Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu Durchstechereien in politischen Spitzenrunden

Indiskretionen gab es immer.

Aber in den virtuellen Runden werden alle Schleusen geöffnet. Mit der oft geforderten Transparenz der Politik hätte das nichts zu tun. Ganz sicher führt ein live kolportiertes Hauen und Stechen, wie es sich die CDU lieferte oder die Corona-Runde, zu einem Verlust an Vertrauen in die Politik. Und auch der Vertrauensbruch sowohl unter Parteifreunden wie unter Regierungschefs ist ungeheuerlich. Der Schaden reicht aber weiter. Denn es besteht die reale Gefahr, dass Durchstecherei und Berichterstattung in die Dynamik der Entscheidungsfindung eingreifen, also letztlich mit Politik machen.


«Süddeutsche Zeitung» zu ersten 100 Tage von Biden im Amt

Joe Biden hat sich darum gekümmert, dass die Amerikaner so schnell wie möglich eine Dosis Impfstoff in den Arm gespritzt und einige Tausend Dollar aufs Konto überwiesen bekommen.

Hilfe, um die Pandemie zu überleben, und Hilfe, um deren wirtschaftliche Folgen zu überstehen - nützlicher und effektiver kann Regierungsarbeit in einer Krise kaum sein. Millionen Menschen wurden dadurch vor Armut, Obdachlosigkeit Krankheit oder Tod bewahrt. Man muss darin nicht einmal eine besondere persönliche Leistung Bidens sehen, um den Erfolg dieser Politik anzuerkennen. Biden hat nur getan, was jeder Präsident getan hätte, der über einen klaren Blick auf die Realität verfügt, der etwas Respekt für die Menschen hat, die er regiert. Dass Bidens erste einhundert Amtstage so erfolgreich aussehen, hat auch damit zu tun, was für ein Desaster die vorausgegangenen vier Amtsjahre von Donald Trump waren. Wer im Weißen Haus sitzt, ist in diesem Zusammenhang mindestens so wichtig, wie wer nicht mehr darin sitzt.


«Handelsblatt» zur Wachstumsprognose der Bundesregierung

Europa droht in der Pandemie wirtschaftlich abgehängt zu werden.

Und Deutschland, als größte Volkswirtschaft der EU, leistet dazu einen Beitrag. So gut ein Wachstum von 3,5 Prozent klingen mag: Im internationalen Vergleich ist es eher bescheiden. (.) Schnelle Impfungen sind derzeit die beste Konjunkturpolitik. Wenn das Impftempo weiter gesteigert wird - und dafür gab es zuletzt hoffnungsvolle Anzeichen -, dann wird das die wirtschaftliche Erholung unterstützen. Und es gibt dann sogar die Chance, dass die deutsche Konjunktur noch vor Jahresablauf wieder das Vorkrisenniveau erreicht.


«Corriere della Sera»: Zukunft der USA ist ungewiss

ROM: Zur zukünftigen Rolle der Weltmacht USA in einer von Pandemie und Klimawandel geprägten Welt schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Dienstag:

«Wie es schon oft geschehen ist, kann der Niedergang von Großmächten durch eine Kombination von inneren und äußeren Ursachen beschleunigt werden. Zu den internen Ursachen zählt häufig eine wachsende Kluft zwischen steigenden Staatsausgaben und sinkenden Einnahmen. Sowohl der Neustart der amerikanischen Wirtschaft als auch die neue Klimapolitik erfordern von den USA eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben. Von den Inflationsrisiken mal abgesehen, das ist alles in Ordnung, wenn dies durch eine großangelegte und dauerhafte Wiederbelebung der Wirtschaft ausgeglichen wird. Wenn es jedoch keinen solchen Ausgleich gibt oder nur einen teilweisen, können aufgrund der Position der USA in der Welt zunehmende Schwierigkeiten auftreten. Auch weil diese viel höheren Staatsausgaben zu den weiter sehr hohen Kosten kommen, die das militärische Engagement der USA bewirkt. Wiederbelebung oder Beschleunigung des Niedergangs? Im Moment gibt es keine sichere Antwort. (...) Das ist zum Beispiel (Joe) Bidens Entscheidung, den Abzug aus Afghanistan endgültig zu besiegeln. (...) Wie wird das (...) von den Chinesen interpretiert, die darauf aus sind, die Jahrtausende lange Vormachtstellung ihres Reiches in Fernost wiederzugewinnen?»


