Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Montag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
Foto: Adobe Stock/©elis Lasop

«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Wahlkampf/letztes Triell

Vor Wochen galt Olaf Scholz noch als ungeliebter Verlegenheitskandidat; jetzt wird er als Vollprofi bewundert.

(...) Allenfalls aber Annalena Baerbock und Armin Laschet können von sich behaupten, eine Stimmung hervorgerufen zu haben, wenn auch in die andere Richtung. (...) Dass die Union, geblendet vom Söder-Glühen, das nicht hat kommen sehen und erst auf den letzten Metern Dampf macht, müssen sich die Wahlkampfführungen in München und Berlin vorwerfen lassen. (...) Laschet, Söder und Merz [haben] auf den letzten Metern der Merkel-Ära einen Rettungsring entdeckt: die Grundsätze einer konsequenten bürgerlichen Politik. (...) So einsam es um Laschet auch geworden sein mag, so sehr birgt diese Lage seine letzte Chance. Die Mobilisierung könnte ihn zwar nicht in alte Höhen, aber doch vor Scholz tragen.


«Frankfurter Rundschau» zu Scholz im Finanzausschuss

Ein einstiger CDU-Vorsitzender ordnet als Staatsanwalt in Osnabrück wenige Tage vor der Wahl die Durchsuchung der Geldwäsche-Einheit des Finanzministeriums an.

Der Fall liegt eineinhalb Jahre zurück, wahrscheinlich hätte ein Telefonat genügt, um die Akten zu erhalten. Doch in der Pressemitteilung suggeriert die Ermittlungsbehörde eine Mitschuld von Olaf Scholz. Hier von einem «rechtsfreien Raum bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität» zu sprechen wie Florian Toncar (FDP) oder «Versagen auf breiter Front» wie Hans Michelbach (CSU) zu behaupten, hilft Scholz mehr als es ihm schadet. Selbst wenn die Vorwürfe eine Grundlage hätten - auf diese Weise ist das Vorgehen billiger Wahlkampf und entwertet sich damit selbst. Olaf Scholz jedenfalls gibt es die Möglichkeit, einmal mehr zu zeigen, wie krisenfest er ist. So steht er statt als «Skandal-Scholz» als scheinbar unangreifbar da - seine Gegner:innen haben sich damit einen Bärendienst erwiesen.


«MK»: Dumawahl war Generalprobe für russische Präsidentenwahl

MOSKAU: Zur Parlamentswahl in Russland schreibt die Moskauer Boulevardzeitung «Moskowski Komsomolez» («MK») am Montag:

«In Russland gehen die Wahlen zur Staatsduma zu Ende - und damit auch die Generalprobe der nächsten Präsidentenwahl. Damit hat die Etappe der russischen Politik, die im Januar mit der Rückkehr Alexej Nawalnys nach Moskau begann, ihr logisches Finale erreicht. (...)

In den ersten Monaten des Jahres schien es so, als stünde tatsächlich die Staatsmacht auf dem Spiel und als stelle sich die Frage, ob der Westen fähig sei, den innenpolitischen russischen Prozess zu «zerstören». Nachdem diese Fähigkeit durch entschlossenes Handeln des Kreml zunichte gemacht worden war, ging der Wahlkampf in eine ruhige, gemächliche, manchmal sogar verschlafene Phase über.»


«NZZ»: Laschet hat seine Chancen nicht genutzt

ZÜRICH: Zum letzten TV-Triell im deutschen Wahlkampf meint die «Neue Zürcher Zeitung» (online) am Montag:

«Mit dem dritten und letzten TV-Dreikampf ging ein ebenso bizarres wie aufschlussreiches Spektakel zu Ende. Bizarr, weil entgegen der Ankündigung nicht drei Kanzlerkandidaten miteinander rangen, sondern Olaf Scholz und Armin Laschet, welche die Nachfolge Angela Merkels unter sich ausmachen, und eine grüne Co-Vorsitzende, die sinkenden Umfragewerten nur agil hinterherschauen kann. (...)

Olaf Scholz formulierte den Grundkonsens einer Regierung unter seiner Führung: Solidarität müsse «organisiert», also vom Staat hergestellt werden. Höhere Steuern für Gutverdiener und höhere Löhne im Gesundheitswesen sind das Mittel der Wahl. Laschet setzte einen Treffer, als er darauf verwies, dass für Kleinunternehmer «die Einkünfte zugleich ihr Betrieb ist». Im Übrigen ließ er das Ungemach vorüberziehen, das Baerbock über ihm entlud. (...)

Am Ende wurde deutlich, worauf Laschet in der letzten Woche vor den Wahlen setzen will: auf innere Sicherheit und den Schutz vor «islamistischem Terror». Dieses Feld besetzt er in dieser Klarheit allein. Die Aussichten jedoch, dass er reüssieren kann mit einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Sicherheit, sind nach dem «Triell» ungewisser denn je. Laschet hat seine Chancen nicht genutzt, Scholz nicht attackiert und Baerbock zu wenig entgegengesetzt.»


