Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Enteignungen

«Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus» - so leiteten Marx und Engels 1848 das Kommunistische Manifest ein.

Darauf beruft sich die Initiative zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen, die zum Start ihrer Unterschriftensammlung Unterstützer in Gespensterkostümen Plakate mit der Aufschrift hochhalten lässt: «Spekulanten - Eure Zeit ist um - das Gespenst der Enteignung geht um». Doch sind es leider nicht die Spekulanten, die sich nun fürchten müssen, sondern die Berliner, wenn Milliardensummen in ein Vorhaben fließen, das weder geeignet ist, die Wohnungsnot zu beheben, noch den Sanierungsstau in den großen Siedlungsbeständen abzubauen. Denn durch das Vorhaben entsteht nicht eine neue Wohnung.


«Frankfurter Rundschau» zur Debatte über einen Impfpass der EU

Ja, an der einen oder anderen Abzweigung hätte Brüssel mehr Tempo bewirken können.

Vor allem die drohenden Probleme durch Produktionsengpässe wurden unterschätzt. Aber die EU hat in einer beispiellosen Anstrengung ihren 440 Millionen Einwohnern 2,6 Milliarden Impfdosen gesichert. Deren Produktion ist der Flaschenhals. Aber Europa holt auf. Hinter den USA mit rund 20 Millionen vollständig Geschützten liegt die EU mit zehn Millionen auf Platz zwei weltweit. Allerdings gibt es in der EU noch immer Probleme bei Verabreichung des Impfstoffs in den Einzelstaaten. Der EU wird man dies schlecht anlasten können. Ausgerechnet das ungeliebte Brüssel schickt sogar einen Sonnenstrahl der Hoffnung über den gequälten Kontinent - in Gestalt des digitalen EU-Impfpasses. Der nützt wenig, wenn es auch im Sommer noch an Impfstoff fehlen sollte. Kommt aber die erwartete Impfstoffschwemme, und können die Europäer wieder reisen, werden viele durchatmen - und ihren Kontinent mit neuen Augen sehen.


«The Times»: Saudi-Arabiens Menschenrechtsverletzungen nicht dulden

LONDON: Die Biden-Regierung hat die Veröffentlichung des US-Geheimdienstberichts über die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi angekündigt. Dazu meint die Londoner «Times» am Freitag:

«Saudi-Arabiens Nützlichkeit als Ölquelle, Geheimdienstpartner und Aufmarschgebiet für amerikanische Truppen hat dazu beigetragen, dass es einer genaueren Prüfung der Menschenrechtslage entgangen ist, mit der weniger nutzbringende Nachbarn überhäuft werden. Nun verfallen einige dieser Rechte. Aber beide Länder teilen weitere strategische Interessen, vor allem das in Schach halten eines expansionistischen und zutiefst feindseligen Irans. Washington muss jedoch nicht befürchten, dass Riad nun Teheran unterstützen wird, nur weil es wegen seiner Menschenrechtslage gerügt wird.

Saudi-Arabien ist bereits dabei, sich auf die neue Ordnung einzustellen. Es begrüßte Bidens Wahl mit der Freilassung einer Menschenrechtsaktivistin und der Aufhebung eines Todesurteils gegen einen jugendlichen Demonstranten - kleine, aber wichtige Schritte. Ein historischer Neustart ist möglich, der Wege zu einer pragmatischen Zusammenarbeit öffnet, ohne Saudi-Arabiens schlimmstes Verhalten zu dulden oder westliche Werte zu verletzen.»


«La Stampa»: Militärs in Armenien heizen Konflikt weiter an

ROM: Zur Parteinahme des Militärs für die Opposition in der Krise der Südkaukasus-Republik Armenien schreibt die italienische Zeitung «La Stampa» aus Turin am Freitag:

«In Armenien herrscht ein Klima großer politischer Spannungen. Seit Monaten gehen Oppositionelle auf die Straße und fordern den Rücktritt des Ministerpräsidenten, den sie als «Verräter» bezeichnen, weil er mit Aserbaidschan einen Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet hat, den sie als «demütigend» einstufen. Das im November mit russischer Vermittlung unterzeichnete Abkommen beendete sechs Wochen blutiger Zusammenstöße in der umstrittenen Region Berg-Karabach (...). Die Opposition hat die Vereinbarung jedoch als «Kapitulation» abqualifiziert (...). Die Initiative der armenischen Militärkommandeure hat nun die bereits brenzlige politische Konfrontation weiter angeheizt und weltweit Besorgnis erregt.»


