Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zum EU-Beitrittskandidaten Ukraine

Die Ukraine erhält den von ihr erhofften Status des EU-Beitrittskandidaten.

Das ist eine gute Nachricht - für beide Seiten. Für Kiew tut sich ein Licht der Hoffnung am Ende eines langen Tunnels auf. Und die Europäer beweisen, dass ihre ständig wiederholten verbalen Bekräftigungen, die Ukraine gehöre zu Europa, nicht nur leere Worthülsen sind. Es ist keineswegs pathetisch, wenn EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärt, dass die Ukrainer bereit sind, für die Werte Europa zu sterben. Dann dürfe es ihnen die EU auch nicht verwehren, ihren europäischen Traum zu leben.


«Lidove noviny»: Europa steht vor schwierigem Winter

PRAG: Zu den verringerten russischen Gaslieferungen schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Freitag:

«Olaf Scholz, Mario Draghi und Emmanuel Macron haben Kiew besucht, doch die wichtigere Nachricht ist wohl, dass der russische Gazprom-Konzern seine Erdgaslieferungen nach Europa drastisch reduziert. Gazprom heizt Europa ein, doch tatsächlich dürfte es im Winter ziemlich kalt werden. Wir können uns nur damit trösten, dass Russland Erdgas als Waffe höchstens für diese und die folgende Wintersaison wird einsetzen können. Denn spätestens dann wäre das Land als verlässlicher Lieferant und Handelspartner endgültig am Ende - und das für Jahrzehnte. Die Schwierigkeit besteht darin, dass in Europa nicht nur kalte Wohnungen drohen, sondern auch dramatische Einbrüche bei der Industrieproduktion, die bisher ohne russische Energie einfach nicht auskommt.»


«Rzeczpospolita»: Reicht die versprochene Hilfe für die Ukraine?

WARSCHAU: Die polnische Tageszeitung «Rzeczpospolita» kommentiert am Freitag den Ukraine-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und den italienischen und rumänischen Regierungschefs, Mario Draghi und Klaus Iohannis:

«Zunächst das Positive: Die Staats- und Regierungschefs der drei größten EU-Länder sprachen sich dafür aus, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren. Dies ist auch für Polen von besonderer Bedeutung. Scholz versicherte, dass Europa auf der Seite der Ukraine stehe. Das sind Worte, die wenig kosten. Aber er hat Irpin gesehen, den Schauplatz russischer Kriegsverbrechen, und das hat ihm vor Augen geführt, wie dieser Krieg aussieht.

Der Besuch von Draghi, Iohannis, Macron und Scholz erfüllte die Ukrainer mit Hoffnung und Stolz, sie hörten von ihrem Mut und der vollen Verantwortung Russlands für den Krieg. Er hat das Interesse an einem Krieg wieder geweckt, der den Westen bereits ermüdet. Doch reicht die den Ukrainern versprochene Hilfe aus, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern? Das kann man bezweifeln, aber es wäre schön, wenn die Zweifel unbegründet wären. Außerdem sprach Bundeskanzler Scholz, der Chef des wichtigsten europäischen Landes, nur von Waffen zur Abwehr russischer Angriffe, nicht aber zur Vertreibung der Russen aus der Ukraine.»


«Dagens Nyheter»: Kein Quadratmeter Ukraine für Russland

STOCKHOLM: Die schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» kommentiert am Freitag den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi in Kiew:

«Gewiss hat sich Europa schneller und entschlossener um die Flagge der Ukraine versammelt als die meisten zu glauben und zu hoffen gewagt hatten. Gewiss herrscht Einigkeit, dass Russlands Einmarsch unrechtmäßig und unentschuldbar ist. Gewiss wurden der Ukraine Waffen und andere Mittel für ihren Verteidigungskrieg geliefert. Aber Worte sind eine Sache, Handlungen eine andere. Gerade die drei, die am Donnerstag Präsident Wolodymyr Selenskyj trafen, gehören im Gegensatz zu beispielsweise baltischen, polnischen und britischen Spitzenpolitikern zu denen, die in letzter Zeit den Blick gesenkt und etwas von Kompromissen gemurmelt haben.

Die Botschaft von Macron, Draghi und Scholz muss sein, dass sie voll hinter der Ukraine stehen. Nichts vom Territorium des Landes darf wegverhandelt werden. Die EU muss ihren Teil leisten, um ihre Abhängigkeit von russischem Gas loszuwerden, eine ukrainische Mitgliedschaft zu unterstützen, Kiew weiter mit Waffen und Geld zu unterstützen und die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.»


«La Vanguardia»: Eine Demonstration der Macht Europas

MADRID: Zum gemeinsamen Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in der Ukraine schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Freitag:

«Der Besuch der europäischen Führer in der Ukraine ist eine Demonstration der Macht Europas und ihrer Verteidigung eines politischen Systems, das Rechte und Freiheiten schätzt und autoritäre Herrschaften ablehnt. Er beweist auch die Bereitschaft, den Aktionsradius dieses Systems auf europäischer Ebene auf die Ukraine auszuweiten. Und der Besuch ist nicht zuletzt auch eine notwendige Reaktion auf die brutale russische Herausforderung. (...)

Der Frieden - das sollte nicht vergessen werden - ist und bleibt immer das große Ziel. Aber in der gegenwärtigen Situation ist die Verteidigung der europäischen Werte angebracht und unverzichtbar.»