«La Vanguardia»: Europa ohne Kanzlerin Merkel

MADRID: Die spanische Zeitung «La Vanguardia» kommentiert am Montag das bevorstehende Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels:

«Während Merkels Amtszeit war es unmöglich, die Geschichte ihres Landes von der der EU zu trennen. Sie hat Deutschland als führende Wirtschaftsmacht in Europa etabliert. Ihre Wirtschaftspolitik lässt sich trotz Licht und Schattens als positiv bezeichnen, aber sie hat es nicht vermocht, der CDU einen Wahlsieg zu sichern, Extremisten haben an Boden gewonnen und kommenden Sonntag könnten die Christdemokraten erstmals seit 16 Jahren die Wahl verlieren.

Mit Merkels Abgang dürfte sich in Deutschland vieles ändern. Diskret, ernst, pragmatisch und von lutherischer Moral, hat sie national und in Europa eine Art Hyper-Führung übernommen, die sie vielleicht nie wollte, die sie aber auszufüllen wusste. Sie ließ sich vom Gleichgewicht der Kräfte leiten, knüpfte Koalitionen, vermied Polarisierung und betrieb eine Politik der Mitte. Egal, ob Armin Laschet oder Olaf Scholz gewinnt, die Deutschen werden lernen müssen, ohne sie zu leben. Und das gilt auch ein wenig für Europa. Merkel war für viele nicht nur Bundeskanzlerin, sondern auch Europakanzlerin.»


«Duma»: Frankreich ist nicht irgendein Land

SOFIA: Zum neuen Indopazifik-Sicherheitsbündnis zwischen den USA, Großbritannien und Australien und zum geplatzten U-Boot-Deal mit Frankreich schreibt die bulgarische sozialistische Zeitung «Duma» am Montag:

«Auf Initiative der USA wurde in der vergangenen Woche die Schaffung des dreiseitigen Pakts zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA (Aukus) bekanntgegeben, der auf den indo-pazifischen Raum fokussiert ist und vor allem gegen China, aber auch gegen Russland gerichtet ist. Im Rahmen des Vorhabens musste Australien einseitig auf einen Deal zur Lieferung von 12 Diesel-U-Booten mit Frankreich verzichten, der 2016 unterschrieben wurde. (...)

Es (Frankreich) ist aber nicht irgendein Land und wird die Dinge nicht ohne Gegenantwort zur Bestrafung stehen lassen. Es wurden bereits die bekannten Aufrufe zum Austritt aus der Nato laut - in dieser Hinsicht hat das Land Erfahrung. Soweit dürfte es wohl kaum kommen. Wir können aber mit Sicherheit Initiativen und Botschaften aus Paris zu einer von den USA viel unabhängigeren Außenpolitik erwarten.»


«Nesawissimaja»: Neuauflage großer Koalition in Deutschland möglich

MOSKAU: Zum Wahlkampf in Deutschland schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Montag:

«Eine Woche vor der Parlamentswahl, die für den 26. September angesetzt ist, werden in Deutschland aktiv die Konfigurationen für die künftige Regierungskoalition diskutiert. Dabei ist die Frage, wen die in den Umfragen führenden Sozialdemokraten als Partner wählen. Allem Anschein nach beginnt der Angriff der Christdemokraten auf den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz Früchte zu tragen. (...)

Doch ist der leichte Popularitätszuwachs für die Konservativen bei gleichzeitigem Verharren der Sozialdemokraten auf ihrem Stand wohl darauf zurückzuführen, dass es die Möglichkeit der Fortsetzung einer großen Koalition gibt. Dabei würde aber diesmal in seiner solchen Koalition Scholz der Kanzler werden. Die Neuauflage einer großen Koalition in Deutschland ist also durchaus möglich.»


«The Guardian»: Merkel war Vorkämpferin der Konsenspolitik

LONDON: Die britische Zeitung «The Guardian» kommentiert am Montag das Ende der Ära Merkel in der europäischen Politik:

«Inmitten eines wiederauflebenden Nationalismus und einer starken politischen Polarisierung im Westen war die dienstälteste und einflussreichste europäische Regierungschefin des 21. Jahrhunderts eine wichtige Vorkämpferin für eine konsensorientierte, auf Regeln basierende Politik auf der Weltbühne. (...) In Europa waren ihre Fähigkeiten zur Konsensbildung meist ein enormer Vorteil, insbesondere bei der Sicherstellung der fiskalischen Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union während der Corona-Pandemie.

Aber die strengen Sparmaßnahmen, die den südeuropäischen Staaten während der europäischen Schuldenkrise Anfang der 2010er Jahre aufgezwungen wurden - auf denen Merkel und ihr damaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble bestanden hatten - waren zutiefst fehlgeleitet und antidemokratisch. Dabei wurde es versäumt, echte Mängel in der wirtschaftlichen Architektur der Eurozone zu beheben. Die Gegenreaktion führte zu einer Ära der politischen Turbulenzen und populistischen Aufstände und brachte den Nationalismus wieder in Mode.»


