Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Rundschau» zur Bluttat von Hamburg

Hamburg 2023 wird sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen als eine dieser Bluttaten, die einen fassungslos zurücklassen.

Brutal wurden unschuldige Menschen aus dem Leben gerissen, die sich gerade noch in ihrer Glaubensgemeinschaft zusammenfanden. Unter den Opfern ein ungeborenes Kind - das berührt besonders. Hamburg 2023 wird auch als eine dieser Taten in Erinnerung bleiben, vor denen sich eine freie Gesellschaft nicht restlos schützen kann. Auch nicht mit guten Waffengesetzen, die in Deutschland schon recht weitreichend sind. Die Einhaltung und Überprüfung der Waffengesetze freilich könnte besser sein. Hamburg 2023 hätte eine schärfere Handhabung allerdings nicht verhindert: Der Täter von Hamburg, bei dem psychische Probleme vermutet werden, war offensichtlich gerade amtlich überprüft worden. Nun könnte man die Kriterien, wer eine Waffe besitzen darf, noch engmaschiger fassen. Es lohnt sich, diese Regelungen abermals auf den Prüfstand zu stellen. Lücken werden dennoch bleiben.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Amokläufe

Es war, das hat sich am Donnerstagabend (.) gezeigt, ein stichhaltiger Hinweis, den die Hamburger Waffenbehörde im Januar erhielt.

Der spätere Todesschütze leide offenbar an einer psychischen Störung, die sich unter anderem in Wut auf die Zeugen Jehovas äußere, hieß es darin (.). Die Wut entlud sich jetzt in einem Amoklauf, der so wahnhaft, sinnlos und mysteriös ist wie so viele vor ihm. Den Opfern dieser Tragödie (.) sind Staat und Gesellschaft eine Antwort darauf schuldig, ob die Tat (.) hätte verhindert werden können. (.) Amokläufe sind keine Schicksalsschläge, die unsere Gesellschaft als ihre Geißel begreifen muss. (.) In anderen Fällen konnte [die Polizei] Schützen von ihrer Tat abhalten. (.) In Hamburg hätte nicht viel gefehlt, und es wäre auch hier gelungen. Nicht viel ist aber immer noch zu viel.


«Stuttgarter Zeitung» zum Haushaltsstreit der Ampel

Der Staat hat in den vielen Krisen so viel Geld ausgegeben, dass eine Debatte über die Finanzierung fällig ist.

Daran, dass Vermögende und Menschen mit sehr hohen Einkommen einen größeren Beitrag leisten, führt kein vernünftiger Weg vorbei. Es wäre ein riesiges politisches Risiko für Christian Lindner, aber für das Land wäre es gut, wenn das Tabu von Steuererhöhungen jeglicher Art in dieser Legislaturperiode fallen würde. Wer Vermögende und Bezieher sehr hoher Einkommen etwas stärker belastet, hat auch mehr Spielraum für etwas, das der FDP nach eigenen Angaben sehr wichtig ist: die Mittelschicht dauerhaft und wirkungsvoll zu entlasten.


«Pravda»: Chinas Macht lässt sich nicht ignorieren

BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt am Freitag über Chinas Rolle in der internationalen Politik:

«Auch wenn wir das bei uns in Mitteleuropa nicht so recht wahrhaben wollen, lässt sich die Zukunft der Welt nicht mehr vorhersagen, ohne China zu verstehen. Es ist wirtschaftlich zu stark, technologisch bereits zu weit entwickelt und hat zu viele Verbündete. China ist eine Art informeller Sprecher der Entwicklungsländer geworden, die 80 Prozent der Weltbevölkerung bilden und mehr als 70 Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum beitragen.

China zufolge sollten die Menschen in den Entwicklungsländern das Recht auf ein besseres Leben haben und die Entwicklungsländer mehr Mitsprachemöglichkeiten bei gemeinsamen Anliegen der Welt. Das haben die USA und der Westen den Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas bisher nicht angeboten.»


«Le Monde»: Georgien muss Rechtsstaatlichkeit beweisen

PARIS: Zu den Protesten in Georgien gegen Gesetzespläne zur Einstufung ausländischer Medien und Organisationen als «Agenten» schreibt die französische Tageszeitung «Le Monde» am Freitag:

«Der von der Opposition als «russisches Gesetz» bezeichnete Text symbolisierte den besorgniserregenden Rückgang der Rechtsstaatlichkeit, der die europäischen Ambitionen des Landes behindert. Die Situation bleibt jedoch fragil. Die EU muss zwischen der Forderung, dass Tiflis Fortschritte bei der Arbeit macht, die die von Brüssel gestellten Bedingungen verlangen, und dem Risiko, dass russischem Einfluss freie Hand gelassen wird, hin und her navigieren. Zunächst liegt es jedoch an der georgischen Führung. Sie muss ihre Entschlossenheit, Europa beizutreten, unter Beweis stellen, indem sie in den eigenen Reihen aufräumt und ernsthaft an der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit arbeitet.»


