Akt sein. Aber wirksam nur als Voraussetzung für etwas Besseres, eine Wendung, eine Kehre. Die Einsicht muss in gute Politik umgesetzt werden, sonst bleibt von der moralischen Instanz bloß ein «Mensch wie du und ich», der Fehler macht, sie auch mal zugibt und sich ansonsten weiterwurstelt, als kleines Sünderlein, durchs Leben, durch die Pandemie.»


«NZZ»: Für die Taliban ist der ersehnte Gottesstaat näher gerückt

ZÜRICH: US-Präsident Joe Biden hat bei seiner ersten Pressekonferenz gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass nächstes Jahr noch US-Soldaten in Afghanistan stationiert sein werden. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:

«Ein realistischer Friedensplan kommt nicht an den Taliban vorbei. Der Versuch, sie an einer künftigen Regierung zu beteiligen, ist wohl richtig. Aber Biden begeht nun denselben Fehler wie Trump, indem er den Rückzug über alles stellt - ungeachtet von Fortschritten in den Friedensverhandlungen. Die Taliban werden das Signal klar verstehen: Die Amerikaner wollen weg, noch in diesem Jahr. Weshalb sollten die Rebellen da noch ernsthaft verhandeln? Viel klüger ist es aus ihrer Sicht, sich für eine militärische Offensive im nächsten Jahr zu rüsten. Der von ihnen ersehnte Gottesstaat ist der Verwirklichung soeben einen Schritt näher gerückt.»


«Der Standard»: Sebastian Kurz - Hero oder Zero?

WIEN: Unter der Überschrift «Sebastian Kurz beim EU-Gipfel: Hero oder Zero?» schreibt die Wiener Zeitung «Der Standard» über die Forderung des österreichischen Kanzlers, die Impfstoffverteilung in der EU zu korrigieren:

««Sebastian Kurz hat sich verzockt», bilanziert der deutsche «Spiegel» nach dem Riesenstreit beim Gipfel. Der Kanzler habe stundenlang blockiert, aber nicht bekommen, was er wollte. Genau das Gegenteil konstatiert die ebenfalls deutsche Zeitung «Die Welt»: «Wie Kurz Merkel beim Impfstoff ausgekontert hat», titelt sie, und schildert, wie die deutsche Kanzlerin am Ende doch noch einem solidarischen Ausgleich zugunsten der Impfstoff-Nachzügler zustimmte.

Der österreichische Kanzler polarisiert, emotionalisiert. Seine Gegner sehen ihn nur als oberflächlichen Emporkömmling, der in Wahrheit «kein Pro-Europäer sei». Seine Fans meinen hingegen, er bewege etwas im gemeinsamen Europa.

Am Ende einigte man sich auf eine gesichtswahrende Lösung für alle. Man bekannte sich zum Ziel, dass alle Staaten gleich viel bekommen, will die Schieflagen «solidarisch» lösen. Aber darum sollen sich jetzt die EU-Botschafter in Brüssel kümmern. Sie sollen ausschnapsen, wer wie viel bekommt - nicht mehr der berüchtigte Lenkungsausschuss der Gesundheitsminister. Ausgang: ungewiss. Fortsetzung folgt. Sebastian Kurz wird in Europa ein Thema bleiben - allein das ist fix.»

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