«Le Parisien»: Auto von morgen muss hochtechnologisch sein

PARIS: Der Autohersteller Renault hat Veränderungen für seine neuen Modelle angekündigt - sie sollen etwa nicht schneller als 180 Kilometer pro Stunde fahren. Dazu schreibt die französische Tageszeitung «Le Parisien» am Dienstag:

«Das Auto von morgen wird immer noch eine Karosserie und vier Reifen sein, ansonsten aber nichts mehr mit dem von heute zu tun haben. Das lässt sich aus den jüngsten Ankündigungen des neuen italienischen Renault-Chefs Luca de Meo herauslesen. (...) Die Zukunft dieser Industrie, die für die französische Wirtschaft extrem wichtig ist, wird hochtechnologisch. (...) Langfristig gesehen könnte das Stromaufladen automatisch, ohne menschliches Zutun erfolgen. Renault und die gesamte Branche bereiten sich aktiv darauf vor. Sie haben keine andere Wahl. Wenn sie das nicht tun, werden es Apple, Microsoft oder Google sein, die ihren Platz einnehmen und sie als ihre Unterhändler benutzen werden.»


«Gazeta Wyborcza»: Polens Außenpolitik ist wenig überzeugend

WARSCHAU: Die Regierungschefs von Polen, Ungarn und der Slowakei haben Tschechien ihre Solidarität im diplomatischen Streit mit Russland zugesagt. Dazu schreibt die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Dienstag:

«Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat eilig einen Gipfel der Visegrad-Staaten einberufen, um die aggressiven Handlungen Russlands gegen Tschechien zu verurteilen. Dieser Gipfel am Montag hat uns hervorragend verdeutlicht, wie eine Imitation von Politik aussieht. Diverse Gesten und Zeremonien sollen bezeugen, dass Polen - einst das wichtigste Land in Mittelosteuropa - in der internationalen Politik etwas zählt. In der Praxis sieht man jedoch, dass die Slowakei unter Führung von Präsidentin Zuzana Caputova sehr viel mehr Unterstützung für Tschechien leistet. Und in der Ostpolitik sind die Litauer mittlerweile viel aktiver als die Polen.

Es ist schwer, eine überzeugende Außenpolitik zu betreiben, wo sich doch vor wenigen Wochen Morawiecki in Budapest mit zwei Verehrern von Putin umarmt hat - mit (Ungarns Ministerpräsidenten) Viktor Orban und dem (früheren italienischen Innenminister) Matteo Salvini. Dort verkündete Morawiecki eine Fantasie vom Aufbau einer neuen Ordnung innerhalb der EU, obwohl bekannt ist, dass Putins Ziel eben die Zerstörung dieser Ordnung ist.»


«De Telegraaf»: Am Königstag in Corona-Zeiten ist Genügsamkeit Trumpf

AMSTERDAM: Zum niederländischen Königstag meint die Amsterdamer Zeitung «De Telegraaf» am Dienstag:

««Ich hoffe, dass dies der allerletzte Königstag in der Geschichte sein wird, den wir zu Hause verbringen», sagte König Willem-Alexander vor genau einem Jahr in einer Ansprache. Inzwischen wissen wir es besser. Auch in diesem Jahr ist am Geburtstag des Königs (27. April) Genügsamkeit Trumpf. Das kennt jeder, der in den vergangenen Wochen Geburtstag hatte. Zum zweiten Mal in Folge konnte das Fest nur klein oder digital gefeiert werden. (...)

Doch die Belastung des Gesundheitswesens bleibt angesichts der Corona-Zahlen weiterhin hoch. Erste Erleichterungen sind zwar absehbar, aber die meisten Schutzmaßnahmen bleiben vorerst noch bestehen. Große Oranje-Partys sind deshalb nicht drin. (...) Denn sollte der Druck auf das Gesundheitswesen wieder zunehmen, macht das nicht nur dem medizinischen Personal schwer zu schaffen, sondern jedem, der von Corona-Maßnahmen betroffen ist. Dann also lieber ein Königstag ohne Firlefanz.»


