Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zur Bundestagswahl

Die SPD lernt eine neue Richtung kennen: den Aufwärtstrend - auch wenn offen bleibt, ob er zur Rampe ins Kanzleramt taugt.

Die Union blickt dem mutmaßlich schlechtesten Wahlergebnis ihrer Parteihistorie entgegen - selbst wenn es für sie überraschend gut laufen sollte. Eine einzige Option kann sie vor einem regelrechten Umsturz bewahren: die reale Aussicht, das Kanzleramt verteidigen zu können. Ansonsten wäre Armin Laschet Geschichte. Ohne Macht ist eine Machtmaschine, als die sich die Union immer verstanden hat, dringend reparaturbedürftig, wenn nicht gar schrottreif. Martin Gerstner I Titelteam.


«Le Républicain Lorrain»: Angst um Umwelt wird Jahrhundertskrankheit

METZ: Zum globalen Klimastreik, zu dem auch in Frankreich aufgerufen wurde, schreibt die ostfranzösische Tageszeitung «Le Républicain Lorrain» am Freitag:

«Die Angst um die Umwelt wird die Krankheit des Jahrhunderts werden. Laut einer Studie, für die 10.000 16- bis 25-Jährige aus 10 Ländern befragt wurden, sind 59 Prozent der Befragten sehr oder extrem beunruhigt bezüglich der Zukunft des Planeten. 45 Prozent erklärten, dass sich diese Angst störend auf ihren Alltag auswirkt. Diese Niedergeschlagenheit ist nicht verwunderlich. Die Bilder von riesigen Bränden, von brutalen Überflutungen, von einstürzenden Eisbergen, von tödlichen Hitzewellen und die sich wiederholenden Warnungen der Klimatologen sind umso prägender, da sie im Kontrast zur Untätigkeit der Regierungen stehen.

Die Kinder der 60er oder 70er Jahre konnten sich anhand ihrer illustrierten Enzyklopädien für eine Natur und eine Biodiversität begeistern, die unendlich erschien (...). Die Kinder des 21. Jahrhunderts blicken auf ihre von Katastrophen gefüllten Bildschirme.»


«Hospodarske noviny»: Tschechiens Babis eifert Ungarns Orban nach

PRAG: Zum sogenannten «Demografischen Gipfel» in Budapest, der sich gegen Zuwanderung richtet und für eine stärkere Familienpolitik wirbt, schreibt die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien am Freitag:

«Wenn wir die Bilder sehen, wie sich der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis und Ungarns Viktor Orban gegenseitig auf die Schultern klopfen, sollten bei uns alle Alarmglocken angehen. Wir haben es allein unseren öffentlichen Institutionen und unserer Zivilgesellschaft zu verdanken, dass Tschechien weiterhin zur Gruppe der gesicherten Demokratien zählt. Doch das muss nicht lange so bleiben. Babis bewundert Orbans Regime und unternimmt alles, um sein illiberales ungarisches Vorbild einzuholen und zu überholen. Dabei hat er selbstverständlich all die finanziellen Vorteile im Blick, die sich daraus für ihn selbst und seine Nächsten ergeben. (...) Es gilt immer noch der Spruch: Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.»


«Dagbladet»: Deutschland bei Digitalisierung weit zurück

OSLO: Die norwegische sozialliberale Boulevardzeitung «Dagbladet» (Oslo) kommentiert am Freitag den Stand der Digitalisierung in Deutschland vor der Bundestagswahl:

«Das schlechteste Erbe von Merkel ist der Mangel an Digitalisierung der Gesellschaft und Modernisierung des öffentlichen Sektors. Deutschland liegt in der EU beim Ausbau von Glasfaserkabeln hinten, bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf einem Niveau mit Bulgarien. Um sich an Behörden zu wenden, darf man gerne körperlich erscheinen oder einen Brief auf Papier schicken. Die Bundesregierung hat mehr als 900 Faxe in Gebrauch, im Büro von Merkel wird Rohrpost benutzt. Als Deutschland im März 2020 die Schulen schloss, waren die Lehrer nicht imstande zum Fernunterricht der Schüler. Deutschland ist Europas stärkste Wirtschaft, in der digitalen Welt aber so weit hinten dran. Hier muss der nächste Bundeskanzler kräftig anpacken. Wird es Olaf Scholz, kann der auf Studienreise in den Norden gehen, wo seine sozialdemokratischen Freunde bald sämtliche Länder regieren - ganz ohne Fax.»


