Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Handelsblatt» zu Energiekosten

Die Gaspreise sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Menschen in den nächsten Jahren erwartet.

Das politisch beschlossene Ziel, bis 2045 klimaneutral zu wirtschaften, bedeutet nichts anderes als: Fossile Energieträger, ganz gleich ob Gas, Kohle oder Öl, werden teuer, richtig teuer. Wer sein Haus mit Öl oder Gas heizt, wird mehr bezahlen. Wer mit Benzin oder Diesel fährt, wird unweigerlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Für die Erkenntnis, dass die Energiepreise steigen, reicht ein Blick auf einen langfristigen Indikator: Der Zertifikatepreis beim Emissionshandel, dem etwa der Energiesektor und die Industrie unterworfen sind, hat sich in den vergangenen 24 Monaten bereits verdoppelt. Und er wird, ja, er soll mit politisch verknappten Zertifikaten weitersteigen.


«Gazeta Wyborcza»: Die CDU steht vor einem Erdbeben

WARSCHAU: Zum Bundestagswahlkampf schreibt die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Mittwoch:

«Im Wahlkampfstab der CDU ging man davon aus, dass Armin Laschet, Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, bei den TV-Debatten glänzen würde, die zum ersten Mal als Triell organisiert wurden. Er trat dort gegen den SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz und Annalena Baerbock von den Grünen an. Doch alle Runden gewann Scholz. Laschet halfen weder die Mobilisierung seiner Partei noch seine immer schärferen Attacken gegen Scholz, dem er die Verwicklung in Finanzaffären vorwirft. Wenn sich die Umfragen nicht irren, dann erhält Scholz den Auftrag zur Bildung der nächsten Regierung.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Nestor der CDU, ist überzeugt, dass Merkel die Schuld für diesen Zustand trägt. Die Attacken bekannter CDU-Politiker gegen Merkel sind nur ein Vorspiel für das, was die Partei erwartet, wenn sich am kommenden Sonntag das schwarze Szenario erfüllt und die CDU in der Opposition landet. Dann erwartet die Partei ein Erdbeben. Es wird ein harter Kampf um die Macht beginnen, und Kandidaten für Laschets Erbe gibt es mehrere.»


«Hospodarske noviny»: Prag und Berlin entfremden sich

PRAG: Vor den Wahlen in Deutschland und Tschechien blickt die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Prag am Mittwoch auf die gegenseitigen Beziehungen beider Staaten:

«In den Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland gibt es seit langem keine ernsteren Probleme, auch wenn sich unter der Oberfläche der effektiven Zusammenarbeit eine gewisse Leere breitgemacht hat. Die Parlamentswahlen in den beiden Nachbarstaaten könnten das verändern. Angela Merkel hört als Bundeskanzlerin auf. Gerade sie war die Garantin einer pragmatischen Politik und hat Spannungen bei Konfliktthemen entschärft, zum Beispiel bei Fragen der Migration und der Energiepolitik. Doch keiner ihrer möglichen Nachfolger hat eine besondere Beziehung zu Prag - genauso wie keiner der möglichen tschechischen Ministerpräsidenten eine besondere Nähe zu Berlin empfindet. Das ist die Folge eines langfristigen Problems, nämlich der gegenseitigen Entfremdung der politischen Parteien beider Länder.»


«Rzeczpospolita»: Im Streit mit der EU ist Polen in der Defensive

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» kommentiert am Mittwoch die wachsenden Spannungen zwischen Polen und der EU:

«Betrachtet man die Schlagzeilen (polnischer) Zeitungen in den vergangenen Wochen, dann sieht man dort eine Regelmäßigkeit. Die Regierung appelliert an die kommunale Selbstverwaltung, Anti-LGBT-Erklärungen zurückzuziehen, Bußgeld für Polens Regierung dafür, dass sie das Braunkohlewerk in Turow nicht schließt, die EU-Kommission beantragt beim EuGH Strafen für Polen, weil die Disziplinarkammer weiter arbeitet.

