Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Generaldebatte/Bundestag

Für den Bundeskanzler mag der Oppositionsführer wie "Alice im Wunderland" wandeln, er selbst zeichnete am Mittwoch im Bundestag das Bild eines Landes, in dem Milch und Honig fließen.

In jede Ecke der Wirtschaft und Gesellschaft dringt das Füllhorn vor (.) Der Schuldenstand ist so hoch, dass kaum noch ein Überblick möglich ist. Scholz beließ es deshalb auch, mit naheliegender sozialpolitischer Schlagseite, bei den Leuchttürmen, die sich unter den Bedingungen der "schwierigen Zeit", durch die Deutschland geht, einfacher rechtfertigen lassen als ohne sie. Scholz konterte Kritik daran mit der Bemerkung, Friedrich Merz zaubere das weiße sprechende Kaninchen aus dem Hut. Der Kanzler überspielte damit den Eindruck, das Maskottchen für den Staat, den sich die Koalition wünscht, sei die eierlegende Wollmilchsau. (.).


«Stuttgarter Zeitung» zur Generaldebatte im Bundestag

Der Bundeskanzler spricht immer wieder davon, alle im Land müssten sich unterhaken.

Nur: Das muss erst einmal den Beteiligten in seiner Regierung besser gelingen. Die Art, wie Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihre Rivalitäten ausleben, ist unangemessen in einer Zeit, in der es um Lösungen gehen muss. Zugleich hat sich auch die CDU als größte Oppositionspartei eher selten mit gut durchdachten Lösungsvorschlägen hervorgetan. Friedrich Merz verfährt zu oft nach dem Motto: Hauptsache, der Regierung schaden - auch wenn das dem Land wirklich nichts nützt.


«Dziennik»: Verlegung der Patriots ist Test für Deutschland

WARSCHAU: Deutschland will Patriot-Raketenabwehrsysteme nach Polen veRlegen. Dazu kommentiert die polnische Zeitung «Dziennik Gazeta Prawna» am Mittwoch:

«Die Frage ist, wie lange die Deutschen brauchen, um diese politische Entscheidung umzusetzen. Denn wie die Erfahrung mit Waffenlieferungen an die Ukraine zeigt, vergehen von der Erklärung bis zur Umsetzung oft lange Monate, und das Ergebnis entspricht immer noch nicht den ursprünglichen Angaben. In den kommenden Wochen werden wir erfahren, was diese deutsche militärische Hilfsbereitschaft wirklich heißt. Wenn wir innerhalb der kommenden Tage oder Wochen keinen konkreten Zeitplan bekommen, dann handelt es sich bei diesem deutschen Angebot nur um politisches Gerede.

Und so wie man einst zwischen Oder und Rhein von «polnischer Wirtschaft» sprach - ein abwertender Ausdruck für das Wirtschaften an der Weichsel - so könnte sich in Polen bald die Phrase «helfen wie die Deutschen» durchsetzen. Der Einsatz der Patriot-Raketenabwehr in Polen ist für Deutschland ein Test seiner Glaubwürdigkeit als Bündnispartner. Wir drücken die Daumen, dass es nicht durchfällt.»


«Rzeczpospolita»: Ex-Botschafter Melnyk ist Spezialist für Stänkerei

WARSCHAU: Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ist zum Vizeaußenminister seines Landes ernannt worden. Dazu schreibt die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Mittwoch:

«Der Streit zwischen Warschau und Kiew über den Raketeneinschlag in Przewodow und die anschließende Nominierung von Andrij Melnyk, einer Person, die nicht nur für die polnisch-ukrainischen Beziehungen Gift ist, sollte viele ernüchtert haben. Es fällt schwer, letztere Tatsache nicht mit der Weigerung Polens in Verbindung zu bringen, die ukrainische Version der Ereignisse zu akzeptieren. Wenn jemand in Polen auf eine Entschuldigung Kiews für den tragischen Vorfall gewartet hat, dann wartete er nicht nur vergeblich, sondern wurde auch noch mit der Ernennung Melnyks vor den Kopf gestoßen. Denn Melnyk ist ein Spezialist für Beleidigungen und leider auch für Stänkereien in Bezug auf die polnisch-ukrainische Geschichte.»