«Washington Post»: Westen muss Hilfe für Ukraine aufstocken

WASHINGTON: Zur Haltung des Westens in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine schreibt am Freitag die US-Zeitung «Washington Post»:

«Trotz der enormen Verluste an Personal und Ausrüstung, die (Russlands Präsident Wladimir) Putin bereits hinnehmen musste, ist das russische Militär im Vergleich mit der Ukraine bei den für den Kampf entscheidenden schweren Waffen - Flugzeuge, Panzer und Artillerie - immer noch im Vorteil. So schwer es auch sein wird, Putins militärischen Mitteln etwas entgegenzusetzen, besteht die eigentliche Herausforderung für den Westen darin, entschlossen mitzuhalten - trotz der schmerzhaften wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs.

In dieser Hinsicht sind die Eindrücke eher gemischt: Die US-Regierung, Großbritannien und die osteuropäischen Nato-Mitglieder zeigen sich standhaft, während andere Regierungschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Verhandlungslösung andeuten. Ein festgefahrener Krieg könnte Russland Zeit geben, seine Geländegewinne zu konsolidieren - und die Spaltung in westlichen Reihen zu schüren. Eine Beschleunigung und Ausweitung der Militärhilfe für Kiew ist der beste Weg, dies zu verhindern.»


«NZZ»: EWR wäre ideale Vorstufe für EU-Mitgliedschaft der Ukraine

ZÜRICH: In der EU steht die Entscheidung an, ob die Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten erhält. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Freitag:

«Es ist offensichtlich: Nicht nur die Ukraine muss sich reformieren, auch der Beitritt zur EU muss anders verlaufen. Das Problem ist alt. Doch die langjährige Erweiterungsmüdigkeit hat verhindert, dass nach Abhilfe gesucht wurde. Jetzt hat die Dringlichkeit der strategischen Herausforderung durch die Ukraine zu einer ganzen Flut von Vorschlägen geführt, wie auch schwierige Länder an die EU herangeführt werden können.

Das Rad muss aber nicht völlig neu erfunden werden. Mit dem Europäischen Wirtschaftsraum existiert ein eng mit der EU verzahntes Gebilde, das eine ideale Vorstufe zum Vollbeitritt ist. Was für die Länder des Westbalkans gilt, gilt auch für die Ukraine: Reformen, die zum EWR-Beitritt in einigen Jahren führen, sind machbar. Allen Kandidaten sollte diese Tür geöffnet werden - ohne auszuschließen, dass daraus eine Vollmitgliedschaft wird.»


«de Volkskrant»: Deutsche Hilfszusagen sollten rasch konkreter werden

AMSTERDAM: Zum Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Ukraine schreibt die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Freitag:

«Die beleidigte Leberwurst ist in Kiew. Das hätte am Donnerstag ein weiterer Tweet des lautstarken ukrainischen Botschafters in Berlin, Andrij Melnyk, sein können. Der Mann ist der Plagegeist der deutschen Politik und insbesondere von Bundeskanzler Olaf Scholz. (...)

In Kiew hatte Scholz sogar eine Überraschung in petto: Deutschland tritt dafür ein, dass der Ukraine der Status eines EU-Beitrittskandidaten gewährt wird. Das ist etwas, was Scholz zuvor noch in Zweifel gezogen hatte. (...)

Der Kanzler versprach zudem langfristige finanzielle und humanitäre Hilfe und auch die Lieferung von Waffen «solange die Ukraine unsere Unterstützung benötigt». Doch wenn diese Zusagen nicht rasch konkreter werden, dürfte der ukrainische Botschafter in Berlin die auftauenden deutsch-ukrainischen Beziehungen wohl schon bald wieder per Twitter zurück in den Kühlschrank befördern.»


«De Standaard»: EU muss Ukraine willkommen heißen

BRÜSSEL: Zur Diskussion in der EU über den Status eines Beitrittskandidaten für die Ukraine meint die belgische Zeitung «De Standaard» am Freitag:

«Es gibt eine Reihe vernünftiger Argumente, warum es noch zu früh ist, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen. Das Land ist eine fragile Demokratie, in der die Korruption weit verbreitet und die Rechtsstaatlichkeit wacklig ist. Große Medien sind in den Händen von Oligarchen und mächtigen Politikern. Außerdem könnte ein EU-Mitgliedstaat, der teilweise von Russland besetzt ist, für zahlreiche Komplikationen sorgen.

Eine Vorzugsbehandlung der Ukraine wäre auch eine Beleidigung für ein Land wie Bosnien und Herzegowina, das ebenfalls einen blutigen Krieg erlebt hat und seit 2005 in der Warteschlange der EU steht. (...)

Wer sich jedoch über eine erneute Kränkung der Ukraine und einen Streit, der Europa spaltet, freuen würde, ist Wladimir Putin. Der russische Präsident wird ständig darauf hinweisen, dass das Streben der Ukraine nach mehr Verbundenheit mit Europa nur eine naive Illusion war. (...) Eigentlich kann Europa diese historische Entscheidung nur mit einem großzügigen Herzen fällen und die Ukraine in der Familie willkommen heißen.»

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Derk Mielig 19.06.22 14:00
@Steinbach
Ich hatte das mehr auf die Abschaltung der Kraftwerke bezogen.
Zu Kommentaren über die „Dummen Deutschen“ wurde schon genug geschrieben.
Derk Mielig 19.06.22 12:40
@Steinbach
Ja, haben wir. Die Bürger sind der Staat. Das lernt man irgendwann zwischen 6. und 8. Klassenstufe.
Bernd Lange Berlin 19.06.22 01:20
Die dummen Deutschen
schalten ihre Kohlekraftwerke und die Atomkraftwerke ab--ohne in die Zukunft zu schauen--blöder kann man ja niht sein!