Das alles zeigt, wie heute unsere Europapolitik aussieht. Polen ist in der totalen Defensive, es hat viele offene Fronten mit der EU. Knapp eine Woche ist es her, dass die (nationalkonservative Regierungspartei) PiS eine Resolution verabschiedet hat, die den Polexit ausschließt. Statt leere Versprechungen abzugeben, sollte die Regierung lieber irgendetwas tun, um unser Verhältnis zu Brüssel wieder wärmer zu machen. Denn der Effekt der derzeitigen antieuropäischen Rhetorik wird eine wachsende antieuropäische Stimmung in der Bevölkerung sein, mit der die PiS später fertig werden muss. Der Polexit beginnt schließlich nicht mit Partei-Resolutionen, sondern mit Worten. Und er hat schon begonnen.»


«De Telegraaf»: Polens Regelverstöße haben Konsequenzen

AMSTERDAM: Im Streit um den Braunkohle-Tagebau Turow hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Polen zu einer Geldstrafe verurteilt. Dazu meint die niederländische Zeitung «De Telegraaf» am Mittwoch:

«Dass Warschau die europäischen Regeln ignoriert, ist nicht neu. Der Streit um den Tagebau fügt sich in ein Muster von Konflikten um Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und so genannte «europäische Werte» ein. Brüssel reagierte darauf jahrelang mit dem moralischen Zeigefinger. Während Polen die Hände nach noch mehr europäischem Geld ausstreckte.

Aber dieses Spiel scheint jetzt vorbei zu sein. Die EU-Behörden und einige Mitgliedstaaten - darunter der Nettozahler Niederlande - haben die Nase voll davon. Wer nicht hören will, muss fühlen. (...)

Ob Warschau dem Druck nachgeben wird, bleibt abzuwarten. Die kritische Haltung der PiS-Regierung gegenüber der EU kann mit der Unterstützung eines Teils der polnischen Bevölkerung rechnen. Vor allem bei der Generation, die sich einst von Moskau mundtot gemacht fühlte und nun nicht vergleichbare Gefühle mit Brüssel erleben will.»


«Nepszava»: Frauen in Afghanistan kämpfen um ihre Zukunft

BUDAPEST: Zur Lage der Frauen unter dem neuen Taliban-Regime in Afghanistan schreibt die links-liberale Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Mittwoch:

«Sie können mit niemandes Hilfe rechnen, dennoch geben sie den Kampf nicht auf. Sie riskieren alles, um Gleichberechtigung, Respekt und ein Berufsleben für sich zu fordern, um die Chance auf ein vollwertiges Leben zu bewahren. (...) Unter Einsatz von Gewalt, insbesondere wenn sie sie zu Blutvergießen führte, könnten die Taliban die Straßenproteste der Frauen gewiss beenden; ihr Sehnen nach Gleichberechtigung lässt sich schon viel schwieriger unterdrücken. Jene Mütter, die zur Schule gegangen sind und etwas gelernt haben, werden alle tun, um ihre Töchter zu Selbstbewusstsein, ihre Söhne zu Respekt gegenüber Frauen zu erziehen. Um jene zivilisatorische Saat weiterzugeben, deren Frucht über den Barbarismus der Taliban zu siegen vermag.»


«Dernières Nouvelles d'Alsace»: TGV hat Stadt-Land-Gefälle verstärkt

STRAßBURG: Den 40. Geburtstag des Hochgeschwindigkeitszuges TGV kommentiert die ostfranzösische Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» am Mittwoch:

«Das Elsass und die Elsässer sind in guter Position, um zu ermessen, wie sehr der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV, auf den sie so lange gewartet haben (...), den Raum und die Zeitverhältnisse verändert hat. Während man zu Beginn der 2000er Jahre fast vier Stunden benötigte, um von Straßburg nach Paris zu gelangen, braucht man heute nur noch zwei, und natürlich verändert das alles. Bei mehr als 320 Kilometern pro Stunde sieht man die Welt nicht mehr unbedingt auf die gleiche Art. Paris ist näher (...) und andere Lebensweisen sind sichtbar geworden. (...) Der Kurzurlaub-Tourismus in Richtung dieser Riesenstädte, die nun innerhalb von zwei oder drei Stunden zu erreichen sind, ist nach oben geschnellt, die Immobilienpreise auch. Frankreich hat sich ausgedehnt, sich paradoxerweise aber auch zusammengezogen, und zwar für jene, die in der Peripherie wohnen und dabei zusehen mussten, wie das Bahnangebot zurückging, die kleinen Bahnlinien (...), eine nach der anderen stillgelegt wurden. Bei der Ankündigung, sechs neue TGV-Linien zu bauen und das Schienennetz zu vergrößern, müssen die genannten Parameter unbedingt beachtet werden.»


