Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Wahlwiederholung

Der neue Wahltermin für Berlin rückt näher.

Mit der Ankündigung des Verfassungsgerichtshofs, am 16. November eine Entscheidung bekannt zu geben, ist die nächste Wegmarke gesetzt. Während Wahlen sonst ein Jahr lang vorbereitet werden, bleiben diesmal - von jetzt an gezählt - noch vier Monate Zeit. Das setzt die Innenverwaltung unter Druck. Denn allen ist klar: Ein Fiasko wie am 26. September darf sich nicht wiederholen. Das Problem: Die Stadt muss viel zu viel Energie aufwenden, um so etwas Selbstverständliches wie Wahlen neu zu organisieren. Gerade jetzt wäre es jedoch wichtig, alle Anstrengungen auf die Bewältigung der Krisen zu konzentrieren. Dazu kommt jetzt das übliche Wahlkampfgetöse in Fahrt. Das alles kostet Kraft und Zeit. Zeit, die Berlin angesichts von Energiekrise, Inflation und Verhandlungen zu Hilfspaketen nicht hat.


«Stuttgarter Zeitung» zum deutschen Pflegetag

Für notwendige Strukturreformen im Gesundheitswesen fehlt mal der Mut, mal die Kraft und meistens die Fantasie.

Das ist bedauerlich, aber nicht ganz unverständlich. Das Thema ist nicht nur kompliziert, sondern auch leicht politisch ausbeutbar. Es braucht nicht viel, damit eine Opposition Reformpläne der Regierung zu einer Angstkampagne nutzen kann, die verfängt.


«Frankfurter Rundschau» zum Iran

Wir erleben es gerade mit voller Wucht: Die Welt wird nicht friedlicher, wenn die internationale Politik beim Umgang mit aggressiv-expansiven Regimes allein auf Rüstungsarsenale und geostrategische Interessen schielt oder auf "Wandel durch Handel" setzt.

Auch Menschen- und Freiheitsrechte sind tragender Faktor regionaler und globaler Sicherheit. Sie nachdrücklich einzufordern, muss deshalb zwingend mit in den Instrumentenkasten internationaler Politik. Im Fall Irans könnte das bedeuten, Sanktionen nicht zaudernd-minimalistisch, sondern so hart wie gegenüber Russland zu verhängen: Finanzströme unterbinden, noch stattfindenden Handel zurückfahren, Vermögen und Reisemöglichkeiten von Unterstützern des Regimes in Europa einfrieren und anderes mehr. Auch wenn das noch keine schnelle Wende für die Iranerinnen und Iraner bringt, es hilft und kann auf Dauer Wirkung zeigen. Und es wäre die aktive Solidarität, die sie seit Jahren schmerzlich vermissen.


«Pravda»: Putin ist im eigenen Netz der Unterwürfigkeit gefangen

BRATISLAVA: Zum Kriegsverlauf in der Ukraine schreibt am Donnerstag die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda»:

«Das russische Regime pfeift aus dem letzten Loch. Die Ukrainer schreiten bei der Befreiung ihrer Heimat voran und der Druck im Inland treibt den russischen Herrscher in die Enge. (Präsident Wladimir) Putins Unfähigkeit zu einer objektiven Einschätzung der Lage ist Ergebnis seiner wachsenden Isolation seit der Pandemie. Dazu kommen noch die Symptome der Achillesferse von Diktatoren - umgeben zu sein von unterwürfigen Jasagern, die aus Furcht um ihr Überleben nicht die Überbringer schlechter Nachrichten sein wollen.

In der sich verteidigenden Ukraine ist das pro-russische Lager in einem erbärmlichen Zustand, der Westen hat sich hingegen vereint und die Nato war nie stärker. Russland steckt in internationaler Isolation und Wirtschaftskrise. Nicht zu reden vom unsinnigen Sterben Zehntausender, die selbst nicht wissen, wofür sie kämpfen. Bei Charkiw wie auch Cherson weicht die russische Armee zurück, läuft stellenweise direkt davon. Eine Armee ist gewöhnlich so wie das politische System. Im Falle Russlands also übermäßig zentralisiert. Die unteren Führungsebenen wagen weder selbständige Entscheidungen noch das Weitermelden der wirklichen Lage an die Vorgesetzten.»


«La Vanguardia»: Der Westen darf beim Iran nicht wegschauen

MADRID: Zu den bereits seit Wochen anhaltenden Protesten im Iran schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Donnerstag:

«Es ist schwer vorherzusagen, wozu die Demonstrationen, die bereits seit drei Wochen im Iran aus Protest gegen den Tod der jungen Mahsa Amini stattfinden, am Ende führen werden. Die junge Frau starb im Polizeigewahrsam. Ihr wurde vorgeworfen, ihr Kopftuch nicht richtig getragen zu haben. Nahostexperten sagen, diese Proteste seien die größte Herausforderung seit vielen Jahren für das Regime der Ayatollahs (...)

