Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Lidove noviny»: Kommen die Goldenen Zwanziger zurück?

PRAG: Die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien schreibt am Freitag zur Möglichkeit eines Wirtschaftsbooms nach der Corona-Pandemie:

«Kommt jetzt die Zeit der Goldenen Zwanziger wieder? Wenn wir fest daran glauben, tritt es wirklich ein. Denn Optimismus bringt die Wirtschaft in Schwung, unabhängig davon, ob er berechtigt ist oder nicht. Zugleich muss man daran erinnern, dass die Goldenen Zwanziger des 20. Jahrhunderts schnell wieder zu Ende waren. Ohnehin deuten die historischen Statistiken an, dass die Menschen nach Pandemien und Kriegen generell nicht so viel ausgeben, wie wir immer annehmen. Hinzu kommt, dass sich damals die Gesellschaft verändert hat. Die Menschen glaubten weniger an rationale Argumente und wurden härter. Und das hatte in der Zwischenkriegszeit unschöne politische Folgen.»


«De Standaard»: Die echte Prüfung steht Biden noch bevor

BRÜSSEL: Zur ersten Rede von US-Präsident Joe Biden vor dem Kongress heißt es am Freitag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Joe Biden braucht nicht mit der Kooperation der Republikaner zu rechnen, wie in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit deutlich wurde. Ungeachtet seiner Wahlversprechen hat er sie an den Rand gedrängt, als es darum ging, sein Corona-Unterstützungspaket durchzubekommen. Insofern klang Bidens erneuter Aufruf zur Zusammenarbeit diesmal hohl. Obendrein kann er schon froh sein, wenn es ihm gelingt, die Reihen der Demokraten geschlossen zu halten. (...)

Die Wähler werden (bei den Zwischenwahlen 2022) ihr Urteil darüber abgeben, ob die Demokraten genügend spürbare Veränderungen bewirkt haben. Jedenfalls steht Biden die echte Prüfung noch bevor. Viele hatten befürchtet, dass er zu vorsichtig vorgehen würde. Doch Biden macht das Gegenteil: Mit einem fragwürdigen Blatt setzt er alles auf eine Karte. Vielleicht ist das ja die einzige Möglichkeit, einen rücksichtslosen, verbissenen Gegner zu schlagen.»


«Pravda»: Minimum an Sozialstaat ist US-Republikanern zu links

BRATISLAVA: Zu den ersten 100 Amtstagen von US-Präsident Joe Biden schreibt die slowakische Tageszeitung «Pravda» am Freitag:

«Während Biden im Kampf gegen die Pandemie Erfolge vorweisen kann, ist er in der Wirtschaftspolitik zwischen zwei Mühlsteine geraten. Auf der einen Seite sind dem linken Flügel der Demokraten seine bisherigen Maßnahmen zu wenig, auf der anderen Seite stößt er bei den Republikanern auf eine Mauer von Unverständnis. (...)

Was sie schon als Sozialismus kritisieren, ist für Europäer seit Jahrzehnten nur typischer Bestandteil eines Sozialstaats, wie ihn Sozialdemokraten ebenso wie Christdemokraten durchsetzen. Kostenlose Kindergärten für sozial Schwache oder einen bezahlten Mutterschaftsurlaub betrachten wir in Europa als selbstverständlich. Doch die amerikanischen Konservativen sehen das anders. Dabei versucht Biden nur, den Niedergang der Mittelschicht und das Anwachsen der Armut zu bremsen.»


«Star Tribune»: Indien muss bei Corona geholfen werden

MINNEAPOLIS: Zur Corona-Lage in Indien und der internationalen Hilfe für das Land schreibt die US-Zeitung «Star Tribune» aus Minneapolis:

«Es gibt natürlich grundlegende epidemiologische Gründe für den Anstieg (der Corona-Fälle), aber es gibt auch politische. Premierminister Narendra Modi hat sich nicht nur gegen weitere Beschränkungen zur Eindämmung der Übertragungen gesträubt, er hat zu politischen Zwecken auch prall gefüllte Kundgebungen abgehalten und ein religiöses Hindu-Massenfest zugelassen.

