Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zur Inflation

Heizen, Sprit, Lebensmittel, alles kostet mehr als noch vor ein paar Monaten.

Für manche ist das vor allem ärgerlich. Für andere aber sind die Preise existenzbedrohend. Unter Studierenden, unter Rentnern, unter Arbeitenden: Armut in Deutschland ist gut versteckt, aber sie existiert, und sie ist nicht selten. Für viele bedeuten die steigenden Preise nicht weniger Besuche beim Lieblingsitaliener, sondern im schlimmsten Fall: Hunger. Die Tafeln schlagen Alarm. Dort ist die Nachfrage längst höher als das Angebot. Dabei sollte es in einem reichen Land nicht Aufgabe von Ehrenamtlichen sein, dafür zu sorgen, dass am Ende des Monats wenigstens das Essen für alle reicht. Der Staat muss deshalb jetzt jenen unter die Arme greifen, die schon vor dem Krieg in der Ukraine arm waren, und jenen, die kurz davorstehen, es zu werden.


«Stuttgarter Zeitung» zur Nato-Erweiterung

Das Ende der skandinavischen Neutralität hat Auswirkungen auf die gesamte europäische Sicherheitsstatik, auf die bestehende wie auf die künftige.

Innerhalb der Europäischen Union sind nun nur noch Österreich, Malta und Irland bündnisfrei. Daran muss sich durch die geografische Lage auch nicht unbedingt etwas ändern. Dass die Schweiz als internationaler Leuchtturm der Neutralität einen anderen Weg einschlägt, ist unwahrscheinlich. Länder wie Serbien oder die Republik Moldau können nun aber verstärkt die Anlehnung an einen großen Partner diskutieren - und das gilt perspektivisch erst recht für die Ukraine.


«Süddeutsche Zeitung» zum Wahlrecht

Die Ampelkoalition geht gerade durch schwere Wochen.

SPD und FDP haben bei den Landtagswahlen schlimme Niederlagen einstecken müssen. In den bundesweiten Umfragen liegt die Union wieder klar auf Platz eins. Und das Ansehen des Bundeskanzlers ist stark gesunken. Er wird von vielen als Zauderer und Zögerer wahrgenommen. Umso erstaunlicher ist, wie mutig die Koalition jetzt bei der Reform des Wahlrechts vorangeht. Da ist kein Zaudern und kein Zögern. Ihre Fachleute wollen den übergroßen Bundestag auf einen Schlag deutlich verkleinern. Wenn sich ihr Vorschlag durchsetzt, werden dem nächsten Bundestag fast 140 Abgeordnete weniger angehören. Das Parlament hätte all jene widerlegt, die behaupten, es könne sich nicht selbst beschneiden. Das wäre auch gut für die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie.


«Handelsblatt» zum geplanten Hartz-IV-Moratorium

Eine Zeitenwende der anderen Art läutet die Ampelkoalition an diesem Donnerstag ein.

Dann wird der Bundestag beschließen, dass die meisten Sanktionen gegen Grundsicherungsempfänger für ein Jahr ausgesetzt werden - länger als von der Regierung geplant. Es ist der erste Schritt auf dem Weg, das bei SPD und Grünen verhasste Hartz-IV-System, das sie einst selbst ins Leben riefen, zu überwinden und durch das geplante Bürgergeld abzulösen.(.) Das Prinzip des Förderns und Forderns, das Mitwirkungspflichten der Betroffenen in sogenannten Eingliederungsvereinbarungen festlegt, soll einer Kultur des "Vertrauens" weichen. Doch eine Begegnung "auf Augenhöhe" kann es auch künftig nicht geben. Wer Hilfe braucht und Geld vom Staat bekommt, muss daran mitwirken, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden. Das gebietet der Respekt vor dem Steuerzahler oder Arbeitnehmern, die jeden Tag zur Arbeit gehen, auch wenn sie am Ende kaum mehr Geld nach Hause bringen als ein Hartz-IV-Bezieher.


«Frankfurter Rundschau» zur Wende im Krieg Russlands gegen Ukraine

Nach 84 Kriegstagen ist klar, dass Moskau gescheitert ist, auch wenn es die Gefangennahme der Frauen und Männer aus dem Asow-Werk als einen Erfolg präsentiert.