Es wird für die westliche Regierungen schwierig sein, weiterhin wegzuschauen, wenn auch die Online-Kampagnen zugunsten der jungen Mahsa Amini weitergehen. Aus Protest und aus Solidarität mit Amini hat sich eine Gruppe berühmter französischer Schauspielerinnen und Sängerinnen gestern die Haare abgeschnitten. Es ist eine gut gemeinte Geste, die möglicherweise nicht viel bringt. Aber es ist viel besser, als überhaupt nichts zu tun. Man sollte das, was im Iran oder auch in Afghanistan passiert, nicht ignorieren.»


«La Repubblica»: Europa muss sich in Energiekrise einigen

ROM: Zur Energiekrise in Europa schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Donnerstag:

«Paradoxerweise trägt die Tatsache, dass Italien, das (...) mit einer gerade entstehende Regierung an den europäischen Tisch kommt, deren zukünftige Strategie ein riesiges Fragezeichen ist, nicht dazu bei, die Dinge zu vereinfachen. Auch Deutschland hilft das nicht, wo die Regierung stabil ist, das aber keine unangefochtene Führung wie die von Angela Merkel hat (...).

Wie immer hielten die Minister in diesen Fällen Sitzungen am laufenden Band ab, ohne etwas zustande zu bringen. Die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen ist so, dass die abschließende Vermittlung notwendigerweise die Regierungschefs betrifft. (...) Am Ende müssen sich die Regierungschefs sowieso einigen. Nicht aus gutem Willen oder durch den Geist der Weitsicht, sondern weil, wie in der Finanzkrise und der Pandemie, auch die Energiekrise die Standhaftigkeit Europas und des Binnenmarktes bedroht. Die Konfrontation mit der Realität liefert die Brille, die die unverbesserliche europäische Kurzsichtigkeit korrigiert. Europas Problem ist nicht, ob eine Lösung gefunden wird, sondern wann. Und vor allem, wie viel uns jeder Tag dieser Verzögerung kosten wird.»


«De Standaard»: Von der Leyen lenkt bei Gaspreisdeckel ein

BRÜSSEL: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich offen für einen grundsätzlichen Preisdeckel auf Gas gezeigt. Dazu heißt es am Donnerstag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Die Debatte über einen Gaspreisdeckel wird seit dem Frühjahr geführt, wobei Belgien und Italien die Vorreiterrolle übernommen haben. Bisher hatte die EU-Kommission jedoch erklärt, dass dies keine gute Lösung sei. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde kritisiert, zu sehr auf Deutschland zu hören, das Gefahren für seine Versorgungssicherheit sieht. Doch in einem Brief an die 27 EU-Staats- und Regierungschefs - vor ihrem informellen Gipfel am Freitag in Prag - zeigt sich von der Leyen nun aufgeschlossen. (...)

Wie scharf von der Leyen die Kurve kriegt, ist noch nicht klar. Klar ist allerdings, dass die Kommissionspräsidentin die Forderung von 15 Mitgliedstaaten nach Eingriffen in den Gasmarkt nicht länger ignorieren konnte und dass sie unter Druck stand, sich stärker von Berlin zu distanzieren. Allgemein geht man davon aus, dass die Deutsche, die genau weiß, aus welcher Richtung der Wind weht, 2024 eine zweite Amtszeit anstrebt. In diesem Fall kann sie nicht riskieren, eine große Gruppe von Ländern bei einem Thema zu brüskieren, das für die europäische Wirtschaft in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein wird.»


«Magyar Nemzet»: Über Moskaus Referenden weiß man nichts Genaues

BUDAPEST: Nach dem Abschluss der völkerrechtswidrigen Annexionen ukrainischer Regionen durch Russland schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung «Magyar Nemzet» am Donnerstag:

«In den sozialen Medien gibt es zwei lautstarke Lager. Dem einen zufolge waren die (den Annexionen vorausgegangenen) Referenden gültig und legitim. Dem anderen zufolge waren sie ungültig und illegitim, Putins Leute hätten sie offensichtlich manipuliert. Aber es gibt noch eine dritte, stillere Gruppierung (...), die zugibt, dass sie keine Ahnung hat, ob die Referenden ordnungsgemäß und gültig waren, ob manipuliert wurde und ob die Ergebnisse den Willen der dort Lebenden reflektieren oder nicht. (...) Es ist angeraten, sich weder dem Lager derer zu anzuschließen, die über die Referenden jubeln, noch dem derer, die sie verfluchen. (...) Freilich, nicht immer strebt die «internationale Gemeinschaft» nach Aufrechterhaltung des Status quo. Im Falle des Kosovos zum Beispiel hatte der kollektive Westen wegen der territorialen Unversehrtheit und Souveränität Serbiens keine Bedenken. (...) Darin zeigt sich, dass das Völkerrecht nicht mehr ist als ein Stück Papier. Die unter Fremdherrschaft gezwungenen, unterdrückten Völker können damit nichts erreichen.»


