Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Samstag

«NZZ»: Bürger werden als leicht verführbare Wesen betrachtet

ZÜRICH: Der Bundestag hat die Werbung für das Rauchen weiter eingeschränkt. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Samstag:

«Hinter alldem steht letztlich ein problematisches, wenig liberales Verständnis von Mensch und Staat. Der Bürger wird als unmündiges, leicht verführbares Wesen gesehen, den ein allwissender, wohlwollender Staat an die Hand nehmen, durch die böse Welt führen und vor allen Wechselfällen des Lebens schützen muss. Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD befinde sich «auf dem besten Weg zum Nanny-Staat», ätzte der FDP-Abgeordnete Gero Hocker, dessen Fraktion als einzige gegen die Verschärfung der Werbeverbote gestimmt hat.

Wer seine Bürger immer mehr bemuttert, darf sich nicht wundern, wenn sie am Ende immer unselbständiger werden. Demokratie und Marktwirtschaft aber sind im Gegenteil angewiesen auf Menschen, die sich zu informieren wissen und die in Selbstverantwortung entscheiden können.»


«Berliner Morgenpost» zu Nutztierhaltung

Bauern, die in riesigen Ställen Schweine züchten und Sauen halten, gibt es in Berlin wenn überhaupt nur sehr wenige.

Gleichwohl hat sich Berlin anständig verhalten, als es jetzt im Bundesrat um eine neue Verordnung zur Nutztierhaltung ging. Die Hauptstadt trägt einen Kompromiss nicht mit, den die anderen Länder ausgehandelt haben. In der Folge bleibt es noch acht Jahre dabei, dass Sauen nach Geburt ihrer Ferkel über viele Tage in so genannten Kastenständen eingeklemmt bleiben dürfen. Alle erregen sich über die unwürdigen Arbeitsbedingungen in den Schlachtfabriken von Tönnies & Co. Alle sind irgendwie dafür, aus dieser Art Massentierhaltung auszusteigen. Aber wenn es ernst wird, macht die Politik Regeln, die das Elend um Jahre verlängern. Immerhin macht Berlin bei solchen Schweinereien nicht mit.


«Neatkariga Rita Avize»: Zurück in die Autokratie und Vergangenheit

RIGA: Zum Verfassungsreferendum im benachbarten Russland schreibt die national-konservative lettische Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize»:

«Faktisch hat Russland eine konstitutionelle Wiederherstellung der Autokratie durchlaufen. Die lange Unsicherheit über das dortige politische System endet nun mit der klaren Positionierung Russlands in einer Reihe mit den Diktaturen Zentralasiens. Die Tatsache, dass jetzt alles formell gesetzlich geregelt wird, damit Putin bis mindestens 2036 im Kreml regieren kann, bedeutet jedoch nicht, dass seine Macht jetzt nicht mehr bedroht ist. Putin muss noch beweisen, dass er ein echter Zar und kein Hochstapler ist. Wie er es beweisen wird und ob er es beweisen kann, ist eine andere Sache. Denn absolut alle irgendwie unabhängigen russischen politischen Beobachter vermerken einen Rückgang von Putins Popularität.

Den Menschen, besonders der städtischen Mittelschicht, beginnt Putin Sorgen zu machen. Während im ersten Jahrzehnt von dessen Regentschaft der Wohlstand Russlands stark stieg, stagnierte er im zweiten Jahrzehnt lange Zeit. Auch wird keine in irgendeiner Weise attraktive Vision für die Zukunft angeboten. Stattdessen konzentrieren sich die Ansichten zunehmend auf die Vergangenheit. Der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg ist zu einer halboffiziellen Staatsreligion geworden. Das Ausmaß der Korruption hat astronomische Ausmaße erreicht.»


«Trud»: Medien bieten Protestbewegungen eine Szene

SOFIA: Vor dem Hintergrund der Unruhen und Proteste in den USA und in anderen Ländern schreibt am Samstag die bulgarische Zeitung «Trud» unter anderem zur Rolle der Medien:

«Im Kampf um «Rassengerechtigkeit», der jetzt gerade in der freien Welt für Wirbel sorgt, gibt es nichts Spontanes und nichts Angemessenes. Darin beteiligen sich wieder einmal ausgenutzte Massen zugunsten von Minderheiten, die um die Macht kämpfen. Jeder Machtkampf erfolgt von oben nach unten, wird aber so ausgegeben, als ob er von unten nach oben geschieht, damit er illusorisch als legitim erscheint. Deswegen müssen die Massen indoktriniert werden (...) etwa mit Rassismus, Pandemien, Klimawandel u. ä. Dafür sind die Medien da, die «Intellektuellen», die Massenkultur. Die Medien sind eine Szene - also ist alles was darin geboten wird, ein Spektakel. Ohne Medien hätte es weder Terrorismus, noch Gelbwesten oder verpönte und in den Fluss geworfene Denkmäler gegeben.»


