Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Die Presse»: Österreich und der Oberkellner-Charme

WIEN: Nach dem Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo in Österreich schreibt die Wiener Zeitung «Die Presse» am Samstag:

«Es muss an der Harmlosigkeit liegen, vielleicht auch am gespielt freundlichen Oberkellner-Charme, ganz sicher an den historischen Genen eines kleinen neutralen Landes in der Mitte Europas: Jedenfalls gelingt es Österreich immer wieder, auf allen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen und etwaige Meinungsverschiedenheiten eisern im Dreivierteltakt wegzulächeln. Wenn es eine diplomatische Figur gibt, in der es österreichische Regierungsbeamte zur eleganten Meisterschaft gebracht haben, dann ist es der Spagat zwischen verfeindeten Blöcken.

Man mag das biegsam oder gar opportunistisch nennen, am Ende entspricht es der Mentalität und den Interessen dieses Staates. In Zeiten des globalen Umbruchs und den ersten Frosterscheinungen eines neuen kalten Krieges ist es für einen Staat des Zuschnitts Österreichs ein Vorteil, sich mit allen Großmächten gut zu stellen.»


«Frankfurter Rundschau» zu Trumps Angriff auf die US-Post

Seit Monaten warnen Kritiker, dass US-Präsident Donald Trump die Post zerstören und die Wahlen im November manipulieren will.

In seinem Haussender Fox hat Trump nun angekündigt, staatliche Mittel für die defizitäre Post zu blockieren: «Das bedeutet, sie können keine universelle Briefwahlen haben.» Briefwahlen sind in den USA nicht selbstverständlich. Viele Republikaner lehnen sie ab, weil davon vor allem Menschen Gebrauch machen, die am Wahltag - einem Dienstag - arbeiten müssen oder in überwiegend schwarzen Regionen leben, wo es nur wenige Wahllokale gibt. Deren Stimmen gehen öfter an die Demokraten. Trump hintertreibt dieses Grundrecht. Obwohl er selbst die Möglichkeit der Briefwahl nutzt, fabuliert er seit Monaten wahrheitswidrig von drohendem Betrug. Mit der Verweigerung der Mittel will er die Zustellung der Stimmzettel nun sabotieren. Der Möchtegern-Autokrat will die Wahlen delegitimieren, um im Amt zu bleiben. Ein US-Präsident sägt offen am Grundpfeiler der Demokratie.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Belarus

(.) Was die Zurückhaltung und Gesprächsbereitschaft zu bedeuten haben, die das Regime nun zeigt, ist unklar: Weicht es langsam zurück? Oder will es Zeit für einen Gegenschlag gewinnen? Der große Unbekannte dabei ist der Kreml: Wird er in Belarus notfalls selbst mit Gewalt eingreifen (.)? Oder hat man in Moskau verstanden, wie riskant ein solcher Schritt wäre? Die Einschätzungen kremltreuer Politiker (.) zeigen eine für russische Verhältnisse erstaunliche Dissonanz.

In dieser Situation kann es entscheidend werden, dass die EU jetzt schnell handelt. Sie muss das Regime beim Wort nehmen, dass es zu Gesprächen bereit sei - und sie muss Personen ins Feld schicken, deren politisches Gewicht so groß ist, dass sich Lukaschenko ihnen nicht verweigern kann. Sie entspräche damit einer Bitte der belarussischen Opposition. (.).


«NZZ»: Söder steht in der Verantwortung

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Freitag die Panne bei den Corona-Tests von Urlaubsrückkehrern in Bayern:

«Menschen, die regieren, können nicht jedes Malheur verhindern. Es ist unfair, sie für Dinge zu kritisieren, die nichts mit ihrem Handeln zu tun haben. Das Chaos an Bayerns Teststationen fällt allerdings nicht in diese Kategorie. (Bayerns Ministerpräsident Markus) Söder hatte sich persönlich für sie eingesetzt. Als «Dienst, den wir für Deutschland machen», hatte er die Stationen in dieser Woche noch gefeiert. In diesem «wir» steckt auch er selbst drin. Wer sich als gesundheitspolitischer Dienstleister des ganzen Landes darstellt, sollte sicherstellen, dass er die versprochene Leistung auch erbringen kann. In der freien Wirtschaft steht in einem solchen Fall auch nicht irgendein Mitarbeiter in der Verantwortung, sondern der zuständige Manager. So einer soll Söder doch sein. (...)

«Bayern geht vor.» Mit diesem Satz hat Söder recht. Bevor der Ministerpräsident weiter darüber nachdenkt, das ganze Land zu regieren, muss er erst einmal all jene Menschen ausfindig machen, die seit Wochen mit einer Infektion herumlaufen, die seine Mitarbeiter an seinen Teststationen festgestellt haben.»


