Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Moskaus Maßlosigkeit

Die Erklärung des russischen Außenministeriums zur Sperrung der deutschsprachigen Youtube-Kanäle des russischen Staatssenders RT ist in ihrer Maßlosigkeit eine lohnende Lektüre.

... Nach der Behauptung, hinter der «beispiellosen Informations-aggression» gegen Russland durch den amerikanischen Konzern stünden «ohne Zweifel» deutsche Behörden, wird die Wortschöp-fung «Infobarbarossa» in den Raum geworfen: eine Anspielung auf das «Unternehmen Barbarossa», den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941. Die Schließung zweier Youtube-Kanäle ..., wird in einer offiziellen Stellungnahme der russischen Regierung also mit dem nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gleichgesetzt, in dem viele Millionen Russen getötet worden sind. Das illustriert auf grelle Weise die Verachtung der Moskauer Machthaber für die Menschen in ihrem Land.


«Frankfurter Rundschau» zu SPD/Ampel

Die SPD befindet sich dabei in einer ungewohnten Rolle.

In der großen Koalition ließen die Sozialdemokraten sich ihre Bereitschaft zu regieren durch große inhaltliche Zugeständnisse der Union abkaufen. Jetzt muss die SPD überlegen, was sie zu geben bereit ist, um die Grünen und die FDP zu überzeugen. Der beste Garant für eine gelungene Regierung wäre, wenn es gelänge, nicht nur die Einzelinteressen der Parteien zu bedienen, sondern, wie Scholz es angekündigt hat, eine gemeinsame «Fortschrittserzählung» zu entwickeln. Jeder Partner muss sich fragen, was er von der Perspektive des anderen auch lernen kann. Sonst wird das Projekt nicht gelingen.


«Lidove noviny»: Kommunismus nicht verharmlosen

PRAG: Zum Sieg der kommunistischen KPÖ bei der Gemeinderatswahl im österreichischen Graz schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Mittwoch:

«Die Stadt Graz, das Land Österreich und die Europäische Union nehmen den Wahlsieg der Kommunisten mit Gelassenheit hin. Sie sehen darin keine Gefährdung des Rechtsstaats. In einem Land wie Tschechien, in dem Kommunisten vor der Wende von 1989 totalitär regiert haben, Menschen an den Grenzen erschossen oder in Uran-Arbeitslagern eingesperrt haben, hat Kommunismus indes eine andere Bedeutung. Es ist nicht nur eine Ideologie. Wenn in der EU in anderen Fragen Einigkeit verlangt wird, nicht aber im Umgang mit den Kommunisten, wird das Gefühl bestärkt, dass innerhalb Europas mit zweierlei Maß gemessen wird.»


«Sme»: Populist Babis ist in Tschechien wieder Wahlfavorit

BRATISLAVA: Die liberale slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Mittwoch zur Favoritenrolle des populistischen Regierungschefs Andrej Babis bei den tschechischen Parlamentswahlen in einer Woche:

«Nach acht Jahren in der Politik, davon vier als Premier, steht Andrej Babis wieder vor einem Wahlsieg in Tschechien. Wie ist es möglich, dass die Menschen solchen populistischen Politikern immer wieder und wieder ihre Fehler verzeihen und ihnen immer wieder ihre Stimmen geben? Vor der Wahl in Tschechien am 8. und 9. Oktober zeigen sich dafür fünf Gründe, warum die Bewegung ANO von Andrej Babis wieder in allen Meinungsumfragen führt.

Erstens führt er den besten Wahlkampf, zweitens nützt er alle Möglichkeiten eines gerade Regierenden, drittens missbraucht er die Medien, die ihm früher gehörten (und die nun formell einem Treuhandfonds überschrieben sind). Dazu kommen viertens die Fehler der Opposition und fünftens spielen die modernen Formen der Kommunikation solchen Populisten in die Hände. (...)

Tschechien war mit der Corona-Pandemie überfordert und hatte eine der weltweit höchsten Todeszahlen pro Million Einwohner. (...) Aber die Opposition konnte das Regierungsversagen nicht nützen, stattdessen lässt sie sich im Wahlkampf wieder sein Migrationsthema aufzwingen. Die Zeit der sozialen Netzwerke begünstigt Populisten und ihre Demagogie, ihre Manipulationen und Verdrehungen.»


