Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
Foto: Adobe Stock/©elis Lasop

«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Corona-Maßnahmen

Ohne Vorlauf verkürzte das Lauterbach unterstellte Robert-Koch-Institut Mitte Januar den Status von Genesenen von sechs auf drei Monate.

Kein Wunder, dass Hessens Regierungschef Volker Bouffier in der Ministerpräsidentenrunde der Kragen platzte. Immerhin hatte Lauterbach den Ländern zuvor versprochen, sie über Änderungen für Genesene rechtzeitig zu informieren. (...) Millionen Bürger, die sich nach überstandener Covid-Erkrankung noch für Monate geschützt wähnten, wurden kalt erwischt. Ein Ärgernis ist auch die aus der Not geborene und verwirrend kommunizierte Änderung der Testverordnung. (...) Ohnehin scheint es, dass die Politik vor der Größe der Virus-Wand kapituliert. Anders ist kaum zu erklären, warum Markus Söder einen Tag nach dem Corona-Gipfel ausschert und in Bayern fröhlich lockert.


«Gazeta Wyborcza»: Kreml will die Ukraine in der Knautschzone halten

WARSCHAU: Die Entwicklung im Ukraine-Konflikt kommentiert die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Dienstag:

«Russland zieht Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammen. Die ganze Welt spricht derzeit über den Krieg, der in jedem Moment in Europa ausbrechen könnte, über die Bestimmtheit der Ukrainer, die sich von Russland nicht einschüchtern lassen, und über die Ratlosigkeit des Westens. Die Ukraine ist aus der Zone des Schattens hervorgetreten. Es ist im Interesse des Westens, dass sie dorthin nicht zurückkehrt.

In der näheren und weiteren Nachbarschaft der EU kann man mehrere so genannte «eingefrorene Konflikt» zählen. Den Krieg auf Zypern haben wir erfolgreich vergessen, die Situation im Kosovo beeindruckt niemanden mehr. Transnistrien klingt ziemlich exotisch, genauso wie Nordossetien. Wenn Putin nicht im vergangenen Jahr begonnen hätte, die Ukraine zu bedrohen, würden die Krim und der Donbass sicher auch zu diesen Orten gehören, die man in der Politik nicht weiter beachtet. Das Drama der Ukraine liegt aber nicht darin, dass sie nur bei Kriegen aus dem schwarzen Informationsloch herauskommt. Das Land liegt in der Knautschzone, die sich zwischen Russland und dem Westen gebildet hat. Russland möchte es um jeden Preis genau dort halten.»


«Rzeczpospolita»: Für Mittelosteuropa ist nur auf die USA Verlass

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» schreibt am Dienstag zu den jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt :

«Unabhängig davon, ob Putin nun einen großen Krieg beginnt oder nicht, zeigt die Erfahrung aus der jetzigen großen Kraftprobe, dass die Sicherheit unserer Region in den Händen der USA liegt. Die Art, wie sich Deutschland und Frankreich in diesem Moment vor entschiedenen Handlungen drücken, lässt sich nicht mehr wegwischen. Das ist eine düstere Warnung für die Zukunft von Estland, Litauen, Polen und Rumänien.

Deutschland hat im Moment der Herausforderung die Interessen der eigenen Industrie über die gemeinsamen Werte gestellt. Wenig deutet darauf hin, dass es seine Position selbst im Fall einer russischen Invasion der Ukraine ändern würde. Ganz offensichtlich nimmt Deutschland nicht zur Kenntnis, dass die Forderungen Putins, die sogenannten Sicherheitsgarantien, nicht nur die Ukraine betreffen. Der russischen Präsident möchte über die Sicherheitsfragen der Gebiete entscheiden, die vor der Osterweiterung nicht zur Nato gehörten. Er denkt dabei nicht an die frühere DDR. Die Deutschen beruhigt das, aber sie sollten in ihrer Haltung zumindest die Ängste anderer Völker verstehen.»


«Wall Street Journal»: Biden-Strategie in der Ukraine-Krise unwirksam

NEW YORK: Zum Vorgehen von US-Präsident Joe Biden in der Ukraine-Krise und seiner Bündnispolitik - auch mit Blick auf Deutschland -, schreibt das «Wall Street Journal»:

«Bidens Strategie der Zurückhaltung, in der Hoffnung, Wladimir Putin nicht zu provozieren, hat nicht funktioniert. Putin hat seinen eigenen Truppenaufmarsch an drei verschiedenen Fronten an den Grenzen zur Ukraine verstärkt. (...)

