Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Handelsblatt» zur Reform des Euro-Rettungsschirms

Das Grundproblem bleibt bestehen: Die EU-Staaten machen einen großen Bogen um den Euro-Rettungsfonds, wie sich gerade in der Coronakrise zeigt.

Zwar kann der ESM eigene Corona-Kredite vergeben, doch abgerufen wurden davon bislang keine. Stattdessen vertrauen die Euro-Länder lieber auf die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sowie auf die anderen neuen EU-Kriseninstrumente. Der damit einhergehende Bedeutungsverlust des ESM hat diverse Gründe: So ist der Fonds durch seine Rolle in der Euro-Krise vorbelastet, als Teil der Troika machte er Staaten für Hilfen harte Reformauflagen. ESM-Hilfen gelten in Südeuropa seitdem als politisch toxisch. Gerade deshalb wäre es wichtig gewesen, den Fonds neu zu erfinden.


«El País»: Biden kann mit EU-Hilfe Atomkrise um den Iran beenden

MADRID: Zur Ermordung des iranischen Atomphysikers Mohsen Fachrisadeh schreibt die spanische Zeitung «El País» am Dienstag:

«Das iranische Regime, das in so vielerlei Hinsicht gefährlich ist, hat sich (nach der Ermordung von Fachrisadeh) für den Weg der Mäßigung entschieden. Es wartet auf die Amtsübernahme der neuen demokratischen Regierung (der USA). Ein Iran, der von der Welt isoliert und radikalisiert ist, würde niemandem besser ins Konzept passen als der brutalen saudischen Autokratie und dem heimlichen Verbündeten der Saudis: Dem Israel eines politisch abgenutzten (Regierungschefs Benjamin) Netanjahu, der von der Justiz seines Landes bedrängt wird.

(Der künftige US-Präsident Joe) Biden braucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und der EU, um den gefährlichen Konfrontationskurs zu beenden und einen anderen Weg einzuschlagen. Einen, bei dem man ohne Naivität und mit einem unerschütterlichen Bekenntnis zur Sicherheit der Verbündeten in der Region versucht, den Iran auf diplomatischen Wege von der Versuchung der nuklearen Option nachweislich zu entfernen.»


«Sme»: Das Rechtsstaatsprinzip wird wohl wieder geopfert

BRATISLAVA: Die liberale slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Dienstag zu Polens und Ungarns Blockade der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen EU-Haushalts:

«Die vorherrschende Überzeugung, wonach Polen und Ungarn mit ihrer Veto-Drohung doch nur bluffen, da sie ja die größten Empfänger des EU-Haushalts seien, weicht der immer öfter geäußerten Befürchtung, dass der deutsche EU-Vorsitz wirklich gegen eine Wand rennt. Für solche Einschätzungen spricht auch, dass (Ungarns Regierungschef Viktor) Orban und (Polens Ministerpräsident Mateusz) Morawiecki auf Kompromissvorschläge mit zusätzlichem Erhärten ihrer Standpunkte reagierten und zum Beispiel eine Klage vor dem Europäischen Gericht androhten. (...)

Es lässt sich auch nicht ausblenden, dass Ursula von der Leyen ohne die Stimmen der ungarischen Fidesz-Partei und der polnischen PiS nicht Vorsitzende der EU-Kommission geworden wäre. Legitim ist daher die Frage, was ihnen (Bundeskanzlerin Angela) Merkel dafür versprochen hatte. Denn Orban und (Polens starker Mann Jaroslaw) Kaczynski gehören nicht zu den Politikern, die für ihre Stimmen keine Gegenleistung erwarten. (...) Jedenfalls ist nun wieder öfter zu hören, wenn Budapest und Warschau nicht nachgäben, sei es wohl besser, sich wieder einen Kompromiss auszudenken, anstatt weiter auf Konfrontationskurs zu steuern. Die Frage des Rechtsstaats wäre dann wieder einmal aufgeschoben.»


