Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Münchner Merkur» zu Ergebnissen für FDP und Grüne unter Erstwählern

Die politische Kluft verläuft längst nicht mehr nur zwischen Links und Rechts, sondern auch zwischen Alt und Jung.

Das betrifft klassische Politikfelder wie Rente, Wohnen und Umwelt, aber zunehmend auch einen rasant wachsenden Bereich, der im Wahlkampf gar keine Rolle spielte: Digitalisierung. In der Politik erschöpft sich das Thema auch 2021 noch viel zu oft in Fragen nach Breitbandausbau und Mobilfunk. Derweil revolutionierten US-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook das analoge Leben - auch durch Nutzung von Daten und künstlicher Intelligenz. Die Lebensrealität der Jungen, die 24 Stunden am Tag online sind, ist da viel weiter als die Positionen der GroKo-Parteien.


«Handelsblatt» zu Bundestagswahl/FDP und Grüne

Wenn es gut läuft, könnte aus Lindner und Habeck das neue Traumpaar in der deutschen Politik werden.

Nicht zuletzt aus einem ganz egoistischen Grund: Ein Scheitern können sich beide nicht erlauben. Sie sind zum Erfolg verdammt, schon allein weil sonst die nächste Große Koalition droht. Vielleicht auch deshalb entspannte sich bereits vor dem Wahlabend das nicht immer einfache Verhältnis der beiden. Seit dem 26. September nun bauen Lindner und Habeck kontinuierlich ihre Vertrauensbasis aus. Vertrauen ist in der Politik die harte Währung - die Partner müssen sich in schwierigen Situationen aufeinander verlassen können.


«La Stampa»: SPD hat von «Posthum-Effekt» der Ära Merkel profitiert

ROM: Zur Bundestagswahl schreibt die italienische Tagezeitung «La Stampa» aus Turin am Dienstag:

«Wenn eine Ära endet, beginnt die Zeit der Unsicherheiten: Deshalb haben viele deutsche Wähler gemeint, die beste Art, die Trauer über den Abtritt von Kanzlerin Merkel zu überwinden, ist jenen Kandidaten zu wählen, der ihr am ähnlichsten war. Und die SPD (...) hat von diesem Posthum-Effekt der Epoche Merkel profitiert. Denn sie hat viele Wählerstimmen bekommen, die früher für Merkel waren. (...)

Nach dem Ende von Angela Merkel, deren historischer Verdienst es war und immer bleiben wird, Europa in dieser Zeit der wirtschaftlichen und geopolitisch fragilen Krisen zusammengehalten zu haben, wird es die große Aufgabe Deutschlands und auch von Macrons Frankreich und Mario Draghis Italien sein, die Rollen, Aufgaben und Ziele eines immer einsameren Europas zu finden; ein Europa, das nach den Worten der Kanzlerin von 2016 «sein Schicksal in die Hand nehmen muss» und immer weniger auf die früheren Verbündeten zählen kann.»


«Ukrajina Moloda»: Wird Olaf Scholz zu Gerhard Schröder 2?

KIEW: Nach der Bundestagswahl schreibt die ukrainische Tageszeitung «Ukrajina Moloda» zu möglichen Auswirkungen auf die Ukraine-Politik am Dienstag:

«Die SPD tritt traditionell für enge Beziehungen zu Russland ein, was seine Wurzeln in der Ostpolitik von Kanzler Willy Brandt hat. Und das ruft eine gewisse Besorgnis hervor. Wird das nicht ein Gerhard Schröder 2? In seiner Zeit in hohen Staatsposten gehörte die Außenpolitik nicht zu (Olaf) Scholz' Prioritäten.

Über Russland äußerte sich Scholz selten, öffentliche Informationen zu seinen Verbindungen gibt es wenige. Wahrscheinlich hatte Scholz erste Kontakte zu Moskau in den 1980ern, als er Vize-Vorsitzender der Jusos und später Vize-Chef der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend war. Beide Strukturen unterhielten Verbindungen zur UdSSR.»


«Neatkariga Rita Avize»: Merkel geht, ihr Stil bleibt

RIGA: Zum Ausgang der Bundestagswahl schreibt die lettische national-konservative Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize» am Dienstag:

«Deutschland hat, wie die meisten politischen Beobachter betonen, die spannendste Bundestagswahl dieses Jahrhunderts abgehalten. Da die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Land seit 16 Jahren regiert, selbst nicht kandidierte, blieb die Frage, wer ihre Nachfolge antritt, bis zum letzten Moment offen. (...) Nach den noch nicht offiziell bestätigten Ergebnissen, die sich aber voraussichtlich nicht ändern werden, haben die Sozialdemokraten die Wahl gewonnen, angeführt vom aktuellen Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Er wird wahrscheinlich auch der nächste Bundeskanzler. In seiner Stilistik (weniger im politischen Wesen) ähnelte Scholz von allen Kanzlerkandidaten in seinem Verhalten der langjährigen «Mutter» der Nation. Ebenso kühl, rational, trocken. Unerschütterlich.»