Das Herzstück von Bidens außenpolitischem Programm war es, die US-Allianzen wiederzubeleben, aber Länder haben keine Verbündeten um der Verbündeten willen. Der Präsident hat in die Pflege der Beziehungen zu Berlin investiert, kann aber wenig dafür vorweisen. Er kann deutlich machen, dass engere Beziehungen von Deutschlands Kooperation in der Ukraine-Frage abhängen. Dies bedeutet, die deutsche Regierung zu drängen, schärfere Sanktionen zu unterstützen und Drittstaaten Waffenexporte in die Ukraine zu erlauben.

Die USA müssen nicht in der Ukraine kämpfen, aber sie können mehr tun, um dieser demokratischen Nation zu helfen, sich zu verteidigen. Dies bedeutet die Entsendung von Panzerabwehr- und Flugabwehrraketen sowie Unterstützung bei der Luftverteidigung, der maritimen Sicherheit und der Aufklärung.»


«Sme»: Der Fall München kann ein Wendepunkt werden

BRATISLAVA: Zur Kritik am ehemaligen Papst Benedikt XVI. nach dem Münchner Missbrauchsgutachten schreibt die liberale slowakische Tageszeitung «Sme» am Dienstag:

«Die gesamte Münchner Kirchenelite einschließlich der Erzbischöfe und Kardinäle hat mit größter Wahrscheinlichkeit über den sexuellen Missbrauch von Kindern schon vor Jahrzehnten Bescheid gewusst. Zumindest ahnte sie oder kannte sogar die Namen der Täter in ihren Reihen. Durch ihre Untätigkeit, ihr Ignorieren und ihre Augen-Verschließen vor dem Problem ermöglichte sie aber, dass dieses Übel ungestraft blieb und weiterblühen konnte. (...) Der umfangreiche, erst vor einigen Tagen veröffentlichte Bericht erinnert in seinen groben Zügen sehr an ähnliche aus Frankreich, den USA, Irland und sogar Japan.

Die Untersuchung beschuldigt nicht nur den ehemaligen Erzbischof Joseph Ratzinger der Untätigkeit, sondern auch Reinhard Marx, der das Amt heute führt und erstaunlicherweise den Untersuchungsbericht selbst bestellte. (...) Ratzinger entließ als Papst Hunderte des Missbrauchs verdächtigte Priester, ignorierte aber vorher als Erzbischof sogar sexuelle Gewalttaten. Der Münchner Fall könnte deshalb ein Wendepunkt werden. Aber nur dann, wenn diese bisher als korrekt geltenden Männer bereit sind einzugestehen, dass selbst sie im Verlauf von Jahrzehnten entsetzliche Fehler machten, und wenn sie für diese Fehler die Verantwortung übernehmen.»


«Dernières Nouvelles d'Alsace»: Eskalation ist nicht mehr nur Theorie

STRAßBURG: Zu den jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt schreibt die ostfranzösische Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» am Dienstag:

«Die Luft ist so geladen, und es sind so viele Waffen vor Ort, dass es nur einen kleinen Funken braucht, damit sich die ganze Region entzündet. Die Hypothese eines offenen Krieges zwischen den beiden Blöcken schien lange Zeit nur Theorie. Das ist sie nun nicht mehr. Auch wenn man sich über die Bedeutung des Begriffs noch verständigen muss. Denn wenn Russland nicht unerwarteterweise eine Generaloffensive startet, um die gesamte Ukraine einzunehmen, wird die Antwort des Westens nicht militärisch sein.»


«de Volkskrant»: Aus für Nord Stream 2 könnte Gasversorgung gefährden

AMSTERDAM: Zur Debatte um die Gaspipeline Nord Stream 2 schreibt die Amsterdamer Zeitung «de Volkskrant» am Dienstag:

«In den vergangenen Jahren ist die deutsche Regierung nicht vor amerikanischen Sanktionsdrohungen gegen den Bau von Nord Stream 2 oder vor Beschwerden osteuropäischer Länder zurückgewichen, darunter die Ukraine, die durch die Pipeline von russischem Gas abgeklemmt werden könnten. (...)

Doch angesichts der Umzingelung der Ukraine durch die russische Armee und des Drängens westlicher Länder auf Sanktionen klingen die Deutschen uneinig. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock sagt, Nord Stream 2 werde im Falle einer russischen Militärinvasion wahrscheinlich nicht in Betrieb gehen, doch Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt zurückhaltend, wenn es darum geht, die Pipeline für Sanktionen zu verwenden. Nord Stream 2 geschlossen zu halten, kann die Gasversorgung Westeuropas in Gefahr bringen: Russland hat deutlich gemacht, dass es zusätzliche Gaslieferungen allein durch die neue Pipeline in der Ostsee pumpen will. Über Einkommenseinbußen macht sich die russische Regierung keine Sorgen: Seit der ersten westlichen Sanktionswelle im Jahr 2014 hat Russland Valuta- und Goldreserven von bis zu 620 Milliarden Dollar aufgebaut.»


