Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Montag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«NZZ»: US-Wähler könnten ungleiche Maßstäbe nicht verzeihen

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Montag die beabsichtigte schnelle Besetzung des Postens der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg:

«Als im Februar 2016 mit Antonin Scalia der Bannerträger des konservativen Flügels am Supreme Court starb, verweigerte die republikanische Mehrheit im Senat dem von Barack Obama nominierten Richter Merrick Garland die Anhörung. Der Mehrheitsführer Mitch McConnell begründete dies mit der im November anstehenden Wahl - das Volk solle erst den Präsidenten und damit indirekt auch die Nachfolge am Gericht bestimmen. Es war ein präzedenzloser Akt der Machtpolitik, aber letztlich gekrönt von Erfolg.(...)

Dass McConnell nur Stunden nach Ginsburgs Tod verkündete, der Senat werde einen von Trump nominierten Nachfolger natürlich anhören, entlarvt ihn als zynischen Heuchler. (...) Ob die Wähler den republikanischen Wackelkandidaten in den «Swing States» die ungleichen Maßstäbe McConnells verzeihen würden, ist fraglich. Deshalb ist derzeit auch ungewiss, ob ihm alle Senatoren der Partei folgen werden. Gelingt jedoch die Berufung eines weiteren konservativen Richters noch vor dem 3. November, könnte der Preis dafür der Verlust der Mehrheit im Senat sein. Er wäre enorm hoch.


«Frankfurter Rundschau» zu Sanktionen der EU gegen Belarus

Es ist schon fast ein Kunststück, was die EU bei den möglichen Sanktionen gegen das Regime von Staatschef Alexander Lukaschenko fertiggebracht hat.

Zwar sind sich alle einige, dass die belarussische Führung gegen Demonstranten seit Wochen gewaltsam vorgeht, weshalb rund 40 Verantwortliche bestraft werden sollen. Dennoch können die Ministerinnen und Minister die Sanktionen nicht verabschieden. Überzeugend ist das nicht. Wichtiger als das Wie ist aber das Ob. Und bis zum EU- Gipfeltreffen Ende der Woche sollten die Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, damit die Staats- und Regierungschefs das grundsätzlich längst beschlossene außenpolitische Signal senden und Minsk klarmachen können, dass die Gewalt gegen Demonstranten aufhören muss. Dafür muss Zypern aber noch davon überzeugt werden, dass es keine gute Idee ist, zwei Probleme miteinander so zu verbinden, dass am Ende womöglich keines angegangen wird - so notwendig ein gemeinsames Vorgehen der EU gegenüber der Türkei auch sein mag.


«Süddeutsche Zeitung» zu Geldwäsche

Filigrane Änderungen in der Geldwäsche-Aufsicht reichen nicht.

Die Politik muss Banken radikaler zeigen, dass laxe Kontrollen nicht hingenommen werden. Experten gehen davon aus, dass 800 Milliarden bis zwei Billionen Dollar jährlich gewaschen werden, großteils mutmaßlich über Banken. Um das einzudämmen, braucht es ein klares Signal: Die Amerikaner, in deren Währung das meiste Geld gewaschen wird, sollten Wiederholungstäter vom US-Markt ausschließen. Europa wiederum sollte dringend die Behörden besser ausstatten, die gegen Geldwäsche kämpfen, und sich auch auf eine Anti-Geldwäsche-Verordnung einigen und den Flickenteppich aus Richtlinien entsorgen. Ein Schritt in die richtige Richtung ist es, dass in Deutschland künftig alle Straftaten als Vortaten für Geldwäsche gelten sollen. Geldwäscher konnten es bisher ausnutzen, dass im Strafrecht immer eine schlimme Vortat vonnöten war, um Geldwäsche verfolgen zu können, also handfeste Beweise für Betrug, Menschenhandel oder Drogenschmuggel.


«New York Times»: USA untergraben Integrität internationaler Abkommen

NEW YORK: Zu dem umstrittenen Alleingang der US-Regierung, internationale Sanktionen gegen den Iran wieder für gültig zu erklären, schreibt die «New York Times»:

«Es ist ein lobenswertes Ziel, den Verkauf von hoch entwickelten Waffen an den Iran verhindern zu wollen, gewährt der Iran doch verschiedenen gewalttätigen nichtstaatlichen Akteuren in seiner Region militärische Unterstützung. Aber seit fast zwei Jahrzehnten sind sich die Weltmächte darin einig, sich auf den größeren Preis zu konzentrieren: Den Iran davon abzuhalten, an eine Atomwaffe zu kommen. Snapback-Sanktionen könnten der letzte Sargnagel einer Vereinbarung sein, die genau dies tut, zumindest bis 2030.