«De Standaard»: Castex ist ein vielseitiger Teamplayer

BRÜSSEL: Zum neuen französischen Premierminister Jean Castex heißt es am Samstag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Die Franzosen lernten ihren neuen Premierminister in den vergangenen Wochen als «Monsieur déconfinement» (Herr Lockerungsmaßnahmen) kennen. Er hatte den schwierigen Auftrag, Frankreich aus dem harten Lockdown zu führen. In dieser Rolle zeigte er, dass er ein Teamplayer und an allen Fronten einsetzbar ist. Genau das, was Präsident Emmanuel Macron von einem Premierminister erwartet.

Ebenso wie Macron ist Castex ein «Énarque», ein diplomierter Absolvent der berühmten Verwaltungsschule École Nationale d'Administration (ENA). Aber im Gegensatz zu vielen anderen ENA-Absolventen ist er auch bodenständig. (...) Castex darf nun bis Mittwoch eine neue Regierung zusammenpuzzeln. In ersten Reaktionen wurde gefordert, dass sie grüner und linker sowie weiblicher sein muss. Denn Castex ist zwar vieles, aber keine Frau. Kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten hatte Macron seinerzeit noch erklärt, dass er auf den Stuhl neben sich gern eine Frau setzen würde.»


«Corriere della Sera»: Macron überrascht mit Wahl des Regierungschefs

ROM: Zum Austausch der Regierung in Frankreich durch Präsident Emmanuel Macron und zur Ernennung von Jean Castex zum neuen Regierungschef schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» am Samstag:

«In seinen jüngsten Reden hatte Macron den Eindruck erweckt, dass er seine Präsidentschaft sozialer und ökologischer ausrichten wolle. Diese Absicht schien durch die Niederlage seiner Partei La République en Marche bei den Kommunalwahlen und durch den gleichzeitigen Sieg der Grünen in Großstädten wie Lyon, Bordeaux, Straßburg und auch in Paris (...) bestärkt zu werden.

Aus diesem Grund sorgte die Ernennung von Jean Castex, lange ein ranghoher Funktionär der Partei Les Républicains (rechts) und dem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy nahe stehend, eine gewisse Überraschung. Macron hat einen perfekten Vollstrecker ausgewählt, um neue Ziele zu erreichen, ohne die der letzten drei Jahre aufzugeben, einschließlich der Rentenreform.»


«The Guardian»: Alarmierend und verantwortungslos

LONDON: In England dürfen die Pubs wieder öffnen. Der Londoner «Guardian» warnt am Samstag vor möglichen negativen Folgen:

«Für Millionen Menschen ist das alarmierend und verantwortungslos. Damit werden die individuell und kollektiv erbrachten Opfer der vergangenen drei Monate aufs Spiel gesetzt, insbesondere für Risikogruppen. In Gegensatz zu all dem Hype ist die Wiedereröffnung bei einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung nicht populär. Laut einer Umfrage des Instituts Ipsos-Mori finden doppelt so viele Menschen Pub- und Restaurantbesuche beunruhigend wie diejenigen, die sich dabei wohlfühlen. (...)

Viel zu spät und unentschlossen scheint Boris Johnson einigermaßen begriffen zu haben, welche Gefahren er geschaffen hat. In dieser Woche begann er damit, die Öffentlichkeit zu warnen, es nicht zu «übertreiben». Am Freitag sagte er, Großbritannien sei noch nicht über den Berg, und rief die Bevölkerung auf, sich verantwortungsvoll zu verhalten. Doch Johnson hat die moralische Autorität, von anderen verantwortungsvolles Benehmen zu verlangen, schon längst verspielt.»


