Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Münchner Merkur» zu Ramelow/Corona

Man muss wahrlich nicht zu den Freunden des Thüringer Linke-Ministerpräsidenten gehören.

Aber Bodo Ramelow hat sich klug und mutig geäußert. "Die Kanzlerin hatte Recht, ich hatte Unrecht", sagt er unumwunden. Er habe von Sommer bis Winter das Virus und den nötigen Lockdown unterschätzt. Keine Häme: Die Radikalität, mit der er seine Fehleinschätzung auf dem zentralen Politikfeld zugibt, ist extrem selten. Keiner, der wie er irrte, hatte dazu den Mut. Corona zu bekämpfen, heißt: täglich dazulernen. Das ist spannend, weil es den Mechanismen aus Politik und Medien (Recht haben oder koste-was-wolle später Recht bekommen) widerspricht. Fehler macht die Politik etliche. Aber durch diese Krise müssen uns lernende Systeme steuern.


«Stuttgarter Zeitung» zu Rennen um CDU-Vorsitz

Der Umstand, dass Spahns Popularität und Söders Ansehen für potenzielle Unionswähler eine größere Attraktion entfalten als das versammelte Charisma der drei CDU-Herren, die kommende Woche Parteichef werden wollen, erklärt sich aus deren Handicaps.

Friedrich Merz, der umstrittenste, wenn auch aussichtsreichste dieses Trios, ist ein Mann von gestern, dem der Zeitgeist wie ein Schneesturm ins Gesicht bläst. Sein Wirtschaftsliberalismus passt so gar nicht zu der Sehnsucht nach einem starken Staat, die in der Pandemie enorm gewachsen ist. Norbert Röttgen fehlt eine Hausmacht unter den Funktionären, die auf dem Parteitag das Sagen haben. Armin Laschet agierte als Krisenmanager im Kampf gegen die Seuche zu unentschlossen. Er wäre als Aspirant auf die Merkel-Nachfolge eher eine Verlegenheitslösung. Und mit Verlegenheitslösungen lassen sich selten Wahlen gewinnen.


«Frankfurter Rundschau» zu Schwangerschaftsabbrüchen

Nur wenn sich Frauen angstfrei informieren und gut ausgebildete Ärzt:innen finden können, verlieren Abtreibungen ihr Stigma.

Für Frauen in Deutschland ist der freie Zugang zu einer Abtreibung nicht selbstverständlich. Schwangerschaftsabbrüche werden hierzulande nach wie vor kriminalisiert und damit tabuisiert. Zudem gibt es zu viele Orte in Deutschland, an denen niemand Abtreibungen vornimmt. Das liegt auch daran, dass detailliertes Fachwissen dazu im Medizinstudium nicht vermittelt wird. Warum bieten die Universitäten nicht Wahlfächer zum Thema an? Dann könnten die angehenden Mediziner:innen für sich selbst entscheiden, ob sie sich das vorstellen können oder nicht. Die Freiheit, Abtreibungen abzulehnen, darf nicht mehr zählen als die Freiheit, sich für sie einzusetzen: Das gilt für Studierende genauso wie für Ärzt:innen und betroffene Frauen, aber auch für alle anderen. Dazu gehört, dass sich die Politik nicht länger anmaßt, derart stark in das Leben von Frauen einzugreifen.


«Duma»: Ausschreitungen am Kapitol waren absehbar

SOFIA: Über die Ausschreitungen von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump am Kapitol in Washington schreibt die sozialistische bulgarische Oppositionszeitung «Duma» am Freitag:

«Es konnte an jedem Tag vor oder nach dem Amtsantritt des nächsten US-Präsidenten geschehen. Es hätte passieren können, auch wenn der neu gewählte Präsident der USA Donald Trump hieße - und nicht Joe Biden. Das Umfeld dafür wurde während des ganzen Sommers aufgeheizt. Es war weder ein Putschversuch «grotesker Faschisten», noch ein Aufstand «krimineller Rebellen». Das Wort «Faschismus» wurde allerdings gefährlich abgewertet. Weder die Protestler, noch die Polizei haben das erwartet, was sie getan haben. Es geschah aber. Dies sind die Unumgänglichkeiten der Geschichte.»