«Corriere della Sera»: EU muss junge Forscher besser fördern

ROM: Zu drohenden Kürzungen von Forschungsgeldern in der EU während der Corona-Krise und dem Protest dagegen schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Dienstag:

«Bei ihren öffentlichen Auftritten während dieser Krise haben fast alle europäischen Staats- und Regierungschefs (...) die Bedeutung von Forschungsinvestitionen hervorgehoben, um Wirtschaft und Beschäftigung wieder in Gang zu bringen sowie um künftige Herausforderungen und Notlagen zu meistern. Leider folgt diesem gleichstimmigen Chor der schönen Worte keine konkrete Pflicht zur Umsetzung. Im Gegenteil, wie die Zahlen zeigen.

Auch das europäische Forschungsbudget wurde eingedampft, um die Folgen der Covid-19-Krise zu bezahlen. (...) Dank des Kampfes einiger Parlamentarier, insbesondere des deutschen Vertreters der EVP, Christian Ehler (CDU), konnte zumindest ein Teil dieser Ressourcen wieder zurückgeholt werden. Vier Milliarden Euro sind zu verteilen, doch die Debatten über ihren Einsatz sind hitzig. (...) Die Konzentration auf junge Menschen ist dabei eine wirksame und rationale Strategie, nicht nur aus «moralischen», sondern auch aus ökonomischen Gründen: Wir übertragen ihnen immer mehr Schulden, deshalb darf man es auch nicht versäumen, ihnen die Mittel zur Schaffung von Wachstum und Beschäftigung zu übertragen.»


«Lidove noviny»: Opposition in Belarus braucht Unterstützung

PRAG: Die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien schreibt am Dienstag zu den anhaltenden Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland):

«Lukaschenko hat bereits die Verabschiedung einer neuen Verfassung anvisiert, die mehr Parlamentarismus und eine Machtübergabe mit sich bringen könnte. So lauten letztlich auch die russischen Forderungen. Aus diesem Blickwinkel muss Europa die anhaltenden Proteste in Belarus betrachten: als eine Offensive vor einer erwarteten Waffenruhe. Es ist einfach, zu helfen. Man muss die Exzesse des Regimes dokumentieren und diejenigen Kräfte im Land unterstützen, denen es um Freiheit und Demokratie geht. Sie müssen bei einem Rückzug Lukaschenkos bereit dafür sein, sich durchzusetzen.»


«Diena»: Corona-Notstand darf nicht zu lange andauern

RIGA: Zur geplanten Verlängerung des von der Regierung in Riga ausgerufenen Corona-Notstands schreibt die lettische liberale Tageszeitung «Diena» am Dienstag:

«Je länger diese Situation andauert, die formal als Notstand bezeichnet wird, desto weniger wird sie von irgendjemanden respektiert. Ausnahmesituationen dürfen nicht lange andauern - die Menschen gewöhnen sich an sie, nehmen sie nicht mehr als außergewöhnlich an, sondern als gewöhnlich, voller Schwierigkeiten. Und passen sich an. Masken müssen getragen werden? Nun ja, irgendwie eine Maske anziehen, wo sie zu tragen sind. Sich nicht treffen dürfen? Treffen wir uns dann eben nicht dort, wo es kontrolliert werden könnte. Dass in der Praxis nicht alle Vorgaben eingehalten werden, wird bestätigt durch die Infektionsstatistik.»


«New York Times»: Biden sollte Rückzug aus Afghanistan durchdenken

NEW YORK: Zur vom amtierenden US-Präsidenten Donald Trump angeordneten Reduzierung der US-Truppen in Afghanistan und der Position seines gewählten Nachfolgers Joe Biden schreibt die Zeitung «New York Times» am Dienstag:

«Die Biden-Regierung ist in einer besseren Position, die Grenzen der regionalen Diplomatie auszuloten. Es ist zwar bei weitem nicht klar, dass in den afghanischen Gesprächen eine politische Übereinkunft ausgehandelt werden kann, die den Krieg zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung beenden wird. Ein koordinierter regionaler Ansatz wird jedoch eher zum Erfolg führen als ein schneller einseitiger amerikanischer Rückzug. Amerikanische Soldaten sollten nicht zur Geisel eines Friedensabkommens gemacht werden, das vielleicht nie zustande kommt. Aber mit der Reduzierung der US-Truppen auf 2500 Soldaten, von denen ein Teil als Sicherheitsschirm für die Botschaft benötigt wird, sind die Kosten für den Einsatz der USA in Afghanistan stark gesunken. Die Biden-Regierung hat Zeit, einen verantwortungsvolleren Rückzug zu planen.»