«Lidove noviny»: Warum kein Lockdown in der Industrie?

PRAG: Zu den Diskussionen über einen härteren Lockdown im stark von Corona betroffenen Tschechien schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Prag am Freitag:

«Die tschechische Finanzministerin Alena Schillerova und Präsident Milos Zeman sind sich einig, dass eine vorübergehende Schließung der Industrie nicht der richtige Weg sei. Das ist eine merkwürdige Denkweise: Warum waren Handel, Dienstleistung und Gastronomie viele Monate geschlossen und sind es auch weiterhin, aber die Industrie kann nicht einmal für wenige Wochen stillstehen? Natürlich können sich die immer neuen Gäste in einer Kneipe eher anstecken als die immer gleichen Mitarbeiter in der Produktion. Doch es kann überall zu einer Übertragung kommen, auch am Montage-Fließband in einer Autofabrik. Wir können nur beten, dass die Entscheidung, die Industrie im Februar unangetastet zu lassen, nicht einen längeren Lockdown im März nötig macht. Genau das ist es, was uns droht.»


«Trouw»: Impfstoffproduktion sollte Aufgabe des Staates sein

AMSTERDAM: Die Impfstoffproduktion sollte eine staatliche Aufgabe sein, heißt es in der niederländischen Zeitung «Trouw» (Online-Ausgabe, Beitrag von Donnerstag):

«Wenn etwas zum Sprachgebrauch bei der Pandemiebekämpfung passt, dann ist es wohl die Kriegsrhetorik. Das Volk wird mit Begriffen wie «Kampf», «Gefecht» und «das Virus besiegen» in den Schützengraben zur Virusabwehr geführt. Angesichts dessen ist es seltsam, dass die wichtigste Waffe in diesem Krieg nicht in den Händen des Staates liegt: die Impfstoffproduktion befindet sich in privaten Händen. (...)

In einem tatsächlichen Kriegsfall wäre es undenkbar, dass eine derart wichtige Produktion dem freien Markt und den «guten Absichten» von Waffenherstellern überlassen wird. Es deutet auf eine fundamentale Schwäche hin, dass die Produktion unserer Waffen (Impfstoffe) gegen unseren Feind (das Virus) nach einem Model geschieht, bei dem Pharmaunternehmen Geld verdienen, ohne dass Staaten die Kontrolle darüber haben. (...) Außergewöhnliche Situationen wie die Corona-Krise erfordern einen außergewöhnlichen Eingriff des Staates in den freien Markt, um eine effektive Bekämpfung zu ermöglichen.»


«Guardian»: Prozess beweist Verbrechen des Assad-Regimes

LONDON: Der Londoner «Guardian» kommentiert am Freitag die Verurteilung eines früheren Mitarbeiters des syrischen Geheimdienstes durch das Oberlandesgericht Koblenz:

«Die Bedeutung dieses Falles liegt nicht nur in der Feststellung der Schuld von Eyad A., sondern in der Entlarvung des bösartigen Systems, in dem er funktionierte. Laut Staatsanwaltschaft war er ein «Rädchen im Getriebe» eines Sicherheitsapparates, der Folter in einem «fast industriellen Ausmaß» betreibt. Der Prozess ist nun Bestandteil der historischen Aufzeichnungen - ein weiterer unwiderlegbarer Beweis für die monströsen Verbrechen des Assad-Regimes. Die Hoffnung ist, dass er auch Teil des Weges zu zukünftigen Prozessen sein wird. (...)