«Latvijas Avize»: Europa darf Gewalt in Belarus nicht tatenlos zusehen

RIGA: Zur Lage im benachbarten Belarus (Weißrussland) nach der Präsidentenwahl meint die national-konservative lettische Tageszeitung «Latvijas Avize» am Freitag:

«Der Westen muss nicht an der Lösung der innenpolitischen Rätsel des Landes beteiligt sein. Der Punkt ist vielmehr, dass gewaltfreie Demonstranten nicht ungestraft geschlagen und umgebracht werden dürfen. So einfach ist es. (...) Europa muss den Weißrussen nicht beibringen, wie man sozusagen lebt. Doch es darf nicht so sein, dass sich ein großer Teil der belarussischen Gesellschaft an die Tage der Schwäche Europas erinnert, an denen ihr Blut geflossen ist. Die Unterdrückung von Andersdenkenden ist keine «interne Angelegenheit» eines Landes. Je öfter sie tatsächlich ungesühnt bleibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie auch in anderen Ländern auftritt.»


«La Repubblica»: Proteste sorgen für Herbst von Lukaschenko

ROM: Die italienische Tageszeitung «La Repubblica» zieht am Freitag Parallenen zwischen den Protesten nach der Präsidentenwahl in Belarus und denen gegen die politische Führung von Hongkong:

«Auch wenn das rückständige Minsk und das moderne Hongkong Tausende Kilometer entfernt sind, stehen beide vor demselben Scheideweg: Bleiben (oder zurückkehren) unter das Joch des Autoritarismus oder die eigenen Freiheit schützen. Und sie stellen sich dem mit den gleichen Strategien. Sie tauschen Anweisungen und Warnungen bei Telegram aus, (...) um die permanenten Internet-Sperren zu umgehen. Sie trumpfen mit Erfindungsgeist auf. (...) (Der belarussische Präsident Alexander) Lukaschenko und die Gouverneurin von Hongkong, Carrie Lam, reagieren in der gleichen Art darauf. Mit harter Hand gegen jene, die der Präsident als vom Ausland manipulierte Schafe und Lam als gewalttätige Extremisten bezeichnet hatten. Aber so wie die Reaktion der rückständigen Kommunistischen Partei Chinas scheinen auch die Repressionen des ebenso obsoleten post-sowjetischen Regimes von Lukaschenko nicht zu funktionieren. (...)

Auch wenn es unmöglich ist vorherzusehen, wie diese politische Krise ausgeht, ob die Proteste schwinden unter dem Druck der Sicherheitskräfte wie die riesigen Kundgebungen gegen (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin auf dem Bolotnaja-Platz im Winter 2010/11 oder ob sie einen Fall des Unterdrückers erzwingen wie der Euromaidan (den Sturz des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor) Janukowitsch 2014 in Kiew, eine Sache ist klar: Der Graben zwischen dem Machthaber und dem Großteil der Weißrussen ist kaum aufzuschütten und diese Tage werden in die Geschichte eingehen als Herbst des jahrzehntelangen Regimes von Lukaschenko.»


«Politiken»: Sind die USA bereit für eine schwarze Präsidentin?

KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» (Kopenhagen) kommentiert am Freitag die Auswahl von Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten bei der US-Wahl:

«Wie wird die Trump-Ära in den Geschichtsbüchern beschrieben werden? Um das zu beantworten, ist es weiterhin noch zu früh, aber eine Sache ist sicher: Mit der Wahl von Kamala Harris als seine Vizepräsidentschaftskandidatin setzt der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden darauf, dass (US-Präsident Donald) Trump eine Ausnahme darstellt und dass die breite Mitte in den USA weiter zusammenhalten kann und will.

Die Wahl seiner möglichen Vizepräsidentin ist wegen des mit 77 Jahren hohen Alters von Biden wichtiger als normalerweise. Er wird im Falle eines Wahlsiegs im November der älteste Präsident der US-Geschichte sein, deshalb muss Harris als eine Person angesehen werden, die kurzfristig als US-Anführerin einspringen kann. Sind die USA bereit für eine weibliche, schwarze Präsidentin mit asiatischen Wurzeln? Biden glaubt deutlich, dass die Antwort darauf Ja ist - und man muss innerlich hoffen, dass er Recht behält. Das Land benötigt Heilung.»


