Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Corriere della Sera»: Biden fasziniert die Amerikaner nicht

ROM: Zum Stand des US-Wahlkampfes zwischen Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» aus Mailand am Dienstag:

«Alles scheint darauf hinzudeuten, dass Biden auf einen ziemlich klaren Sieg zusteuert, doch nur wenige lehnen sich bei diesem Thema wirklich weit aus dem Fenster. (...) Nach dem Ausgang von 2016 herrscht Vorsicht, auch wenn sich der Herausforderer unter den entscheidenden Wählern durchgesetzt hat: den Frauen. Hier zeigen sich Taktik und Vorsicht, aber es gibt noch mehr zu bedenken. Zum Beispiel setzen 59 Prozent derjenigen, die Wahlwetten abgeben, auf das, was Buchmacher verlierendes Pferd nennen: Trump. Das ist ein Hinweis auf eine weit verbreitete Haltung: Man glaubt nicht recht an die Siegeschancen eines bescheidenen, anspruchslosen Biden. Aber der alte Joe, der nicht fasziniert, ist dennoch weniger verhasst als Hillary Clinton (Trumps Gegnerin 2016). Das ist ein Problem für Trump, der sich nicht auf Programme, sondern auf die persönliche Konfrontation konzentriert: Er kämpft darum, ein schwer fassbares Ziel zu erreichen. Im «Wall Street Journal» argumentiert Peggy Noonan, ein Orakel der Konservativen, dass Biden den Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität verkörpert, die jetzt in Amerika vorherrscht.»


«De Telegraaf»: Niederlande haben im Kampf gegen Covid Zeit verspielt

AMSTERDAM: Zum Anstieg der Corona-Fallzahlen in den Niederlanden meint die Amsterdamer Zeitung «De Telegraaf» am Dienstag:

«Unheilvolle Berichte aus der Welt der Medizin über das weiter wuchernde Coronavirus deuten darauf hin, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen unzureichend waren, um das Blatt zu wenden. (...) Auch der Fachärzteverband erwartet, dass das Gesundheitswesen noch stärker als im Frühjahr unter Druck gerät. Der Verbandsvorsitzende Peter Paul van Benthem spricht gar von einem Patienten-«Tsunami».

Was ist schiefgegangen? Die Niederlande sind in eine Krise der Behörden und des Betragens geraten, wie es der nun selbst mit Corona infizierte Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb ausdrückte. Lediglich an die Eigenverantwortlichkeit der Menschen zu appellieren, lässt zu viel Spielraum bei der Auslegung der Regeln. Empfehlungen machen keinen Eindruck, selbst dann nicht, wenn sie als dringend bezeichnet werden. So gesehen ist viel Zeit mit einer nur zögerlichen Vorgehensweise verspielt worden.»


«The Independent»: Ein Gefühl von Verrat und Furcht

LONDON: Mit einem dreistufigen Alarmsystem will die britische Regierung den Anstieg der Corona-Fallzahlen in England bremsen. Dazu meint der Londoner «Independent» am Dienstag:

«Sollte ein Lockdown unabwendbar sein, dann sollte dies auch für eine adäquate finanzielle Unterstützung gelten. Finanzminister Rishi Sunak sagt, das Land könne sich dies nicht leisten. In Wirklichkeit kann sich das Land es nicht leisten, das nicht zu tun. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, aber auch mit Blick auf die Einheit und den Zusammenhalt der Nation - beides ist von entscheidender Bedeutung, um das Virus zu besiegen. (...)

Im Norden Englands herrscht ein Gefühl von Verrat und Furcht. Zum dritten Mal innerhalb von 40 Jahren wird die Region von einer vom Süden dominierten konservativen Regierung im Stich gelassen. Der Norden litt schmerzlich während der industriellen Rezession Anfang der 1980er Jahre und erneut während eines weiteren Niedergangs und noch mehr Bergwerkschließungen in den 1990er Jahren. Jetzt wird die erzwungene Schließung von Teilen des Wirtschaftslebens im Norden bei nur unzureichender wirtschaftlicher Unterstützung einmal mehr zu Massenarbeitslosigkeit in Städten und Ortschaften führen, die daran nicht schuld sind.»