Darüber hinaus haben die USA das Abkommen (mit dem Iran) 2018 verlassen. Diese einfache Tatsache kann ein Haufen verdrehter Auslegungen nicht ändern. Die USA haben kein Recht, sich auf eine rosinengepickte Bestimmung zu berufen, die ihrer eigenen Agenda dient, während sie den Rest der Vereinbarung verhöhnen. So funktionieren internationale Abkommen nicht. Das Vorgehen der Trump-Regierung untergräbt die Unverletzlichkeit jeder künftigen internationalen Übereinstimmung.»


«El País»: Polen muss eine «hassfreie Zone» werden

MADRID: Zu den Aktionen polnischer Gemeinden gegen Schwule und Lesben schreibt die spanische Zeitung «El País» am Montag:

«Die polnische Regierung darf angesichts der inakzeptablen Erklärungen von fast hundert Gemeinden zu »LGBTQI-freien Zonen« nicht passiv bleiben. Das sind diskriminierende Aktionen, die direkt gegen die Grundwerte der Europäischen Union verstoßen, der Polen als vollwertiges Mitglied angehört. Und sie verstoßen auch gegen die polnische Verfassung (...) Bedenklich ist zudem auch, dass gerade in Polen, einem Land, das wie kaum ein anderes unter der Tyrannei der Besatzung der Nazis litt, deren ideologischer Keim ja die Diskriminierung war, «freie Zonen» ausgerufen werden, die sich gegen polnische Bürger wegen ihrer sexuellen Orientierung richten und die Rechte dieser Menschen untergraben. Die Union darf sich nicht auf die verurteilende Rhetorik beschränken. Sie muss alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Warschau dazu zu zwingen, dieser Illegalität ein Ende zu setzen. Polen muss schon eine «freie Zone» werden, aber eine, die frei von Hass ist.»


«Verdens Gang»: Salvinis Schicksal hängt von Regionalwahlen ab

OSLO: Die norwegische Boulevardzeitung «Verdens Gang» (Oslo) kommentiert am Montag die Regionalwahlen in Italien und das Referendum zur geplanten Verkleinerung des italienischen Parlaments:

«Die italienischen Wähler halten das Jüngste Gericht über Matteo Salvini. Wenn sie an die Wahlurne treten, gilt für den charismatischen Rechtspolitiker das Motto «Gewinnen oder Verschwinden». Ohne selbst aufgestellt zu sein, hängt viel von Salvinis weiterem Schaffen als Parteichef, Anführer der italienischen Rechten und Posterboy des Euro-Populismus davon ab, ob die Kandidaten der Lega zentrale Regionen und Städte kapern werden. Unwahrscheinlich ist das nicht. Dann kann Salvini erleichtert ausatmen. Im gegensätzlichen Fall wird es in den italienischen Zeitungen am kommenden Morgen nicht um die lokalen Wahlergebnisse gehen. Sondern darum, wer neuer Lega-Chef wird.»


«Pravo»: Alle müssen an einem Strang ziehen

PRAG: Zum starken Anstieg der Corona-Fälle in Tschechien schreibt die linksgerichtete Zeitung «Pravo» aus Prag am Montag:

«In diesem Augenblick hilft es uns nicht zu fragen, wer über den Sommer was falsch gemacht oder die Entwicklung unterschätzt hat. Die strategische Aufgabe des Staates und der gesamten Gesellschaft ist es nun, einen zweiten Lockdown der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens zu verhindern. Ohne außerordentliche Maßnahmen wird man dabei nicht auskommen. (...) Doch möglicherweise sind wir bereits in einer Situation, in der alle bereit sind, unabhängig von politischen Präferenzen, an einem Strang ziehen. Ein kleiner Trost ist es vielleicht, dass wir mit diesem Problem in Europa nicht allein sind.»


«Financial Times»: Streit um Ginsburg-Nachfolge überschattet US-Wahl

LONDON: Zum Streit um die Nachfolge der verstorbenen US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg meint die Londoner «Financial Times» am Montag:

«Mit ihr hat die konservative Mehrheit des Obersten Gerichts ihre hartnäckigste Gegnerin verloren. Die Liberalen haben eine Persönlichkeit verloren, die sie sogar mehr geschätzt haben als die meisten demokratischen Präsidenten. Und die USA haben die Chance auf eine «normale» Wahl verloren, wie groß oder gering diese auch gewesen sein mag. Da bis zur Wahl eines Präsidenten nur noch sechs Wochen verbleiben, dürfte die Frage, wann und wie Ginsburgs Platz besetzt wird, die meisten anderen Themen verdrängen. (...)

