Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu 20 Jahre 9/11

20 Jahre nach jenem schicksalhaften 11.

September zeigt sich immer stärker, wie sehr sich der - aus heutiger Sicht naive - Glaube an ein «Nation Building» außerhalb des westlichen Kulturkreises überlebt hat. In den 20 Jahren haben die USA, aber auch Europa lernen müssen, dass ihre Werte nicht mehr zwingend ein Modell für andere Weltregionen und Kulturkreise sind. Das liegt unter anderem am Aufstieg Chinas zum wirtschaftlich und politisch mächtigen Spieler, was den Glauben an die Überlegenheit des liberalen Wirtschaftsmodells zerbröseln ließ. Aber auch die Lügen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg oder Verfehlungen in Guantanamo und dem Militärgefängnis Abu Ghraib trugen dazu bei, dass die westliche Vorbildrolle moralisch erodierte.


«Hospodarske noviny»: Klimaaktivisten rennen offene Türen ein

PRAG: Zu den Protestaktionen gegen die Automobilmesse IAA Mobility in München schreibt die liberale Wirtschaftszeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien am Donnerstag:

«Die Umweltaktivisten fordern eine Revolution in dem Moment, in dem sich die gesamte Automobilindustrie zu ebendiesem Schritt selbst entschlossen hat. In seiner Rede auf der Automesse IAA Mobility in München sprach sich Volkswagen-Chef Herbert Diess für einen schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energiequellen aus - ähnlich wie die Demonstranten. Wenn trotzdem noch jemand Sand ins Getriebe der Fahrzeugindustrie streuen will, dann ist das ein Ausdruck kindlicher Selbstzentriertheit. Wichtiger wird es sein, welche Kundenwünsche künftige neue Generationen von Autofahrern äußern werden - denn das beeindruckt die Automobilhersteller immer noch am stärksten.»


«The Guardian»: Bolsonaro fördert Rechtspopulismus

LONDON: Der Londoner «Guardian» kommentiert am Donnerstag die Amtsführung des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro:

«Obwohl Jair Bolsonaros Gegner vor den mit ihm verbundenen Gefahren warnten, waren die meisten Wähler in der viertgrößten Demokratie der Welt bereit, einen erklärten Bewunderer der Diktatur zu wählen. Inzwischen haben viele Zweifel. Die Popularität des Präsidenten ist stark gesunken, fast zwei Drittel der Brasilianer lehnen ihn nun ab. (...) Wenn frühere Befürworter behaupten, sie seien überrascht, wie sich Bolsonaros Präsidentschaft entwickelt hat, dann zeugt das entweder von erstaunlicher Unaufrichtigkeit oder von noch größerer Dummheit. Aber für die Gegner ist es ein schwacher Trost, dass sie Recht behalten haben. Die Hauptgefahr besteht natürlich für Brasilien selbst. Aber wenn Bolsonaro an der Macht bleibt, wird er nicht nur den Klimanotstand verschlimmern, indem er das Amazonasgebiet weiter zerstört, er wird auch den Rechtspopulismus in anderen Ländern ermutigen und fördern. Wir sollten alle alarmiert sein.»


«Irish Times»: Bolsonaro missachtet die Verfassung

DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Donnerstag die Drohungen des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gegen demokratische Institutionen seines Landes:

«Er wiederholte seine inzwischen gewohnte Drohung, die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr nicht zu respektieren. Und in einem weiteren direkten Verstoß gegen die Verfassung schwor er, sich nicht an die Entscheidungen des Obersten Richters Alexandre de Moraes zu halten, der mit der Leitung der Ermittlungen zu mutmaßlichen Verbrechen der Regierung Bolsonaros und ihrer Anhänger beauftragt ist. (...)

Bolsonaros autoritäre Manöver sind Versuche, der zweifachen Bedrohung durch eine wahrscheinliche Wahlniederlage und eine mögliche Verhaftung zu entgehen; ein Risiko, das er in seinen Reden durchaus einräumt. Für einen Demagogen ist das ein Anreiz, sich schließlich gegen die Verfassung zu stellen. Das erklärt, warum der Druck auf den Kongress zunimmt, endlich einen der Dutzenden Amtsenthebungsanträge zu behandeln, die bereits gegen ihn eingereicht wurden.»