«Nesawissimaja»: Umfragen erwecken den falschen Eindruck

MOSKAU: Zu den Schwächen von Meinungsumfragen vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Freitag:

«Viele Wähler sind noch unentschieden, welche Partei sie wählen sollen. Umfragen erwecken allerdings den Eindruck von Genauigkeit, die es in Wirklichkeit nicht gibt. (...) Ein Problem ist, dass Umfragen in der Regel übers Festnetztelefon gemacht werden. Junge Menschen nutzen es jedoch nicht mehr und halten es für ein altertümliches Kommunikationsmittel. So fällt ein erheblicher Teil der Wähler aus dem Blickfeld der Forscher. Ein Vorteil des Festnetztelefons besteht aber für Meinungsforscher darin, dass es im Gegensatz zum Handy an einen bestimmten Wohnort gebunden ist. Und so entsteht ein Stimmungsbild in einer bestimmten Stadt oder einem Bundesland. (...) Am 26. September kann es zu Überraschungen kommen.»


«The Independent»: Gespenst der Inflation ist zurückgekehrt

LONDON: Zum Anstieg der Energiekosten meint der Londoner «Independent» am Freitag:

«Der starke Anstieg der Erdgaspreise ist noch nicht vergleichbar mit dem Ölpreisschock der 1970er Jahre. Doch viele der negativen Folgen könnten ähnlich ausfallen. Zwar in geringerem Umfang, aber je länger der Gaspreis ansteigt, desto größer wird das Ausmaß. (...) Das bedeutet, dass das Gespenst, das durch die Wirtschaftsgeschichte der 1970er Jahr geisterte, zurückgekehrt ist. Die Inflation wird Erwartungen zufolge bis Ende dieses Jahres auf über vier Prozent steigen. Und nun hat die Bank of England erklärt, sie gehe davon aus, dass sie auch noch in der ersten Hälfte des kommenden Jahres auf diesem Niveau bleiben wird.

Das wird die Lebenshaltungskosten weiter ansteigen lassen, die für viele Familien bereits durch die Kürzung von Sozialleistungen sowie für die meisten Familien durch die für nächstes Jahr geplanten Steuererhöhungen schwerer zu tragen sein werden. Der Anstieg der Energiekosten ist nun die dramatischste und politisch bedrohlichste Form der Inflation, und das ist es vor allem, was Premierminister Boris Johnson in den Griff bekommen muss.»


«De Standaard»: Ausrutscher schaden Laschets Glaubwürdigkeit

BRÜSSEL: Zum Wahlkampf von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet schreibt die belgische Zeitung «De Standaard» am Freitag:

«Im Wahlkampf des Kanzlerkandidaten der Christdemokraten hat es einige Ausrutscher gegeben, die seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt haben. Seine Kampagne wurde von den Überschwemmungen überrollt. Das Klima schien plötzlich das Wahlkampfthema zu sein, während genau dieses Thema seine Achillesferse ist; er musste sich bei den Opfern abrackern, obwohl er lieber hinter den Kulissen an Kompromissen und Lösungen arbeitet.

Sein ungeschickter Auftritt (im Flutgebiet) verfolgt ihn bis heute, und der Weg zur Kanzlerschaft verläuft nicht so glatt, wie er das - als erfolgreicher Ministerpräsident des wichtigsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen - erwartet hatte. (...) Lange Zeit präsentierte sich Laschet als Merkels Nachfolger, als der Mann, der ihre Politik ohne Bruch fortführen würde. Doch als er in den Umfragen hinter Olaf Scholz zurückfiel, setzte er im Wahlkampf andere Akzente: mehr Sicherheit, weniger Steuern. Laschet distanziert sich von den Kanzlerkandidaten der Roten und Grünen, die einander gefunden zu haben scheinen. Er warnt vor den Folgen, sollten sie an die Macht kommen. Das, so sagen alle Analysten, ist ein Zeichen von Schwäche.»


«NZZ»: Die EU sollte sich nicht einmischen

ZÜRICH: Zum Vorstoß der EU-Kommission zur Einführung einheitlicher Handy-Ladebuchsen meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Freitag:

«Zunächst einmal ist es immer sinnvoll, wenn eine Regulierung ein Problem löst. Das ist aber hier nicht der Fall. Wohl gab es 2009 noch 30 verschiedene Ladegeräte. Doch mittlerweile existieren eigentlich nur noch deren zwei, nämlich USB-C - das Mikro-USB ablösen dürfte - und Apples Lightning. Die Kommission bringt also gar keine Ordnung in den Kabel-Dschungel, weil es keinen Dschungel mehr gibt. (...)

Die Vorlage ist aber nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich. Die Kommission bewegt sich nämlich in ein Gebiet hinein, in dem sie eigentlich nichts zu suchen hat. So sollen die Beamten in Brüssel im Anhang der Funkanlagenrichtlinie neu eine Liste führen, welche Geräte USB-C-Buchsen haben müssen und welche nicht. Demnach braucht beispielsweise die Apple Watch USB-C nicht, das iPhone aber schon. Die Vorstellung, dass sich EU-Angestellte derartige Gedanken machen müssen, ist absurd. Man setze sich für die europäischen Konsumenten ein, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Donnerstag. Doch für Kundenzufriedenheit sind die Unternehmen zuständig, nicht die Beamten in Brüssel.»

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