«Hospodarske noviny»: Sanktionen gegen Russland unausweichlich

PRAG: Zu den geplanten neuen EU-Sanktionen gegen Russland nach der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny schreibt die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Prag am Dienstag:

«Über Sanktionen wird oft diskutiert, ihre Wirksamkeit vielfach angezweifelt - und dennoch ist ihre Verhängung immer wieder unausweichlich. So ist es auch bei den Sanktionen, welche die EU-Mitgliedstaaten gegen Russland im Fall Nawalny angekündigt haben. Es ist bemerkenswert, dass sich Frankreich und Deutschland für diesen Beschluss eingesetzt haben, die traditionell gegenüber Russland eher Entgegenkommen zeigen. (...) Die pessimistische Einschätzung lautet, dass Europa nichts anderes übrig bleibt. Denn andernfalls würde es den Eindruck des Kremls unter (Präsident Wladimir) Putin bestätigen, dass sich Russland zu Hause und über seine Grenzen hinaus alles erlauben kann. Und lange sah es tatsächlich danach aus.»


«Dagens Nyheter»: Trumps beste Chance liegt im Stoppen der Wähler

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Dienstag den Wahlkampf in den USA:

«Jede Demokratie sollte versuchen, allen Wählern die Stimmabgabe zu erleichtern. Dass die Republikaner sie stattdessen von den Urnen fernhalten wollen, ist eine Schande. Schon früher haben Republikaner überall in den USA versucht, das Wählen für Schwarze, Hispanics und Junge - die alle antitrumpscher Haltungen verdächtigt werden können - kompliziert zu machen. Eine beliebte Methode ist, nur bestimmte Ausweisdokumente zu akzeptieren und die Regeln kurzfristig zu ändern, damit die Bürger leichter Fehler begehen. Dieses Wahljahr gibt es etliche solcher Tricks. Trump und seine Freunde haben Angst zu verlieren. Also: Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto besser. Und das mitten in einer rasenden Pandemie, in der es natürlich ist, dass viel mehr als vorher sich dazu entscheiden, den Warteschlagen vor den Wahllokalen per Briefwahl oder auf andere Weise zu entgehen.»


«Diena»: Ankaras geopolitische Ambitionen

RIGA: Zur Rolle der Türkei in den Konflikten im Mittelmeerraum und im Südkaukasus schreibt die lettische liberale Tageszeitung «Diena» am Dienstag:

«Berg-Karabach ist zu einem weiteren militärischen und diplomatischen Konfliktpunkt geworden, an dem Ankara beteiligt ist. Andere Krisenherde auf dieser Liste sind Syrien, der Irak und Libyen. Die Türkei hat aber auch diplomatische Kriege mit Zypern, Griechenland, Israel angezettelt und damit sozusagen mit auch der Nato, der sie als Mitgliedsstaat noch angehört. Insgesamt versuchen Erdogan und seine Anhänger, die globale geopolitische Instabilität zu nutzen, um den Einfluss und die Bedeutung der Türkei erheblich zu steigern, um im Erfolgsfall Ankara langfristig den Status zumindest einer eurasischen Supermacht zu verschaffen.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden Widersprüche zwischen den wichtigsten geopolitischen Akteuren ausgenutzt sowie die Konzepte des Panturkismus, des Neoosmanismus und der türkischen Variante des Panislamismus herangezogen. Obgleich Ankara damit bisher nicht übermäßig erfolgreich war, kann man Erdogans Taktik auch nicht als Misserfolg bezeichnen. Die Türkei konnte Einflusszonen in Syrien und Libyen aufbauen und seinen Einfluss in einer Reihe von Ländern der ehemaligen UdSSR deutlich erhöhen - von Georgien bis Kirgistan, ganz zu schweigen von Aserbaidschan.»


