Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zum Rückzug Schröders

Als Staatsmann hat sich der Altkanzler Gerhard Schröder längst unmöglich gemacht.

Mit seiner realitätsblinden Nibelungentreue zu Putin verrät er nicht nur die Interessen des Landes, dessen Wohl ihm zweimal anvertraut war. Er tritt auch die Werte mit Füßen, denen sich seine sozialdemokratischen Urahnen vor 159 Jahren verschrieben hatten. Nun nimmt seine späte Karriere als Handlanger des Kreml eine abrupte Wendung: die letzte Ausfahrt vor der kompletten Selbstdemontage. Mit dem Rückzug aus dem Aufsichtsrat des russischen Energiekonzerns Rosneft sind aber womöglich noch nicht alle Strippen nach Moskau gekappt. Schröder war auch für den Aufsichtsrat von Gazprom nominiert.


«Trud»: Gallischer Hahn verkündete EU-Vertragsreform

SOFIA: Zur Debatte um eine Reform der EU-Verträge schreibt am Freitag die bulgarische Zeitung «Trud»:

«Es kam die Zeit, dass der gallische Hahn das gehütete Geheimnis der tugendhaften Brüsseler Bürokratie kräht: Die Einstimmigkeit bei Entscheidungen sei verheerend für die gemeinsame Außenpolitik der Union, die allerdings weder eine Politik noch gemeinsam ist. Zudem ist sie eine Außenpolitik nur insofern, dass sie Anweisungen von Außen befolgt. Übrigens, die Einstimmigkeit erlaubt noch keinen einheitlichen Steuersatz. Außerdem behindert sie die Umerziehung von Polen und Ungarn, die die europäischen Werte nur dann schätzen, wenn sie mehr Nullen hinten haben. (...) Deswegen sei es höchste Zeit, dass wir voll zu Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit übergehen.»


«Pravda»: Nato darf sich nicht erpressen lassen

BRATISLAVA: Zur türkischen und kroatischen Veto-Drohung gegen einen Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens schreibt die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda» am Freitag:

«(Der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan hat schon viel Erfahrung im Erpressen. Während der Migrationskrise 2015 drohte er der EU, Europa mit Millionen Flüchtlingen zu überschwemmen, falls sie ihm nicht zahlten. Mit Erfolg. Brüssel versprach ihm für sein «Entgegenkommen» Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen, eine beschleunigte Aufhebung der Visa-Erteilung und vor allem sechs Milliarden Euro. (...) Es ist sehr wahrscheinlich, dass er den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens nicht wirklich blockieren wird, aber er wird sich wieder etwas aushandeln, das er seinem heimischen Publikum vor den nächsten Wahlen als Erfolg präsentieren kann. (...)

Was aber der kroatische Präsident versucht, ist eine wahre Farce. Dass er das Wahlgesetz Bosnien-Herzegowinas mit der Nato-Erweiterung verknüpft, ist absurd. Es zeigt aber vor allem etwas anderes. Wenn die Nato eine Organisation der gemeinsamen Werte und der Solidarität sein will, dann kann sie nicht tolerieren, dass einzelne Mitglieder daraus einen Selbstbedienungsladen machen.»


«WSJ»: Engpass bei Babynahrung ist von der US-Politik verschuldet

NEW YORK: Zum Engpass bei Babymilchnahrung in den USA schreibt das «Wall Street Journal»:

«Die Politiker bemühen sich, die Mütter zu beschwichtigen, die über den Engpass bei Babymilchnahrung verärgert sind, aber eins tun sie nicht: in den Spiegel schauen. Um die Knappheit zu beseitigen, muss die Regierungspolitik, die sie mitverursacht hat, korrigiert werden. (...) Die Haupthindernisse für eine Steigerung des Angebots bestehen in der Regulierung. Handelsprotektionismus - einschließlich Zöllen von bis zu 17,5 Prozent - und Vorschriften der (US-Lebensmittelbehörde FDA) zur Kennzeichnung und zu den Inhaltsstoffen schränken den Wettbewerb ein.

Etwa 98 Prozent der US-amerikanischen Säuglingsnahrung wird im Inland hergestellt, obwohl sie nicht sicherer ist als europäische oder australische Produkte. (...) Lösung: Zölle aussetzen und Kennzeichnungs- und Inhaltsstoffvorschriften für vertrauenswürdige Partner lockern. (...) Aber diese Handelsbarrieren sollten überhaupt gar nicht existieren.»


«La Repubblica»: Deutschland bremst

ROM: Zur Position der Bundesregierung bei Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Freitag:

«Bundeskanzler Olaf Scholz bremst auf der Vorzugsspur für den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Und sechshundert Kilometer entfernt, beim G7 in Bonn, lehnt sein Finanzminister Christian Lindner hinter den Kulissen eine von Mario Draghi inspirierte Initiative der Amerikaner ab, nämlich einen Deckel für den Ölpreis einzuführen, um die Preise zu beruhigen, aber vor allem um eine «verdeckte Sanktion», wie sie es in diplomatischen Kreisen definiert wird, auf Lieferungen aus Russland durchzusetzen. Kurzum ist es ein Deutschland, das gestern in zwei wichtigen Dossiers die Handbremse gezogen hat.»