«Rossijskaja»: Neue Bundesregierung könnte Nord Stream 2 gefährden

MOSKAU: Nach der Bundestagswahl schreibt die russische Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta» am Dienstag mit Blick auf die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2:

«Die USA könnten neue Sanktionen erlassen, aber da das Prjekt praktisch abgeschlossen ist, ist es kaum noch rückgängig zu machen. (...) Doch selbst unter Berücksichtigung des europäischen Interesses an russischem Gas stellen die Wahlergebnisse in Deutschland eine realere Bedrohung für Nord Stream 2 dar.

Trotz des Sieges der Sozialdemokraten, die das russische Projekt grundsätzlich unterstützen (...), wird in der neuen Regierung der Anteil der Grünen wachsen, die keinen Hehl aus ihrer negativen Haltung gegenüber der Pipeline aus Russland machen. Sollten Vertreter der Grünen in der neuen Regierung wichtige Positionen im Wirtschaftsbereich einnehmen, sind Verzögerungen beim Start der Gaspipeline möglich.»


«Dagens Nyheter»: Breite Mitte gewinnt bei Bundestagswahl

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Dienstag den Ausgang der Bundestagswahl:

«Es wurde eine lange Wahlnacht in Deutschland, aber am Ende ist klar, dass die sozialdemokratische SPD stärkste Kraft geworden ist. Ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist nun Favorit darauf, die nächste Regierung anzuführen. Die Zeit, als die beiden großen Parteien - die christdemokratische CDU und die SPD - jeweils auf 35 bis 40 Prozent der Wählerstimmen setzen konnten, sind vorbei. Der größte Sieger ist vielleicht auch nicht die SPD. Der Gewinner vor allen anderen ist stattdessen die breite Mitte: Die AfD gab ebenso nach wie die Linke. Stattdessen profitierten Sozialdemokraten, Grüne und Liberale. Die Wahl in Deutschland zeigt, dass die Außenkanten vom Rückgang großer Parteien überhaupt nicht profitieren müssen. Und dass es absolut möglich ist, als Juniorpartner in eine Große Koalition zu gehen und als Gewinner wieder herauszukommen.»


«Magyar Nemzet»: Klima-Wahnsinn wurde der CDU zum Verhängnis

BUDAPEST: Zum Wahlausgang in Deutschland schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung «Magyar Nemzet»:

«Zum Debakel der CDU trug auch bei, dass Merkel sich dem Klima-Wahnsinn gebeugt hat, was in Deutschland zu den höchsten Strompreisen Europas führte. Das Wählerpotenzial der Grünen verscheuchten wiederum am Ende nicht deren bombastische Phrasen oder die Aussicht auf eine Öko-Diktatur in Form eines mit Vetorecht ausgestatteten Klima-Ministeriums, sondern Annalena Baerbock höchstpersönlich. Als man sich einbildete, dass sie, wenn man die Wahl gewinnt, deutsche Bundeskanzlerin wird, was noch dazu ihr zu verdanken gewesen wäre. Der Katzenjammer wird für viele noch lange andauern.»


«The Times»: Deutschland braucht gesellschaftlichen Konsens

LONDON: Zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl meint die Londoner «Times» am Dienstag:

«Eine künftige Koalition, am wahrscheinlichsten ist ein SPD-geführtes Bündnis mit den Grünen und den Freien Demokraten oder ein CDU-Bündnis mit denselben Juniorpartnern, wird die Merkelsche Unschlüssigkeit aufgeben müssen, die Deutschland 16 Jahre lang auf einem vorsichtigen Kurs gehalten hat. Im Inland muss sie die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur erhöhen, nicht zuletzt in die Dekarbonisierung der Wirtschaft, und einen ideenreicheren Umgang mit ihrer alternden und schrumpfenden Bevölkerung finden. Dies erfordert einen gesellschaftlichen Konsens, eine kluge Finanzverwaltung und ein gutes Gespür für die richtige Richtung.»


«De Standaard»: Lindner will den Schlüssel zur Staatskasse

BRÜSSEL: Zur möglichen Beteiligung der FDP mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Lindner an der nächsten Bundesregierung schreibt die belgische Zeitung «De Standaard» am Dienstag:

«An der von ihm bevorzugten Koalition gibt es kaum Zweifel. Er würde es vorziehen, mit den Christdemokraten zu regieren. In Nordrhein-Westfalen schmiedete er bereits 2017 eine Koalition mit Armin Laschet. In der Wirtschaftspolitik steht er der CDU/CSU nahe. Er möchte, dass sein Land zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehrt und hat versprochen, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Dies ist in einer rot-grünen Koalition, die am wahrscheinlichsten ist, nur schwer zu erreichen. Christian Lindner ist auch gegen eine Vermögenssteuer und er glaubt bei der Bekämpfung des Klimawandels nicht an Verbote.