«Tages-Anzeiger»: Beherbergungsverbot hat Chaos ausgelöst

ZÜRICH: Zum Streit über das Corona-Beherbergungsverbot schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Dienstag:

«Endlich Herbstferien! Über Wochen hatten Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer die Deutschen beschworen, sie sollten doch im Herbst nicht ins Ausland verreisen, sondern ihre Ferien möglichst in Deutschland verbringen. Nun heißt es plötzlich: Am liebsten fahren Sie gar nicht weg, sondern bleiben zu Hause! (...)

Bisher hat das innerdeutsche Beherbergungsverbot jedenfalls vor allem Chaos ausgelöst. Das hängt zum einen daran, dass nicht alle Bundesländer es in Kraft gesetzt haben, zum anderen, dass es sehr verschieden gehandhabt wird. Wer jetzt eine Reise plant, muss jedenfalls erst stundenlang Verordnungen studieren, um zu wissen, was gilt. In einzelnen Bundesländern befreit ein negativer Test von allen Einschränkungen, in anderen, etwa an der Ostsee, muss man trotzdem erst mal in Quarantäne.

Die Tests, die gesunde Reisende brauchen, um sich von den Restriktionen zu befreien, binden wiederum Kapazitäten, die die Gesundheitsämter eigentlich gern anders einsetzen würden.»


«NZZ»: Die FPÖ sollte man nicht abschreiben

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Dienstag das Debakel für die FPÖ bei der Landtagswahl in Wien:

«Das Resultat fiel deutlich schlechter aus, als die Umfragen erwarten ließen. Jene Wienerinnen und Wiener, gerade in den Arbeiterbezirken, die in den letzten Jahrzehnten die FPÖ treu unterstützt hatten, versagten ihr dieses Mal die Gefolgschaft. Wundern kann sich die FPÖ nicht darüber, denn die Desillusionierung hat gute Gründe: Es ist dabei nicht so sehr die Ibiza-Affäre, die dazu geführt hat, sondern der Spesenskandal um den gefallenen Volkstribun Heinz-Christian Strache. Der ehemalige Vizekanzler bediente sich schamlos in der Parteikasse, über die er laut den Ermittlern persönliche Ausgaben in der Höhe von mehreren hunderttausend Euro finanzierte. (...)

Abschreiben sollte man die Rechtspopulisten dennoch nicht: Die FPÖ hat vor knapp zwei Jahrzehnten bereits eine Spaltung überstanden und wurde danach unter Strache stärker denn je. Der größte Teil ihrer Wählerschaft, mehr als 100.000, hat nicht das Lager gewechselt, sondern blieb aus Enttäuschung schlicht zu Hause. Doch die politische Großwetterlage kann sich rasch ändern, zumal die große Wirtschaftskrise nach der Pandemie wohl erst beginnt, auf Österreich und Wien zuzurollen.»


«DNA»: Trump hat Atmosphäre für versuchte Entführung geschaffen

STRAßBURG: Die versuchte Entführung der Gouverneurin des US-Bundesstaats Michigan durch Milizen kommentiert die elsässische Tageszeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» am Dienstag:

«Wie (Russlands Präsident Wladimir) Putin nicht direkt den Befehl gab, (den Kreml-Kritiker Alexej) Nawalny zu vergiften, bewaffnete auch (US-Präsident Donald) Trump die rechtsextremen Milizen nicht, die planten, die Gouverneurin von Michigan zu entführen, und versuchten, einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Er bewaffnete sie nicht, sondern schuf, wie Putin, eine Atmosphäre, die es ihnen erlaubte, dies als ein legitimes, wenn auch nicht vernünftiges Mittel anzusehen.»


«El Mundo»: Spanien darf kein gescheiterter Staat werden

MADRID: Die regierungskritische spanische Zeitung «El Mundo» kommentiert am Dienstag den Zustand der Demokratie des Landes mit den höchsten Corona-Zahlen Westeuropas:

«Seit das untergegangene Osmanische Reich als kranker Mann Europas bezeichnet wurde, haben nicht wenige Länder diese zweifelhafte Ehre erfahren. Spanien wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten wiederholt als eine Nation mit angeschlagener Gesundheit wahrgenommen. Es waren enorme Anstrengungen erforderlich, um die Wirtschaftskrise zu überwinden und in internationalen Foren wieder respektiert zu werden.