«Dagens Nyheter»: China die Stirn bieten, auch wenn es kostet

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) schreibt am Dienstag zum Verhältnis des Westens zu China:

«Die Globalisierung hat der Weltwirtschaft einen mächtigen Impuls gegeben, mit billigeren Waren auf der ganzen Erde und deutlich weniger Armut besonders in Asien. Der Handel mit China und dessen schnelles Wirtschaftswachstum haben aber zu keinerlei politischer Liberalisierung geführt. Stattdessen hat die Unterdrückung während Präsident Xi Jinpings Jahrzehnt an der Macht monströse Ausmaße erreicht, nicht zuletzt bei den Uiguren in Xinjiang. Das schafft Interessenskonflikte, denen die Demokratien der Welt begegnen müssen. Wie sehr wir uns auch um den freien Handel sorgen, muss Chinas unredlichen Geschäftspraktiken und der Bedrohung der nationalen Sicherheit entgegengewirkt werden. Menschenrechte und Moral können nicht gegen Kleidung zum Schnäppchenpreis eingetauscht werden. Das Klima muss gerettet werden, ohne dass Diktaturen einen Freischein zur Folter bekommen. Die Verteidigung der Freiheit wird etwas kosten.»


«De Standaard»: Corona-Pandemie macht Zweiteilung der Welt sichtbar

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Standaard» unterstützt am Dienstag Forderungen nach einer Aufhebung von Patenten auf Corona-Impfstoffe:

«Während in Indien und Brasilien Covid-Patienten mangels Sauerstoff und Versorgung massenhaft zu Hause, auf der Straße oder in Krankenhausfluren ersticken, erlauben beschleunigte Impfkampagnen in immer mehr reichen Ländern die Planung von Reisekorridoren für unbeschwerte Ferien. Könnte die ungerechte Zweiteilung der Welt noch grausamer sichtbar werden? (...)

Auch dort kann nur schnelles Impfen helfen. Die indische Ökonomin Jayati Ghosh sagt, dass die Aufhebung des Patents auf Impfstoffe, selbst wenn es nur vorübergehend wäre, zur Beschleunigung dieses Prozesses beitragen könnte. Die Gegenargumente sind hinlänglich bekannt: Es würde Innovationen abwürgen, Investitionen abschrecken, dazu führen, dass medizinische Spitzentechnologie in den Händen von China oder Russlands landet. Oder es würde nur wenig nützen, wenn nicht auch die ausgefeilte Produktionstechnologie geteilt werden könne. Diese Argumente sind unter normalen Umständen legitim. In dieser Notsituation wird es jedoch immer schwieriger, sie aufrechtzuerhalten. Moralisch, medizinisch, strategisch oder auch wirtschaftlich.»


«El País»: Putins alte Rezepte schlecht für Russland

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Dienstag das Betätigungsverbot für die Nawalny-Organisationen in Russland:

«Das Betätigungsverbot könnte in ein endgültiges Verbot der Bewegung Alexej Nawalnys münden. Es geht um die Zerschlagung der größten Oppositionsbewegung Russlands, die der von Wladimir Putin gesteuerten Entwicklung hin zu einem autoritären Regime im Wege steht. Friedliche Demonstrationen für Nawalny werden von der Polizei gewaltsam unterdrückt. Putin hat die Gesetze, die Kritik an ihm und seiner Politik verhindern sollen, systematisch verschärft. Er wandelt eine formelle Demokratie in ein auf ihn zugeschnittenes Regime um.

Bei der Parlamentswahl im September muss Putins Partei, das Vereinigte Russland, jedoch mit einem Rückgang der Unterstützung durch die Bevölkerung rechnen. Sinkende Realeinkommen in einer stagnierenden Wirtschaft sorgen für Unruhe. Für den Kreml, der nicht in der Lage ist, die Dynamik der russischen Wirtschaft zu fördern, ist das zutiefst besorgniserregend. Putins Antwort: mehr Autoritarismus, Unterdrückung kritischer Stimmen und das Beschwören einer äußeren Bedrohung. Eine alte Taktik, die vielleicht gut für ihn, aber nicht für die russischen Bürger ist.»


