Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Rundschau» zum Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson

Nach Astrazeneca nun auch Johnson & Johnson: Wieder ist es ein Vektorimpfstoff, der in Verbindung mit Hirnvenenthrombosen steht.

Zufall? Eher nicht. Bei keinem der auf anderen Technologien basierenden Covid-Vakzine hat man solche Fälle bislang in signifikanter Häufung beobachtet. Ein Zusammenhang mit dem Vektorprinzip drängt sich deshalb auf. Was bedeutet das für die Praxis? In den USA ist man auf Vektorvakzine kaum angewiesen, dort verkündete Chef-Immunologe Anthony Fauci, man werde den Impfstoff von Astrazeneca nicht brauchen. In der EU jedoch braucht man die Vektorvakzine, soll die Impfkampagne nicht noch weiter ins Stocken kommen. Um etwas mehr Sicherheit zu erhalten, könnte geprüft werden, ob es möglich ist, vorbeugend etwas gegen die Bildung dieser Thrombosen zu geben. Das Beste wäre, man käme auch in der EU in die Lage, auf diese Vakzine verzichten zu können: wenn genug andere zur Verfügung stehen. Sputnik V als Vektorimpfstoff dürfte allerdings kaum die beste Wahl sein.


«Stuttgarter Zeitung» zu internationalem Truppenabzug aus Afghanistan

Genau 20 Jahre nachdem die von Al-Kaida-Führer Osama bin Laden in seinem Versteck in Afghanistan geplanten Terrorangriffe auf New York und Washington die Weltmacht bis ins Mark erschütterten, will US-Präsident Biden das dunkle Kapitel für erfolgreich abgeschlossen erklären.

Die vielen Menschenleben, die der Konflikt in Afghanistan gekostet hat, die vielen Milliarden an internationaler Hilfe, die ins Land geflossen sind, könnten umsonst gewesen sein. Um dies zu verhindern, darf die internationale Gemeinschaft ihre Mission in Afghanistan nicht als erfüllt ansehen. Deutschland, Europa und die USA brauchen eine langfristige Strategie, wie sie das Land politisch, wirtschaftlich und in gewissem Umfang auch militärisch unterstützen.


«Handelsblatt» zur Lage der Union

Mit dem unausgegorenen Entwurf zum Infektionsschutzgesetz werden die Gräben in der Unionsfraktion, die wegen des Gezerres um die Kanzlerkandidatur ohnehin vor der Zerreißprobe steht, weiter vertieft.

Und der kleine Koalitionspartner nutzt die Schwäche weidlich aus: «Kurzarbeitergeld, Kinderzuschlag, Kanzlerkandidat - K-Fragen, die wir schon geklärt haben», twittern genüsslich die Sozialdemokraten. Wer immer schon geargwöhnt hat, dass in Wahrheit eine SPD-Kanzlerin an der Spitze der Regierung steht, dürfte sich nun erneut bestätigt fühlen. Die SPD hat ihre Testpflicht in Unternehmen bekommen, die Kanzlerin steht noch mit leeren Händen da.


«De Tijd»: Nach Corona müssen Staatsschulden wieder begrenzt werden

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Tijd» plädiert am Mittwoch für eine strenge Haushaltsdisziplin nach dem Ende der Corona-Krise:

«Angesichts der Corona-Pandemie hat die EU-Kommission die Gelben und Roten Karten stecken lassen. Aber wenn die Krise vorbei ist, sollten die Spielregeln wieder strikter gehandhabt werden. (...) Die Normen für das Haushaltsdefizit und die Staatsschulden waren eingeführt worden, um zu verhindern, dass unterschiedliche Entwicklungen der Euroländer die Einheitswährung platzen lassen. Aber nun heißt es, es sei kein Problem, dass Defizit und Schulden sich in einigen Ländern in Grenzen halten, während sie in anderen sehr hoch sind.

Tatsächlich ist das so, weil die Europäische Zentralbank in bislang ungekanntem Ausmaß Mittel einsetzt, um die Zinsen in allen Euroländern künstlich auf niedrigem Niveau zu halten. Kann und soll die EZB ewig so weitermachen? Diese Annahme ist gefährlich. Denn die Welt verändert sich. Wer am Ruder ist, muss den Blick nach vorn richten und erkennen, dass die Zügel wieder angezogen werden müssen. Angenehm ist das nicht. Aber es ist erforderlich, um eine große wirtschaftliche Misere zu vermeiden.»