Aber jetzt geht alles verloren und das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Nun wird Spanien sogar als gescheiterter Staat bezeichnet. Zu der beunruhigenden Tatsache, dass wir das Land mit den schlechtesten Corona-Daten sind, kommt ein politischer und institutioneller Bankrott hinzu, der uns immer weiter von den Standards etablierter Demokratien entfernt.

Dieser Ansehensverlust lässt die europäischen Finanzhilfen zur Bekämpfung der Pandemie in einem anderen Licht erscheinen. Einerseits zeigt die Regierung weiterhin keine Bereitschaft, Strukturreformen in Angriff zu nehmen, die Brüssel seit Jahren anmahnt. Andererseits sind Befürchtungen verständlich, dass die Verwaltung und Verteilung der Hilfen ausschließlich in den Händen einer von Willkür geprägten Regierung liegen wird. Internationale Organisationen müssen deshalb tragfähige Projekte identifizieren und eine Agentur, in der auch die Privatwirtschaft vertreten ist, muss die Verteilung der Gemeinschaftsmittel organisieren.»


«De Standaard»: Sebastian Kurz' ÖVP fischte am rechten Rand

BRÜSSEL: Zum Debakel für die FPÖ bei der Landtagswahl in Wien heißt es am Dienstag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Viele, die bei vorangegangenen Wahlen für die FPÖ gestimmt hatten, entschieden sich diesmal für die Christdemokraten von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Seine Österreichische Volkspartei (ÖVP) ist in Wien um 9,6 Prozent gewachsen und zur zweitgrößten Partei aufgestiegen.

Kurz, der beim Sichern seiner eigenen politischen Zukunft sehr gewandt ist, hat gezockt. Er ging davon aus, dass die FPÖ durch die Skandale um den ehemaligen Parteichef Heinz-Christian Strache viele WählerInnen verlieren würde. Kurz vermutete, dass die enttäuschten, weit rechtsstehenden WählerInnen für seine Partei stimmen könnten. Dafür musste er nur hinreichend deutlich machen, dass seine ÖVP - die auf Bundesebene mit den Grünen koaliert - tatsächlich eine Rechtspartei ist. Und so verkündete er unlängst, dass Österreich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern keine Flüchtlinge aus Lesbos aufnehmen werde.

Tatsächlich zeigt eine Analyse des Wahlverhaltens, dass sich viele ehemalige FPÖ-Wähler für die Christdemokraten entschieden haben. Aber die bei weitem größte Gruppe der rechtsradikalen Wähler ist einfach nicht zu den Urnen gegangen oder hat ungültig gestimmt.»


«Washington Post»: Es geht um die Legitimität des Supreme Court

WASHINGTON: Zur Anhörung der Kandidatin von Präsident Donald Trump für das Oberste Gericht der USA, der konservativen Juristin Amy Coney Barrett, schreibt die «Washington Post» am Dienstag:

«Bei dieser Bestätigung geht es nicht um Barrett (...) Die Bestätigung ist vielmehr ein entscheidendes Votum über die Zukunft des Supreme Court und ob dieses erhabene Organ seine letzte Spur von Legitimität und Glaubwürdigkeit verlieren wird. Das Vertrauen in das Oberste Gerichts ist seit der Bestätigung des Richters Clarence Thomas (1991) dramatisch gefallen. 56 Prozent der Amerikaner hatten 1985 ein hohes Vertrauen in das Gericht. Dieser Wert bewegte sich zuletzt nur noch in den oberen 30ern. Die Ansichten sind deutlich parteiisch: 53 Prozent der Republikaner haben Vertrauen, verglichen mit 33 Prozent der Demokraten. Und das war, bevor Präsident Trump gleich nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg vorschlug, diese liberale Ikone durch ihr juristisches Gegenstück zu ersetzen und damit den rechtslastigsten Gerichtshof in 70 Jahren zu schaffen. Das Ganze wird noch übertroffen von der üblen Heuchelei der Republikaner, die ihr Versprechen brechen, keine Anhörungen so dicht vor einer Wahl abzuhalten.»

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