Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zur Corona-Politik

(.) Die Debatte im Bundestag und das Geschehen vor dem Brandenburger Tor zeigten vielmehr, dass der Vorwurf, das Parlament und die Verfassung seien "ausgeschaltet" worden, begierig aufgegriffen wird, um eine Merkel-Monarchie zu kritisieren, wo keine ist.

Den Kräften, die dahinterstehen, geht es nicht um Differenzierung, auch nicht um Corona, sondern darum, die demokratische Welt auf den Kopf zu stellen (.) Statt sich in diese Falle locken zu lassen, sollte sich die Politik mit einer Corona-Zweiklassengesellschaft beschäftigen: (.) Es überrascht (.) nicht, dass die Unzufriedenheit sich auf zwei große Minderheiten verteilt: Den einen sind die Maßnahmen zu hart, den anderen nicht hart genug. Beiden gerecht zu werden ist schier unmöglich. Das Joch der Corona-Politik ist es, sich damit nicht zufriedengeben zu dürfen.


«Frankfurter Rundschau» zum Infektionsschutzgesetz

Die AfD spielt sich als Verteidigerin des Grundgesetzes auf, und ihr rechtes Umfeld faselt von "Ermächtigungsgesetz" - kann es überhaupt noch vernünftige Kritik an einem Vorhaben geben, das solch verlogene Gegner hat? Ja, denn wer den extrem Rechten das Feld überließe, täte ihnen nur einen Gefallen.

Gerade jetzt müssen Demokratinnen und Demokraten laut und deutlich sagen: Der deutsche Parlamentarismus hat ein Stück Demokratie aufgegeben. Mit der Zustimmung zum überarbeiteten Infektionsschutzgesetz hat er sich selbst gefährlich geschwächt. Corona-Verordnungen der Regierung unterliegen zwar jetzt strengeren Vorgaben. Aber eine echte Parlamentsbeteiligung wird es nicht geben. Wenn der Bundestag die Regierung ausbremsen wollte, müsste er im Zweifel die Feststellung der epidemischen Notlage ganz zurücknehmen, auch wenn das nicht angemessen wäre.


«Handelsblatt» zur Rolle Polens im EU-Haushaltsstreit

Polens Regierung geht es ums Prinzip - und will sich dabei auf keinen Fall hineinregieren lassen, wie sie die größte osteuropäische Volkswirtschaft umformt mit ihren scheinbar aus einem anderen Jahrhundert stammenden Werten.

Dazu gehören Abtreibungsverbote, die Untersagung gleichgeschlechtlicher Ehen oder die Unterjochung der Justiz unter Regierungsvorgaben. (.) Die Liste undemokratischer und antiliberaler Praktiken ließe sich fast beliebig fortführen. Dabei sind sich Warschaus Eiferer in wundersamer Weise einig mit Russland und seinem Herrscher Wladimir Putin, den sie eigentlich außenpolitisch bekämpfen. Doch der Spaltpilz, den die Polen nach Europa tragen, nützt ausgerechnet dem in Warschau so kritisch beäugten Kreml, weil er die EU in Existenznot bringt.


«Münchner Merkur» zum Corona-Gesetz

Man braucht nicht mit dem historisch schwer belasteten Begriff "Ermächtigungsgesetz" hausieren zu gehen, um festzustellen: Der gestrige Tag war kein guter für die parlamentarische Demokratie.

In unangemessener Hast haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ein Infektionsschutzgesetz über die parlamentarischen Hürden gehievt, das der Regierung bei ihren Coronamaßnahmen tiefe Eingriffsrechte in Grundfreiheiten gewährt und die Position der Parlamente nicht stärkt. Am Ende wird sich dieses Persilschein-Gesetz noch als Steilvorlage für die selbst ernannten "Querdenker" erweisen, die damit um die Häuser ziehen und das Gesetz und sein Zustandekommen im Schnellverfahren als Beleg für angeblich sinistre Absichten von Politikern ins Feld führen.