«Hospodarske noviny»: Politik des Hasses auch Gefahr in Europa

PRAG: Die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien schreibt am Freitag zum Sturm auf das US-Kapitol in Washington:

«Es ist schwer vorstellbar, dass bei uns Anhänger einer Partei nach einer Wahlniederlage das Parlament stürmen würden. Doch war das noch bis vor kurzem auch in den USA unvorstellbar. Nun wissen wir, wohin eine Politik des Hasses, wie sie (der scheidende US-Präsident Donald) Trump betreibt, führen kann. Hassrede und Aufwiegelung arten leicht in offene Gewalt aus. Wir sollten uns da nicht täuschen: Auch bei uns existieren politische Kräfte, die im Trumpismus, dieser Negation der traditionellen konsensualen Demokratie, großes Potenzial sehen. In den USA unterstützen einer Umfrage zufolge 21 Prozent der Menschen die Gewalt der Trump-Anhänger - ähnlich würde es auch bei uns aussehen. Das ist ein Wählerpotenzial, das irgendjemand sicher versuchen wird zu nutzen.»


«Neatkariga Rita Avize»: Impfung = Hoffnung

RIGA: Zu den Debatten um die Impfungen gegen das Coronavirus schreibt die lettische national-konservative Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize»» am Freitag:

«Massenimpfungen sind die Hoffnung, das die Welt seit mehr als einem Jahr plagende Coronavirus loszuwerden. Doch vor uns liegen noch viele Hürden. Nicht jeder möchte geimpft werden - nicht wenige wehren sich vielleicht sogar dagegen. Denn es gibt mehr als nur irrationale Ängste vor einer Implantation von Mikrochips und Verschwörungstheorien mit Reptiloiden. Es gibt auch Menschen, für die Impfungen aufgrund einiger gesundheitlicher Probleme tatsächlich gefährlich sein können. Und es wird auch welche geben, die womöglich daran sterben werden.

Impfungen sind in der Weltgeschichte jedoch keine Seltenheit - die Medizin hat bereits Typhus, Pest, Pocken und viele andere Krankheiten damit ausgerottet. Noch ist nicht bekannt, wie lange der Impfstoff wirken wird - ein Jahr, ein halbes Jahr, drei Monate? Und nicht jeder Impfstoff wird wirken. Die Impfung ist jedoch eine Hoffnung.»


«El Mundo»: Das traurige US-Spektakel liefert wertvolle Lektionen

MADRID: Zur Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump schreibt die spanische Zeitung «El Mundo» am Freitag:

«Das traurige Spektakel, das die erste Demokratie der Welt geboten hat, liefert wertvolle Lektionen. Heute werden jene Menschen, die ein System von Freiheiten genießen, das dem amerikanischen nachempfunden ist, das, was sie haben, wohl noch mehr schätzen. Ganz einfach weil sie nun wissen, dass sie es verlieren könnten. Heute gilt die alte liberale Wahrheit mehr denn je: Demokratie ist keine unumstößliche Errungenschaft. Und der Preis der Freiheit ist, wie Thomas Jefferson sagte, ewige Wachsamkeit (...) Es ist zu hoffen, dass die amerikanische Demokratie unter (Joe) Bidens Mandat und nachdem alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden sind, diesen 6. Januar überwinden wird. Und dass aus der rauchenden Asche des Trumpismus eine deutliche Warnung aufsteigt: So sieht die Frucht der Macht aus, die um den Preis der Polarisierung erlangt wurde.»


«Diena»: Odysseus-Wahl der CDU bestimmt Europas Anführer

RIGA: Zum anstehenden Online-Parteitag der CDU und der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden schreibt die lettische liberale Tageszeitung «Diena» am Freitag:

«In Deutschland gehört das Amt des Bundeskanzlers dem Vorsitzenden der stärksten Partei, und nur wenige bezweifeln, dass die CDU diesen Status in absehbarer Zukunft verlieren könnte (...) Die Frage, welcher der Kandidaten der Parteichef der CDU wird, ist nicht nur für die Partei selbst und für Deutschland wichtig. Nach dem EU-Austritt Großbritanniens und angesichts der chaotischen Außenpolitik des französischen Präsidenten Emanuel Macron hat der ohnehin bedeutende Einfluss Berlins in der EU zweifellos weiter deutlich zugenommen - und damit wird entsprechend auch der faktische Anführer des vereinten Europas gewählt. (...)

