Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

«The Independent»: Großbritannien droht ein kalter Krieg mit der EU

LONDON: Der Londoner «Independent» warnt am Samstag vor einem Scheitern der Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU:

«Ein No-Deal-Brexit scheint unausweichlich. Und es besteht der Verdacht, dass die Briten das nicht kümmert. Brüssel hat darauf hingewiesen, was das für die alltäglichen Vergünstigungen bedeutet, die britische Bürger bei Aufenthalten in EU-Staaten bislang für selbstverständlich hielten. (...) Die EU wird, wenngleich zögerlich, Zölle und Kontrollen einführen. Gegebenfalls könnte sie Strafzölle auf Importe erheben, um damit Lohn- oder Sozial-Dumping entgegenzuwirken. Die britische Finanzwirtschaft wird erleben, dass man ihr schrittweise den Marktzugang entzieht. Britische Unternehmen werden Märkte verlieren und Jobs werden verschwinden - all das zusätzlich zu einer vom Coronavirus verursachten Rezession. (...) Mit anderen Worten: Was vermeintlich das einfachste Handelsabkommen der Geschichte werden sollte, gleitet langsam, aber unerbittlich in eine Art von kaltem Krieg zwischen der EU und Großbritannien ab.»


«Pravda»: EU-Förderungen müssen an Rechtsstaat gebunden sein

BRATISLAVA: Die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda» befürwortet am Samstag, dass ein funktionierender Rechtsstaat zur Bedingung für EU-Fördergelder gemacht wird:

«Die Europäische Union verhandelt über Hilfspakete zur Bewältigung der Corona-Krise und zugleich über den üblichen mehrjährigen Finanzrahmen. (...) Zu den noch immer offenen Fragen gehört, ob das EU-Geld, wie von mehreren Ländern gefordert, an die Bedingung eines funktionierenden Rechtsstaats gebunden sein soll.

Zu den lautesten Kritikern gehören Ungarn, Polen und Tschechien. Bei den ersten beiden ist klar warum: Die EU-Kommission führt gegen sie Verfahren nach Artikel 7 wegen Gefährdung des Rechtsstaats. Tschechien droht dies zwar vorerst nicht, aber man spricht öffentlich davon, dass die Regierung von Andrej Babis und er persönlich Probleme mit Korruption bei EU-Fördergeldern haben. (...)

(Der slowakische) Regierungschef Igor Matovic kritisierte, dass Länder wie Deutschland und die Niederlande mit solchen Bedingungen Ziele verfolgten, die mit EU-Förderungen nicht zusammenhingen, bei denen es doch nur um wirtschaftliche Angelegenheiten gehe. Doch er hat nicht recht. Denn ohne einen funktionierenden Rechtsstaat (...) ist das Risiko groß, dass EU-Fördergelder nicht ihren eigentlichen Zweck erfüllen, sondern bei Regierungsgünstlingen und Oligarchen landen. (...) Wollen wir hoffen, dass sich die slowakische Regierung in den weiteren Verhandlungen nicht zu einer falschen Solidarität mit den Visegrad-Partnern verleiten lässt.»


«La Repubblica»: Widerstand gegen EU-Pläne hat viele Gründe

ROM: Zum Tauziehen um den milliardenschweren Wiederaufbauplan der EU nach der Corona-Krise und zu den Gründen des Widerstands der «sparsamen Vier» Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark gegen hohe direkte Zuschüsse schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» am Samstag:

«Das Thema Solidarität in Europa spaltet und liegt quer in den politischen Lagern. Es handelt sich wahrscheinlich nicht mal um reine und einfache Berechnung der Zweckmäßigkeit, da ein Zusammenbruch des europäischen Binnenmarktes sie auch viel mehr kosten würde als den Beitrag zum Wiederaufbaufonds. Der Unterschied liegt vielmehr im kulturellen Referenzmodell, das den Beitritt dieser Länder zur Europäischen Union kennzeichnete. Und das Modell der vier «Sparsamen», die viele als Ausführungsgehilfen Deutschlands sahen, war schon immer Großbritannien. Für Schweden und Dänemark, die nicht zur Euro-Raum gehören, ist dies seit ihrem Beitritt der Fall. Für Holland, einst ein voller Pro-Europäer, gilt das seit dem Aufkommen populistischer Ressentiments zu Beginn des Jahrhunderts. Für Österreich ist es eine bequeme Wahl, die ihrem Kanzler die Möglichkeit bietet, ein alternatives politisches Profil zu dem der sperrigen deutschen Kollegin zu zeigen.»