Wie im Falle vieler anderer Regierungen weltweit hat Indiens ineffektive Antwort auf das Virus die Probleme verschlimmert. (...) Das sollte die USA und andere Länder aber nicht davon abhalten, Indien in dieser schlimmen Notlage weiter zu helfen und es dabei zu unterstützen, weiterhin eine wichtige Rolle bei der Impfstoffproduktion zu spielen. (...) Indien wird nicht das letzte Epizentrum sein, wo eine Krise zu einer Katastrophe wird.»


«Le Parisien»: In Frankreich endlich Lockerungen in Sicht

PARIS: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat für Mitte Mai zahlreiche Corona-Lockerungen angekündigt. Dazu schreibt die Tageszeitung «Le Parisien» am Freitag:

«Die Franzosen, die mit Neid beobachten, wie in Israel, Großbritannien und den USA erfolgreich gelockert wird, können mit Recht sagen, dass sie jetzt an der Reihe sind. Endlich! (...) Man hat aus der Vergangenheit gelernt, auch wenn die Situation nicht mehr die gleiche ist. Zunächst gibt es jetzt die Impfung und eine kollektive Immunität rückt immer näher. Außerdem haben sich die Europäer so organisiert, dass sie in der Lage sind, innerhalb von drei, vier Monaten Millionen Dosen zu produzieren.

Dies, so der Präsident, gebe «eine Perspektive für einen nachhaltigen Ausweg aus der Krise» und stimme ihn «optimistisch» - ein Wort, das seit Beginn der Pandemie aus seinem Vokabular verschwunden war. Dann beginnt die «Welt danach», die vom Wirtschaftsaufschwung und den Präsidentschaftswahlen bestimmt sein wird. Deren Ausgang hängt auch vom Erfolg der bis ins Detail geplanten Lockerungsstrategie ab.»


«Times»: Bidens Pläne könnten sich als zu optimistisch erweisen

LONDON: Die Londoner «Times» kommentiert am Freitag die von US-Präsident Joe Biden geplanten Steuererhöhungen zur Finanzierung staatlicher Milliardeninvestitionen:

«Angesichts des schieren Umfangs der Pläne besteht auch die Gefahr, dass sich ein Großteil der Ausgaben als verschwenderisch und wenig zielgerichtet erweist. Derweil könnte Bidens größtes Wagnis darin bestehen, dass sich seine Pläne zur Finanzierung der Programme durch höhere Steuern für Reiche als zu optimistisch erweisen. (...)

Die übergeordnete Frage ist jedoch, ob die Amerikaner ein solch radikales Umverteilungsprogramm akzeptieren werden. Der Präsident hat dafür kein Mandat der Wähler erhalten und im Kongress nur eine hauchdünne Mehrheit. Er hofft, dass dankbare Wähler seine Demokratische Partei bei den Zwischenwahlen 2022 belohnen. Der Rest der Welt wird das genau beobachten. Sollte sich sein Glücksspiel politisch und wirtschaftlich auszahlen, werden sich andere die neue Bidenomics zu eigen machen wollen.»


«La Vanguardia»: Bidens Reformplan nur mit New Deal vergleichbar

MADRID: Zur Bilanz der ersten 100 Amtstage von US-Präsident Joe Biden schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Freitag:

«Biden will einen ehrgeizigen Infrastrukturplan und eine neue Wirtschafts- und Steuerstrategie auf den Weg bringen, um mit China konkurrieren zu können. Er will damit Millionen Arbeitsplätze für Amerikaner schaffen, auch für Bürger mit niedrigeren akademischen oder beruflichen Qualifikationen. Es wird allerdings nicht einfach sein, für das 2,3 Billionen Dollar schwere Infrastrukturprojekt und für die höhere Besteuerung der Reichsten die Zustimmung des Kongresses zu bekommen, weil die Republikaner entschieden dagegen sind.