«Nepszava»: Ungarn im Ukraine-Konflikt ohne Standpunkt

BUDAPEST: Über die zwiespältige Haltung der ungarischen Regierung im Ukraine-Konflikt schreibt die links-liberale Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Dienstag:

«Die geopolitische Lage ist mehr als ungewiss, sie steuert auf eine Explosion zu. Die westlichen Demokratien haben sich selbst in die Machtlosigkeit manövriert. Offenbar sind sie unfähig, die im 20. Jahrhundert gängigen Methoden hinter sich zu lassen, um sich gegen autoritäre Bedrohungen zu schützen. (...) Inzwischen vertreibt sich der ungarische Außenminister (Peter Szijjarto) mit Drohungen gegen die EU, der (ungarische) Regierungschef (Viktor Orban) beim (öffentlichkeitswirksam präsentierten) Schweineschlachten die Zeit. Dabei wird es immer dringlicher, dass sie entscheiden, wo Ungarn steht.»


«De Tijd»: Ukraine-Krise verunsichert Finanzmärkte

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Tijd» warnt am Dienstag vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen einer Eskalation der Ukraine-Krise:

«Während die Gefahr eines Krieges in der Ukraine zunimmt, gehen die Finanzmärkte in den Verkaufsmodus. Die Friedensdividende, die der Weltwirtschaft in den vergangen 30 Jahren zugute kam, steht auf dem Spiel. (...)

Die diplomatischen Gespräche, die die Lunte aus dem Pulverfass holen sollen, gehen zwar weiter. Doch die Möglichkeit, dass es zu einem Krieges kommt, ist real. Das hat zu großen Sorgen an den Finanzmärkten geführt. Ein Krieg bringt enorme wirtschaftliche Unsicherheiten mit sich. Das erklärt, warum die Finanzmärkte, die bereits Probleme haben wegen der hohen Inflation und der erwarteten Zinserhöhungen durch die Zentralbanken, am Montag auf Talfahrt gingen. (...)

Die geopolitischen Risiken sind ganz und gar zurückgekehrt. Die Stabilität, die dank einer alles in allem friedlichen Koexistenz der Großmächte lange Zeit kennzeichnend war für die Weltordnung, steht unter Druck.»


«The Times»: Deutschland setzt lieber auf Handel und Dialog

LONDON: Zur Haltung Deutschlands im Ukraine-Konflikt meint die Londoner «Times» am Dienstag:

«Deutschland hat in den vielen Nachkriegsjahrzehnten der Ostpolitik einen schmalen Grat zwischen Beschwichtigung Moskaus und Standhaftigkeit gegenüber den Übergriffen und offenen Drohungen des Kremls beschritten. Die frischgebackene Berliner Koalition sollte in der aktuellen Krise darauf achten, dass sie am Ende nicht als schwächstes Glied im westlichen Bündnis dasteht. (...)

Gleichwohl ist Berlin zurückhaltend. Zum einen aufgrund seiner Geschichte, die selbst jungen Deutschen bei der Vorstellung, Waffen zu liefern, die zum Töten von Russen verwendet werden könnten, ein mulmiges Gefühl beschert. Und zum anderen aufgrund der Überzeugung, die der deutschen Nachkriegspolitik gegenüber Osteuropa zugrunde liegt: Selbst unliebsame Regime lassen sich am besser durch Handel und Dialog als durch Machtdemonstrationen verändern.»


«La Vanguardia»: Putins Achillesferse

MADRID: Die spanische Zeitung «La Vanguardia» kommentiert am Dienstag die wirtschaftlich schwache Position Russlands im Konflikt mit dem Westen:

«Russland hat Gewicht in der Welt. Das sowjetische Erbe hat ihm Militär-, Nuklear- und Cybermacht sowie das Weltraumprogramm eingebracht. Auch die territoriale Ausdehnung als größtes Land der Welt und die Gasreserven sind sehr wertvoll. Russland kann auch eine effektive Bündnispolitik betreiben: Moskaus Annäherung an China ist keine gute Nachricht. Aber wirtschaftlich gesehen ist Russland ein kleines Land mit einer Bevölkerung, die nur 31 Prozent der europäischen Bevölkerung (EU 27) entspricht, und mit einem BIP, das nur 15 Prozent größer als das Spaniens ist. Wirtschaftlich ist es alles andere als eine Großmacht. Russland kann sich einen ernsthaften Konflikt mit dem Westen auf der Grundlage einer militärischen Bedrohung nicht leisten: Es kann nicht gewinnen. Der Westen hingegen kann es sich glücklicherweise leisten, den Konflikt ausschließlich in Form wirtschaftlicher Vergeltung und defensiver militärischer Hilfe für das angegriffene Land zu gestalten.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.