«Financial Times»: Peking erteilt Evergrande eine Lektion

LONDON: Die Londoner «Financial Times» kommentiert am Mittwoch den drohenden Zusammenbruch des überschuldeten chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande:

«Der Zusammenbruch von Evergrande sollte richtigerweise als eine kontrollierte Explosion betrachtet werden. Peking erteilt dem Bauunternehmen eine sehr öffentliche und schmerzhafte Lektion. Es will damit den Hunderten von Unternehmen im chinesischen Immobiliensektor klarmachen, dass es ihm mit den «drei roten Linien», die es letztes Jahr verkündet hat, ernst ist. Diese Beschränkungen der Verschuldung, die Bauträger in ihren Bilanzen haben dürfen, sollen Krisen abwenden, nicht verursachen. (...)

Xi Jinping, Chinas autoritärer Staatschef, ist eindeutig ein Befürworter des harten Durchgreifens im Immobiliensektor. 2017 sagte er, dass «Häuser zum Wohnen da sind, nicht zum Spekulieren». Aber er und China sollten vorsichtig sein, wenn sie Immobilienentwickler zurechtstutzen. Wenn man das zu stark und zu schnell macht, könnte das zu einer abrupten Verlangsamung des chinesischen Wachstums führen - mit globalen Folgen.»


«Corriere della Sera»: Merkels verzweifelte Hilfe für Laschet

ROM: Zur Bundestagswahl und dem Wahlkampfauftritt von Angela Merkel mit CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in Stralsund schreibt die Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Mittwoch:

«Es ist ein verzweifeltes Manöver von Merkel, die aus dem Olymp herabsteigen muss, auf den sie sich während des ganzen Wahlkampfs zurückgezogen hatte, um ihre Unterstützung zu zeigen für einen Kandidaten und eine Partei, zu denen sie vielleicht nie richtig gehört hat. «Die Partei ist mir nahe», hatte sie in den vergangenen Wochen gesagt, ehe sie den Lapsus bemerkte und ergänzte: «Und von der ich ein Teil bin.»

Aber jetzt ist keine Zeit mehr für Unterscheidungen, Fauxpas und objektive Feinheiten. Es fehlen noch fünf Tage bis zur Wahl am Sonntag und Armin Laschet, der Ritter aus Aachen, der sich sogar als Ahne von Karl dem Großen brüstet, scheint immer mehr in Not. (...)

Da ist kein Enthusiasmus in den Aussagen der Kanzlerin, um ehrlich zu sein war da nie einer. Aber für Armin Laschet reicht es. Wichtig für ihn ist, dass sie neben ihm steht. (...) Denn nach 16 Jahren ist immer noch sie die beliebteste Politikerin der Deutschen, die unsicher und nervös sind vor der Aussicht, die Mutter der Nation zu verlieren. (...)

Am Freitag und Samstag wird Angela Merkel noch einmal mit Laschet in Aachen sein, ein letzter Ruf zu den Waffen für die Christdemokraten. Schon 2017 schloss die Kanzlerin mit Laschet den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ab. Er wurde überraschend gewählt, bezwang die sehr beliebte Sozialdemokratin Hannelore Kraft. So ein großes Wunder zu wiederholen, das scheint dieses Mal noch viel komplizierter.»


«Dagbladet»: Biden macht in U-Boot-Streit einen Trump

OSLO: Die norwegische sozialliberale Boulevardzeitung «Dagbladet» (Oslo) kommentiert am Mittwoch den Streit um den geplatzten Verkauf französischer U-Boote an Australien:

«Es herrscht Krieg in unserem westlichen Idyll. Der ist zwar «nur» diplomatisch, doch es ist ein diplomatischer Orkan, wenn Frankreich seine Botschafter aus den USA und aus Australien zurückruft. Frankreich hat das seit den 1970er Jahren nicht mehr getan. Wenn das Land sagt, dass es in den Rücken gestochen worden ist, dann geschieht das nicht ohne Grund. Der neue Sicherheitspakt (Australiens mit den USA und Großbritannien) wurde in aller Heimlichkeit und hinter Frankreichs Rücken verhandelt. US-Präsident Joe Biden hat einen Trump gemacht und einem seiner engsten Verbündeten in den Schritt getreten.»