«Lidove noviny»: Pendler wichtiger als Weihnachtseinkäufer

PRAG: Die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien schreibt am Mittwoch zu den corona-bedingten Einschränkungen im Grenzverkehr mit Deutschland:

«Sachsen hat den Kleinen Grenzverkehr mit Tschechien und Polen ausgesetzt. In die Sprache des Volksmunds übersetzt heißt das: Sachsen hindert uns daran, unsere Vorweihnachtseinkäufe zu erledigen. Das wirft Fragen auf. Weshalb werden diese Restriktionen gerade jetzt eingeführt, wo doch die Zahl der Neuinfektionen in Tschechien wieder sinkt? Doch warum sollte das, was bei uns gilt, nicht auch in Sachsen gelten: Wo kein Kontakt ist, kann auch keine Übertragung stattfinden. Aus dieser Sicht ist die Angst vor Einkaufshorden entscheidender als die aktuelle Reproduktionszahl im Nachbarland. Abschließend sollte betont werden, dass Sachsen und Bayern die Grenzen für Berufspendler offenhalten. Es handelt sich zwar um eine Randgruppe, die aber für die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen mehr getan hat als so mancher großer zwischenstaatlicher Vertrag.»


«Corriere della Sera»: Kampf gegen Amazon hat apokalyptische Töne

ROM: Zu Boykottaufrufen gegen den Online-Handelsriesen Amazon und besonders zu einem Appell aus Frankreich zu «Weihnachten ohne Amazon» schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Mittwoch:

«Aufgezählt werden eine Reihe sehr harter Anschuldigungen: Amazon nutze den Lockdown aus, streiche Arbeitsplätze, zerstöre kleine Händler (...), nutze vertrauliche Daten, um sich einen unangemessenen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (hierzu hat EU-Kommissarin (Margrethe) Vestager eine Untersuchung gestartet), nutze öffentliche Infrastrukturen, ohne sich an deren Finanzierung zu beteiligen. Die Unterzeichner verfluchen das Böse Amazon und entscheiden sich für das Gute, also die Geschäfte in der Nachbarschaft. Vor 20 Jahren wären ähnliche Kritikpunkte als altmodisches Jammern abgetan worden (...). Heute lässt sich in ganz Europa die Auffassung erkennen, dass die unkontrollierte Expansion von GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) Schäden verursacht, die man nicht unbedingt im Namen des Fortschritts akzeptiert muss. Daher sind Grenzziehungen und politische Eingriffe willkommen. Aber vielleicht ohne diesen Anklang religiöser Erweckung und diese apokalyptischen Töne (...).»


«Wall Street Journal»: Trump braucht Beweise für Wahlbetrugsvorwürfe

NEW YORK: Zur Weigerung des US-Präsidenten Donald Trump, seine Niederlage bei der Präsidentenwahl einzuräumen, schreibt das «Wall Street Journal» am Mittwoch:

«Präsident Trump war bislang nicht willens, sich Joe Biden geschlagen zu geben, und sein jüngstes Argument ist, dass die Wahlmaschinen manipuliert worden sein müssen. Wo sind die Beweise? Starke Behauptungen brauchen starke Beweise - und keine Gerüchte und Anspielungen auf Twitter. (...)

Aber bislang gibt es keine stichhaltigen Beweise für Probleme bei der Wahl, die an Herrn Bidens Vorsprung von 73.000 Stimmen in Pennsylvania oder 145.000 in Michigan rütteln könnten. In Georgia ordnete der republikanische Staatssekretär in der vergangenen Woche eine manuelle Neuauszählung aller fünf Millionen Stimmzettel an. Das brachte 2600 abhandengekommene Stimmen zum Vorschein, die der Bezirk Floyd County vergessen hatte, hochzuladen. Würde man sie addieren, würde Mr. Bidens Vorsprung auf etwas mehr als 13.000 Stimmen sinken. Sollte die Neuauszählung in Georgia keine großen Unregelmäßigkeiten ans Licht bringen, dann sollten diese Behauptungen ad acta gelegt werden.»


«Adevarul»: Sieg von Sandu in Moldau gute Nachricht für Europa

BUKAREST: Zum Sieg der proeuropäischen Politikerin Maia Sandu bei der Präsidentenwahl in der Republik Moldau schreibt die liberale rumänische Tageszeitung «Adevarul» am Mittwoch:

«Es ist ein Grund zur Hoffnung für diejenigen, die ein anständiges Leben wollten in einem Staat, der auf der Basis von Regeln funktioniert und nicht in einem Land, das von Banditen mit politischer Legitimation in Beschlag genommen worden ist. (...)

