Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Sme»: Merkels Konsenspolitik hat Europa auch gelähmt

BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Freitag zur Bedeutung des Regierungswechsels in Deutschland:

«Am Donnerstagabend hat sich Angela Merkel nach 16 Jahren zu Nina Hagens Punk-Rhythmus symbolisch verabschiedet, bald wird Olaf Scholz an die Spitze der deutschen Regierung treten. Auch wenn sich dieser Mann im Wahlkampf vor allem als ihr ähnlicher Politiker zeigte, kann er eine grundsätzliche Veränderung für die Haltung der Europäischen Union bringen. Es ist auch in unserem Interesse, dass ihm das gelingt. Im Koalitionsprogramm ist von einer Stärkung des EU-Parlaments die Rede, auch von einem stärkeren Durchsetzen von Strafen für Rechtsstaatsverletzungen.

Merkel war eine Politikerin des Kompromisses, die abwartete, bis Emotionen abflauten und die Zeit für einen Konsens reifte. Dieses Aussitzen von Problemen klingt zwar fein, dauerte aber oft zu lange und brachte wenig Ergebnis. Wenn Scholz energischer auftritt, auch um den Preis mancher Konflikte, muss das daher nicht zwangsläufig schlechter sein. Denn gerade im Streit entstehen oft die besseren Lösungen. Wer immer nur zu allem nickt, bringt die Dinge nicht voran.»


«El País»: Riskante Zeit auf dem Balkan und in der Ukraine

MADRID: Zum Ukraine-Konflikt und zu den zunehmenden Spannungen zwischen dem Westen und Russland schreibt die spanische Zeitung «El País» am Freitag:

«Die Verschärfung der militärischen Spannungen an den Grenzen der Ukraine und sogar in den Gewässern des Schwarzen Meeres wird am 9. Dezember mit dem 30. Jahrestag des Abkommens über die Auflösung der Sowjetunion zusammenfallen. In den Augen von (Kremlchef Wladimir) Putin «die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Gleichzeitig wird der von Washington einberufene Gipfel der Demokratien stattfinden, an dem 77 als frei oder als teilweise frei geltende Länder teilnehmen sollen. Weder Moskau noch Peking wurden dazu eingeladen. Russische und chinesische Sprecher haben die Einberufung dieses Treffens bereits als Zeichen der Anklage interpretiert, das ihrer Ansicht nach einen neuen Kalten Krieg auslöst und die Ambitionen der Nato auf eine Expansion auf dem Balkan und in der Ukraine zum Ausdruck bringt. All diese Umstände deuten auf eine besonders riskante Zeit hin. (...) Aber weder die Nato noch die EU oder ihre Mitgliedstaaten dürfen es zulassen, dass Moskau seinen Willen durchsetzt, eine junge Demokratie zerstört und Länder einschüchtert, die einst dem Sowjetimperium unterstanden.»


«Lidove noviny»: Ukraine stärker militärisch unterstützen

PRAG: Die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien schreibt am Freitag zu den zunehmenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland:

«Wird es Krieg geben in Europa oder wird es keinen Krieg geben? Das ist keine rhetorische Frage, sondern in den nächsten Monaten eine ganz praktische. Dass rund 90.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden sind, sieht wie die Vorbereitung auf eine Konfrontation mit Kiew aus. (...) Es ist klar, dass die Ukraine für Russland eine einfache Beute wäre. Kiew hat zwar mit den USA und den übrigen Nato-Staaten Verbündete, aber bislang nur bis zu einem gewissen Grad. (...) Dabei ist das Einzige, was (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin definitiv stoppen könnte, die Aussicht auf eine Niederlage. Es gilt das alte Sprichwort: Wer den Frieden will, muss sich auf den Krieg vorbereiten. Doch dazu scheint im Moment niemand im Westen bereit zu sein.»


«Jyllands-Posten»: Französische Rechte ernst nehmen

AARHUS: Die dänische Tageszeitung «Jyllands-Posten» (Aarhus) kommentiert am Freitag die Kandidatur des extrem rechten Publizisten Éric Zemmour für die Präsidentschaftswahl in Frankreich im April:

«Éric Zemmour gleicht einem Provokateur, während seine Kandidatur für die französische Präsidentschaftswahl eine höchst wirkliche Besorgnis widerspiegelt. Ein Drittel der Wähler - und vielleicht mehr - betrachtet die Frage des Islams und der Einwanderung nach Frankreich als absolut entscheidend. Sie haben einen anderen Fokus als die Pariser, für die Radwege ganz oben auf der Liste stehen. Und sie fühlen sich vergessen und ganz nebenbei auch ignoriert von dem Präsidenten Emmanuel Macron, der die letzte Präsidentschaftswahl hauptsächlich deshalb gewonnen hat, weil er nicht Marine Le Pen gewesen ist. Die politische Elite wäre klug beraten, wenn sie die Rechte ernst nimmt anstatt sich nur die Nase zuzuhalten.»