«Dernières Nouvelles d'Alsace»: Lukaschenko steht mit Rücken zur Wand

STRAßBURG: Die Situation nach der Präsidentschaftswahl in Belarus kommentiert die französische Tageszeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» am Freitag:

«Wenn die Menge sich gegen ein autoritäres Regime auflehnt, wie es seit Sonntag in Weißrussland geschieht, hat der regierende Machthaber zwei Optionen: die Menge zu unterwerfen oder selbst zurückzutreten. (Präsident) Alexander Lukaschenko hat sich für ersteres entschieden, niemanden wird das überraschen; das ist noch immer die klassische Konditionierung der Tyrannen, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Es ist jedoch ein Teufelskreis und die Farbrevolutionen und dann der Arabische Frühling haben gezeigt, dass es fast unmöglich ist, sich mit Gewalt an der Macht zu halten, außer man verwandelt sein Land in ein Ruinenfeld wie es in Syrien der Fall ist.»


«De Telegraaf»: Trump kann einen außenpolitischen Erfolg vorweisen

AMSTERDAM: Zur überraschenden Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) heißt es am Freitag in der niederländischen Zeitung «De Telegraaf»:

«Die Palästinenser fühlen sich verraten durch die Emirate, während die jüdischen Siedler meinen, (Israels) Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe ihnen einen Dolch in den Rücken gestoßen. Es war schon immer fraglich, ob Netanjahu die Annexion von Teilen des Westjordanlandes durchsetzen würde, für die er die Zustimmung der Amerikaner unter Vorbedingungen bekommen hatte. Geholfen hatte ihm das vor allem bei der Erlangung einer ausreichenden Anzahl von Stimmen bei der letzten Wahl. Zudem waren die Amerikaner in den zurückliegenden Monaten immer weniger davon angetan - unter anderem wegen der vielen Probleme im eigenen Land, aber auch wegen wütender Reaktionen ihrer arabischer Partner.

Nun bekommt Netanjahu ein historisches Abkommen, (US-Präsident Donald) Trump hat kurz vor der Präsidentschaftswahl endlich einen großen außenpolitischen Erfolg vorzuweisen und die Emirate nehmen für sich in Anspruch, die Annexion aufgehalten zu haben.»


«The Guardian»: Auftrieb für Netanjahu, Rückschlag für Palästinenser

LONDON: Zur überraschenden Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) heißt es am Freitag im Londoner «Guardian»:

«Nach Jordanien und Ägypten sind die VAE erst das dritte arabische Land, das formelle diplomatische Beziehungen mit Israel verkündet. Die Bekanntgabe wird im gesamten Nahen Osten nachhallen, der eine turbulente Geschichte mit dem jüdischen Staat teilt. (...)

Für Benjamin Netanjahu, Israels unnachgiebigen und dienstältesten Ministerpräsidenten, ist die Bekanntgabe auch ein wichtiger Auftrieb. Jahrelang hat Netanjahu sich bemüht, Beziehungen im Nahen Osten aufzubauen und zugleich Israels Kontrolle über die Palästinenser zu festigen. Trotz seiner Drohung, dauerhaft besetzte Gebiete zu annektieren, hat er nun einen großen symbolischen Sieg errungen. (...)

Für die Palästinenser, die sich lange auf arabische Unterstützung in ihrem Kampf für Unabhängigkeit verlassen haben, wird man diese Entwicklung als großen Rückschlag für ihre Bemühungen ansehen, den internationalen Druck auf Israel zu verstärken, bis ein umfassendes Friedensabkommen vereinbart werden kann.»


«Tages-Anzeiger»: Israel und Emirate haben ein gemeinsames Interesse

ZÜRICH: Zur überraschenden Einigung auf ein Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) heißt es am Freitag im Zürcher «Tages-Anzeiger» (Online-Ausgabe):

«Der nun skizzierte Deal hat zumindest einen realistischen Kern, weil es anders als in (US-Präsident Donald) Trumps sogenanntem Friedensplan vom Januar für Israelis und Palästinenser dieses Mal ein Quidproquo gibt: Die Israelis stellen ihre heftig kritisierten Annexionspläne in den Palästinensergebieten hintenan und bekommen dafür als Gegenleistung einen Türöffner für Beziehungen zu den sunnitischen Golfstaaten. Zudem eint die beiden ein gemeinsames Interesse: die Eindämmung der iranischen Ambitionen in der Region.

Die Schwierigkeiten jedoch liegen nicht nur im Kleingedruckten. Auf beiden Seiten gibt es genug radikale Elemente, die jede Annäherung als Verrat ansehen und jeden Fortschritt torpedieren dürften. Im Kern des Nahostkonflikts steht überdies weiter die offene Frage der palästinensischen Staatsgründung - und dafür müsste Israel weit mehr Zugeständnisse machen als nur den vorläufigen Verzicht auf den Landraub.»

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