Es ist auch eine gute Nachricht für die Europäische Union. Europa hat viel in die Republik Moldau investiert, doch die Ergebnisse waren mehr als eine tiefe Enttäuschung. Der Staat, der sich Europa annähern sollte, war zu einem Exempel für den Misserfolg geworden und für das Aufgeben jedes Reformversuchs, für einen Weg zurück zur (früheren) UdSSR. Der Sieg von Maia Sandu bedeutet nicht, dass sich die Realitäten in der Republik Moldau über Nacht verändern. Doch ist die Tatsache, dass im Präsidentensessel eine Vertreterin der europäischen Bürgerlichen sitzt ist - gemessen daran, was die Moldauer bisher hatten - wirklich eine radikale Veränderung über Nacht.»


«De Tijd»: Kompromiss zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist vage

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Tijd» kommentiert am Mittwoch das Veto, mit dem Ungarn und Polen die Entscheidung für milliardenschwere Corona-Konjunkturhilfen und den Haushaltsrahmen der EU blockierten:

«Der Aufstand der polnischen und ungarischen Regierung erinnert an den Aufstand der griechischen Regierung in der Euro-Krise. Auch die berief sich auf ihre nationale Souveränität und die Mehrheit ihrer Bevölkerung, um die mit dem Rest der Europäischen Union vereinbarten Spielregeln anzugreifen.

Der neue Konflikt erfüllt alle Voraussetzungen, zusätzliches Kopfzerbrechen zu verursachen, auf das wir gern verzichten können. In einem Punkt haben die Ungarn und die Polen jedoch Recht. Der Kompromiss zur Durchsetzung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist sehr vage und lässt viel Raum für politische Kämpfe. Etwas so Sensibles sollte genauer definiert werden, damit eine objektive Beurteilung möglich wird.»


«de Volkskrant: Trump will noch auftrumpfen

AMSTERDAM: Der scheidende US-Präsident Donald Trump will vor der Amtsübergabe noch weitreichende Entscheidungen durchsetzen. Dazu heißt es am Mittwoch in der niederländischen Zeitung «de Volkskrant»:

«Joe Biden muss dieser Tage mit Bedauern erleben, wie Donald Trump versucht, sich noch innen- wie außenpolitisch Geltung zu verschaffen. Normalerweise agieren scheidende Präsidenten während der Übergangsperiode zurückhaltend. Aber nicht Trump. So wird erwartet, dass der Präsident gegen Ende der Woche Tausende von Soldaten aus Afghanistan und dem Irak abzieht. Vorige Woche überlegte Trump, ob man den Iran wegen dessen Urananreicherung angreifen könnte. Auch in der Umweltpolitik sowie hinsichtlich der Beziehungen zu China droht der Präsident Beschlüsse zu fassen, die Bidens Vorstellungen widersprechen und die ihn vor vollendete Tatsachen stellen. (...)

Der Demokrat kann nur hoffen, dass Trump noch einsieht, wie katastrophal eine Abrechnung mit dem Iran wäre. Denn das Letzte, was Biden im Januar brauchen kann - mitten in einer Pandemie - sind die Folgen eines ausländischen militärischen Konflikts.»


«Dagens Nyheter»: Haltet EU-Corona-Hilfen von Ungarn und Polen fern

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Mittwoch die Blockade der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen EU-Haushalts durch Ungarn und Polen:

«Eine zweite Pandemiewelle zieht durch Europa. Ausgerechnet in dieser Situation bricht das riesige Stimulanzprojekt der EU zusammen. Sowohl der langfristige Haushalt als auch der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Fonds hängen am seidenen Faden, da Polen und Ungarn den gesamten Prozess blockiert haben.

Der Ausweg aus diesem Morast ist nicht einfach zu finden. Die EU hat das Problem zu lange unter den Teppich gekehrt. Erfinderische Juristen sollten jedoch in der Lage sein, das alte EU-Budget laufen zu lassen und den Corona-Fonds in eine eigene Tasche zu legen, zu der Polen und Ungarn keinen Zugang haben. Das braucht Zeit, die ohnehin knapp ist, und das Risiko besteht, dass sich die Risse in der EU vergrößern. Aber damit sollte die Union klarmachen, dass gewisse demokratische Werte unantastbar sind. Polens und Ungarns Einwohnern sollte gezeigt werden, wie lebensnotwendig der Rechtsstaat ist. Und das sollten sie im Hinterkopf haben, wenn sie das nächste Mal wählen.»