In einer nächsten Regierung möchte er Finanzminister werden. Dies ist eine Lehre aus der dramatischen Niederlage nach einer früheren Regierungsbeteiligung. Guido Westerwelle, der damalige FDP-Vorsitzende, entschied sich, Außenminister zu werden. Damit erhielt Wolfgang Schäuble den Schlüssel zur Staatskasse. Diesen Fehler will Lindner nicht wiederholen.»


«de Volkskrant»: Europa braucht starkes Deutschland

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Dienstag die möglichen Regierungsbündnisse nach der Bundestagswahl:

«Mit den Grünen haben sie (die Sozialdemokraten) einen natürlichen Regierungspartner, aber es ist zu befürchten, dass in einer Dreierkoalition die liberale FDP immer wieder auf die Bremse treten wird. In einer Koalition aus CDU, Grünen und FDP werden es die Grünen sein, die verhindern wollen, dass die Politik zu rechtslastig wird. In beiden Fällen droht eine flügellahme Koalition, in der sich die Partner gegenseitig neutralisieren.

Das ist schlecht für Deutschland und schlecht für Europa. Die Europäische Union steht in den kommenden Jahren vor großen Aufgaben. Sie muss ihre ehrgeizige Klimapolitik umsetzen und ihren geopolitischen Platz in der Welt finden. Nach der Pandemie muss eine Lösung für die hohe Verschuldung, insbesondere in Südeuropa, aufgezeigt werden. Ohne ein starkes und schlagkräftiges Deutschland wird es keinen Fortschritt in Europa geben.»


«El País»: Ein anderer Kanzler, das gleiche Deutschland

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Dienstag den Wahlausgang in Deutschland:

«Nach Angela Merkel scharen sich die Deutschen um dieselbe politische Mitte, die die Kanzlerin verkörperte. Als bescheidener Sieger der Wahl steht die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz da. Die Sozialdemokraten haben nach drei Jahrzehnten des Niedergangs eine gewisse Wiedergeburt erreicht. Nichts zu feiern haben hingegen die Christdemokraten, die das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhren. Jetzt beginnen Wochen, vielleicht sogar Monate der Ungewissheit, in denen zwei Parteien über die Kanzlerschaft entscheiden werden: Die Grünen und die FDP.

Scholz betont, er habe das Mandat der Wähler für die Regierungsbildung. Es macht Sinn, dass die drei Parteien, die gestärkt aus der Wahl hervorgegangen sind (Sozialdemokraten, Grüne und Liberale), diejenigen sind, die versuchen, eine Einigung zu erzielen. Laschet hat Recht, wenn er sagt, «ganz Europa beobachtet, was in Deutschland passiert». In dieser Beziehung hat sich nach Merkel wenig geändert: Der Rest der Europäer weiß, dass ein Großteil der Zukunft von den Entscheidungen abhängt, die die deutschen Parteien in den kommenden Wochen oder Monaten treffen.»


«NZZ»: In der Union herrscht pure Verzweiflung

ZÜRICH: Zur Lage in der Union angesichts ihres historisch schlechtesten Wahlergebnisses schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Dienstag:

«Keineswegs ist auszuschließen, dass die CDU mittelfristig den Weg der italienischen Democrazia Cristiana gehen und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird. Der Tonfall am Morgen danach lässt eine Phase der Selbstzerfleischung und der Schuldzuweisungen erwarten. Ein Bundestagsabgeordneter der CSU erklärte, die Union wirke «in Teilen hirntot». (...)

Wenn in einer Parteienfamilie, die die Bundesrepublik mehr geprägt hat als jede andere politische Kraft, wenn in CDU und CSU pure Verzweiflung herrscht, folgt daraus: Die Union mag noch so liebliche Schalmeientöne in Richtung der Liberalen aussenden und alles versuchen, ein Regierungsbündnis mit den Grünen und der FDP zu schmieden - Armin Laschet verfügt über zu wenig Zutrauen in den eigenen Reihen, als dass einer solchen Jamaika-Koalition die nötige innere Stabilität beschieden sein könnte.»


«Der Standard»: So geht Kanzlermachen mit Grünen und FDP

WIEN: Zum Wahlausgang in Deutschland schreibt die Wiener Tageszeitung «Der Standard»:

«Jetzt müssen die Beteiligten erst ausloten, was geht und was nicht. Da haben Grünen-Chef Robert Habeck und Christian Lindner gut vorgelegt. Nicht sie warten, wer sich für sie interessiert, sondern die beiden «Kleinen» nehmen die Sache in die Hand. Wenn sie sich einig werden, wenden sie sich an Union oder SPD. So geht Kanzlermachen. (...)

Auf jeden Fall ist Deutschland zu wünschen, dass sich die Verhandlungen nicht wieder über fast sechs Monate hinziehen wie im Jahr 2017. Angela Merkel wird nur noch kommissarisch im Amt sein. Es darf kein zu großes Vakuum entstehen, Deutschland braucht stabile Verhältnisse - am besten bis zum Weihnachtsfest des Jahres 2021.»

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