Der beliebteste CDU-Politiker, der Merkel in vielen Umfragen sogar übertrifft, ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Doch seine Popularität beschränkt sich auf die nationale Ebene. Und auch bei den CDU-Wählern liegt Spahn wegen seiner sexuellen Orientierung nicht vorn. Keine breite Unterstützung unter den Wählern genießt auch der Favorit der Parteifunktionäre: Armin Laschet. Und die Meinungen über den liberalen Norbert Röttgen und den konservativen Friedrich Merz, die der jeweils andere Flügel nicht als CDU-Chef sehen will, gehen ebenfalls weit auseinander. Infolgedessen müssen die Delegierten wie Odysseus fast buchstäblich zwischen Skylla und Charybdis schwimmen. Doch verspricht die Abstimmung, selten interessant zu werden.»


«Dennik N»: Die Ausschreitungen besiegeln Trumps Untergang

BRATISLAVA: Die liberale slowakische Tageszeitung «Dennik N» schreibt am Freitag zu den Ausschreitungen in Washington und US-Präsident Donald Trump:

«Entscheidend für die persönliche Tragödie von Donald Trump waren nicht seine vielen jenseitigen Äußerungen und Fehlentscheidungen. Denn er hatte stets genug Opportunisten um sich. Bis zum Mittwoch. Was da geschah, und vor allem, was da nicht geschah, hat seinen Untergang eingeleitet. In diesen Stunden und Tagen werden wir Zeugen sein, wie sich vor Entsetzen darüber, wie weit das Land gekommen ist, die letzten Getreuen von Trump lossagen. (...)

Paradoxerweise besiegelt das Schicksal des vereinsamenden Präsidenten aber nicht mehr sein stures Bestreiten des Wahlergebnisses. Auch seine flammenden Reden vor seinen Anhängern sind es nicht, die ihn nun ruinieren. Was ihn endgültig erledigt, ist das, was er nicht getan hat. Er hat die letzte Chance vertan. Die wäre gewesen, über Twitter oder persönlich noch die paar Worte zu sagen, auf die auch seine Vertrauten gewartet haben: Ich lehne jede Gewalt ab. Bitte tut das nicht. Niemand darf die rote Linie überschreiten, das Kapitol anzugreifen.»


«Jyllands-Posten»: USA sind gespalten wie niemals zuvor

AARHUS: Die rechtsliberale dänische Tageszeitung «Jyllands-Posten» (Aarhus) kommentiert am Freitag die Situation in den USA nach der Erstürmung des Kapitols in Washington:

«Donald Trump verschwindet jetzt. Aber was ist mit den Millionen Menschen, die sich vergessen gefühlt haben und ihr Vertrauen in ihn gesetzt haben? Nun wird es Bidens Aufgabe sein, die USA zu sammeln. Das ist einfacher gesagt als getan. Donald Trump ist ein Symptom der Spaltung der USA, nicht die Ursache davon - auch wenn er nichts dafür getan hat, sie abzuschwächen, im Gegenteil. Die Wahl von Trump war auch eine Abwahl Hillary Clintons als Repräsentantin des Establishments, von der sich eine große Gruppe Wähler mit gutem Grund im Stich gelassen gefühlt hat. Diese Menschen sind immer noch da, und ihre Ohnmacht lebt noch.»


«Guardian»: Trump muss an erneuter Kandidatur gehindert werden

LONDON: Zu den Folgen der Erstürmung des US-Kapitols durch Trump-Anhänger meint der Londoner «Guardian» am Freitag:

«Die vordringliche Frage ist, wie man mit Donald Trump umgeht. Man kann nicht auf sein in letzter Minute gegebenes Versprechen eines geordneten Übergangs vertrauen, wenn er weiterhin Wut schürt. Der Führer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, hat seine sofortige Absetzung gefordert. (...) Aber es geht hier nicht um bloßes Versagen oder Unfähigkeit: Die bessere Lösung wäre die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens. Man muss gegen Trump vorgehen, ebenso wie gegen diejenigen, die er angestiftet hat. Man muss ihn an einer erneuten Kandidatur hindern und eine klare Botschaft an alle senden, die versucht sind, ihm zu folgen. Denn die wirklich wichtige Frage ist, wie die Demokratie in Amerika gerettet werden kann.»