«Sme»: Dämonisierung des Wahlgegners gefährdet die Demokratie

BRATISLAVA: Die liberale slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Samstag zur Präsidentschafts-Stichwahl im Nachbarland Polen:

«Wie sehr sich die amerikanische Politik verändert hat, lässt sich fast klischeehaft an einem Video illustrieren, das zeigt, wie der damalige Präsidentschaftskandidat John McCain über seinen Gegner sagt, er stimme Barack Obama in vielem nicht zu, halte ihn aber für einen anständigen Menschen, vor dem sich niemand fürchten müsse. Acht Jahre später wurde Donald Trump auch damit Präsident, dass er schrie, seine Gegenkandidatin gehöre ins Gefängnis.

Das amerikanische Beispiel mag eine Warnung sein, wie schnell sich das Narrativ ändern kann, wenn Politiker an die Macht gelangen, die an die niedrigsten Triebe apellieren. Wenn sie gewinnen, werden plötzlich auch Schlagzeilen in Regierungsmedien möglich, wonach der Gegner des Regierungskandidaten irgendwelche Forderungen der Juden erfülle. So weit ist das ohnehin sehr von Antisemitismus betroffene Polen in seinem Präsidentschaftswahlkampf schon gekommen.

Wenn aus dem Rivalen in der Wahlkampfrhetorik eine Bedrohung für das Überleben der Nation gemacht wird, anstatt in ihm nur einen Gegner der eigenen Meinung zu sehen, dann kippt die Demokratie in eine Diktatur um. Das erleben wir in den vergangenen Jahren immer öfter, doch es wird Zeit, sich dagegen zu wehren. Die Polen haben die Möglichkeit dazu an diesem Sonntag. Symbolhaft ist das gerade einen Tag nachdem wir uns an das Massaker im bosnischen Srebrenica erinnern, das uns vor Augen führt, wohin so eine gesellschaftliche Spaltung führen kann.»


«de Volkskrant»: Kompromiss wäre im Interesse Europas

AMSTERDAM: Zum bevorstehenden EU-Gipfel heißt es am Samstag in der niederländischen Zeitung «de Volkskrant»:

«Angela Merkel und Mark Rutte stehen sich in der kommenden Woche beim europäischen Gipfeltreffen in Brüssel gegenüber. Merkel als die große Fürsprecherin des europäischen Wiederaufbaufonds zum Nutzen der EU und des Binnenmarktes. Rutte als Anführer der «geizigen Vier». Im Interesse Europas ist zu hoffen, dass sie einen vernünftigen Kompromiss eingehen. Merkel hat ihre Macht genutzt, um eine Kehrtwende zu machen. Sie hat die Deutschen davon überzeugt, dass eine Form von gemeinschaftlichen europäischen Schulden unter diesen außergewöhnlichen Umständen nicht mehr tabu ist.

Auch Rutte hat Spielraum. Die niederländische Bevölkerung lehnt zwar mehrheitlich Geschenke an Italien und andere südliche Länder ab. Aber das kommt auch davon, dass Politiker in den vergangenen Jahren über Europa vor allem als Kostenpunkt geredet haben und nicht als einer Gemeinschaft, von der die Niederlande in hohem Maße profitieren. (...) Wenn Rutte ein paar gute Zugeständnisse erreicht, kann er dem Parlament und der Bevölkerung verkaufen, dass der Wiederaufbaufonds notwendig ist, um die Europäische Union politisch und wirtschaftlich zusammenzuhalten.»


«NZZ»: Ein Ausdruck US-amerikanischer Demokratie

ZÜRICH: Zum Präsidentschaftswahlkampf in den USA schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:

«Aus der Schwäche des Amtsinhabers zieht Joe Biden, selbst ein schwacher Kandidat, seine Stärke. Jetzt, da die Abwahl des Präsidenten eine realistische Möglichkeit zu sein scheint, zeigt sich indes auch, wie falsch viele der Kritiker Trumps lagen. In den letzten vier Jahren verstummte das Lamento nie, dieser Präsident sei ein Anschlag auf die Demokratie, er untergrabe die Fundamente des Staatswesens und ruiniere dessen Institutionen. Vieles klang sehr absolut, geradezu endzeitlich. Wenn Trump abgewählt wird, wird dieser Kritik die Grundlage entzogen. Seine Präsidentschaft, die jetzt noch viele als Gefahr für die Republik sehen, würde zur Fußnote schrumpfen. Dann bewiese die amerikanische Demokratie einmal mehr, dass sie stärker ist als einzelne Personen, dass sie die Ermordung Kennedys genauso überwindet wie einen Präsidenten Nixon, der kriminelle Machenschaften deckte.(...)

Und wenn Trump wiedergewählt wird? Dann ist auch das ein Ausdruck der amerikanischen Demokratie. Zu deren Vorzügen zählt die Amtszeitbeschränkung. Dann fällt der Vorhang für das Spektakel namens Trump eben im Januar 2025.»

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Leserkommentare

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