«The Guardian»: Zusagen im Kampf gegen die Klimakrise einhalten

LONDON: Zur im November anstehenden Weltklimakonferenz in Ägypten (COP27) meint der Londoner «Guardian» am Donnerstag:

«Von den katastrophalen Überschwemmungen in Pakistan bis zur anhaltenden Dürre in Kenia - überall auf der Welt sind die Entwicklungsländer von ähnlich katastrophalen Auswirkungen (der Erderwärmung) betroffen. Vielen fehlen die wirtschaftlichen Ressourcen, um mit den neuen Klimabedrohungen fertig zu werden, die überwiegend Folge der bisherigen Kohlenstoffemissionen der reichsten Länder der Welt sind.

Wie UN-Generalsekretär António Guterres im Vorfeld des COP27-Gipfels in Ägypten erklärte, ist es ein «moralisches Gebot, das nicht länger ignoriert werden kann», diese Dimension der Klimakrise - den bereits entstandenen Schaden - angemessen anzugehen. In Kopenhagen hatten sich die Industrieländer 2009 verpflichtet, jährlich 100 Milliarden Dollar für gefährdete Staaten bereitzustellen, die von schweren klimabedingten Auswirkungen betroffen sind. Dieses Versprechen, das ursprünglich bis 2020 eingelöst werden sollte, wurde noch immer nicht eingehalten, und es gibt wenig Klarheit darüber, wann dies der Fall sein könnte.»


«Dagens Nyheter»: Deutscher «Doppelwumms» kann EU-Einigkeit sprengen

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Donnerstag den von Kanzler Olaf Scholz als «Doppelwumms» bezeichneten Abwehrschirm über bis zu 200 Milliarden Euro im Kampf gegen hohe Energiepreise:

«Vergangene Woche hat die deutsche Regierung einen umfassenden Vorschlag präsentiert, um Haushalte und Unternehmen vor haushohen Energiepreisen zu schützen. Ein «Doppelwumms», wie Scholz es genannt hat. Aus weiten Teilen Europas sind Proteste zu hören. Niemand anderes kann es sich leisten, so viel Geld hinzulegen. Aber auf dem gemeinsamen europäischen Energiemarkt machen alle mit und tragen die Folgen, wenn die deutsche Nachfrage nach Energie - und der Preis - hochgehalten werden.

Dass Deutschland durch seine Abhängigkeit von russischem Gas und die unüberlegte Abschaltung der Atomkraft eine große Verantwortung sowohl für die eigene als auch für Europas schwierige Energiesituation trägt, macht die Sache natürlich nicht besser. Das deutsche Vorgehen bedeutet auch, dass der europäische Zusammenhalt rund um die Sanktionen gegen Russland gefährlich lebt. Wladimir Putin hat die ganze Zeit damit gerechnet, dass die Einigkeit früher oder später zerbricht. Das Risiko, dass es tatsächlich dazu kommt, steigt deutlich, wenn Berlin angesichts der winterlichen Energiekrise nach dem Motto «Rette sich, wer kann» agiert.»


«NZZ»: Russland könnte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine verlieren

ZÜRICH: Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Donnerstag:

«In Zeiten äußerer Anfechtung gelingt es Russlands Herrschern, das Volk zu extremer Opferbereitschaft zu mobilisieren. Die Sowjettruppen erlitten im Zweiten Weltkrieg mehr als doppelt so viele Todesopfer wie Nazideutschland, aber sie siegten, in einem immensen Kraftakt. Russlands Militär schneidet dagegen viel schlechter ab, wenn es um «selbstgewählte» Kriege geht. Der törichte Angriff auf Japan 1905 endete in einem Debakel, die Beteiligung am Ersten Weltkrieg führte zum Kollaps des Zarenreiches. Auch der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 zählt zu den Kriegen, die Moskau in fataler Überschätzung der eigenen Kräfte begann und bitter bezahlte.

Zu welcher Kategorie die Invasion in der Ukraine gehört, liegt auf der Hand. Es ist ein illegaler, auf der Basis absurder Vorwürfe entfesselter Angriffskrieg, für den der Kreml keine seriösen Planungen machte und für den die Armee in keiner Weise gerüstet war. Nimmt man nicht nur die gegenwärtigen militärischen Entwicklungen, sondern auch die Geschichte zum Maßstab, so wird Russland ihn verlieren.»

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