«Le Monde»: Joe Biden muss amerikanische Demokratie neu aufbauen

PARIS: Über die Ausschreitungen in Washington am Mittwoch schreibt die französische Tageszeitung «Le Monde» am Donnerstagabend:

«Es ist ein schwarzer Tag für die Vereinigten Staaten und das Ergebnis einer turbulenten Präsidentschaft, die das Land in zwei Teile geteilt hat: Den, der die verfassungsmäßige Ordnung und Gerichtsentscheidungen respektiert, und den, der in einem Paralleluniversum lebt. (...) Es wird an dem gewählten Präsidenten Joe Biden liegen, diese zutiefst erschütterte Demokratie wieder aufzubauen. Dank des einschneidenden Siegs der Demokraten aus Georgia, die am Mittwoch zwei Sitze für den Senat gewonnen haben, hat Joe Biden von nun an die Mittel dafür und die Demokratische Partei die Kontrolle über den Senat (...). (Joe Biden) hat die Größe (für einen Wiederaufbau). Das hat seine entschlossene und klare Reaktion auf den trumpischen Aufstand gezeigt. »


«The Irish Times»: Letzte Zuckungen eines veschwindenden Regimes

DUBLIN: Zum Angriff von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol meint die in Dublin erscheinende Zeitung «The Irish Times» am Freitag:

«Dies waren die letzten Zuckungen eines verschwindenden Regimes und nicht der rebellische Ausbruch einer Volksbewegung. Es hätte niemals über das unmittelbare Ziel der Vereitelung einer Abstimmung hinaus Bestand gehabt, sondern konnte sie letztlich nur hinauszögern.

Dies war eine Manifestation der Schwäche und Finsternis, wenngleich Trump nicht damit rechnen sollte, rechtlichen Konsequenzen für die Anstiftung zu einem Angriff auf die Demokratie zu entgehen; die daran beteiligten Stoßtruppen wurden von ihm als «Patrioten» gepriesen. Ein Amtsenthebungsverfahren? Wahrscheinlich kaum machbar in den zwölf Tagen, die er noch im Amt ist. Aber Staatsanwälte müssen mögliche Anklagen gegen ihn prüfen.»


«The Wall Street Journal»: Trump sollte jetzt zurücktreten

NEW YORK: Angesichts der neuen Diskussion um eine Amtsenthebung Donald Trumps und der gleichzeitigen Schwierigkeit eines solchen Verfahrens schlägt das «Wall Street Journal» dem scheidenden US-Präsidenten am Freitag vor, selber zu handeln:

«Wenn Mr. Trump ein zweites Impeachment vermeiden will, wäre es für ihn das Beste, persönlich Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten. Dies wäre die sauberste Lösung, weil es die Präsidentenpflichten unmittelbar an (Vizepräsident) Mr. Pence übertragen würde. Und Mr. Trump könnte damit, à la Richard Nixon, Herr über sein eigenes Schicksal bleiben.

Dies könnte auch die Flut von Rücktritten im Weißen Haus und im Kabinett eindämmen, die als Gewissensentscheidungen verständlich sind, die aber eine gefährlich unterbesetzte Regierung hinterlassen könnten. Vor allem der Nationale Sicherheitsberater Robert O'Brien sollte auf seinem Posten bleiben.

Wir wissen, dass eine solche Anstandsgeste Mr. Trumps nicht wahrscheinlich ist. Auf jeden Fall hat ihn diese Woche wohl als ernstzunehmende politische Figur erledigt. Er hat die Republikaner das Repräsentantenhaus, das Weiße Haus und nun auch den Senat gekostet. Schlimmer noch, er hat seine treuen Unterstützer betrogen, indem er sie über die Wahl und über die Fähigkeit des Kongresses und von Mr. Pence belogen hat, das Ergebnis zu kippen. Er hat sich geweigert, die Grundregel der Demokratie zu akzeptieren, die da lautet, das Ergebnis zu akzeptieren, ob man nun gewonnen oder verloren hat.»


«De Standaard»: Einhaltung demokratischer Regeln ist oberstes Gebot

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Standaard» kommentiert am Freitag die Ausschreitungen von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump am Kapitol:

«Die Ereignisse vom Mittwoch haben demonstriert, wie die extreme Rechte die Demokratie bedrohen kann. Sie zeigten aber auch, dass sie nur mit Hilfe von Opportunisten oder feigen Gefolgsleuten vom rechten Rand über ihrer Gewichtsklasse boxen kann.

Der Respekt für demokratische Regeln, wie sie größtenteils in der Verfassung festgeschrieben sind, bleibt oberstes Gebot. Ein gesundes System basiert auf einer Rotation der Macht. Dies impliziert die Akzeptanz des Gewinners und das ehrenvolle Eingestehen des Verlierens. Wer dazu nicht in der Lage ist, hat bei Wahlen nichts zu suchen.»