«Irish Times»: Teheran scheint Rücksicht auf Biden zu nehmen

DUBLIN: Die «Irish Times» geht am Dienstag der Frage nach, wie der Iran auf die Ermordung des Atomphysikers Mohsen Fachrisadeh reagieren wird:

«Ungeachtet der Androhung von Vergeltungsmaßnahmen scheint sich Teheran derzeit sehr sensibel auf die US-Politik in der Zeit des Übergangs zu einer neuen Administration und die Notwendigkeit einzustellen, (den gewählten US-Präsidenten Joe) Biden nicht in die Enge zu treiben. Irans Vergeltung Anfang des Jahres für die Tötung von Ghassem Soleimani, des Kommandeurs der Al-Kuds-Brigaden der iranische Revolutionsgarden, bei einem US-Drohnenangriff war so zurückhaltend, dass es nicht zu einem Gegenschlag kam.

Irans Präsident Hassan Ruhani erklärte, die Rache werde «zum richtigen Zeitpunkt und in angemessener Weise» erfolgen, aber der Iran sei «intelligent und weise genug, um nicht in das Komplott der Zionisten verwickelt zu werden». Es wäre zwar nicht ungewöhnlich für iranische Hardliner, wenn sie die Rache in die eigenen Hände nehmen würden. Aber der Iran wäre gut beraten, jetzt stillzuhalten, wenn er ein Abkommen mit Biden haben will.»


«DNA»: Das neue Sicherheitsgesetz tritt Grundrechte mit Füßen

Straßburg (dpa)- Über die Neufassung des in Frankreich umstrittenen Sicherheitsgesetzes schreibt die elsässische Tageszeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» (DNA)am Dienstag:

«Es war von Anfang an eine schlechte Idee und ein großer strategischer Fehler, seine Mehrheit (im Parlament) darum zu bitten, für einen Text zu stimmen, der nebenbei einige der wichtigsten französischen Grundrechte munter mit Füßen tritt. Außerdem hat er keine rechtliche Relevanz, da er bereits im Strafgesetzbuch aufgeführt ist. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung bereits vor einer dreifachen Krise im gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich steht, war es vielleicht nicht notwendig, dem auch noch eine politische Krise hinzuzufügen. Aber jetzt, da sie da ist, müssen wir damit umgehen und den Brand eindämmen (...),ohne Erfolgsgarantie.»


«De Telegraaf»: Sicherheitsgesetz wurde für Macron zum Klotz am Bein

AMSTERDAM: Nach massiven Protesten will die französische Regierung ihr umstrittenes Sicherheitsgesetz neu formulieren. Dazu schreibt die niederländische Zeitung «De Telegraaf» am Dienstag:

«Das neue Sicherheitsgesetz von (Frankreichs Präsident) Emmanuel Macron soll Polizisten besser schützen. Doch bei einem außer Kontrolle geratenen Protest gegen Artikel 24 des Gesetzes, der die Verbreitung von Bildern von Polizeieinsätzen verbietet, wurden am Wochenende fast hundert Beamte verletzt. Nun, da seine eigene Partei eine Neufassung des Artikels fordert, ist das «globale Sicherheitsgesetz» zu einem Klotz am Bein geworden. (...)

Macron liegt ein Problem schwer im Magen. (Innenminister Gérald) Darmanin soll eigentlich der Hardliner des Regierung sein und eine rechte Wählerschaft anziehen. Seine Pläne, gegen den radikalen Islam vorzugehen, finden durchaus breite Unterstützung. Doch bei diesem Artikel des Sicherheitsgesetzes lagen sowohl der Minister als auch das Staatsoberhaupt falsch. Nun gibt es auch aus ihrer eigenen Partei Forderungen nach einer Aufhebung des Verbots, was einem Gesichtsverlust gleichkäme. Dennoch ist es besser, auf halber Strecke umzudrehen, als sich ganz und gar zu verirren.»