«de Volkskrant»: Verschwörungstheorien geduldig entgegenwirken

AMSTERDAM: Zu den vielen im Zuge der Corona-Krise kursierenden Verschwörungstheorien meint die niederländische Zeitung «De Volkskrant» am Samstag:

«Verschwörungstheorien entsprechen dem tiefen Bedürfnis der Menschen, die Welt um sie herum zu erklären. Sie wollen das Schicksal festschreiben, um es doch noch abzuwenden zu können. Vor langer Zeit waren sie feste Bestandteile von (Aber-) Glauben und (Natur-) Religionen. Gegenwärtig bringen sie die Skepsis gegenüber der Fähigkeit von Politik und Wissenschaft zum Ausdruck, Lösungen zu finden. In diesem Sinne sind sie Nebenprodukte der wissenschaftlichen Revolution. Es ist verlockend, aber nicht klug, sie zu ignorieren. Die Öffentlichkeit - die sogenannte irregeführte Masse - muss, um sie ablehnen zu können, erst einmal Kenntnis davon nehmen können. Und die Wissenschaft muss Verschwörungstheorien weiterhin geduldig entgegenwirken. Ohne sich anzumaßen, allwissend zu sein.»


«La Vanguardia»: Spanien bleibt nur die Hoffnung auf Europa

BARCELONA: Die in Barcelona erscheinende Zeitung «La Vanguardia» kommentiert am Samstag die verzweifelte finanzielle Lage des spanischen Staates:

«Stellen Sie sich für ein paar Minuten vor, sie wären für das Wirtschaftsministerium zuständig und hätten die verdienstvolle Aufgabe, die Konten der spanischen Regierung zu führen. In einer Spalte stehen die Einnahmen und in der anderen die Ausgaben. Dann kommt die Pandemie und plötzlich müssen sie 11 Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld aufwenden, die sie gar nicht eingeplant hatten. Diese Gelder ermöglichen das Überleben Tausender Unternehmen. Zugleich führt der wirtschaftliche Stillstand dazu, dass ihnen 40 Milliarden erwarteter Steuereinnahmen entgehen. Und wenn sie dann das Sparschwein bei der Suche nach Geld zerschlagen, stellen sie fest, dass es leer ist und nur einen Zettel enthält, auf dem steht, dass das Haus bereits mit mehr als 1,2 Billionen Euro verschuldet ist und auf keinen Fall weitere Schulden machen kann.

Dies ist die heutige Lage Spaniens. Mit Tausenden Stimmen, die ebenfalls um Hilfe bitten für den Tourismus, die Automobilbranche, die Kultur oder das Gesundheitswesen. Dazu kommen die autonomen Regionen, die eine gerechtere und gleichberechtigte Behandlung fordern. Jeder bittet um Geld und die Exekutive von (Regierungschef) Pedro Sánchez kann nur nach Europa schauen und hoffen, dass auf dem nächsten Gipfel eine Einigung erzielt wird, die die Ankunft von Geldern in großen Mengen und ohne übermäßige Bedingungen ermöglicht.»


«Der Standard»: Sigmar und die Schweine

WIEN: Über die Beratertätigkeit von Sigmar Gabriel beim Fleischkonzern Tönnies schreibt am Samstag die Wiener Zeitung «Der Standard»:

«Sigmar Gabriel, einst Vizekanzler, ist unter die Berater gegangen. Das ist nicht verwerflich, das tun viele Politiker, wenn sie ihre Karriere beenden. (...) Und dennoch: Der Job beim deutschen Großschlachter ist - um im Bilde zu bleiben - ein Ausschlachten von Möglichkeiten, wie es einfach nicht sein darf. Ausgerechnet die Fleischbranche, ausgerechnet Tönnies hat sich Gabriel, der schon für einige Überraschungen gut war, ausgesucht. (...)

Als ob diese Instinkt- und Taktlosigkeit nicht schon genug wäre, macht Gabriel es mit seiner Selbstverteidigung nur noch schlimmer. 10.000 Euro als Honorar seien ja nicht so viel, sagt er. Also schon für «normale» Menschen. Aber nicht für einen wie ihn, der nun Berater und Privatier ist. Es ist rätselhaft, wie weit sich einer, der immer die Zwei-Klassen-Gesellschaft überwinden wollte, von Seinesgleichen entfernt hat. Arme SPD, sie hat schon unter dem russischen Engagement von Gerhard Schröder schwer gelitten. «Gazprom-Gerd» nennt man ihn heute. Man möchte gar nicht wissen, was dem Volk mit seinem Hang zur Alliteration bei Sigmar und den Schweinen alles einfällt.»

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