Was die russischen Medien dagegen verschweigen, das sind die eigenen Verluste. Und die sind enorm. Kiew will erst weiter verhandeln, wenn Putin die Realität einer unabhängigen Ukraine anerkennt, seine Nazi-Mythen zurücknimmt und die Truppen zurückzieht. Diese Strategie kann sich die Ukraine erlauben, weil sie weiß, dass die Zeit auf ihrer Seite ist - nicht zuletzt wegen der enormen westlichen Militärhilfe. Die festgefahrene militärische Situation kann zu einem Wendepunkt führen - einem positiven oder einem negativen. Sollte das Regime Putins zur Besinnung kommen, könnten Verhandlungen beginnen, die den Namen verdienen. Doch es wäre ein Wunder, würde Putin Fehler eingestehen. Deshalb ist eine andere Option wahrscheinlicher: Wenn Putin schon nicht gewinnen kann, so wird er der Ukraine einen noch größeren Schaden zufügen wollen.


«El País»: Die Welt muss dringend auf Hungerkrisen reagieren

MADRID: Zur Verschärfung der Hungerkrisen weltweit infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine schreibt die spanische Zeitung «El País» am Mittwoch:

«Die Nahrungsmittelkrise mag Teil der Destabilisierungspläne von (Kremlchef Wladimir) Putin gewesen sein, oder vielleicht auch nicht. Tatsache ist, dass die Auswirkungen in vielen Teilen der Welt verheerend sind. Dutzende Millionen Menschen leiden bereits unter den Kollateralschäden eines Krieges, die durch die klimatischen Bedingungen zusätzlich verschlimmert werden. In Asien haben Überschwemmungen die Ernten stark dezimiert. Und ein Teil von Afrika leidet unter der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten. Die internationale Gemeinschaft muss dringend reagieren. Sie muss den von einer Hungersnot bedrohten Ländern Notvorräte an Getreide und Grundnahrungsmitteln zur Verfügung stellen (...) Das Überleben von Millionen von Menschen in den ärmsten Ländern der Welt hängt davon ab, wie schnell sich die Industrieländer der unerträglichen Situation bewusst werden und wie schnell sie darauf reagieren.»


«The Guardian»: Londons Nordirland-Gesetz ist unverantwortlich

LONDON: Zu den Plänen der britischen Regierung, mit einem neuen Gesetz die Brexit-Sonderregeln für Nordirland teilweise auszuhebeln, meint der Londoner «Guardian» am Mittwoch:

«Bei den jüngsten Wahlen zum nordirischen Parlament hat eine Mehrheit Parteien unterstützt, die das Nordirland-Protokoll weitgehend befürworten. Örtliche Wirtschaftsführer haben Premierminister Boris Johnson dringend aufgefordert, die Drohung aufzugeben, Teile des Protokolls einseitig zu kündigen, da dies ausgerechnet in Zeiten steigender Inflation und einer drohenden Rezession einen Handelskrieg mit der EU auslösen könnte. Bedauerlicherweise hat diese Regierung es nur selten zugelassen, dass das, was wirklich das Beste für Nordirland ist, ihre choreographierten Brexit-Spielchen mit Brüssel stört.

Die Erklärung, die Außenministerin Liz Truss im Unterhaus zum Nordirland-Protokoll abgab, war zwar vom Ton her gemäßigter als einige der konfrontativen Äußerungen in der vergangenen Woche. Aber die Vorlage eines Gesetzentwurfs, mit dem Teile eines Vertrags aufgegeben werden sollen, der vor weniger als drei Jahren unterzeichnet wurde ... ist unverantwortlich und destabilisierend. Unbekümmert erklärte Truss, das Gesetz würde nicht gegen internationales Recht verstoßen. Doch für diese Behauptung lieferte sie keinen Beweis.»