«NZZ»: Wahlen in Russland kein Ausdruck des freien Wählerwillens

ZÜRICH: Zu den Wahlen in Russland schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Montag:

«Wahlen in Russland sind seit Jahren kein Ausdruck des freien Wählerwillens mehr. Frühzeitige Absprachen, Mobilisierung und Demobilisierung von Wählerschichten, Manipulationen und plumpe Fälschungen gehören dazu. Noch entscheidender ist, wer überhaupt zur Wahl steht. Die Zulassung von Parteien und Kandidaten hängt von der Willkür der Behörden ab. Die Repressionswelle, die seit Monaten über das Land fegt, hinderte ganze Kategorien potenzieller Bewerber mit oppositioneller Gesinnung an der Kandidatur - allen voran diejenigen, die mit (dem inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej) Nawalny in Verbindung standen.»


«Politiken»: Putin sollte sich schämen

KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» (Kopenhagen) wirft anlässlich der Parlamentswahl in Russland einen Blick auf Präsident Wladimir Putin:

«Ob Putin eine freie Wahl mit freier Opposition, freier Organisation, freien Medien und freier Debatte gewinnen kann, werden wir niemals erfahren. Vermutlich genießt der russische Machthaber erhebliche Unterstützung in großen Teilen seines enormen Reiches. Aber der alte Geheimdienstagent geht kein Risiko ein und akzeptiert nichts Geringeres als einen Sieg, selbst wenn der die Verfolgung seiner Gegner und Einschränkung von deren Freiraum erfordert. Putin sollte sich schämen. Russland ist wirtschaftlich schwach und militärisch ein Riese auf tönernen Füßen. Und die russische «Wahl» bekräftigt, dass Putin ein gefährlicher Mann ist.»


«Nepszava»: Europa muss militärisch auf eigenen Beinen stehen

BUDAPEST: Über die Beziehung zwischen den USA und Europa nach dem Platzen des milliardenschweren französischen U-Boot-Deals mit Australien schreibt die linke Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Montag:

«Nun wurde klar und deutlich, dass auch die neue, auf Donald Trump folgende US-Administration dem Verhältnis zu Europa keine Priorität einräumt. Biden hält es für wichtiger, die Position seines Landes gegenüber China zu stärken, weshalb die amerikanisch-australischen Beziehungen Vorrang genießen. (...) Die gegenwärtige Affäre (um den U-Boot-Deal) und der eilige Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan halten für Europa die Lehre bereit, dass es in jeder Hinsicht auf eigenen Beinen stehen muss. Mit dem Schutzschirm Washingtons kann es immer weniger rechnen.»


«Wall Street Journal»: US-Grenzchaos erschwert Einwanderungsreform

NEW YORK: Zum Migrantencamp in der US-Kleinstadt Del Rio an der Südgrenze zu Mexiko und den Massenabschiebungen der USA schreibt das «Wall Street Journal»:

«Wenn Präsident Biden seine Chancen auf eine Einwanderungsreform untergraben wollte, könnte er es nicht besser machen als in seinen ersten acht Monaten im Amt. Die Ansammlung von Tausenden von Haitianern unter einer Brücke in der Nähe von Del Rio, Texas, in den vergangenen Tagen ist das jüngste Beispiel für das Versagen der Regierung und abartiger Anreize, die zu einem Chaos an der Grenze führen. (...)

Die Biden-Regierung behauptet immer wieder, die Grenze sei geschlossen, aber das spielt keine Rolle, wenn sie nicht daran arbeitet, die Gesetze zu ändern. Das Weiße Haus wird das nicht tun, weil es Angst hat, die Linken unter den Demokraten zu verärgern, die wollen, dass jeder Migrant jederzeit und aus jedem Grund in die USA einreisen kann. Dies ist politisch nicht tragbar, da es die Migranten und die Grenzgemeinden in Bedrängnis bringt. Es wird auch dazu führen, dass die Bevölkerung den Politikern hinsichtlich einer vernünftigen Einwanderungsreform, die mehr legale Einwanderung im Austausch für eine striktere Absicherung der Grenzen ermöglichen würde, weniger vertrauen dürfte.»


«Der Standard»: Die EU muss selbstständig werden

WIEN: Die Wiener Tageszeitung «Der Standard» kommentiert die Beziehung zwischen den USA und Europa am Montag:

«Eine richtige Partnerschaft sieht anders aus, das belegt nun auch der Aukus-Deal. Das Indopazifik-Sicherheitsbündnis zwischen den USA, Großbritannien und Australien, um China im Zaum zu halten, brüskiert vor allem Frankreich aufgrund des geplatzten Milliarden-U-Boot-Deals. Doch auch die EU wurde überrascht, wie der Außenbeauftragte Josep Borrell zugab.

Nun gibt es für die EU zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: weiter von der Politik im Weißen Haus abhängig sein. Oder sich emanzipieren und außenpolitisch selbstständig werden. Doch dafür müssen die EU-Mitgliedsstaaten auch Kompetenzen an Brüssel abgeben, etwa in Sachen Streitkräfte. Es liegt also an Berlin, Paris, Rom und Co. Will man in Zukunft in Sachen Weltpolitik mitreden, ist die Wahl klar.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.