«L'Alsace»: Neuer Corona-Impfstoff sorgt für Diskussion

MÜLHAUSEN: Die Fortschritte bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs kommentiert die ostfranzösische Regionalzeitung «l'Alsace» am Mittwoch:

«Eine Impfung gegen Covid-19 sollte bald zur Verfügung stehen. Doch es gibt zwei Seiten der Medaille. Was wie eine gute Nachricht erscheinen könnte,(...) könnte schnell zu einem Problem werden. Nicht nur in Frankreich: die Impfkampagne hat noch nicht begonnen, da entstehen bereits Auseinandersetzungen: zu viel, nicht genug, zu schnell oder zu langsam, dieser oder jener Zulieferer ... Die Regierungen sind jetzt schon im Visier derjenigen, die alles besser wissen. (...)

Statt eines Zwangs wird die Regierung vielmehr reichlich Aufklärung betreiben müssen, um die Wichtigkeit einer Impfung zu vermitteln, die für die Einreise in einige Länder auch verpflichtend werden könnte. Das würde die Gesamtlage verändern.»


«Nepszava»: EU muss im eigenen Interesse Orban loswerden

BUDAPEST: Die oppositionelle Budapester Tageszeitung «Nepszava» kommentiert am Mittwoch das Veto, mit dem Ungarn und Polen die Entscheidung für milliardenschwere Corona-Konjunkturhilfen und den Haushaltsrahmen der EU blockierten:

«Kann sein, dass man dieses Problem am Ende irgendwie unter den Teppich kehren wird. Obwohl sich dieser bald zu klein werdende Flickenteppich wegen der daruntergekehrten Probleme schon an vielen Stellen unschön wölbt. Dann bliebe noch das (Rechtsstaats-)Verfahren nach Artikel 7 (der EU-Verträge), das sich schon bisher als stumpfes Schwert des Gemeinschaftsrechts erwiesen hat. Und dann wäre da noch der niederländische Regierungschef (Mark) Rutte, der die EU ohne Ungarn und Polen neu gründen würde. (...) Tatsächlich müsste sich die Union in ihrem eigenen Interesse so schnell wie möglich von der zerstörerischen Macht befreien, die (Ungarns Ministerpräsident Viktor) Orban ausübt. Und wenn die ungarische Nation auf seiner Person beharrt, auch von Ungarn.»


«Nesawissimaja»: Keine Grundlagen mehr für Brics-Zusammenschluss

MOSKAU: Zum Video-Gipfel der Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Mittwoch:

«Die Amerikaner haben die Gruppe nicht nur einmal für «tot» erklärt, weil die Länder, die zu ihr gehören, mit Ausnahme Chinas schon lange keine Lokomotiven der Entwicklung mehr sind. Das Wachstum von Brasilien, Russland und Südafrika lag schon in den guten Zeiten vor der Krise unter den durchschnittlichen internationalen Werten (...) Jetzt hat das Coronavirus die Grundlagen für den Brics-Zusammenschluss im Grunde zerstört. Formal bestehen also fast keine Gründe mehr, die Gruppe noch zu erhalten. Gleichwohl will China die Brics-Struktur nicht aufgeben, weil sie in seine globalen Pläne passt.»


«Financial Times»: Trump hat kein Interesse am Kampf gegen Corona

LONDON: Zur Corona-Krise in den USA meint die Londoner «Financial Times» am Mittwoch:

«Selten schien ein US-Präsidentschaftswechsel so lange zu dauern. Es bleiben mehr als 60 Tage, bis Joe Biden seinen Amtseid ablegt und Donald Trump die Bühne verlässt. Unter normalen Umständen ist das schon eine recht lange Zeit. Doch unter den Bedingungen einer Pandemie lässt sich diese Zeitspanne in Menschenleben messen. Tatsächlich werden wohl - wie Joe Biden gewarnt hat - noch mehr Menschen sterben, wenn sich der noch amtierende Präsident nicht mit dem gewählten Präsidenten abstimmt.

Abgesehen davon, dass Trump die Anerkennung für die jüngsten Durchbrüche im Impfstoffbereich beansprucht, zeigt er immer noch kein Interesse daran, Amerikas Maßnahmen zur Überwindung der Krankheit voranzutreiben. Die letzte Sitzung der Task Force des Weißen Hauses, an der er teilnahm, liegt fünf Monate zurück. Trump untergräbt gar staatliche Versuche, die Infektionsrate zu senken.»