«Dennik N»: Erdogans Veto-Drohung ist innenpolitisch motiviert

BRATISLAVA: Zur türkischen Veto-Drohung gegen einen Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens schreibt die liberale slowakische Tageszeitung «Dennik N» am Mittwoch:

«Indem (der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands ablehnt und das mit ihrer "Unterstützung für kurdische Terroristen" - das sagt ein Land mit einem sehr ambivalenten Verhältnis zum Islamischen Staat und einem Sitz der Hamas in seiner Hauptstadt! - sowie mit einem wegen der türkischen Militäroperationen in Syrien verhängten Waffenembargo gegen die Türkei begründet, versucht er einfach seine langjährigen Nato-Partner zu erpressen. Möglich ist ihm das dank der Tatsache, dass eine Nato-Erweiterung die Zustimmung aller Mitglieder braucht. (...)

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdogan solches Trotzverhalten an den Tag legt. (...) Auch bisher verfolgte er damit meist innenpolitische Ziele. In 13 Monaten sind in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen und die Türken sind verärgert über den schlechten Zustand der Wirtschaft und ihrer eigenen Geldbörsen. Dass Erdogan keine gute Wirtschaftspolitik gelingt, muss er anderweitig ausgleichen. So erpresst er einmal die Europäische Union mit Flüchtlingen und jetzt eben die Nato bei der Erweiterung, damit er sich zu Hause als starker Führer zeigen kann.»


«DNA»: Putins Schachspiel mit der Ukraine

STRAßBURG: Zu Putins Taktik im Angriffskrieg gegen die Ukraine schreibt die französische Tageszeitung «Les Dernières Nouvelles d'Alsace» am Mittwoch:

«(Der russischen Präsident) Wladimir Putin wird oft als Schachspieler bezeichnet. Zum einen, weil er Russe ist. Zum anderen, weil er taktisch handelt. Das militärische Fiasko seiner Armee in der Ukraine zeigt, dass er, wenn dem so ist, ein impulsiver Spieler ist. Einer, bei dem sich die Fehler anhäufen und der schließlich in die Enge getrieben wird und keine Möglichkeit mehr hat, sich zu bewegen - Schachmatt.

So weit ist es natürlich noch nicht. (...) Doch mit diesem Krieg hat Wladimir Putin eine Reihe von Fehlern begangen.(... ) Beim Schach - so heißt es - gewinnt der Spieler, der den vorletzten Fehler macht. Es bleibt abzuwarten, ob Putin diesen Punkt nicht bereits überschritten hat.»


«The Irish Times»: Johnson steuert auf Handelskrieg mit der EU zu

DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Mittwoch Pläne der britischen Regierung, mit einem neuen Gesetz die Brexit-Sonderregeln für Nordirland teilweise auszuhebeln:

«Während die britische Außenministerin Liz Truss versprach, das Nordirland-Protokoll nur zu «reparieren» und nicht zu verwerfen, indem einige seiner Bestimmungen einseitig geändert werden, erklärte sie vor dem Unterhaus auch, dass die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Außerkraftsetzung von Teilen des Protokolls «im Einklang mit unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen» stehe. Aber einen Teil eines internationalen Abkommens mit der EU zu zerreißen, das Premierminister Boris Johnson in triumphalen Worten beschrieben und bereitwillig unterzeichnet hatte, ist ein Bruch des internationalen Rechts und ein Bruch feierlich eingegangener verbindlicher Verpflichtungen. (...)

Johnson sagt, es gehe ihm darum, ein Abkommen mit der EU auszuhandeln und dass dieses Gesetz dabei nur eine Absicherung sei. Aber er irrt, wenn er glaubt, dass diese Pistole am Kopf der Verhandlungsführer die beteiligten Hauptstädte zum Einlenken bewegen kann. Diese Methode führt genau zu dem Handelskrieg, den er angeblich vermeiden will.»


«Rzeczpospolita»: Steigende Preise - weniger Lebensmittel wegwerfen

WARSCHAU: Zu den gestiegenen Getreidepreisen und einer drohenden Lebensmittelknappheit infolge des Kriegs in der Ukraine schreibt die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Mittwoch:

«Die jüngsten Berichte aus der Ukraine, wonach die Russen Getreidespeicher plündern oder zerstören und die Feldarbeit erschweren, zeigen deutlich, dass Putin eine globale Lebensmittelkrise herbeiführen will, auf die dann soziale Unruhen und der Zerfall des westlichen Bündnisses folgen sollen. Das ist eine Tragödie für arme Entwicklungsländer, denen eine Hungersnot drohen könnte.