«Hospodarske noviny»: Neuanfang in der Prager Burg

PRAG: Die Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien schreibt am Freitag nach der Amtsübernahme des neuen tschechischen Präsidenten, Ex-General Petr Pavel:

«Wenn man auf die vergangenen 20 Jahre zurückblickt und überlegt, was die Vorgängerpräsidenten Vaclav Klaus und Milos Zeman dieser Republik gegeben haben, dann ist es keine fröhliche Bilanz. (...) Nun ist es an der Zeit, die Prager Burg für die Kultur und die Intelligenz zu öffnen. Dafür genügt es, bedeutende Denker nach Prag einzuladen und positiv über die EU zu sprechen, wie es das europäische Einigungsprojekt nach all den Jahren sicher verdient hätte.

Der neue Präsident sollte in Krisenzeiten beruhigen und nicht wie seine Vorgänger politisches und gesellschaftliches Chaos säen, wann immer es nur geht. Er sollte der Regierung bei unpopulären Reformen helfen. Und er sollte der tschechischen Nation ein Gefühl des Stolzes und Selbstvertrauens in den Punkten geben, in denen sie auf etwas stolz sein kann - und es sind nicht wenige. Weiß Gott, das ist es, was wir nach 20 Jahren des politischen Marasmus brauchen.»


«The Times»: Westen muss Georgiern beistehen

London dpa) - Zu den Massenprotesten in Georgien meint die britische Zeitung «The Times» am Freitag:

«Umfragen zufolge befürworten mehr als 80 Prozent der georgischen Bevölkerung einen EU-Beitritt. Dass bei den Protesten die Flaggen der EU und der Ukraine gezeigt wurden, erinnerte an die Demonstrationen in Kiew 2014. Es zeigt zugleich, dass beide Länder auf unterschiedliche Weise in denselben Kampf verwickelt sind. Allerdings ist der ungeschickte Versuch, in Georgien «russisches Recht» durchzusetzen, auch eine Erinnerung daran, dass (Russlands Präsident Wladimir) Putin vor nichts zurückschrecken wird, um die russische Kontrolle über sein ehemaliges Reich wiederherzustellen.

Zu lange ist der Westen davor zurückgeschreckt, seinen Werten Nachdruck zu verleihen - aus Angst, Russland zu provozieren, obwohl Moskau Belarus praktisch annektiert, einen kolonialen Eroberungskrieg in der Ukraine begonnen hat und versucht, die Republik Moldau zu destabilisieren. Jetzt, da die Georgier gezeigt haben, was ihre Ambitionen sind, muss der Westen alles tun, was in seinen Kräften steht, damit seine Werte Wirklichkeit werden können.»


«El País»: Beispielloser Angriff auf Israels Demokratie

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Freitag die Pläne der rechtsreligiösen Regierung in Israel für eine Justizreform:

«Die israelische Demokratie befindet sich in einer Verfassungskrise mit unabsehbaren Folgen, Opfer der Machenschaften von Regierungschef Benjamin Netanjahu, der die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und Israel auf den Weg des Autoritarismus führen will. Das Vorhaben der rechtsextremsten Regierung in der Geschichte des Landes trifft auf massive Ablehnung, sogar in der Armee. Angesichts der Heftigkeit des Konflikts bemüht sich Staatspräsident Isaac Herzog um eine Einigung.

Netanjahu und seine ultranationalistischen und fremdenfeindlichen Verbündeten begründen die Reform damit, dass der Oberste Gerichtshof ideologisch agiere und Entscheidungen demokratisch gewählter Institutionen aushebele. Das ist falsch. In Wahrheit kann der Oberste Gerichtshof eine Erfolgsbilanz strenger und unparteiischer Urteile vorweisen. Seine Entscheidungen sind nicht anfechtbar, aber Netanjahu will, dass sie mit nur einfacher Mehrheit vom Parlament aufgehoben werden können, was das Ende der Gewaltenteilung wäre. Zudem will die Regierung die Kontrolle über die Ernennung der Richter. Das alles ist ein beispielloser Angriff auf die Demokratie.»