«La Stampa»: Deutsche überraschend impffaul

ROM: Zu den letzten Tagen der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) und zur Corona-Lage in Deutschland schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Freitag:

«Wäre es doch wie in Italien, sagt Merkel passend zum Covid-Alarm. Sie ist in ihren letzten Tagen als Kanzlerin aufgerufen, eine der schwierigsten Phasen in der Pandemie zu bewältigen, davor, Patienten in die Lombardei zu schicken, die in deutschen Krankenhäusern kein Bett finden, und die komplizierte Entscheidung in den Bundestag zu bringen, eine Impfpflicht einzuführen, der einzige Weg, um die Impfquote in einem Land zu erhöhen, das sich als unerwartet faul und resistent gegenüber Impfungen entpuppt.

Das ist eine überraschende Aussage, weil es - zumindest in den vergangenen 20 Jahren - noch nicht vorgekommen ist, dass Deutschland unser Land als Beispiel betrachtet, wo es doch in der Vergangenheit ganz andere Urteile über uns gefällt hat.»


«The Times»: Der Westen kann nur wenig für die Ukraine tun

LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Freitag den Ukraine-Konflikt:

«Moskau greift auf eine Taktik zurück, die bei autoritären Regimen beliebt ist: das Schüren einer ausländischen Krise, um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. 2014 hat das funktioniert. Die Annexion der Krim hat den Rückgang der Popularität Putins nach seiner Wiederwahl im Jahr 2012 schnell wieder wettgemacht. Die Warnung, dass der Westen wieder «mit dem Feuer spielt», könnte tatsächlich die Belagerungsmentalität im Land verstärken.

US-Außenminister Antony Blinken warnt Moskau zu Recht vor den unangenehmen Folgen eines Militäreinsatzes. Allerdings kann der Westen wenig tun, um die Ukraine zu unterstützen, außer Waffen, Ausbildung und Militärberater anzubieten. (...)

Auch wenn Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg darauf pocht, dass die Ukraine immer noch der Allianz beitreten kann, ist dies äußerst unwahrscheinlich. Wie anmaßend die Forderung Russlands auch sein mag, ein Veto gegen die Mitgliedschaft der Ukraine einlegen zu können, innerhalb der Nato gibt es wenig Bereitschaft, ein Land aufzunehmen, das noch immer von Konflikten, Korruption und Instabilität zerrissen ist, und ihm damit die so wichtige Garantie gegenseitiger militärischer Unterstützung im Falle eines Angriffs zu bieten.»


«Magyar Nemzet»: EU-Gelder sind nicht als Beinschrauben gedacht

BUDAPEST: Zum Rechtsgutachten, das dem Europäischen Gerichtshof empfiehlt, die Klagen Ungarns und Polens gegen die neue Rechtsstaatsverordnung der EU abzuweisen, schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung «Magyar Nemzet» am Freitag:

«Es handelt sich um reine Politik, die im juristischen Gewand daherkommt. (...) Bei den (ungarischen) Wahlen (im Frühjahr 2022) geht es um enorm viel. (Ungarns Ministerpräsidenten Viktor) Orban möchte man loswerden, (...) doch der spürt die Beinschrauben immer noch nicht. (...) Aber wie sehr man das auch (in Brüssel) dreht und wendet: Die EU-Gelder bekommen wir nicht als Belohnungshappen, sondern auf der Grundlage der Europäischen Verträge, damit die Entwicklungsunterschiede ausgeglichen werden. Infolgedessen kann man sie auch nicht zur Strafe streichen, nur weil den Chefs in Brüssel die Anti-Migrations- und Anti-Gender-Politik des einen oder anderen Mitgliedslandes missfällt.»


«The Telegraph»: Merkels Fehler werden lange nachwirken

LONDON: Die britische Tageszeitung «The Telegraph» kommentiert am Freitag das politische Vermächtnis von Angela Merkel:

«Die größten Fehler Merkels werden noch lange nachwirken. Ihre Entscheidung von 2011, nach der Katastrophe von Fukushima in Japan aus der Kernenergie auszusteigen, war nicht nur ein tiefgreifender Akt der Selbstbeschädigung, sondern auch eine geopolitische Katastrophe, die Deutschland in die Abhängigkeit von Russland geführt hat. Der vorübergehende Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 wird rückgängig gemacht werden müssen, um Deutschlands Bedarf zu decken.

Ihr zweiter großer Fehler war die Entscheidung von 2015, sich über EU-Regeln für Asylbewerber hinwegzusetzen und Deutschlands Grenzen für mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern zu öffnen. Die Folgen sind in Osteuropa noch immer zu spüren und waren zum Teil für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Polen und Ungarn verantwortlich.

Merkel regierte als ultimative Pragmatikerin, oft in Koalition mit ihren politischen Gegnern, und brachte die CDU in eine ihrer schlechtesten Positionen seit Jahrzehnten. (...) Wenn Langlebigkeit ein Maßstab für Erfolg ist, dann kann sie sehr zufrieden sein. Ob die Geschichte ihre Leistungen wohlwollend betrachten wird, ist eine ganz andere Frage.»