Für den wohlhabenden, überfütterten Teil der Welt wiederum könnten höhere Preise eine Anregung sein, die Kauf- und Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Nach Erhebungen der Warschauer Hochschule für Landwirtschaft werden in polnischen Haushalten bis zu 60 Prozent der Lebensmittel weggeworfen - auch deshalb, weil zuviel eingekauft wird. Trotz rasant steigender Brotpreise sieht man in den Müllcontainern vieler Wohnanlagen weiterhin Tüten mit vertrockneten Brötchen und Brot. Vielleicht fangen wir angesichts der steigenden Preise für Lebensmittel jetzt damit an, sie bedachter zu kaufen?»


«Pravo»: Bisherige Sicherheitsarchitektur in Europa löst sich auf

PRAG: Zu den Nato-Beitrittswünschen Finnlands und Schwedens schreibt die linksgerichtete Zeitung «Pravo» aus Tschechien am Mittwoch:

«Die künftige Nato-Mitgliedschaft der beiden skandinavischen Länder wird die geostrategische Situation im Norden Europas entscheidend verändern. Die Länge der Landgrenze Russlands mit den Nato-Staaten wird sich verdoppeln. Russland wird als Reaktion seine Militärpräsenz entlang der finnischen Grenze und in der Ostsee ausbauen, dürfte es damit aber schwer haben. (...) In jedem Fall zeigt es sich, dass die nach dem Kalten Krieg entstandene europäische Sicherheitsarchitektur seit dem russischen Angriff auf die Ukraine definitiv der Vergangenheit angehört. Die skandinavische Expressfahrt in das Nato-Bündnis besiegelt dies endgültig. Wie die weitere Entwicklung aussieht, ist eine große Unbekannte. Entschieden wird über die Zukunft nun hauptsächlich im Osten und Süden der Ukraine.»


«Nepszava»: Orbans Einfluss auf dem Balkan schwindet

BUDAPEST: Über die Balkan-Politik der Regierung des ungarischen Rechtsnationalisten Viktor Orban schreibt die oppositionelle Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Mittwoch:

«Diese Politik war gegen die Bestrebungen der EU-Kommission gerichtet. In Slowenien und in Serbien assistierte sie beispielsweise dem Ausbau eines illiberalen Staates. Doch nun hat sich das Blatt gewendet. (...) In Slowenien hat der designierte Ministerpräsident Robert Golob als Nachfolger des Rechtspopulisten Janez Jansa bereits signalisiert, dass er mit dessen illiberalen Politik radikal brechen wird. (...) Das Verhältnis zu Zagreb ist so eisig geworden wie noch nie seit der (1991 errungenen) kroatischen Unabhängigkeit, nachdem Orban über den «verlorenen Meereszugang» (in Anspielung auf ungarische Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg) gesprochen hatte. Serbien wiederum befindet sich wegen des Krieges (in der Ukraine) in einer neuen geopolitischen Lage. Es sieht sich gezwungen, sich der EU anstatt Moskau anzunähern, was den Interessen der Orban-Regierung zuwiderläuft.»


«NZZ»: Ukraine solle EWR-Beitritt nahegelegt werden

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Mittwoch den Antrag der Ukraine auf EU-Mitgliedschaft:

«Neben klaren Befürwortern in Osteuropa (Polen, Baltikum, Tschechien, Slowakei) gibt es etwa in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden viel Skepsis. Sie wird bis jetzt nur ganz verhohlen geäußert: Man will die Moral der kämpfenden Ukrainer nicht untergraben. (...) Ein Land mit 44 Millionen Einwohnern, das schon vor dem Krieg große strukturelle Probleme hatte, würde mit dem klassischen Erweiterungsprozess bloß auf eine Endlosschleife gesetzt. Stattdessen sollte Kiew die Aufnahme in den Europäischen Wirtschaftsraum nahegelegt werden (und ebenso den Staaten des Westbalkans, der Moldau und eventuell Georgien). Auch der EWR-Beitritt ist anforderungsreich und verlangt von den Kandidaten Wirtschaftsreformen und Rechtsstaatlichkeit. Doch die Hürden sind tiefer als beim Vollbeitritt, sie sind in nützlicher Frist überwindbar, und die Aussicht auf einen anschließenden Wirtschaftsaufschwung ist real.»

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