«Corriere della Sera»: Wir haben einen Putschversuch miterlebt

ROM: Nach der Erstürmung des Kapitols in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Freitag:

«Der Angriff auf den Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika sollte uns nicht überraschen. Eine ähnliche Aktion - absurd und provokativ - reifte seit vier Jahren heran: nämlich seit Donald Trump im Weißen Haus ist, wo er alles getan hat, um die Nation zu spalten, die er hätte vereinen sollen. (...) Seit zwei Monaten bestreitet der Präsident die Wahlniederlage und wiederholt gefährliche Lügen.

Er erwähnte, beschwor und umwarb die Fanatiker und stiftete die Gewalttätigen an. Diese antworteten schlussendlich. Menschen, die auf Mauern klettern, Fenster zerbrechen, Wahrzeichen und Wappen kaputt machen, sich auf den Platz des Sprechers der Kammer legen, ein Rednerpult als Andenken mitnehmen. Menschen mit Waffen, mit Helmen, mit Verkleidung, mit Hörnern und Pelzen, mit T-Shirts, die Auschwitz loben. (...) In Washington DC ging die Realität auf Sendung: Wir haben einen Putschversuch miterlebt - vielleicht geschmacklos und unmöglich. Aber es bleibt ein Angriff auf die demokratischen Institutionen. Wer das kleinredet, wird zum Komplizen.»


«de Volkskrant: Trump hat Demokratie nachhaltig beschädigt

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» blickt am Freitag auf die politische Lage in den USA:

«Der Trumpismus (und der Opportunismus) werden erhalten bleiben, aber in den Vereinigten Staaten wird unweigerlich ein anderer Wind wehen. Am 20. Januar verlässt Donald Trump das Amt und Joe Biden wird Präsident. Die Demokraten kontrollieren nicht nur das Repräsentantenhaus, sondern nach einem Wahlsieg in Georgia in dieser Woche auch den Senat. Und obwohl es nicht leicht werden wird, das Land zu heilen, wird der augenfällige Hass fürs erste aus der Tagespolitik verschwinden.

Trumps Angriff hat die Demokratie nachhaltig beschädigt und es ist zu befürchten, dass seine Anhänger die Gesellschaft in den kommenden Jahren weiter destabilisieren werden. Aber das politische System Amerikas wird sich nicht wie ein Kartenhaus umpusten lassen.»


«Financial Times»: Amerika hat ein Sicherheitsproblem

LONDON: Zur Erstürmung des Kapitols in Washington meint die Londoner «Financial Times» am Freitag:

«Der Überfall auf den Sitz der US-Demokratie bestätigte, was schon vor Jahren hätte offensichtlich sein müssen. Amerika hat ein nationales Sicherheitsproblem in Form der extremen Rechten. Diese geschlossene Welt der Fehlinformation, der Paranoia und des Grolls erhält Rückendeckung von den Mainstream-Konservativen: von Amtsinhabern und Moderatoren von Nachrichtensendern. Der Preis dafür wird immer deutlicher.

Überlagert wird das Ganze durch die geopolitische Schmach. China wird es nie leichter fallen als jetzt, die Demokratie als eine Charta für das Chaos zu verspotten. Selbst die Türkei twitterte ihre Sorge um Amerikas inneren Frieden. Seine Demokratie und seinen guten Ruf in der Welt wiederherzustellen, wird Jahre dauern. Beginnen sollte das mit formellen Maßnahmen gegen einen schurkenhaften Präsidenten.»


«Tages-Anzeiger»: In Moskau und Peking dürften die Korken knallen

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Freitag die Ausschreitungen von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump:

«Dass es so weit kommen konnte, dafür brauchte Trump Biedermänner und -frauen, die ihm eilfertig zu Dienste standen. Die ihm, dem krankhaften Narzissten, permanent schmeichelten und nach dem Mund redeten. Absichtlich verschlossen diese Anpasser die Augen vor den Gefahren und den drohenden Folgen. Im Gegenzug sorgte der Präsident dafür, dass die politischen Karrieren vorankamen. Die Biedermänner finden sich vor allem in der Republikanischen Partei, die mit diesem Präsidenten einen mephistophelischen Pakt eingegangen ist. Aber auch bei den rechtslastigen Medien oder in der Wirtschaft, die über alle politischen Tabubrüche hinwegblickte - Hauptsache, die Steuern gehen runter und die Börse boomt. (...)

