Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

«The Irish Times»: Brexit-Vollzug in der Corona-Krise ist irrsinnig

DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Donnerstag die Gespräche über ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU:

«Selbst ohne Covid-19 wäre es vernünftig gewesen, die Klausel im EU-Austrittsabkommen anzuwenden, die eine Verlängerung der Übergangsperiode ermöglicht. Dass Großbritanniens Regierung trotz der Epidemie strikt dagegen ist, macht deutlich, dass ihre Prioritäten beim Brexit weiterhin von Ideologie statt von Zweckmäßigkeit und gesundem Menschenverstand bestimmt werden. Es ist irrsinnig, das Risiko einzugehen, den enormen Kosten durch die Corona-Pandemie auch noch einen wirtschaftlichen Brexit-Schock hinzuzufügen.»


«Süddeutsche Zeitung» zu China

Ratsam wäre es, sich daran zu erinnern, dass es chinesische Ärzte und Wissenschaftler waren, die am Parteistaat vorbei früh Alarm geschlagen haben, die ohne Genehmigung der Regierung die Gensequenz des Virus mit der Welt geteilt haben, um im Ausland die Forschung an einem Impfstoff zu ermöglichen.

Die ersten Studien, darunter zentrale Forschungsergebnisse, stammen aus China. Und schlussendlich waren es chinesische Journalisten, welche die anfängliche Vertuschung vor Ort aufgedeckt haben. Nichts davon soll und kann das Handeln der KP relativieren. Chinas aggressives Auftreten in der Krise folgt auf Jahrzehnte, in denen Peking viel versprochen, aber wenig gehalten hat. Doch die Ärzte, Forscher und Journalisten stehen für all das, was China auch ist.


«El País»: Trumps Autorität unter Null

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» befasst sich in einem Kommentar am Donnerstag mit der Rolle der USA und ihres Präsidenten Donald Trump in der Corona-Krise:

«Die Rechenschaftspflicht von Regierungen und Institutionen ist von fundamentaler Wichtigkeit, wenn weltweite Katastrophen wie die, die wir gerade durchleiden, in Zukunft vermieden werden sollen. Der Erste, der unter die Lupe genommen werden sollte, ist Donald Trump, nicht nur wegen der extrem schlechten Ergebnisse (seiner Corona-Politik), sondern auch, weil er der internationalen Verantwortung als Präsident der wichtigsten Supermacht nicht gerecht geworden ist, einer Supermacht, die entschieden zum Aufbau der internationalen Ordnung beigetragen hat, die er jetzt zerstört. Dass er die Beitragszahlungen seines Landes für die Weltgesundheitsorganisation WHO ausgesetzt und gedroht hat, sie binnen eines Monats endgültig einzustellen, während die Pandemie noch grassiert, lässt sich nur durch Verzweiflung angesichts eines Präsidentschaftswahlkampfs erklären, der von den Themen Tod und Arbeitslosigkeit dominiert werden könnte.

Nach der Episode mit dem Bleichmittel als antivirales Mittel und unter dem Einfluss des (Malaria-Medikaments) Hydroxychloroquin ist Trumps Autorität inzwischen unter Null gesunken. Sein Land ist isoliert und führungslos. Dieses Vakuum hat im Moment tödliche Auswirkungen. Und wenn sich die Richtung nicht bald ändert, wird China diese Leere eher früher als später füllen.»


«Latvijas Avize»: Unzumutbar und unmenschlich

RIGA: Die national-konservative lettische Zeitung «Latvijas Avize» beschäftigt sich am Donnerstag mit den Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf ältere Menschen und Pflegebedürftige:

«Umfragen zeigen, dass Senioren nicht die Armut, sondern Einsamkeit als das größte Problem betrachten. Während der Covid-19-Epidemie verschärfte sich das Problem durch den begrenzten Kontakt mit anderen Menschen - mit dem Ziel, ältere Menschen vor Infektionen zu schützen. Bewohner von Pflegeheimen haben es dabei besonders schwer, da ihren Angehörigen verweigert wird, sie zu besuchen. Vorsicht ist durchaus geboten, da Statistiken zeigen, dass fast die Hälfte aller Coronavirus-Todesfälle in Europa in Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen registriert wurden.

Wir haben in Lettland bislang ohne größere Opfer überlebt und die Beschränkungen werden allmählich gelockert. Aber es darf nicht erlaubt sein, dass Pflegeheime, wenn der Rest der Gesellschaft aufatmen und das normale Leben wieder aufnehmen kann, weiterhin «de facto» Gefängnisse bleiben, in denen ältere Menschen den Rest ihres Lebens in völliger Isolation von der Außenwelt verbringen. Ja, freundliche Worte können auch telefonisch gesprochen werden, aber nichts kann ein persönliches Treffen ersetzen.»


«Lidove noviny»: Frust in Ostdeutschland verständlich

PRAG: Zu den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie vor allem im Osten Deutschlands schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Donnerstag:

«Schon früher haben die Leute in Ostdeutschland auf verschiedene Weise zu verstehen gegeben, dass sie sich von den politischen Eliten vernachlässigt fühlen. Deshalb haben sie in Wahlen so oft für Antisystemparteien gestimmt. Jetzt, in der Zeit der Coronavirus-Pandemie, hat ihr Zorn indes eine reale Grundlage: Für sie gelten die gleichen Beschränkungen wie für andere Regionen in Deutschland, die weit stärker von dem Virus betroffen sind. Die Zahl der Infektionen in den neuen Bundesländern ist anhaltend gering. Krankenhäuser in Leipzig und Dresden haben daher einen Teil ihrer freien Kapazitäten für Patienten aus Italien zur Verfügung gestellt. Da soll noch einmal einer sagen, die Ostdeutschen seien unsolidarisch.»