«De Telegraaf»: Nato-Einsatz in Afghanistan hat keinen Frieden gebracht

AMSTERDAM: Zum Abzug der US-Truppen aus Afghanistan schreibt die niederländische Zeitung «De Telegraaf» am Mittwoch:

«In den 20 Jahren (des internationalen Militäreinsatzes) sind junge Amerikaner, Niederländer, Briten und andere westliche Verbündete in Afghanistan gestorben. Und es wurde betont, dass sie den Westen beschützen und Frieden bringen würden. Letzteres ist mit Sicherheit nie geglückt. (...)

Gleichzeitig haben auch die demokratischen Reformen nicht wirklich funktioniert. Korruption war und ist weit verbreitet. Wieder einmal zeigt sich, dass es fast unmöglich ist, einem Land von oben Veränderungen aufzuzwingen. Es hat einige hoffnungsvolle Verbesserungen gegeben, besonders für Frauen. Es darf wieder Musik gespielt werden.

Afghanistan hat sich in den letzten zwanzig Jahren definitiv verändert. Aber die große Frage ist, ob trotz der Tausenden von Milliarden Euro, die die westlichen Verbündeten in das Land gepumpt haben, nicht doch alles umsonst gewesen sein wird. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Taliban wieder die Macht übernehmen. Die Amerikaner gehen erleichtert. Die Afghanen haben Angst.»


«San Francisco Chronicle»: Eher Sorgen um Corona als Impfstoff machen

SAN FRANCISCO: Die Behörden in den USA haben eine vorübergehende Aussetzung der Impfungen mit dem Wirkstoff von Johnson & Johnson empfohlen, nachdem bei sechs Menschen im Land danach Sinusvenenthrombosen erfasst wurden. Dazu schreibt die Zeitung «San Francisco Chronicle» am Mittwoch:

«(Die Arzneimittelbehörde FDA und die Gesundheitsbehörde CDC) empfahlen am Dienstag eine Unterbrechung bei der Verabreichung des Impfstoffs von Johnson & Johnson aufgrund von Berichten über eine ungewöhnliche und gefährliche Art von Blutgerinnseln, die nur sechs Geimpfte von insgesamt fast sieben Millionen in den USA betreffen. Das Coronavirus hingegen hat mehr als 1700 Todesfälle pro eine Million Amerikaner verursacht. (...)

Im Zeitalter der von den sozialen Medien angeheizten Falschinformationen besteht die Gefahr, dass die Aussetzung der Impfungen noch mehr Menschen anfällig für den Einfluss von Impfgegnern macht - und damit auch für das Virus. (...)

Da das Risiko einer Übertragung des Coronavirus mit der Ausbreitung hochansteckender Varianten wächst, sollten sich die Behörden in erster Linie um das Schüren unangebrachter Impfängste und die weitaus größere Gefahr, die das Virus mit sich bringt, sorgen.»


«Kommersant»: Treffen Bidens mit Putin könnte Wendepunkt werden

MOSKAU: Zum Vorschlag von US-Präsident Joe Biden, sich mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu treffen, schreibt die Moskauer Tageszeitung «Kommersant» am Mittwoch.

«In einem Moment, da Moskau und Washington ihre schlimmste Konfrontation durchmachen, rief der Initiator der Eskalation, US-Präsident Joe Biden, am Dienstag seinen russischen Kollegen Wladimir Putin an. Er erörterte mit ihm Fragen der strategischen Stabilität und schlug ihm ein Treffen in einem Drittstaat vor. Der Anruf von Joe Biden im Kreml ist der wichtigste Schritt hin zu einer Deeskalation, um die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen Russland und den USA abzuwenden. (...)

Sollte die Initiative Joe Bidens für ein Treffen mit Wladimir Putin in einem Gipfel-Format wirklich mit Leben erfüllt werden, dann könnte das ein Wendepunkt in einer seit Jahren andauernden Eskalation in den russisch-amerikanischen Beziehungen werden, die noch in der Endphase von Präsident Barack Obama begann und sich unter Donald Trump fortsetzte. (...)