«Tages-Anzeiger»: Europa darf nicht zu viel von Biden erwarten

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Mittwoch die außenpolitischen Herausforderungen für den gewählten US-Präsidenten Joe Biden angesichts des von US-Präsident Donald Trump angeordneten Abzugs weiterer US-Truppen aus Afghanistan und dem Irak:

«Trumps überhasteter Abzugsplan trifft den Irak inmitten eines erbitterten Machtkampfs. Vom Iran gesteuerte Milizen versuchen, ihren Einfluss dort zu festigen, im Sommer stehen Wahlen an. Derweil gewinnt die in den Untergrund gedrängte Terrormiliz Islamischer Staat neue Stärke. Die Kurden fürchten einen Abzug der USA sowohl im Irak als auch in Syrien. Dort werden sie zwischen der Türkei und dem Assad-Regime aufgerieben, einem Klienten des Iran. Und Israel versucht, noch schnell neue Siedlungen zu bauen, bevor wieder ein Befürworter einer 2-Staaten-Lösung im Weißen Haus einzieht.

Allerdings sollte sich auch niemand zwischen Paris, London und Berlin zu viel von einem Präsidenten Biden erwarten. Gewiss, es wird mehr multilaterale Zusammenarbeit, Rücksicht und Realismus geben. Und Biden wird einen Ausgleich suchen mit dem Iran - allerdings mit völlig unklaren Erfolgsaussichten, denn auch dort wird ein neuer Präsident gewählt.»


«Gazeta Wyborcza»: Ist Polens Veto ein erster Schritt zum Polexit?

WARSCHAU: Polens Blockade der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen EU-Haushalts kommentiert die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Mittwoch:

«Was will (der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS) Jaroslaw Kaczynski mit dem Veto des EU-Haushalts erreichen? Ohne eine Verständigung werden Polen gigantische finanzielle Mittel entgehen. Die Polen verlieren, aber Kaczynski gewinnt. Und genau darum geht es ihm. Die EU-Mitgliedschaft ist dem PiS-Chef ein Dorn im Auge. (...)

Doch ein Polexit ist nicht so einfach, denn die Mehrheit der Polen befürwortet die EU-Migliedschaft. Viele Polen arbeiten in anderen EU-Ländern. Wenn Kaczynski ihnen das heute wegnehmen würde, müsste er mit Massenprotesten rechnen. Er muss also den Boden bereiten, indem er einen Keil zwischen die öffentliche Meinung in Polen und Brüssel treibt. Dazu könnte der Ausschluss Polens von den Corona-Konjunkturhilfen dienen. In der Propaganda der PiS würde das als feindlicher Schritt der von den Deutschen dominierten EU-Eliten präsentiert, die die Polen diskriminieren. Mit der Zeit könnte man den frustrierten Bürgern dann einreden, dass Brüssel für ihr Elend verantwortlich ist. Von dort ist es nur noch ein Schritt zum von Kaczynski ersehnten Polexit.»


«NZZ»: EU-Wertegemeinschaft wird Fassade

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Mittwoch das Veto, mit dem Ungarn und Polen die Entscheidung für milliardenschwere Corona-Konjunkturhilfen und den Haushaltsrahmen der EU blockierten:

«Ein ehrlicher Ausweg wäre das Eingeständnis, dass die EU eben doch nicht jene Rechts- und Wertegemeinschaft ist, die sie zu sein vorgibt. (...) Die letzte Konsequenz dieser Einsicht wäre es, die gewaltigen finanziellen Umverteilungsmechanismen der EU generell zurückzuschrauben, da Missbräuche nicht ausgeschlossen werden können.

Doch die EU macht das Gegenteil, und zwar immer schneller und immer großartiger. Die letzte Drehung der Spirale war die Schaffung des Corona-Aufbaufonds über 750 Milliarden Euro. Dieser wurde damals als Triumph der europäischen Integration gefeiert. Dabei wussten alle Beteiligten, dass die ungelöste Frage der Rechtsstaatlichkeit im Hintergrund drohte. Sie wurde aufgeschoben, im Vertrauen darauf, dass mit dem vielen neuen Geld genügend Verhandlungsmasse bereitstehen wird, die dann irgendeinen Deal ermöglicht. So wird die EU immer mehr zu einer Umverteilungsmaschine, die darauf ausgelegt ist, allein mit ständig wachsenden Finanztransfers Handlungsfähigkeit herzustellen. Die Rede von der Rechts- und Wertegemeinschaft dient dabei mehr und mehr als Fassade.»

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.