«Corriere della Sera»: Will Deutschland wie die Schweiz sein?

ROM: Zur Analyse des Ausgangs der Bundestagswahl schreibt die italienische Tageszeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Mittwoch:

«Die Wahlen in Deutschland kamen am Ende eines Sommers, der uns Europäer mit oft ignorierten oder verdrängten Tatsachen konfrontiert hat: die geopolitischen Rivalitäten, die massiven Erschütterungen der zweitgrößten Wirtschaft der Welt, von denen der Zusammenbruch von Evergrande nur ein Symptom ist. Und die Signale, wonach die Welt auf einen Kalten Krieg zusteuert zwischen den USA und China, in den wir uns involvieren oder zumindest eine Rolle einnehmen sollen, um unsere eigenen Sicherheit zu garantieren.

Wenn das die Herausforderungen sind, welche Botschaft ging dann von der Wahl in Deutschland aus? Im Wahlprogramm der SPD kamen eine gemeinsame europäische Außenpolitik und ein Militär vor. In Berlin und den anderen Hauptstädten wiederholen die Politiker ihr Mantra von der «Souveränität», die geopolitisch und technologisch verloren gegangen ist. Es gibt aber eine Frage, die sich die Politiker offenbar nicht stellen: Was, wenn wir das gar nicht wollen?

Was, wenn die Gesellschaften in Deutschland und in den wichtigen Ländern Europas in Wahrheit als Modell die Schweiz haben? Wir kennen die Schweiz: eine solide, offene, dynamische Demokratie. Und irrelevant. Sie genießt die Vorteile der Globalisierung, ohne in die Angelegenheiten der Welt involviert zu sein.

Und was, wenn die Deutschen, mit uns allen, auf der internationalen Bühne das werden wollen, was die Schweiz für Europa ist? Eigentlich haben die Wähler am Sonntag zum Großteil für SPD und CDU gestimmt, die seit zehn Jahren genau auf dieser Linie regieren.»


«Dagbladet»: Vielversprechender Wandel in Deutschland

OSLO: Die norwegische sozialliberale Boulevardzeitung «Dagbladet» (Oslo) kommentiert am Mittwoch die Lage in Deutschland nach der Bundestagswahl:

«Deutschland steht wahrscheinlich vor langwierigen und harten Regierungsverhandlungen. Die Wahl wird in jedem Fall große Auswirkungen auf ganz Europa haben, nicht zuletzt innerhalb der EU. Dort ist die Arbeit am grünen Wandel in vollem Gange, die aus der Finanzkrise herstammende Sparpolitik ist vorbei und die EU begegnet Krisen nach der Pandemie mit massiven Ausgaben. Mit Scholz als Regierungschef in Berlin - und während die Konservativen dann in keinem der großen EU-Länder mehr regieren - werden sich diese Züge verstärken. Deutschland, der Anker Skandinaviens in Europa, steht somit vor einem Wandel, der vielversprechend ist.»


«Libération»: Grünen-Spitzenkandidat verkörpert Realismus

PARIS: Die französischen Grünen haben den Europaabgeordneten Yannick Jadot zum Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl 2022 bestimmt. Hierzu schreibt die französische Tageszeitung «Libération» am Mittwoch:

«Die 122.000 Teilnehmer an der Abstimmung haben (...) es vorgezogen, sich hinter den Kandidaten zu stellen, der zum Kompromiss bereit und Träger eines einenden Projektes ist. (...) Der Europaabgeordnete und ehemalige Greenpeace-Aktivist wird also in der Präsidentschaftskampagne jenen grünen «Realismus» verkörpern, zu dem man auf der anderen Seite des Rheins, in Deutschland, steht, der aber bei der französischen grünen Partei (...) nicht immer auf Wohlwollen stößt. Diese eher rationale statt leidenschaftliche Wahl beendet für die französischen Grünen den Prozess der Vorwahlen, der, man muss es hervorheben, hervorragend abgelaufen ist. Lange Zeit wurden die französischen Grünen für ihre Unreife verspottet, und das oft zu Recht, nun kann man ihnen eine schöne Demokratie-Lektion zugutehalten.»