«Neatkariga Rita Avize»: Nicht gegen russische Kultur gerichtet

RIGA: In Lettland gibt es angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine eine Debatte über die Umbenennung von Straßen, die nach russischen Kulturschaffenden benannt sind. Dazu meint die lettische Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize» am Mittwoch:

«Der Wunsch, nach russischen Kulturschaffenden benannte Straßen umzubenennen, ist nicht gegen die russische Kultur gerichtet. Er richtet sich vielmehr gegen die «Kuckuckseier», die der russische Kolonialimperialismus auf dem Gebiet der ehemaligen Kolonie hinterlassen hat. Solange in Russland nicht der Wunsch bestand, die selbsterdachte Größe des Imperiums wiederherzustellen, konnten diese hinterlassenen Spuren noch irgendwie toleriert werden.

Dies in der Hoffnung, dass sie ihre bedrohliche Relevanz verlieren - genau wie die Spuren des deutschen Kolonialismus, die im heutigen Lettland kaum noch jemanden stören. Nun aber, da der russische Imperialismus erneut versucht, sein Haupt zu erheben, müssen all diese Spuren, die der Kolonialismus hinterlassen hat, zerstört werden. Es ist eine existenzielle Frage für Lettland.»


«Dennik N»: Erst Putins Niederlage ermöglicht dauerhaften Frieden

BRATISLAVA: Zum Krieg in der Ukraine schreibt die liberale slowakische Tageszeitung «Dennik N» am Mittwoch:

«Wie könnte ein dauerhafter Friede zwischen Kiew und Moskau aussehen? Ein wirklicher, dauerhafter und gerechter Friede, begründet auf internationalem Recht und der Charta der Vereinten Nationen, also ein Friede, der vom bedingungslosen Rückzug des russischen Militärs hinter die international anerkannten Grenzen ausgeht und realistische Sicherheitsgarantien für die Ukraine als Opfer einer nicht provozierten Aggression ausgeht, wird möglicherweise im gegenwärtigen Kreml nicht akzeptiert. Somit gibt es zum Erreichen eines dauerhaften Friedens zwei Wege.

Der erste führt über einen Wechsel des (russischen) Regimes dahin, dass eine neue Regierung den gerechten Forderungen der Ukraine gegenüber offener ist. Die zweite Möglichkeit ist, den Kreml zur Annahme eines gerechten Friedens zu zwingen. Da Wirtschaftssanktionen nur eine beschränkte Wirkung haben, wird es notwendig sein, das russische Militär gewaltsam aus der Ukraine zu vertreiben. Und ihm dabei eine solche Niederlage zu versetzen, dass sich die russische Regierungselite zumindest für eine weitere Generation daran erinnern wird.»


«SF Chronicle»: Queere Menschen nicht allein im Kampf gegen Gewalt

SAN FRANCISCO: Zum tödlichen Angriff auf einen bei Schwulen, Lesben und der Trans-Gemeinschaft beliebten Club im US-Bundesstaat Colorado schreibt die Zeitung «San Francisco Chronicle»:

«Der Einsatz von Metalldetektoren vor queeren Bars und Treffpunkten könnte vielleicht helfen, den nächsten Gewaltakt zu stoppen. Seit langem ins Stocken geratene politische Änderungen auf Bundesebene, um die Kontrolle über den Besitz von Waffen zu erhöhen (...), wären noch weitaus effektiver. Schwieriger ist es jedoch, gegen die Ausbreitung von hasserfüllter Rhetorik vorzugehen. (...) Wo Hass weit verbreitet ist, scheint Gewalt unausweichlich zu folgen.

Aber der Kampf um Gerechtigkeit hat sich über die Jahrzehnte weiterentwickelt. Heute gibt es Menschen wie (...) den Veteranen, der sich mit seiner Frau, seiner Tochter und Freunden am Samstagabend in Colorado Springs eine Drag-Show ansah. Als die Schüsse fielen, überwältigte er den Schützen, drückte ihn zu Boden und hinderte ihn daran, mehr Menschen zu töten. (...) Dies ist eine Erinnerung daran, wie weit wir gekommen sind (...). In diesem Moment der Geschichte, in dem queere Menschen vor neuen, zunehmend schrecklichen Kämpfen um ihre Gesundheitsversorgung, ihre Identität, ihre Freiheit, ihre Sicherheit und ihre Leben stehen, sind sie nicht alleine. Es kämpfen mehr Verbündete an der Front als je zuvor.»


