Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zum Wohnungsneubau in Berlin

Es sind bittere Worte, die von Berlins Bausenator Andreas Geisel (SPD) kommen.

Das Ziel, jedes Jahr 20.000 neue Wohnungen in Berlin zu bauen, ist wohl nicht zu erreichen. Geisel ist Realist genug, um zu erkennen, dass die Bauwirtschaft mit großen Problemen zu kämpfen hat. Noch gibt Geisel das zentrale Wahlkampfversprechen der Berliner SPD nicht auf: Bis 2030 soll es trotzdem 200.000 neue Wohnungen geben. Wie das geschehen soll, bleibt ein Rätsel. Politisch wird Geisels Neubau-Ziel zudem von den eigenen Koalitionspartnern untergraben. Die Linke konzentriert sich lieber darauf, große Wohnungskonzerne zu enteignen. Die Grünen wollen die Wohnungswirtschaft in einem Bündnis zu einem Mietenmoratorium zwingen. Beide Vorhaben sind unrealistisch. Was bleibt, ist eine Enttäuschung über die Baupolitik.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Scholz und Ukraine-Hilfen

Wenn Olaf Scholz markig verkündet, Russland werde diesen Krieg nicht gewinnen und habe keines seiner Ziele erreicht, dann erweckt er fast den Eindruck eines Kriegskanzlers auf dem Feldherrenhügel.

Dabei will er, wie die anderen westli-chen Regierungschefs auch, doch keinesfalls Kriegspartei sein. Man sieht sich ganz an der Seite der Ukraine, doch die versprochenen schweren Waffen lassen auf sich warten. Keine Frage: der Kanzler darf keinen Maßnahmen zustimmen, die Deutschland mehr schaden würden als Russland. Aber wer voll-mundig eine multipolare Welt fordert, muss selbst die Voraus-setzungen dafür schaffen. Worte und Taten klaffen auseinan-der.


«Stuttgarter Zeitung» zu Schreckensmeldungen aus aller Welt

Wie damit umgehen? Darauf gibt es keine ideale Antwort, so wenig, wie es eine ideale Welt gibt.

Nicht wenige Menschen haben sich einen mentalen Schallschutz zugelegt, der das Dröhnen der schlechten Nachrichten dämpft und scheinbar erträglicher macht. Auch das ist wiederum nur eine Form von Flucht. Hilfreicher könnte es sein, Nachrichten bewusst zu dosieren und zu verdauen, indem man mit anderen darüber spricht.


«Süddeutsche Zeitung» zum Massaker an einer US-Grundschule

Mord und Totschlag, Überdosen, das Coronavirus - all diese Todesursachen gibt es auch in jedem anderen Land der Erde.

Aber es gibt keinen modernen, westlichen Industriestaat, in dem so viele Menschen aus diesen Gründen ihr Leben lassen müssen. Es ist die schiere Zahl an Toten, die so schockierend ist. Und es gibt auch kein anderes Land, das diesem hunderttausendfachen Sterben so ungerührt zusieht. Ja, es gibt Aktivisten, Eltern oder Lokalpolitiker, die sich gegen diese Wellen des Todes stemmen. Aber dort, wo die Gesetze für das ganze Land gemacht werden, im Weißen Haus und im Kongress in Washington, passiert fast nichts.


«The Guardian»: Tory-Abgeordnete entwürdigen sich selbst

LONDON: Der Londoner «Guardian» kommentiert am Donnerstag den Untersuchungsbericht der Beamtin Sue Gray zu den Lockdown-Partys im Beisein von Premierminister Boris Johnson:

«Die konservativen Abgeordneten, die ihren Anführer weiterhin unterstützen und davon ausgehen, dass die gegenwärtigen Turbulenzen eine Windböe sind, die man durchschiffen kann, um eine kompetentere Regierungsphase zu erreichen, machen sich Illusionen. Sie entwürdigen sich selbst und ihre Partei durch die Komplizenschaft mit einem Premierminister, dessen toxische Untauglichkeit für das Amt wie eine ätzende Substanz an den Grundlagen der britischen Demokratie nagt.

Der Gray-Bericht kann die Angelegenheit nicht beenden, denn er beschreibt Symptome eines anhaltenden Syndroms - einer sich ausbreitenden moralischen Schwächung der Politik, die vom Premierminister ausgeht. Die Tory-Abgeordneten hätten es in der Hand, diese Ansteckung zu stoppen, indem sie ihren Parteiführer absetzen. Aber sie tun es nicht. Das ist ein Mangel an Mut und Gewissen, für den sie eines Tages einen hohen Preis bei Wahlen zahlen müssen.»


«The Times»: Johnson entzieht sich der moralischen Verantwortung

LONDON: Zum Untersuchungsbericht zur «Partygate»-Affäre meint die Londoner «Times» am Donnerstag:

«Niemand erwartet von Politikern, dass sie Heilige sind. Aber die Wähler erwarten, dass diejenigen, die die Regeln aufstellen, diese auch einhalten. Der Bericht der Beamtin Sue Gray über die Partys in der Downing Street während des Lockdowns zeigt, dass in eklatanter Weise gegen diese Minimalanforderung an den öffentlichen Dienst verstoßen wurde. Gray stellt - mit Untertreibung - fest, dass die Öffentlichkeit «bestürzt sein wird, dass ein solches Verhalten in diesem Ausmaß im Herzen der Regierung stattgefunden hat».

In der Tat scheint die Öffentlichkeit eher empört als bestürzt zu sein. Und wer kann es ihr verdenken? (...) Immer wieder entzieht sich der Premierminister der moralischen Verantwortung und versteckt sich hinter juristischen Spitzfindigkeiten, ohne Rücksicht auf die Verantwortung und Würde seines Amtes. Es ist eine traurige Geschichte, die Zynismus und Verachtung hervorrufen wird.»

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Jürgen Franke 26.05.22 14:00
Ein toller Satz: "Es ist einfacher in den
USA eine Schußwaffe zu kaufen, als ein Mobiltelefon"