«de Volkskrant»: Lindner unterstützt strenge EU-Haushaltspolitik

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» beschreibt FDP-Chef Christian Lindner am Mittwoch als potenziellen Partner für eine strenge EU-Haushaltspolitik:

«Während der Corona-Krise wurden die europäischen Haushaltsregeln - maximal drei Prozent Defizit und 60 Prozent Staatsverschuldung - vorübergehend ausgesetzt. FDP-Chef Christian Lindner, der gerne Finanzminister werden möchte, ist der Meinung, dass sie so schnell wie möglich wieder eingehalten werden sollten. (...) Derweil wird die Debatte darüber weniger heftig als früher geführt. Kürzlich ließen acht finanzpolitische Falken in der EU - darunter die Niederlande, Österreich, Finnland und Schweden - wissen, dass sie für eine flexible Anwendung der Vorschriften offen sind. Auch sie sehen, dass Länder wie Griechenland (209 Prozent Staatsverschuldung), Italien (160 Prozent) und Portugal (127 Prozent) ihrer Wirtschaft schaden könnten, wenn sie ihre Schulden zu rasch durch drastische Einsparungen abbauen würden. Wie auch immer: Sollte Christian Lindner Finanzminister werden, hätten die Niederlande und die anderen Falken einen wichtigen Verbündeten.»


«Nesawissimaja»: Über neue Verfassung in Belarus ist wenig bekannt

MOSKAU: Zur angestrebten Verfassungsreform in Belarus schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Mittwoch:

«Belarus hat die Diskussion über den Inhalt der Verfassungsreform wieder aufgenommen, obwohl Experten bereits daran zweifeln, dass sie überhaupt umgesetzt wird. Nach den vorliegenden Informationen sind die Konturen der neuen Verfassung jedoch noch nicht zu erkennen. Nach Ansicht von Experten ist (Machthaber) Alexander Lukaschenko noch nicht in der Lage, einen gefahrenfreien Platz in der neuen Architektur der Staatsmacht zu finden. «Das Referendum wird spätestens im Februar nächsten Jahres stattfinden», sagte er. (...)

Es sei daran erinnert, dass Lukaschenko bereits vor der Wahl das Thema Verfassungsreform angesprochen und versprochen hat, solche Änderungen vorzunehmen, die dem Präsidenten seine «zaristischen» Befugnisse nehmen sollen. Diese Entscheidung ist dadurch motiviert, dass nicht so anständige Leute wie das derzeitige Staatsoberhaupt an die Macht kommen und dem Land schaden könnten.»


«Irish Times»: Großbritannien spürt Folgen des Brexits

DUBLIN: Zu den Versorgungsproblemen in Großbritannien meint die in Dublin erscheinende «Irish Times» am Mittwoch:

«Es stimmt zwar, dass der Brexit nicht allein für die derzeitigen Versorgungsprobleme verantwortlich ist, aber die ihm zugrunde liegende Idee, die Zuwanderung zu begrenzen, hat zweifellos angesichts eines gravierenden Mangels an Kraftfahrern dazu geführt, dass sich der Engpass zu einer Krise ausweitete. Auf diese absehbaren Herausforderungen wurde in den letzten fünf Jahren wiederholt hingewiesen. Auch in anderen Sektoren zeigen sich ähnliche Probleme mit ähnlichen Ursachen. (...)

Die Beteuerungen von Verkehrsminister Grant Shapps, dass die Brexit-Politik in diesem Fall nur darauf abzielte, widerstrebende Arbeitgeber zu zwingen, die Löhne und Arbeitsbedingungen der Fahrer im Vereinigten Königreich anzuheben, sind unglaubwürdig. Schuld sollen nun die Spediteure sein, so scheint es, sowie alles und jeder - sogar Corona -, bloß nicht die ideologisch getriebenen Verfechter der Festung Großbritannien.»