«La Repubblica»: Merkel weiter im Sattel halten

ROM: Zum Krisenmanagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Corona-Pandemie schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» am Donnerstag:

«Merkel erfreut sich in Deutschland solcher Beliebtheit, dass sie die Konservativen in Umfragen auf 40 Prozent zurückgebracht hat. Und einige träumen sogar von einer Regierungskrise, um sie für weitere vier Jahre im Sattel zu halten. Merkel weigert sich zwar kategorisch, eine solche Idee nur in Betracht zu ziehen. Aber, so heißt es von der Kanzlerin nahe stehenden Quellen, Ihr werdet sehen, dass von jetzt bis Dezember die Reihe derjenigen, die sie um eine fünfte Amtszeit bitten, länger wird.»


«L'Est Républicain»: Auf den Feldern arbeiten Unsichtbare

NANCY: Die prekären Arbeitsbedingungen ausländischer Saisonarbeiter in Frankreich kommentiert die französische Tageszeitung «L'Est Républicain» am Donnerstag:

«Frankreich begann auf einmal, seinen Lieferanten, Kassierern (und) Müllmännern zu applaudieren. Die Covid-19-Epidemie hat das Image dieser «unsichtbaren» Berufe aufpoliert. Dafür fristet eine andere, noch weniger beachtete und in Verruf geratene Berufsgruppe weiter ein Schattendasein. Es sind Beschäftigte in der Landwirtschaft, insbesondere Saisonarbeiter. Mindestens ein Viertel von ihnen kommt aus dem Ausland, hauptsächlich aus den Maghreb-Staaten und aus Ost-Europa. (.) Wegen des Mangels (...) hat die Europäische Union für diese Saisonarbeiter die Grenzen wieder geöffnet. (.) Sie sind selten gewerkschaftlich organisiert. Sie sind zäh, arbeiten unter prekären Bedingungen und werden auf Mindestlohnbasis vergütet. Jedes Jahr kehren sie in ihre Heimatländer zurück, wie sie gekommen sind - geräuschlos, und ohne Applaus zu ernten. Unsichtbar und leise.»


«Den»: Oligarchensystem lässt Ukraine auch unter Selenskyj nicht los

KIEW: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist seit einem Jahr im Amt. Die ukrainische Tageszeitung «Den» (Kiew) schreibt am Donnerstag dazu:

«Wichtig ist, wie der Präsident jetzt seine Beziehungen zu den Oligarchen sieht. Ist es doch das System, das unser Land nicht loslässt und eine Entwicklung verhindert. [...] Inwieweit sich das ändert, davon können sich die Ukrainer selbst überzeugen. Besonders, wenn Treffen des Präsidenten mit der Großwirtschaft stattfinden, auf denen er um Hilfe im Kampf gegen das Coronavirus bittet. Oder wenn mit großen Schwierigkeiten die einen oder anderen Gesetze im Parlament abgestimmt werden. Dann muss das Präsidentenbüro sich mit verschiedenen 'Einflussgruppen' einigen, die ihre Vertreter in der Obersten Rada haben.»


«Financial Times»: Brexit darf Corona-Schaden nicht noch verschlimmern

LONDON: Die Londoner «Financial Times» plädiert am Donnerstag für eine Verlängerung der Brexit-Übergangsperiode:

«Die Entscheidung gegen eine Zollunion mit der EU und die Weigerung, juristisch einklagbare gemeinsame Standards zu akzeptieren, wird den britischen Unternehmen neue Kosten zu einer Zeit aufbürden, in der sie bereits wegen der Corona-Krise um ihr Überleben kämpfen. (...)

Für eine Verlängerung der Übergangsfrist zu plädieren, ist kein Versuch, den Brexit zu hintertreiben. Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist bereits geschehen. Die britische Öffentlichkeit hat zwei Mal darüber entschieden, beim EU-Referendum im Jahr 2016 und durch den klaren Wahlsieg, den sie Boris Johnson 2019 bescherte. Der Premierminister hat ein Mandat, den Brexit auf die Weise zu vollziehen, die seine Regierung beschließt - aber nicht für Entscheidungen, die den wirtschaftlichen Schaden durch die Corona-Pandemie noch verstärken.»


«The Guardian»: Euroskeptiker wollen Beziehungen zur EU schaden

LONDON: Der Londoner «Guardian» kommentiert am Donnerstag die Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU:

«Brexit-Hardliner denken, dass ein Abkommen mit US-Präsident Donald Trump Druck auf die Europäer ausüben könnte. Es würde zeigen, dass Großbritannien Optionen hat. Aber Brüssel sieht die nationalistische Handelsagenda von Trump als eine Bedrohung für die Stabilität der internationalen Ordnung. Das macht Zugeständnisse Europas viel unwahrscheinlicher. Und für einige Euroskeptiker, die Trumps zerstörerische Einstellung zum europäischen Projekt teilen, ist es eh das Ziel, maximalen Schaden in den Beziehungen zu Brüssel zu verursachen.

In diesem geostrategischen Wettbewerb ist der Zugang zu den Märkten nur eine Komponente. Washington möchte seine Agrarüberschüsse bei den britischen Verbrauchern abladen (was die einheimischen Landwirte ruinieren würde). Aber es will auch, dass sich das Vereinigte Königreich in der eskalierenden rhetorischen Konfrontation mit China auf Trumps Seite stellt. Die EU aber ist gegenüber Peking weniger angriffslustig.»

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