Doch die Wirklichkeit gibt keinen Anlass auch nur zu vorsichtigem Optimismus. Vielmehr gibt es Grund zur Annahme, dass der amerikanische Präsident mit Wladimir Putin auch darüber gesprochen hat, dass neue Sanktionen unausweichlich seien und härter würden als die bisherigen. Und wenn diese Sanktionen wirklich kommen, dann kann schon keine Rede mehr von einem Treffen beider Präsidenten in einem dritten Land sein.»


«La Stampa»: Ukraine-Konflikt hat explosives Potenzial

ROM: Zum Konflikt zwischen der Ukraine und Russland schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Mittwoch:

«Dreißig Jahre nach der Feier seines Endes heizt sich der Eiserne Vorhang wieder auf. Nur dass er viel weiter östlich liegt als während des Kalten Krieges. Weit im damaligen sowjetischen Gebiet. Im Epizentrum: die Ostukraine. (...)

Keine Seite behauptet, einen offenen Krieg zu wollen, und das ist wahrscheinlich ernst gemeint. Aber man zeigt die Bereitschaft zur Vergeltung mit Feuer und Flamme für den Fall eines Angriffs durch die Gegenseite. Das ist ein Muster, das es in der Geschichte bereits unzählige Male gab wenn es zum Ausbruch von Feindseligkeiten kam, wenn auch nur aus Versehen. In dem sehr angespannten Klima der russisch-amerikanischen Beziehungen ist es daher besser, das explosive Potenzial der Muskel-Demonstrationen entlang des neuen Eisernen Vorhangs nicht zu unterschätzen.»


«El Mundo»: Putin muss gestoppt werden

MADRID: Zum Konflikt in der Ostukraine schreibt die spanische Zeitung «El Mundo» am Mittwoch:

«Die Manöver von (Kremlchef Wladimir) Putin verschärfen die Eskalation der Spannungen. Mit seiner üblichen Heuchelei spielt der russische Autokrat die Bedeutung seiner jüngsten militärischen Machtdemonstration herunter, der größten seit 2014. Aber die internationale Gemeinschaft ist sich darüber im Klaren, dass dieser Funke das Feuer im ukrainischen Wespennest neu entfachen könnte. Sie hat deshalb bereits mehrere Botschaften an Russland geschickt, sich zurückzuziehen. Die Außen- und Verteidigungsminister der USA haben sich mit Vertretern Europas getroffen, um zu erreichen, dass sich sowohl Brüssel als auch die Nato auf eine gemeinsame Position einigen. Und US-Präsident Joe Biden hatte gestern ein Telefongespräch mit Putin, in dem er ihn zur Deeskalation aufforderte (...)

Moskau verfolgt schon seit vielen Jahren das Ziel, die Demokratisierung der Länder zu verhindern, die sich in seinem Einflussbereich befinden. Dabei schreckt es auch vor Invasionen nicht zurück. Putins Vorgehen ist inakzeptabel und stets gefährlich. Er muss gestoppt werden.»


«Dziennik»: Lektionen aus dem Georgien-Krieg

WARSCHAU: Die Eskalation im Konflikt um die Ostukraine kommentiert die polnische Wirtschaftszeitung «Dziennik Gazeta Prawna» am Mittwoch:

«Bevor die Russen 2008 Georgien angriffen, organisierten sie über viele Wochen eine Serie von ungefährlich aussehenden militärischen Zwischenfällen an der Grenze zu Nordossetien und Abchasien. Die Amerikaner, die damals Michail Saakaschwili berieten und unterstützten, waren sich darüber im klaren, dass es darum ging, den emotionalen und häufig unkontrolliert agierenden georgischen Präsidenten zu einer Reaktion zu zwingen. Am besten zu einem spektakulären Verbrechen an Zivilisten, um damit die Notwendigkeit (für Russland) zu schaffen, «Frieden zu bringen».