«Financial Times»: Hilfe für Indien ist mehr als moralisches Gebot

LONDON: Zur Corona-Krise in Indien meint die Londoner «Financial Times» am Dienstag:

«Viele Nationen haben dunkle Zeiten in der globalen Pandemie durchgemacht; einige mit kleineren Bevölkerungszahlen haben immer noch höhere Todesraten. Aber mit Berichten über Menschen, die auf den Straßen vor überfüllten Krankenhäusern sterben, denen der Sauerstoff ausgeht, ähnelt Indien heute wohl am ehesten den Worst-Case-Szenarien, die ausgemalt wurden, als das Virus vor 16 Monaten identifiziert wurde. (...)

Das Risiko für den Rest der Welt besteht darin, dass je größer der globale Pool an Infektionen ist, desto größer ist auch das Risiko von Mutationen, die stärker infektiöse oder resistente Varianten hervorbringen. Ein besorgniserregender «Doppelmutanten»-Stamm, der zuerst in Indien identifiziert wurde, ist inzwischen in mehreren anderen Ländern gefunden worden. Im globalen Kampf gegen das Virus ist die Kette der Menschheit nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Hilfe durch andere Länder ist daher nicht nur ein moralisches Gebot, sondern entspricht auch deren eigenen Interessen.


«Tages-Anzeiger»: Impfstoff-Verteilung zeigt Versagen des Westens

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kritisiert am Dienstag die ungleiche Verteilung von Corona-Impfstoffen:

«Es ist ein moralisches Versagen des Westens, ein Rückfall in Nationalismus; dies ist hässlich, gefährlich und kurzsichtig. Setzt sich die Entwicklung fort, wird auch noch in zwei Jahren im ärmeren Teil der Welt kein ausreichender Impfschutz bestehen. (...)

Es sei denn, die Welt besinnt sich endlich auf die Solidarität, die sie in der Theorie so hochhält. Die reicheren Länder, die die Verletzlichsten in ihrer Mitte geimpft haben, müssen sofort einen Teil ihrer Impfstoffe abgeben, damit auch in anderen Staaten zumindest das medizinische Personal geschützt werden kann. Wissen und Technik müssen transferiert werden, damit auch ärmere Länder Impfstoff-Produktionsstätten auf- und ausbauen können.

Ob und wie die Staatengemeinschaft zusammensteht, wird die Welt auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte prägen. Die wohlhabenden Länder müssen sich jetzt entscheiden, ob sie als moralische Versager in die Geschichtsbücher eingehen wollen - oder als jene, die Vernunft und Menschlichkeit siegen ließen.»


«Nesawissimaja»: Kiew sollte im Ukraine-Konflikt Stolz überwinden

MOSKAU: Zum Ukraine-Konflikt und zu einem möglichen Treffen von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Kremlchef Wladimir Putin schreibt die Moskauer Zeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Dienstag:

«Der russische Präsident hat Wolodymyr Selenskyj vorgeschlagen, sich mit den Anführern der nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk zu treffen. Das war nicht nur Putins Antwort auf Selenskyjs Vorschlag, sich im Donbass zu treffen. Dahinter verbirgt sich auch die grundsätzliche Frage des Ukraine-Konflikts der vergangenen sieben Jahre - einer Weigerung der Führung in Kiew, mit den Separatisten direkte Verhandlungen aufzunehmen.

Die Ukraine hat dafür eine einfache Erklärung: die abtrünnigen Gebiete seien russische Marionetten, ein Feigenblatt für die verdeckte «Okkupation», und Verhandlungen mit ihnen würden bedeuten, dass es in der Ukraine keine Aggression Russlands gibt, sondern einen Bürgerkrieg. Und das will die Ukraine auf gar keinen Fall einräumen. Stattdessen will Kiew direkt mit dem Kreml verhandeln (...).

Doch wenn Präsident Selenskyj wirklich etwas erreichen will, das Ende des praktisch täglichen Sterbens ukrainischer Bürger auf beiden Seiten im Donbass, dann sollte er seinen Stolz überwinden und sich auf diese Gespräche einlassen - um Leben zu retten. Doch nein, Kiew verzichtet auf ein Ende des Blutvergießens - im Namen einer «Sauberkeit von Prinzipien».»

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