Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«The Times»: Der eleganteste Ausweg für Trump wäre sein Rücktritt

LONDON: Ein Verfahren zur Amtsenthebung Donald Trumps habe nur wenig Chancen auf Erfolg, meint die Londoner «Times» am Samstag:

«Selbst wenn das Verfahren so beschleunigt werden könnte, dass ein Abschluss in der kurzen noch verbliebenen Zeit möglich wäre, müssten 16 republikanische Senatoren für die Amtsenthebung stimmen, damit die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wird. Trotz der sich vertiefenden Spaltung bei den Republikanern und des Drangs vieler einstiger Trump-Verteidiger, sich nun von ihm zu distanzieren, deutet nichts darauf hin, dass eine solche Mehrheit erreichbar ist.

Dennoch unterstützen selbst konservative Politiker und Kommentatoren - darunter einige, die früher Sympathie bekundeten - die Forderung nach Amtsenthebung. Ein Grund dafür ist, dass Trumps Aktionen offenkundig anklagbar sind. Er hat einen Mob aufgehetzt, damit dieser versucht, den Kongress an der Ausübung seiner verfassungsgemäßen Aufgabe zu hindern und damit eine friedliche Machtübergabe zu vereiteln. Das war ungeachtet seiner gegenteiligen Erklärungen ein Angriff auf die Grundlagen der amerikanischen Demokratie. Wenn dieser Angriff nicht als genau das behandelt wird, könnte die Demokratie noch weiter beschädigt werden. Ein zweiter Grund ist die Hoffnung, dass die Drohung mit einer Amtsenthebung Trump dazu bringen könnte, den elegantesten Ausweg aus dieser Krise zu nehmen, der darin besteht, dass er zurücktritt.»


«de Volkskrant: Trump sitzt in der Klemme

AMSTERDAM: US-Präsident Donald Trump hat in einer Video- Botschaft versucht, sich von der Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger zu distanzieren. Dazu heißt es am Samstag in der niederländischen Zeitung «de Volkskrant»:

«Das Video entbindet Trump jedoch nicht von einer möglichen Strafverfolgung. Das Justizministerium schließt nicht aus, dass er für seine Rolle bei der Erstürmung des Kapitols belangt wird. Laut dem obersten Bundesstaatsanwalt in Washington wird gegen «alle Beteiligten» ermittelt und «nicht nur gegen die Leute, die das Kapitol betreten haben». (...) Denjenigen, die zum Umsturz der Regierung aufgerufen oder sich dazu verschworen haben, drohen sogar 20 Jahre Gefängnis. Obwohl die Justiz bislang betont, dass amtierende Präsidenten nicht wegen eines Verbrechens angeklagt werden können, schützt diese Regel Trump nur noch für knapp zwei Wochen. Trump sitzt in der Klemme.»


«Corriere della Sera»: Ruf von «gestohlenem Sieg» wird bleiben

ROM: Mit Blick die Nachwirkungen des Sturms auf das US-Kapitol in der Hauptstadt Washington schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Samstag:

«Das Vertrauen in den politischen Prozess in den USA ist nicht das einzige, was in den letzten Jahren kippte; allmählich nahmen wachsende Ungleichheiten Einfluss auf die Neuordnung der traditionellen Stimmverteilungen. Heute besteht die größte politische Kluft in Amerika zwischen den Koalitionen städtischer Wähler mit Hochschulabschluss und Wählern, die in ländlichen Gebieten leben.

Der scheidende Präsident Donald Trump hat diese Lücke schlau ausgenutzt und sich 2016 einen Wahlsieg und 2020 einen Beinahe-Sieg gesichert. Trump konnte dabei auf eine mediale Atmosphäre (...) zählen, die es der Öffentlichkeit dank sozialer Medien ermöglicht hat, mit zunehmender Leichtigkeit die Geschichte zu wählen, das am besten zu ihren politischen Überzeugungen passt.

Vergessen wir nicht Trumps persönliche Strategie in der Politik, die darin besteht, Spaltungen zu schüren. (...) Die unerschütterliche politische Unterstützung, die er bei seinen Wählern genießt - wie der Angriff auf den Kongress am Mittwoch zeigte -, wird nichts anderes bewirken, als die Kluft im Land auszudehnen und weiter Verschwörungstheorien zu nähren. (...) Der Schrei vom «gestohlenen Sieg» ist in die politische Arena eingedrungen und in die allgemeine Debatte übergegangen, wo er weit über Trumps Amtszeit im Weißen Haus hinausgehend bleibt.»


«NZZ»: Trump brachte Klicks und Einnahmen

ZÜRICH: Nach dem Sturm von Anhängern Donald Trumps auf das Kapitol haben Facebook und Twitter den Account des Präsidenten bis auf Weiteres blockiert. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:

«Trump ist bei weitem nicht der Einzige, der die sozialen Netzwerke für seine Zwecke nutzt. Politiker und Organisationen in aller Welt tun es ebenso: Sie posten emotionale Inhalte, verdrehen Tatsachen, gehen auf Stimmenfang und buhlen um Aufmerksamkeit. Sie bedienen so gezielt die Logik des Facebook-Algorithmus. (...) Trump ist nur die Spitze des Eisbergs - das eigentliche Problem ist das Geschäftsmodell von Facebook, das eine Politik wie jene von Trump befördert. (...)

Trump reizte die Grenze des Sagbaren aus, seit er seine Präsidentschaftskampagne gestartet hatte. Er nutzte die sozialen Netzwerke virtuos, baute sich eine treue Anhängerschaft auf, trieb die Republikanische Partei vor sich her und schaffte es ins Weiße Haus. Facebook und Twitter wirkten ungewollt als Katalysatoren seiner Politik. Aber sie ließen es zu, denn die Aufmerksamkeit war ihnen gewiss. Es ist das gleiche Dilemma, in das auch die Medien gerieten: Trump war ein Ärgernis, aber er brachte Klicks und damit Einnahmen. Facebook ist nicht dafür verantwortlich, was seine Nutzer posten - aber dafür, wie es sich verbreitet.»


«Der Standard»: Rückbesinnung auf transatlantische Beziehungen

WIEN: Zum bevorstehenden Regierungswechsel in den USA schreibt «Der Standard» am Samstag in Wien:

«Donald Trump hat noch gar nicht begriffen, was er tat. Er hat sich selbst in einer Weise demontiert, wie das kein politischer Gegner vermocht hätte. Ihm bleibt nur der ehrlose Abgang. Umso mehr hat Joe Biden nun Spielraum, wenn es darum geht, die US-Demokratie und die transatlantischen Beziehungen mit den Europäern zu erneuern. Die EU-Staaten wären gut beraten, ihm dabei mit Freude und Tempo entgegenzukommen. Zu Häme haben sie keinen Anlass: Wer Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen eigene Mitglieder führen muss, kann vom Kapitol in Washington immer noch dazulernen. (...) Man erinnert sich nun wieder, dass westliche Demokratien einander noch lange viel näher stehen werden als autokratisch geführten Ländern wie China oder Russland, die die USA verhöhnen. Trump hat das nur kurz verdeckt. Er ist Geschichte.»

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