Es hat zehn frustrierende Jahre gedauert, um eine geringfügige Verurteilung zu erreichen. Syriens Überlebende sind sich nur allzu bewusst, dass sie ihren Diktator vielleicht nie auf der Anklagebank sehen werden. Gerechtigkeit zu erlangen dauert nicht nur lange, es besteht auch Ungewissheit. Und doch wurde ihr in diesem Fall, wie unvollständig auch immer, endlich Genüge getan.»


«El País»: Der EU-Impfpass ist willkommen

MADRID: Zur Debatte um einen europäischen Corona-Impfpass und zur Vereinbarung der 27 EU-Staaten über einen gegenseitig anerkannten Nachweis schreibt die spanische Zeitung «El País» am Freitag:

«Der gestrige EU-Gipfel hat dem Projekt Auftrieb gegeben. (Bundeskanzlerin) Angela Merkel sagte, sie schätze, dass die Kommission drei Monate brauchen werde, um die technischen Fragen zu klären. Das würde bedeuten, dass eine Wiederaufnahme des Reiseverkehrs innerhalb der EU im Sommer möglich sein würde. Obwohl es zuvor Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte, rückt der Deal näher. Und er ist willkommen. (...)

In dieser Debatte sollte die Diskriminierung (Unterscheidung zwischen geimpften und ungeimpften Personen) nicht als Aberkennung von Rechten betrachtet werden. Das neue Zertifikat wird lediglich ein weiteres Instrument sein. Die Bewegungsfreiheit wird ja bereits durch Tests, Quarantänen oder Grenzschließungen eingeschränkt. Die Bevölkerung würde sich dank des Impfpasses darauf freuen können, dass die bereits geimpften älteren Menschen verreisen können. Und die sorglosen jungen Menschen würden einen Anreiz haben, sich impfen zu lassen. Die Gesellschaft und die Wirtschaft brauchen einen Horizont der Hoffnung und der Wiederaufnahme aller Aktivitäten. Die EU wird gut daran tun, den Impfpass einzuführen, sobald die Fähigkeit der Impfstoffe zur Eindämmung der Ansteckungen bewiesen ist und eine ausreichend hohe an geimpften Menschen vorhanden ist.«


«Dagens Nyheter»: Corona-Impfpass ist kein Einzelticket ins Paradies

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Freitag die Diskussionen über Corona-Impfnachweise und damit verbundene Vorteile für den Bürger:

«Das Coronavirus hat dem Reisen in der Welt ein plötzliches Ende versetzt. Damit ist in mehreren Ländern das Hauptgeschäftsmodell weggefallen. Griechenlands Wirtschaft beruht zu mindestens einem Fünftel auf dem Tourismus. Spanische Strände und Hotels sind seit einem Jahr leer. Das schwedische Hotelwesen kennt das ebenfalls. Gewiss wäre es praktisch für Fluglinien und Hotels, wenn Kunden mit einem Papier oder digitalen Nachweis zeigen könnten, dass sie ungefährlich für ihre Umgebung sind. Ein Impfausweis wird auch als mögliche Eintrittskarte zu Konzerten und Fußballspielen genannt. Er kann mindestens aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: als Möglichkeit, den Leuten das Leben zu erleichtern, oder als Methode, um gewissen Mitbürgern zu verbieten, was sie tun wollen. Ein Impfpass ist kein Einzelticket ins Paradies. Es gibt praktische Vorteile damit, aber auch Einwände, die berücksichtigt werden müssen.»