In nur wenigen Demokratien sind Richter so bekannt und werden von ihrer jeweiligen eigenen «Seite» derart gehegt und gepflegt. Früher oder später werden die USA prüfen müssen, ob ein so politisiertes Oberstes Gericht, von dem jede Partei befürchtet, es an die andere zu verlieren, reformbedürftig ist.»


«La Repubblica»: Wie sehr uns die Union fehlt

ROM: Die römische Tageszeitung «La Repubblica» kommentiert am Montag die Bedeutung Europas für Italien und die mögliche Weiterentwicklung der EU durch die Coronavirus-Pandemie:

«Wo ist Europa? Was macht es für uns? Die mehr als 200 Milliarden aus dem Wiederaufbauprogramm, die Italien für die Überwindung der Covid-Krise bekommt, haben den hiesigen nun nicht mehr schreienden National-Souveränisten die Münder gestopft. Sogar Meloni und Salvini beschränken sich auf Kritik an den zeitlichen Abläufen, können aber nicht verkennen, dass Italien in diesem Fall mehr Kredite und Hilfsmittel als alle anderen bekommen hat, und das von der bei den rechten Patrioten so verhassten EU. Ein politisches und wirtschaftliches Ergebnis, das an der europäischen Front, nicht nur bei uns, große Begeisterung ausgelöst hat. Es ist das Zeichen einer strategischen Wende, die gemeinsam mit dem Wiederfinden der wirtschaftlichen Solidarität unter den Mitgliedsländern auch die Wiederaufnahme des Weges in Richtung des historischen Ziels der Vereinigten Staaten von Europa, markieren könnte.»


«Nesawissimaja»: Lukaschenko fürchtet keinen Bruch mit dem Westen

MOSKAU: Zur Lage im Machtkampf des umstrittenen Staatschefs Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Montag in Moskau:

«Die Einwohner von Belarus demonstrieren weiter und zeigen, dass ihre Forderungen nach Neuwahlen und einem Rücktritt Lukaschenkos unverrückbar sind. An Arbeitstagen demonstrieren sie in ihren Wohnvierteln und Regionen. Und an den Wochenenden versammeln sie sich zu Massenprotesten. Am Samstag wurden bei Aktionen von Frauen rund 500 Menschen festgenommen, dabei haben sie nicht einmal Widerstand geleistet. Die Festnahmen endeten erst, als die Gefangenentransporter voll waren. Viele wurden dann gleich wieder freigelassen, weil es auch in den Gefängnissen schon keine Plätze mehr gibt.

Am Sonntag waren auf den Straßen noch einmal mehr Sicherheitskräfte im Einsatz als sonst. Und wer auch nur so aussah, als könnte er an Protesten teilnehmen, wurde meist schon vor seinem Haus abgefangen (.) Ähnlich sah es in anderen Städten aus. Die Proteste gehen nicht zurück (.) Der Machtapparat behauptet dagegen weiter, es gebe keine Repressionen. Er sieht das Geschehen als Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung. Und Lukaschenko hat keine Angst vor einem Bruch in den Beziehungen mit dem Westen. Für den Fall von Sanktionen schließt Belarus als Antwort auch radikale Schritte nicht aus.»


«de Volkskrant»: Das Oberste Gericht der USA rückt weiter nach rechts

AMSTERDAM: Zum Streit zwischen Republikanern und Demokraten in den USA um die Nachfolge der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg heißt es am Montag in der niederländischen Zeitung «de Volkskrant»:

«Weil Bader Ginsburg (sehr) progressiv war und US-Präsident Donald Trump wahrscheinlich einen (sehr) konservativen Nachfolger benennen wird, dürfte sich der ideologische Schwerpunkt des Obersten Gerichts weiter nach rechts verschieben. Das neue Verhältnis von 6:3 für die Konservativen kann «kulturelle» Angelegenheiten - etwa Schwangerschaftsabbrüche oder LGBT-Rechte - entscheidend beeinflussen, aber auch die ethnische und wirtschaftliche Ungleichheit im Land weiter vergrößern und amtierende Machthaber beschützen.

Dabei kommen ein paar grundlegend «undemokratische» Aspekte der amerikanischen Demokratie zusammen, Trump wurde von keiner Minderheit der Amerikaner gewählt. Die Republikaner im Senat vertreten 18 Millionen Amerikaner weniger als die Demokraten (das kommt daher, das jeder Bundesstaat zwei Senatoren nach Washington delegieren kann - egal, wie viele Menschen dort leben). Die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof «vertritt» also eine Minderheit der USA.»

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