«La Vanguardia»: General Winter hält jetzt Einzug

MADRID: Zum Beginn des Winters und der Möglichkeit einer Energieknappheit in ganz Europa schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Mittwoch:

«Offiziell beginnt der Winter erst am 21. Dezember, aber euphemistisch kann man sagen, dass diese Woche General Winter in unseren Häusern Einzug gehalten hat. Wir sagen dies nicht so sehr wegen des drastischen Temperaturrückgangs, der längst überfällig war, sondern wegen der harten Monate, die vor uns stehen, mit Problemen bei der Energieversorgung, einer Wirtschaftskrise und auch Warnungen vor einer Verschlechterung der Lage im Gesundheitsbereich.

Erst gestern hat die OECD davor gewarnt, dass Europa ab Februar die Gasreserven ausgehen könnten, falls die Temperaturen zu niedrig sind. Spanien ist in einer besseren Position als andere Länder, wie zum Beispiel Deutschland, um diese Defizite auszugleichen. Aber es wäre unklug, wenn auch wir nicht vorsorglich handeln (...) Trotz der diplomatischen Bemühungen scheint ein Ende des Krieges in der Ukraine nicht in Sicht zu sein. Und der Gasmangel in ganz Europa wird im Laufe der Zeit zunehmen. Wir werden sehen, wie widerstandsfähig die europäische Bevölkerung gegenüber dieser neuen Herausforderung ist.»


«Financial Times»: Der Ukraine droht eine neue humanitäre Krise

LONDON: Die Londoner «Financial Times» kommentiert am Mittwoch den Kriegsverlauf in der Ukraine:

«Nach demütigenden Rückschlägen auf dem Schlachtfeld versucht Russland, Millionen Menschen abseits der Front das Leben zur Hölle zu machen und Kiew auf diese Weise zu zwingen, um Frieden zu bitten. Dass die enorme Widerstandsfähigkeit der Ukrainer gebrochen wird, ist unwahrscheinlich. Die Energieversorgungsunternehmen haben mit Reparaturen und Improvisationen beeindruckende Arbeit geleistet, um die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Viele Bürger sind jedoch mehrere Stunden am Tag ohne Strom, und wenn die Schäden ein bestimmtes Maß überschreiten, könnten die Systeme zusammenbrechen. Die Gefahr einer neuen humanitären Krise ist real. (...)

Die Verbündeten der Ukraine müssen mehr tun, um zu helfen. Da der Angriff auf zivile Infrastrukturen ein Kriegsverbrechen ist, sollten ausländische Regierungen deutlich machen, dass sie alle dafür verantwortlichen Russen verfolgen werden. Auch die weitere Bereitstellung hoch entwickelter Luftabwehrsysteme muss Teil der Reaktion sein. Und es muss alles getan werden, um Russlands Bemühungen zu vereiteln, seine schwindenden Bestände an Marschflugkörpern aufzufüllen und neue Waffen zu beschaffen - darunter ballistische Raketen, die schwerer abzuschießen sind.»


«NZZ»: Für Serben im Kosovo muss es einen Autonomiestatus geben

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Mittwoch die Bemühungen der EU um eine Entschärfung der Spannungen zwischen Kosovo und Serbien:

«Die EU sollte jetzt einen Gang höher schalten und ein intensives Verhandlungsprogramm vorlegen. Die Zeiten sind vorbei, über Autonummern, Grenzformalitäten und andere «technische Fragen» zu reden. Denn diese sind genau besehen nie technisch, sondern hochpolitisch und können nur im Rahmen eines umfassenden Friedensabkommens gelöst werden. Dafür eine Deadline zu setzen, wie (der EU-Außenbeauftragte Josep) Borrell es tut, ist töricht. Am Schluss zählt nur die Qualität des Abkommens. Und diese bemisst sich an der Akzeptanz in den beiden Ländern. (...)

Der Schlüssel für das Abkommen liegt in Nordkosovo. Für die serbische Bevölkerung muss ein Autonomiestatus gefunden werden, der so bemessen ist, dass sie sich selber verwalten kann, ohne das Funktionieren des kosovarischen Staates zu tangieren. Das ist das einzige mögliche Konzept für ein multiethnisches Kosovo. Für jede andere dauerhafte Lösung müssten die Grenzen zwischen Serbien und Kosovo neu gezogen werden.»

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