«Hospodarske noviny»: Regierung braucht Unterstützung von Psychologen

PRAG: Zum Handeln der tschechischen Regierung in der Corona-Krise schreibt die liberale Wirtschaftszeitung «Hospodarske noviny» aus Prag am Freitag:

«Es scheint unerlässlich, dass die Regierung schnellstmöglich einen Psychologen einstellt - oder ein ganzes Team von Psychologen. Ministerpräsident Andrej Babis hat während der seit einem Jahr andauernden Pandemiekrise eine fatale Unfähigkeit gezeigt, den Staat zu lenken. Doch es geht jetzt nicht darum, ihn persönlich zu beleidigen, sondern darum, ihm zu helfen, mit der Situation besser umzugehen. (...) Es gibt Zeugenaussagen, dass es bei den Kabinettssitzungen immer mehr an Rationalität fehlt. Es soll mit den Fäusten auf den Tisch geschlagen und geschrien worden sein. (...) Die Psychologen könnten zudem Gesundheitsminister Jan Blatny erklären, wie er auf Pressekonferenzen zu den Bürgern reden sollte, ohne ihren Zorn noch weiter zu schüren (...) - und wie Motivation funktioniert.»


«L'Alsace»: Corona-Maßnahmen fördern Dezentralisierung in Frankreich

MÜLHAUSEN: Die Erhöhung der Corona-Warnstufe für mehrere französische Départements kommentiert die ostfranzösische Tageszeitung «l'Alsace» am Freitag:

«Zwanzig Départements können ab Ende nächster Woche verschärften Corona-Maßnahmen unterliegen, örtliche Lockdowns miteingeschlossen. Bemerkenswerterweise hat sich bei einem so zentralistischen Land wie dem unseren (...) bisher noch niemand gegen diesen «differenzierten» Ansatz erhoben. Die Corona-Krise wird also zumindest eine Errungenschaft erbracht haben: zuzulassen, dass nicht alle Gebiete immer und zu jeder Jahreszeit nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden. Und wenn das heute für Gesundheitsfragen gilt, (...) warum sollte sich das morgen nicht auch für andere, ganz andere Bereiche lohnen.»


«NZZ»: Frontex macht Drecksarbeit für die EU

ZÜRICH: Zu den Vorwürfen gegen Frontex, am Zurückstoßen von Migranten beteiligt zu sein, meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Freitag:

«Dass Frontex, die Grenzschutzbehörde der EU, sich an solchen Pushbacks beteiligt oder dabei wegschaut, ist ein Vorwurf, der ebenfalls vielfach belegt ist. Es ist gut, dass sich die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der Sache persönlich angenommen hat. Frontex-Chef Fabrice Leggeri hatte die Angelegenheit zuerst unter den Tisch gekehrt und dann ein halbes Jahr vor sich hergeschoben. (...)

Aber Frontex ist nicht das eigentliche Problem. Man kann sogar sagen: Frontex macht die Drecksarbeit für eine Union, die sich nicht auf eine funktionierende Migrations- und Asylpolitik verständigen kann. Die Agentur ist nämlich den Behörden der Mitgliedstaaten unterstellt, auf deren Gebiet sie operiert. Griechenland und Kroatien tolerieren Pushbacks und in manchen Fällen auch «ein bisschen Gewalt» (so die vormalige kroatische Präsidentin Grabar-Kitarovic). Sie wissen dabei um das stillschweigende Einverständnis der Staaten weiter nördlich auf der Migrationsroute.»


«Nesawissimaja»: Ereignisse in Armenien erinnern an Militärputsch

MOSKAU: Zu der innenpolitischen Krise in der Südkaukasus-Republik Armenien schreibt die russische Zeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Freitag:

«Es ist nicht der erste Tag, an dem in Eriwan Kundgebungen abgehalten werden, um den Rücktritt von Regierungschef Nikol Paschinjan zu fordern. Aber bis zum vergangenen Donnerstag waren die Proteste zivil, und jetzt ähneln die Ereignisse einem Militärputsch. Die Armee hat sich der Opposition auf der Straße angeschlossen. Der Generalstab rief Paschinjan auf, gemeinsam mit der Regierung zurückzutreten. Das ist die erste organisierte militärische Aktion gegen die zivile Regierung Armeniens. Dies erinnert an eine Junta lateinamerikanischen Stils. Paschinjan lehnte einen Rücktritt ab. Am Abend rückte das Parlament, wo sich die Abgeordneten versammeln sollten, in den Mittelpunkt der Geschehnisse. Das Parlamentsgebäude war von Stacheldraht und Sicherheitskräften umgeben.»

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