Der einzig mögliche Vergleich zu Bidens Reformplan ist der New Deal von Franklin D. Roosevelt, der das Land aus der Krise der Großen Depression führen sollte. Fast ein Jahrhundert ist seitdem vergangen. Nun steht ein anderer demokratischer Präsident ebenfalls vor der Herausforderung, die Nation wieder aufzubauen, diesmal nach der Covid-Katastrophe.»


«La Stampa»: Biden wirkt langweilig beruhigend

ROM: Zur Rede von US-Präsident Joe Biden vor dem Kongress schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Freitag:

«Nach Donald Trump wirkt Joe Biden langweilig beruhigend, aber die Rede vor dem versammelten Kongress war bahnbrechender als die Zehntausenden Tweets seines Vorgängers. Er hat Vorschläge auf den Tisch gelegt, die eine kraftvolle Rückkehr des Staates zur Unterstützung von Wirtschaft und Gesellschaft ankündigen, während sie vierzig Jahre unumstrittenen neoliberalen Konsenses kippen.

Es ist ein starker Anstoß an Amerika, aber auch eine außenpolitische Herausforderung, sich im 21. Jahrhundert und - um die Dinge beim Namen zu nennen - im Rennen mit China durchzusetzen. Die langanhaltenden Nachwirkungen aus den USA werden bald mit den Gipfeltreffen - G7, Nato, EU - Mitte Juni in Europa eintreffen. Amerika reformieren, um mit dem Rest der Welt Schritt zu halten: Biden hatte bereits das Signal zum Klimawandel gegeben. Die Übereinstimmung von Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik stellt den Verbündeten Europa in Frage.»


«NZZ»: Fragwürdige Entscheidung zum Klimaschutz

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kritisiert am Freitag die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz:

«Das ist aus drei Gründen fragwürdig. Erstens greifen die Richter unbotmäßig in die Gestaltungsrechte künftiger Parlamentarier und Regierungen ein. Zwar ist Klimaschutz gewiss ein sehr langfristiges Geschäft. Doch die jährlichen Emissionsmengen und die entsprechenden Maßnahmen über Jahrzehnte im Voraus verbindlich festzulegen, ist anmaßend und nicht effizient. (...)

Zweitens übersieht das Gericht, dass die vom deutschen Klimaschutzgesetz von 2019 genannten und nun bemängelten Maßnahmen ohnehin nicht geeignet sind, den vom Grundgesetz geforderten «Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen» zu garantieren. Die Klimaerwärmung ist ein globales Phänomen. Deutschland trägt zum weltweiten CO-Ausstoß lediglich einen Anteil von 2 Prozent bei, mit abnehmender Tendenz. (...)

Drittens erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Richter extreme Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger zum Schutz des Klimas in den nächsten Jahrzehnten annehmen. Diese Gewichtungen und Entscheidungen müssen in einer Demokratie zu jeder Zeit den Bürgern beziehungsweise den von ihnen gewählten Abgeordneten überlassen werden, nicht einigen Verfassungsrichtern, die dann voraussichtlich gar nicht mehr im Amt sind.»


«Nesawissimaja»: Biden wie verträumter Revolutionär

MOSKAU: Zur ersten Ansprache von US-Präsident Joe Biden vor dem Kongress in Washington schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Freitag:

«Zum wichtigsten politischen Ereignis in dieser Woche in den USA wurde die Rede von US-Präsident Joe Biden vor dem US-Kongress. Sie war den ersten 100 Tagen der neuen Administration im Weißen Haus gewidmet. Die Rede des amerikanischen Anführers hinterließ allerdings einen zweigeteilten Eindruck bei den Beobachtern. Ein 78 Jahre alter Mensch sprach da über radikale Veränderungen, die das Zeug zur Spaltung der Gesellschaft haben, und zugleich über die Einheit Amerikas. Bidens Rede war die eines verträumten Revolutionärs. (.) Er trat als Kämpfer für das einfache Volk auf.»

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