«Dagens Nyheter»: Die Terroristen sind gescheitert

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) wirft am Donnerstag einen Blick auf den anstehenden 20. Jahrestag der islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001:

«Die Terroristen, die die USA vor 20 Jahren angegriffen haben, sind gescheitert. Die Attentäter von Paris 2015, die jetzt vor Gericht stehen, haben verloren. Der Westen ist nicht zu einer Welt des Schreckens geworden, die sich selbst und ihre grundlegenden Werte infrage stellt. Die Demokratie hat sich nicht vom Terror beeinflussen lassen. Wir haben nicht angefangen, Wahlrecht, Gleichberechtigung, Menschenrechte und Meinungsfreiheit als dekadent und veraltet zu betrachten. Vielmehr halten wir diese Werte - nicht zuletzt im Kontrast zu den islamistischen, totalitären Theokratien - für noch wichtiger. Wenn das Ziel war, dass sich die westliche Welt gegen den Islam und Muslime als Ganzes wendet, ist auch das gescheitert. Gewiss haben die Terroristen den Islamhassern geholfen. Die große Mehrheit hat dennoch ausgezeichnet den Balanceakt geschafft, gewöhnliche Muslime von Islamisten, Dschihadisten und Salafisten zu unterscheiden.»


«NZZ»: Taliban senden ein verheerendes Signal

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Donnerstag die neue Taliban-Regierung in Afghanistan:

«Die Sieger des Krieges wollen eigenmächtig herrschen. Entgegen ersten Versprechen wurden keine anderen politischen Kräfte eingebunden. Nicht nur alle Minister, sondern auch erfahrene höhere und mittlere Beamte werden ersetzt, in vielen Fällen durch Islamisten, die kaum eine Ahnung haben von der Materie, für die sie künftig zuständig sind. In erster Linie ging es offenbar darum, nach einem Machtkampf all die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung zufriedenzustellen und damit einen Bruch zu verhindern. (...)

Mit ihrem neuen Mullah-Regime senden die Taliban ein verheerendes Signal aus. Sie tun sich aber auch selbst keinen Gefallen mit einer Regierung, die weite Teile der Bevölkerung ausschließt und extremen Elementen enorme Macht verleiht. Ohne Legitimität im Volk wird es für sie längerfristig schwierig zu regieren. Zudem sind sie dringend auf ausländische Hilfe angewiesen. Afghanistan steht kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps und einer schweren humanitären Krise. Doch die westlichen Hilfsgelder sind eingefroren.»


«Washington Post»: Zu viel Wunschdenken über Afghanistan

WASHINGTON: Zu der nur aus Männern aus dem Umfeld der militant-islamistischen Taliban bestehenden Übergangsregierung in Afghanistan und den damit enttäuschten Erwartungen westlicher Staaten schreibt die «Washington Post»:

«Wir schlagen Realismus vor. (...) Wir denken dabei an die Art von Realismus, die zwei Dinge klar erkennt: Erstens haben die Taliban 2.0 bisher keine Beweise dafür geliefert, dass sie sich in irgendeiner Weise grundlegend von der extremen, gesetzlosen und stammesbasierten Gruppe gewandelt haben, die Afghanistan zwischen 1996 und 2001 so katastrophal regierte.

Und zweitens kann eine solche Organisation nicht den Anspruch erheben, das afghanische Volk zu vertreten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ein stabiles politisches System aufbauen kann - geschweige denn ein anständiges. Die mutigen Demonstrationen von Frauen in Herat und Kabul erinnern daran, dass die Afghanen sich dieses Regime nicht ausgesucht haben und in vielen Fällen dessen Werte verabscheuen.

Auf dieser Grundlage, und nur auf dieser Grundlage, sollten die Vereinigten Staaten ihre verbleibenden Ziele in Afghanistan verfolgen. Dazu muss auch das Eintreten für die Menschenrechte der Bevölkerung gehören. Es hat bereits zu viel Wunschdenken gegeben.»

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