«La Vanguardia»: Im Dienst der Krone

MADRID: Die spanische Zeitung «La Vanguardia» kommentiert am Freitag den Spanien-Besuch von Altkönig Juan Carlos:

«Die Rückkehr von Juan Carlos, der 84 Jahre alt ist und unter Mobilitätsproblemen leidet, war nicht einfach, obwohl er nur kurz hier sein wird - am Montag kehrt er nach einem Mittagessen mit dem König im (Königspalast) Zarzuela (ins Exil) nach Abu Dhabi zurück. Es war nicht einfach, weil es die Regierung wiederholt abgelehnt hat, dass der emeritierte König in der Zarzuela übernachtet. Schwierig ist der Besuch aber auch, weil Juan Carlos sein früheres Verhalten weder erklärt noch sich bei den Spaniern entschuldigt hat.

Der Wunsch von Juan Carlos, in sein Land zurückzukehren, ist verständlich. Aber es ist klar, dass sein Besuch eine schwere Belastung für die Krone sein könnte. Die steuerlichen Unregelmäßigkeiten von Juan Carlos und andere Dinge werfen einen Schatten auf die Institution, die er fast vierzig Jahre verkörperte. Aber gerade wegen seiner Kenntnis der Institution weiß er, dass er sich den Interessen der Krone beugen muss, die jetzt tadellos von seinem Sohn Felipe VI. vertreten wird. Der emeritierte König ist sich bewusst, dass sein Verhalten kein anderes Ziel haben kann, als der Krone zu dienen.»


«The Telegraph»: Erdogan ist ein gewiefter Geschäftemacher

LONDON: Die Türkei blockiert die Nato-Aufnahme Finnlands und Schwedens. Dazu meint der Londoner «Telegraph» am Freitag:

«Damit wird unweigerlich die Frage aufgeworfen, wie tragbar die Nato-Mitgliedschaft der Türkei wirklich ist. Einerseits hat Ankara viel getan, um die Ukraine zu unterstützen, seit Wladimir Putin seine Invasion startete. Es hat den Bosporus und die Dardanellen für Kriegsschiffe gesperrt und damit Russland daran gehindert, verlorene Schiffe zu ersetzen. Auch die an die Ukraine verkauften türkischen Drohnen haben sich als äußerst effektiv erwiesen. Ganz allgemein ist Ankara ein wichtiger strategischer Verbündeter, der über ein großes und schlagkräftiges Militär verfügt.

Andererseits hat Präsident Erdogan bei mehreren Gelegenheiten in einer Weise gehandelt, die den anderen Nato-Mitgliedern zuwiderlief. (...) Erdogan gilt als gewiefter Geschäftemacher, der beispielsweise der EU einen hohen Preis für die Begrenzung der Überfahrt von Migranten nach Griechenland abgerungen hat. Zudem befindet sich seine Wirtschaft derzeit in einer Krise. Deshalb glauben die meisten Analysten, dass die Unterstützung der Türkei für die Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens letztendlich durch Zugeständnisse gesichert werden kann. Lasst uns hoffen, dass sie recht haben.»


«NZZ»: Erdogan schadet der Nato und sich selbst

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Freitag die Blockierung der Nato-Aufnahme Finnlands und Schwedens durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan:

«Dass Erdogan sich in dieser Situation mit seinem neuerlichen Poker-Spiel einen Gefallen tut, darf bezweifelt werden. Seine Vetomacht mitten im Ukraine-Krieg für eigene Interessen zu nutzen, dürften die meisten Kongressabgeordneten (in den USA) und Nato-Partner als unsolidarisch und verantwortungslos empfinden. Auch dürfte es sie in dem Urteil bestärken, dass auf die Türkei unter Erdogan kein Verlass ist.

Am Ende wird es wohl trotzdem eine Einigung geben. Denn den Skandinaviern ist ihr Nato-Beitritt viel zu wichtig, als dass sie ihn an der Kurdenfrage scheitern lassen werden. Auch die USA werden mitten im Konflikt mit Russland eine längerfristige Blockade der Nato vermeiden wollen. Es bleibt abzuwarten, wie der Kuhhandel ausfallen wird. Erdogan wird aber kaum alles erhalten, was er fordert. Schon oft hat er erst groß das Maul aufgerissen, dann aber klein beigeben müssen. Letztlich dürfte Erdogans Pokerspiel ihm so sehr schaden wie der Nato.»


«The Independent»: Johnson hat Vertrauen der Wähler verspielt

LONDON: Der Londoner «Independent» kommentiert am Freitag den Abschluss der polizeilichen Ermittlungen zu illegalen Lockdown-Partys mit Premierminister Boris Johnson in der Downing Street:

«Übrig bleibt die Tatsache, dass dieser Premierminister der erste ist, gegen den während seiner Amtszeit ein Strafbefehl verhängt wurde. Und auch, dass er dies und die Kultur der Heuchelei, die er in der Downing Street verbreitet hat, nicht als Grund für einen Rücktritt ansieht. Es ist Boris Johnson, der aus dieser traurigen Geschichte mit der größten Schande hervorgeht. Dass er anscheinend glaubt, das Gesetz gelte nicht für ihn, ist leider keine Überraschung. (...)

Die Öffentlichkeit hat sich schon vor langer Zeit ihre Meinung über Johnson gebildet - und sie ist zu dem Schluss gekommen, dass er kein Mann ist, dem man vertrauen kann. Einst war die Wählerschaft bereit, über seine Schwächen hinwegzusehen, weil er wie ein Mann der Tat erschien und den Brexit «durchziehen» wollte. Nachdem die Wähler den Premierminister und seine Methoden besser kennengelernt und zudem eher gemischte Erfahrungen mit dem Brexit gemacht haben, sind sie nicht mehr bereit, ihm noch einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.»

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