«Público»: Merkels schweres Erbe

LISSABON: Die portugiesische Zeitung «Público» kommentiert am Mittwoch das bevorstehende Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels:

«Am Sonntag endet eine Ära. Angela Merkel wird dann zu einem Teil der politischen Geschichte. Kaum jemand traute ihr anfangs eine große politische Zukunft zu. Aber sie wurde Deutschlands erste Kanzlerin und diente vier Amtszeiten. Doch ihr Erbe ist widersprüchlich: zwischen ethischem Idealismus und politischem Pragmatismus, zwischen ideologischen Prinzipien und wirtschaftlichen Interessen, zwischen einem europäischen Deutschland und einem deutschen Europa. Kurz gesagt, zwischen Krisen und verpassten Chancen.

Zu nennen wären die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, die Corona-Krise. Bei letzterer sorgte sie anders als bei der Eurokrise dafür, dass sich in der EU Solidarität gegen das Sparprinzip durchsetzte. Das hat Europa stärker gemacht. Auch auf internationaler Ebene ist die Bilanz widersprüchlich. Es begann mit der Verteidigung der Ideale der Demokratie und der Menschenrechte und endete gegenüber Russland und China eher gedämpft durch die Interessen der deutschen Industrie. Unter Merkel wurde Deutschland zwar zur drittgrößten Handelsmacht, aber es fehlt die geopolitische Komponente. Die aber brauchen Deutschland und Europa. Eine schwere Aufgabe für die Erben.»


«NZZ»: Trudeau hat sich verschätzt

ZÜRICH: Dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau ist es nicht gelungen, bei vorgezogenen Wahlen die erhoffte absolute Mehrheit für seine Liberale Partei zu gewinnen. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Mittwoch:

«Wie konnte sich Trudeau derart verschätzen? Besonders zwei Faktoren haben zum Misserfolg beigetragen: die Unzufriedenheit der Bevölkerung über den unnötigen Wahlgang in Corona-Zeiten und die Mäßigung - das heißt die Bewegung in Richtung Mitte - der neuen Führung der Konservativen. Schon früh im Wahlkampf zeigte sich, dass die Parlamentswahl mitten in der vierten Corona-Welle bei vielen Wählerinnen und Wählern unbeliebt war und dies an der Popularität von Trudeau kratzte. Der Premierminister stand da als einer, der aus purem machtpolitischem Egoismus mit der Wahl wertvolle Zeit im Kampf gegen Corona vergeudete und die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel setzte. (...)

Nun ist die kanadische Politik wieder zurück auf Feld eins. Nicht nur die Liberalen, auch die Konservativen werden im neuen Parlament etwa gleich stark sein wie bisher. Wie nach mehreren Skandalen in seiner ersten Amtszeit von 2015 bis 2019 steht Trudeau aber geschwächt da. Es bleibt abzuwarten, ob er sich nochmals erholen kann und die neue Amtszeit wird vollenden können.»


«WSJ»: Bidens Afghanistan-Appelle vor UN realitätsfern

NEW YORK: Zu den Äußerungen von Joe Biden bei seiner ersten Rede als US-Präsident vor der UN-Vollversammlung schreibt das «Wall Street Journal» am Mittwoch:

«Wenn diese Worte bloß die Realität der Welt widerspiegeln würden, in der er (US-Präsident Joe Biden) und Amerika sich in den nächsten vier Jahren bewegen müssen. (...) Nirgendwo war Bidens Rhetorik so weit von der Realität entfernt wie bei den Themen Frauen und Afghanistan. (...) Bisher deutet in Kabul alles darauf hin, dass die islamistische Gruppe zu demselben mittelalterlichen Umgang mit Mädchen und Frauen zurückkehrt, den sie durchsetzte, als sie das Land das letzte Mal kontrollierte.

Vielleicht denkt die Regierung, dass ihre gut gemeinten Appelle an die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht schaden können. Aber die Dissonanz zwischen den Worten der Regierung und ihren Taten, mit denen sie Afghanistan den Taliban überlassen hat, diskreditiert ihr liberales humanitäres Projekt.

Keine andere Aktion eines amerikanischen Präsidenten hat mehr Frauen geschadet als der planlose Rückzug von Mr. Biden aus Afghanistan. Edle, doch nutzlose Appelle in Turtle Bay (Viertel im Stadtbezirk Manhattan, Sitz des UN-Hauptquartiers) können diese Realität nicht wettmachen.»

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