«De Tijd»: Börsenaufschwung mit dickem Beipackzettel

BRÜSSEL: Die absehbare Zulassung von Corona-Impfstoffen beflügelt die Börsen. Dazu meint die belgische Zeitung «De Tijd» am Dienstag:

«Die Erholung an den Börsen verläuft atemberaubend schnell. Doch ähnlich wie die Corona-Impfstoffe, die den Enthusiasmus schüren, gehört zum Aufschwung ein dicker Beipackzettel. (...)

Manche Aktien der Reisebranche oder der Schwerindustrie notieren wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie - und nehmen damit einen gefährlich großen Vorschuss auf die erwartete Rückkehr zur Normalität. Bei anderen, etwa aus dem Bereich E-Commerce und Digitalwirtschaft, sind die Kurse während der Pandemie so stark gestiegen, dass es nur zwei Optionen gibt: Entweder es handelt sich um Seifenblasen, die rasch platzen, oder sie gehören zu den großen Gewinnern dieser Krise. Wenn letzteres zutrifft, wird bald kein «back to normal» folgen, sondern ein schmerzlicher Übergang, bei dem einige aus dem Bereich der alten Ökonomie schrumpfen oder untergehen. Und dagegen kommt kein Impfstoff an.»


«Nepszava»: Macron muss entschieden gegen Polizeigewalt vorgehen

BUDAPEST: Über die von brutaler Polizeigewalt ausgelöste politische Krise in Frankreich schreibt die linke Budapester Tageszeitung «Nepszava» in einem Kommentar am Dienstag:

«(Der französische Präsident) Emmanuel Macron hat in den vergangenen Monaten seine Beliebtheitswerte gesteigert, was er zum Teil dem harten Vorgehen der Polizei, beispielsweise gegen Terrorverdächtige, zu verdanken hat. Jetzt hat er jedoch keine andere Wahl: er muss entschieden gegen rassistische und gewalttätige Elemente im Sicherheitsapparat auftreten. (...) Er darf sich den Fehler nicht leisten, den (sein Vor-Vorgänger) Nicolas Sarkozy beging, als dieser sich als Mann des Gesetzes inszenierte und damit die Gesellschaft nach rechts rückte. Denn Macron würde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sein Bemühen sich nur darauf beschränkte, den Rechtspopulisten bis zur nächsten Wahl 2022 den Wind aus den Segeln zu nehmen.»


«Nesawissimaja»: Westen kennt nur eine Lesart des Nawalny-Anschlags

MOSKAU: Zur Erklärung mehrer Mitgliedstaaten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), Russland solle die Hintergründe der Vergiftung von Alexej Nawalny aufklären, schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Dienstag:

«Initiator der Erklärung der OPCW-Staatengruppe ist offensichtlich Großbritannien. (...) Auf dem offiziellen (Twitter-)Account der britischen Delegation wurde zudem die Forderung an Russland veröffentlicht, «der OPCW sein Nowitschok-Programm vollständig offenzulegen». Wir möchten daran erinnern, dass die russischen Behörden dem Westen bereits mehrere Jahre in Folge erklären, dass in unserem Land keinerlei Chemiewaffen hergestellt werden, weil das nach der entsprechenden Konvention verboten ist. (...)

Nawalnys eigenes Informationsnetz handelt schon seit einigen Wochen solidarisch mit Europa. In seinen persönlichen Aussagen fällt der Name Putin ständig im Kontext der Vergiftung - unbedingt zusammen mit den entsprechenden kriminalistischen Fachbegriffen. Nawalny hat mehrfach öffentlich erklärt, dass der russische Präsident selbst den Befehl gegeben habe, den wichtigsten Oppositionellen aus dem Weg zu räumen. Übrigens: Die 56 OPCW-Staaten, die sich für Nawalny einsetzen, bestätigten damit stillschweigend seine Rolle als Anführer aller Kremlgegner. Andere Interpretationen des «Chemie-Angriffs» auf Nawalny gibt der Westen generell nicht.»