«Tages-Anzeiger»: Schweiz hat Zeit nicht genutzt

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Freitag die Corona-Lage in der Schweiz:

«Mit welcher Begründung kann irgendjemand davon ausgehen, dass sich die Lage in der Schweiz anders entwickeln wird als in Österreich oder Deutschland? Die Impfraten sind ähnlich, auch die Zahl der Genesenen ist vergleichbar. Die Schweiz ging Mitte Oktober mit tieferen Fallzahlen in die fünfte Welle und hat wohl etwas mehr Reserven bei der medizinischen Versorgung. Doch statt diesen Zeitvorsprung zu nutzen, laufen wir in die exakt gleichen Probleme wie unsere Nachbarländer.

Zugegeben, die Zahl der Neuinfektionen steht für sich allein betrachtet als Kenngröße nur bedingt im Vordergrund. Sie sollte jedoch wegen der Langzeitfolgen und Arbeitsausfälle durch Covid keinesfalls gering geschätzt werden.

Vor allem ist aber klar, dass die Auslastung der Spitäler und die Todesfälle nachziehen werden. Diese liegen dank den Geimpften zwar noch deutlich unter dem Niveau der zweiten Welle vor einem Jahr. Doch bei der Geschwindigkeit, mit der diese Werte derzeit exponentiell ansteigen, dürften auch dort Höchststände und eine Überlastung bald Realität sein.»


«NZZ»: Abschied von Kurz Schlag und Chance für ÖVP

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» beschäftigt sich am Freitag mit dem Rückzug des österreichischen Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz aus der Politik:

«Für die ÖVP ist Kurz' Abgang ein schwerer Schlag und zugleich eine Chance. Die Partei ist in den Umfragen eingebrochen, und es ist völlig unklar, wer sie wieder zu vergleichbaren Erfolgen führen soll. Aber der ehemalige Kanzler hat das Land auch polarisiert wie zuvor nur Politiker der Freiheitlichen. Mit ihm an der Spitze wäre es der ÖVP äußerst schwer gefallen, nach künftigen Wahlen wieder Mehrheiten zu finden.

Wer nun die Führung übernehmen wird, ist offen. Alle gehandelten Personen zählen zum engen Kreis Kurz'. Dennoch ist zu erwarten, dass die vor dessen Machtübernahme legendär heterogene Partei wieder vielstimmiger wird. Das macht sie für die Wähler schwerer fassbar, eröffnet ihr selbst aber wieder die Möglichkeit unterschiedlicher Bündnisse.»


«Nesawissimaja»: Kurz stürzte über eigenes Selbstbewusstsein

MOSKAU: Zum Rückzug von Österreichs ehemaligem Kanzler Sebastian Kurz aus der Politik schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Freitag:

«Natürlich gibt es in jedem Staat eigene Spielregeln, aber bei einer Gewaltenteilung - und vor allem bei einer unabhängigen Justiz - müssen diese Regeln auch wirklich eingehalten werden. Politikern, die sie vernachlässigen, droht andernfalls ein wenig beneidenswertes Schicksal wie Kurz.

Höchstwahrscheinlich war sein Selbstbewusstsein verbunden mit einem steilen politischen Aufstieg (...) der Grund für die zahlreichen Affären, in die er verstrickt war. Aus Sicht seiner politischen Gegner kommt die Ankündigung, sich unter einem plausiblen Vorwand aus der Politik zurückzuziehen, einem Eingeständnis von Fehlern gleich.»


«Los Angeles Times»: Wir müssen die Welt impfen

LOS ANGELES: Zur Ausbreitung der neuen Omikron-Variante des Coronavirus schreibt die «Los Angeles Times»:

«Im Moment sollten wir eher frustriert als ängstlich sein, weil die Anführer in den USA und anderen entwickelten Nationen es versäumt haben, Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, genügend Impfstoff zur Verfügung zu stellen.

Als die Idee von Booster-Impfungen in den USA zum ersten Mal aufkam, sagten Wissenschaftler, dass wir viel mehr von unserem Impfstoff hätten, wenn wir mehr Dosen ins Ausland schicken würden. Das wäre nicht nur menschlich, sondern würde allen zugute kommen. (...)

Was in Bidens neuer Pandemiestrategie fehlte, war die Verpflichtung, dabei zu helfen, mehr Impfstoffdosen in die Hände von Menschen in Gebieten zu geben, in denen eine erschreckend hohe Anzahl nach wie vor ungeschützt ist. Je mehr dem Virus die Ausbreitung ermöglicht wird, desto höher ist Wissenschaftlern zufolge die Wahrscheinlichkeit neuer Mutationen, insbesondere bei Patienten mit chronischen Infektionen. Das bedeutet, dass wir die Welt impfen müssen. Die Bedrohung durch Covid-19 wird für die (US-)Amerikaner erst vorbei sein, wenn sie es für alle ist.»

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