«Tages-Anzeiger»: Lindner will nicht nur an Seitenlinie stehen

ZÜRICH: Zur Rolle von FDP-Chef Christian Linder bei den Sondierungen nach der Bundestagswahl schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Mittwoch:

«Die FDP, die kleinste der möglichen Parteien, soll eine Koalition eingehen, die sie eigentlich nicht will - mit dem Sozialdemokraten Olaf Scholz als Kanzler sowie den Grünen. Lindner würde lieber mit den Christdemokraten von Armin Laschet zusammengehen, aber dieses Bündnis ist bei den Deutschen schon jetzt so unerwünscht wie sein möglicher Kanzler. Das letzte Mal, als die FDP vor einer ähnlichen Aufgabe stand, verweigerte sich Lindner und zog damit den Zorn des ganzen Landes auf sich. Und diesmal? (...)

Ob die Erfahrung von damals Lindner in Hinblick auf die bevorstehenden Verhandlungen freier oder unfreier macht, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. (...) Sollte die FDP am Ende, irgendwann vor oder nach Weihnachten, tatsächlich in eine Regierung eintreten, würde Lindner seine Karriere in jedem Fall krönen. Man spürt schon lange, dass es ihm nicht mehr genügt, an der Seitenlinie zu stehen und alles besser zu wissen.»


«NZZ»: Wahl hat Habecks Position gestärkt

ZÜRICH: Dem Grünen-Chef Robert Habeck komme bei den Sondierungsgesprächen für mögliche Regierungskoalitionen eine Schlüsselrolle zu schreibt am Mittwoch die «Neue Zürcher Zeitung»:

«Anders als Baerbock geht Co-Chef Habeck gestärkt aus dem Wahlkampf hervor. Viele in der Partei rechnen es ihm hoch an, dass er Baerbock bei der Kanzlerkandidatur den Vortritt ließ. Vor allem aber halten sie ihm zugute, dass er sie auch dann noch unterstützte, als es im Wahlkampf holprig wurde und sich Baerbocks Fehler häuften. (...) Die Grundlage für seine neue Rolle hat Habeck schon vor Wochen gelegt. Bereits zu Beginn des Wahlkampfs haben die Parteioberen verabredet, dass er die anstehenden Koalitionsgespräche vorbereiten solle. Das kommt nicht von ungefähr. Habeck kann in die Gespräche seine siebenjährige Erfahrung als Landesminister von Schleswig-Holstein einbringen. Dort hat er auch schon Jamaika-Verhandlungen geführt. Damals ist auch die Idee entstanden, dass sich zunächst die kleinen Parteien treffen, um über Gemeinsamkeiten zu sprechen - so wie es Grüne und FDP nun vorhaben.»


«Wall Street Journal»: Biden handelte gegen Rat des Militärs

NEW YORK: Zu den Aussagen oberster US-Militärs bei einer Senatsanhörung zum Truppenabzug der Amerikaner aus Afghanistan schreibt das «Wall Street Journal»:

«Präsident Biden hofft, dass die politischen Folgen seines verpfuschten Afghanistan-Abzugs schnell verblassen werden, aber die Senatsanhörung am Dienstag mit dem Verteidigungsminister und zwei hochrangigen Generälen rückt seine Entscheidungen in kein besseres Licht.

Die Anhörung unterstrich, dass der Präsident gegen den Rat des Militärs handelte, als er die restlichen US-Kräfte aus dem Land herausriss. Generalstabschef Mark Milley und General Kenneth McKenzie machten beide in ihren Aussagen klar, empfohlen zu haben, dass etwa 2500 US-Soldaten in Afghanistan blieben, um eine Machtübernahme durch die Taliban zu hinauszuzögern. (...) Der Skandal besteht nicht darin, dass der Präsident den militärischen Rat ignorierte - er ist der Entscheidungsträger. Es ist seine Weigerung, zu seiner Entscheidung zu stehen. Herr Biden will politische Anerkennung für die Beendigung des amerikanischen Einsatzes in Afghanistan, aber er ist nicht bereit, das politische Risiko einzugehen, zuzugeben, dass er dabei die Befehlshaber überstimmte. (...) Der Abzug aus Afghanistan ist die größte US-außenpolitische Demütigung seit Jahrzehnten. Der Schaden wird durch das Versagen in Sachen Rechenschaft, angefangen beim Oberbefehlshaber (Joe Biden), verschlimmert.

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