«Gazeta Wyborcza»: Polen und Ungarn in der EU zunehmend isoliert

WARSCHAU: Polens und Ungarns Blockade der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen EU-Haushalts kommentiert die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Dienstag:

«Die Regierungen von Polen und Ungarn rasen wie in einem betrunkenen Traum auf die Wand zu und ignorieren unterwegs alle Warnschilder. Um die polnische Außenpolitik steht es schlecht. Wir sind dort isoliert und merken schon nicht mehr, wie einsam auch Ungarn geworden ist. Bis vor kurzem konnte man Viktor Orban vieles vorwerfen, aber nicht, dass er in den europäischen Salons nicht bewandert sei. Mittlerweile wird Ungarns Regierungschef aber in den westlichen Hauptstädten wie ein Eindringling behandelt. Nicht mal mehr zu den jährlichen Zusammenkünften der bayerischen CSU, wo er lange Ehrengast war, wird er mehr eingeladen.

Zuletzt haben sich sogar unsere direkten Nachbarländer von uns abgewandt. Tschechien und die Slowakei haben sich entschieden, vor dem todesmutigen Zug auf Kollisionskurs mit Europa lieber das Weite zu suchen. Ihre Regierungen haben deutlich gemacht, dass sie sich in dem Streit, den Polen und Ungarn angezettelt haben, für die Seite des Westens und seiner Werte aussprechen.»


«Tages-Anzeiger»: Von der Leyen muss Kritiker noch überzeugen

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» schreibt am Dienstag zu Ursula von der Leyens erstem Jahr als Präsidentin der EU-Kommission:

«Es ist, als wäre die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin noch immer nicht richtig angekommen. Das Misstrauen gegenüber dem Apparat der 30.000 Beamten sei groß. Selbst Kommissare beklagen sich, Mühe mit dem Zugang zur Präsidentin zu haben. Gerade hat sie neu einen langjährigen Brüsseler Korrespondenten des Magazins «Der Spiegel» als Redenschreiber engagiert. Vielleicht hilft das, zumindest die Verbindung zwischen der 13. Etage des Berlaymont und der realen Welt draußen herzustellen.

Der Unmut wächst auch in der eigenen Parteienfamilie, bei den Konservativen im EU-Parlament. Dort machte Dennis Radtke, ein christdemokratischer EU-Abgeordneter, mit einem Brandbrief auf das Malaise aufmerksam. Er bescheinigte der Parteigenossin einen Politikstil, der durch markige und pathetische Überschriften nach außen sowie durch fehlende Kommunikation und Misstrauen nach innen gekennzeichnet sei. Ursula von der Leyen hat noch vier Jahre, um ihre Kritiker zu überzeugen.»


«NZZ»: Von der Leyen kann sich keine Führungsschwäche leisten

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Dienstag Ursula von der Leyens erstes Jahr als Präsidentin der EU-Kommission:

«Die mangelnden Kompetenzen seiner Behörde wusste mancher Vorgänger im Amt durch politisches Gespür und Persönlichkeit wettzumachen. Jean-Claude Juncker etwa stellte sich dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump dreist als «Mister Europe» vor. Über den Impuls, auch einmal etwas gegen den Willen der Staats- und Regierungschefs zu tun, scheint von der Leyen nicht zu verfügen.

Unnahbar wie keiner ihrer Vorgänger, dabei durchaus ambitioniert, stets konzentriert und der großen Geste nicht abgeneigt - diesen Stil wird sich die frühere deutsche Verteidigungsministerin nicht mehr abgewöhnen können. Auch muss man ihr zugutehalten, dass bisher noch kein Chef der Kommission mit einer solchen Vielzahl existenzieller Krisen konfrontiert wurde wie sie. Dass sich die EU in dieser Lage aber erst recht keine Führungsschwäche leisten kann, sollte von der Leyen allmählich begriffen haben.»

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