Wenn sich die derzeitigen russischen Truppenbewegungen entlang der ukrainischen Grenze, im Donbass und auf der Krim in einen offenen Konflikt verwandeln, dann wird die Welt sicherlich als erstes von einem «Verbrechen ukrainischer Nationalisten» erfahren. Genau das fürchten polnische Militärkreise und Diplomaten. Eine Variante, in der Russland das Szenario so dreht, dass in der Metathese die Ukraine die Schuld oder die Mitschuld hat. Und der Westen - besonders Frankreich und Deutschland - wird beginnen, das zu glauben. Denn im Grunde glaubt er es schon jetzt.»


«Tages-Anzeiger»: Zweifel an Laschets Zugkraft im Wahlkampf

ZÜRICH: Zum Ringen um die Kanzlerkandidatur von CDU/CSU schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Mittwoch:

«So stellte sich der Eindruck eines Gremiums ein, in dem zwar viele an der Zugkraft Laschets im Wahlkampf zweifeln und deswegen um ihre Mandate fürchten. Ein breiter Aufstand zugunsten Söders blieb jedoch aus. Einen solchen hätte der CSU-Chef aber nach Ansicht vieler Beobachter gebraucht, um das Votum der viermal grösseren Parteischwester für Laschet noch zu kippen.

Wie es im Machtkampf nun weitergeht, ist noch nicht klar. Beide Parteien scheinen aber bemerkt zu haben, dass sie sich nun möglichst schnell einigen sollten. (...)

Die Unzufriedenheit mit Laschet ist wenig überraschend dort am lautesten, wo bald Landtagswahlen anstehen oder die CDU in der Opposition schmort: in den ostdeutschen Landesverbänden Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern etwa oder in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg. In diesen Bundesländern verspricht man sich mit Söder schlicht mehr Erfolg als mit dem Chef der eigenen Partei.»


«NZZ»: Die EU hat sich erpressbar gemacht

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Mittwoch das angespannte Verhältnis zwischen der EU und der Türkei:

«Die Strategie der EU, die um ihre Erpressbarkeit weiß, ist auf Deeskalation ausgelegt und auf das, was man in Brüssel eine «positive Agenda» nennt: Rasselt die Türkei nicht weiter mit dem Säbel, bietet man ihr einen Ausbau der Zollunion und weitere Annehmlichkeiten an. (...)

Das Niedersinken eines gerissenen Despoten und eines tollpatschigen Ratspräsidenten auf zwei goldverzierten Präsentierstühlen wird der Öffentlichkeit noch lange als Sinnbild einer EU im Gedächtnis bleiben, die sich von einem autoritären Regime auseinanderdividieren lässt. Es ist richtig, dass die brüskierte Kommissionschefin, die am Sofarand um ihre Fassung rang, diesen Vorfall nun aufarbeiten will.

Der eigentliche Skandal von Ankara aber ist, dass die Europäer den Spieß nicht längst umgedreht haben und Erdogan mit wirtschaftlichen Strafmassnahmen drohen. Wie kühn wäre es, sich eine EU vorzustellen, die mit ihrem Nachbarn auf Augenhöhe spricht und sich nicht zu einer Bittstellerin degradieren lässt? Eine EU, die ihr Wertesystem ernst nimmt und Menschenrechtsfragen in den Mittelpunkt stellt? In Wahrheit bleibt sie aber wohl vorerst eine, die am Katzentisch Platz nehmen muss.»


«Le Figaro»: Die Geduld der Franzosen ist am Ende

PARIS: Zur aktuellen Lage der Corona-Pandemie in Frankreich schreibt die konservative Tageszeitung «Le Figaro» am Mittwoch:

«Wann werden wir - wie die Engländer - die einfache Freude eines Drinks an der frischen Luft wiedererleben dürfen? Mit der Rückkehr der warmen Tage sind die Franzosen, die seit Monaten zu Hause eingesperrt sind (...), besessen von dieser Frage. Mitte Mai? Ende Mai? Mitte Juni? (...) Man muss schon ein leidenschaftlicher Stubenhocker sein, um ignorieren zu können, wie sehr ein Jahr des Ausnahmezustands selbst die Geduld der freundlichsten Gemüter überstrapaziert hat. Die Einschränkungen für das Familienleben, das Einschlafen aller sozialen Beziehungen und die Beschränkungen für das berufliche Umfeld haben eine Grenze erreicht.»

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