«Wall Street Journal»: Moderne Wirtschaft braucht fossile Energie

NEW YORK: Als wichtigster Energieträger hat die als klimaschädlich geltende Kohle in Deutschland sogar noch an Bedeutung gewonnen. Dazu schreibt das «Wall Street Journal»:

«Wind- und Solarkraft funktionieren nicht, wenn kein Wind weht oder der Himmel bewölkt ist. Der Versorgungssektor ist auf billige und einfache Energiequellen-Alternativen angewiesen, um der Nachfrage in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft nachzukommen, wenn das Wetter nicht mitspielt. Billig und einfach bedeutet Kohle.

Eine andere Erklärung für das Wiederaufleben der Kohle ist die politische Feindseligkeit von Deutschlands grüner Linker gegenüber der Atomkraft. Deutschland könnte seine Schiefergasreserven für eine sauberer verbrennende Alternative zur Kohle erschließen, aber auch diese Option ist politisch vergiftet. So ist es die Kohle, die in urkomischer grüner Ironie dafür sorgt, dass das Licht an bleibt.

Berlin plant weiter, die Kohle bis 2030 zu verbieten. Bis jener Tag gekommen ist, finden die Politiker in Berlin vielleicht noch heraus, was der Markt bereits weiß: Fossile Brennstoffe bleiben für den Antrieb moderner Volkswirtschaften unverzichtbar.»


«Volkskrant»: Niederlande im Auge eines geopolitischen Sturms

AMSTERDAM: Die Niederlande schränken den Export von Maschinen für die Produktion von Mikrochips nach China ein. Dazu heißt es am Freitag in der Zeitung «de Volkskrant»:

«Was ist von der offiziellen Ankündigung von Außenhandelsministerin Liesje Schreinemacher zu halten, dass die Niederlande die Ausfuhr von hochentwickelten Flachdruckmaschinen des Technologieunternehmens ASML weiter einschränken werden? Ist dies ein diplomatischer Triumph der USA, ein Zeichen dafür, dass die Niederlande geopolitisch aufwachen oder dass sich das internationale Klima rasch ändert? Die kurze Antwort lautet: drei Mal richtig.

Sicher ist auch, dass Den Haag unter starkem Druck der USA stand und es vorzog, dies nicht offen zuzugeben. Aber mit ASML, das zusammen mit einem japanischen Unternehmen ein Beinahe-Monopol auf einen entscheidenden Aspekt der Computerchip-Industrie hat, befinden sich die Niederlande im Auge eines großen geopolitischen Sturms.

Es wächst das Bewusstsein dafür, dass China keine fairen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bietet, dass es sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig macht und eine militärische Bedrohung für Taiwan darstellt. Es stellt sich die Frage, ob die globalen Ambitionen von Präsident Xi Jinping noch mit der von den Europäern verfochtenen multilateralen Ordnung vereinbar sind.»


«NZZ»: Machtprobe in Georgien geht weiter

ZÜRICH: Die Regierung in Georgien hat ihr umstrittenes «Agenten»-Gesetz zurückgezogen. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Freitag:

«Manches deutet auf einen bloßen taktischen Rückzieher hin. Die Regierungspartei Georgischer Traum und ihr antiwestlicher Koalitionspartner kündigten am Donnerstag an, sie wollten nun der Bevölkerung den Zweck des Gesetzes «besser erklären». Die Machthaber wollen der Bevölkerung weismachen, ihre Gesetzesvorlage orientiere sich an amerikanischen Bestimmungen zur Offenlegung ausländischer Einflüsse. Man muss sehr naiv sein, um dies zu glauben. Die sogenannte Foreign Agents Registration Act der USA dient hauptsächlich dazu, ein Verzeichnis bezahlter Auslandlobbyisten zu erstellen; sie richtet sich nicht gegen gesellschaftliche Organisationen und privatwirtschaftliche Medien.

Das georgische Projekt hingegen folgt einem ganz anderen Vorbild, dem berüchtigten «Agenten-Gesetz» Russlands, das der Kreml in den vergangenen zehn Jahren genutzt hat, um mit dem eisernen Besen alle bedeutenden regimekritischen Organisationen zu beseitigen. Die Demonstranten, manche von ihnen mit der Europaflagge in der Hand, haben dies mit ihrem mutigen Einsatz vorerst verhindert. Doch die Machtprobe geht wohl weiter. Georgien steht an einer ähnlichen Wegscheide wie die Ukraine beim «Euro-Maidan» von 2013/14.»

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.