Bei Trump geht es nicht um links oder rechts, es geht nicht einmal um Demokraten oder Republikaner. Es geht ums große Ganze, um Demokratie oder Diktatur. Und da hat Brandstifter Trump, sekundiert von Biedermännern, enormen Schaden angerichtet - das ist sein Vermächtnis. Als im Capitol die Scheiben klirrten, Schüsse fielen und Menschen starben, dürften in Moskau und Peking die Korken geknallt haben.»


«Nepszava»: Amerikas Demokratie hat Belastungsprobe bestanden

BUDAPEST: Über die Ausschreitungen von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump am Kapitol schreibt die Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Freitag:

«Nun konnte die ganze Welt sehen, wohin der rechtsextreme Populismus des 21. Jahrhunderts führt. Genau dorthin, wo er in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hingeführt hatte, nur dass er diesmal einem stärkeren Gegner gegenüberstand. Es zeigte sich, dass die amerikanische Republik keine Weimarer Republik ist. Die Wahl Trumps bedeutete nicht den endgültigen Sieg des Bösen, so wie seine Abwahl nicht den Sieg des Guten bringt. Dennoch ist es beruhigend, dass der amerikanische Parlamentarismus die Belastungsprobe bestanden hat und nicht zusammenbrach (...). Der ewige Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit geht weiter. Allein das schon hält die Hoffnung an die Welt am Leben.»


«Washington Post»: Dem Social-Media-Präsidenten den Stecker gezogen

WASHINGTON: Zur Sperrung der Konten des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump auf Facebook und Twitter nach der Stürmung des Kapitols durch Demonstranten am Mittwoch schreibt die «Washington Post»:

«Social Media zieht dem Social-Media-Präsidenten endlich den Stecker. (...) Diese Schritte waren nötig, selbst wenn sie nicht auf transparenten Regeln, sondern einer panischen Reaktion auf eine Krise basierten. Die Argumente dafür, Mr. Trump nicht zu sperren, gründeten auf der Idee, dass das ungehinderte Wort politischer Führungspersonen für das Funktionieren einer verfassungsmäßigen Demokratie grundlegend ist. Wenn aber ein Anführer zur Unterwanderung der Verfassung aufruft, ändern sich die Verhältnisse. Forscher haben herausgefunden, dass Wiederholungstäter, vor allem aus den Eliten, die Verbreitung gefährlicher Desinformation überproportional beschleunigen können. Das heißt, eine kleine Zahl von Accounts einzuschränken, kann einen großen Unterschied machen. Mr. Trump ist der Wiederholungstäter Nummer eins.»


«Die Presse»: Die gefährliche Farce ist bald zu Ende

WIEN: Mit der Frage einer möglichen Amtsenthebung des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump befasst sich die Wiener Zeitung «Die Presse»:

«Im Nachhinein zeigt sich, dass das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in der Ukraine-Affäre im Vorjahr vollauf gerechtfertigt war. Sein Telefonat in der Manier eines Mafiabosses gegen den Innenminister von Georgia, einen Parteifreund, hat dies nur bestätigt. Ein Impeachment zum jetzigen Zeitpunkt oder eine Absetzung durch eine Notklausel der Verfassung, wie dies zur Debatte steht, wäre vielleicht legitim - zumal Trump längst aufgehört hat, zu regieren, und nur mehr um die eigene Achse kreist. Der politischen Hygiene wäre es womöglich zuträglich, nicht aber der Realverfassung des Landes. Für seinen Nachfolger, Biden, wäre es ein schlechter Dienst - ein Neubeginn inmitten von Chaos und Tumult. In zwölf Tagen ist der Spuk im Weißen Haus ohnedies vorüber, und bis dahin vollzieht sich das Ende Trumps weniger als Königsdrama Shakespeares denn als gefährliche Farce.»

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Rolf W. Schwake 10.01.21 02:37
Eigentlich unverständlich ,,,
... ist das Verhalten der Sicherheitsbehörden in Washington DC vom 06.01.2021: Dass es an diesem Tage am Kapitol zu mehr oder weniger aggressiven Ausschreitungen kommen würde, dürfte normalerweise jedem Otto-Normal-Verbraucher klar gewesen sein. Dazu war weder ein besonderer Intelligenzgrad erforderlich noch besonderes Insiderwissen. Eine entsprechende Gefährdungsanalyse hätte das Kommende bereits prognostiziert. Das allerdings keine gestaffelten Absprerrungsgürtel um das Kapitol vorhanden waren sowie kein erforderliches Großaufgebot der Polizei macht mich mehr als verwundert - oder wollte jemand, dass es soweit kommt?