Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Rundschau» zu Verteidigungsminister

Ob Boris Pistorius der Richtige ist für das Amt des Verteidigungsministers, wird er zeigen müssen.

Er bringt zumindest einiges mit, um die vor ihm liegende Mammutaufgabe zu bewältigen. Als durchsetzungsfähiger und kommunikativer Politmanager müsste er in der Lage sein, die Soldatinnen und Soldaten sowie die Generäle mitzunehmen, um die nur noch teilweise einsetzbare Bundeswehr schrittweise wieder in eine Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung umzubauen. Er ist zudem gut vernetzt innerhalb der SPD und kennt durch seine bisherige Arbeit als niedersächsischer Innenminister die meisten anderen Akteure im politischen Berlin. Doch alleine wird er die verschiedenen Aufgaben nicht bewältigen können. Vor allem Kanzler Olaf Scholz sollte die Fehler nicht wiederholen, mit denen er die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht geschwächt hat, und deren Nachfolger Pistorius bei Entscheidungen zur Verteidigungspolitik mindestens einbinden - wie etwa bei Waffenlieferungen.


Handelsblatt zu Verhandlung/Solidaritätszuschlag

Beim Solidaritätszuschlag zeigt sich erneut die Reformunfähigkeit in der Steuerpolitik.

Die Abschaffung ist überfällig. Einst zur Finanzierung der Kosten des Irakkriegs, dann für den Aufbau Ost eingeführt, ist seine Begründung längst obsolet. Und eigentlich hatte die Bundesregierung auch schon längst ein Einsehen, weshalb sie den Soli ab 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler abschaffte. Dieser Kompromiss der Großen Koalition hat den Soli aber noch zweifelhafter gemacht. Nun wird er als eine verkappte Reichensteuer für Spitzenverdiener und Unternehmen weitergeführt. Man kann durchaus nachvollziehen, dass die SPD mit einer Entlastung für diese Gruppe Schwierigkeiten hat. Doch dann wäre die saubere Lösung eine Integration in den Einkommensteuertarif. Doch auf einen solchen Schritt konnten sich weder die Große Koalition noch das Ampelbündnis einigen. Und so herrscht seit langer Zeit steuerpolitischer Stillstand, obwohl eine grundlegende Reform des Steuertarifs, die schwerpunktmäßig untere und mittlere Einkommen entlastet, überfällig ist.


«Stuttgarter Zeitung» zu Pistorius

Pistorius hat sich als sozialdemokratischer Innenminister einen Ruf als roter Sheriff verdient: als einer, der auch bereit ist, hart durchzugreifen.

Das ist eine gute Grundlage für einen, der nun ein roter General sein soll. Der künftige Minister hat bereits angekündigt, er werde sich vor seine Truppe stellen. Das sind Töne, die dort sehr begrüßt werden dürften. Der kantige Niedersachse hat das Potenzial, zu einem Ressortchef zu werden, der in der Truppe geliebt und respektiert wird wie zuletzt Peter Struck. Dessen Amtszeit ist fast 20 Jahre her.


«Nepszava»: Ukraine braucht Kampfpanzer möglichst rasch

BUDAPEST: Zur Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine schreibt die links-liberale Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Dienstag:

«Deutschland, das wegen des Leopards 2 eine Schlüsselrolle spielt, wartet wieder einmal zu. (...) Berlin wurde häufig und nicht völlig grundlos beschuldigt, dass es zu lange mit der Unterstützung Kiews gewartet habe. Diesmal ist jedoch das Problem ein komplexeres: Die deutschen Streitkräfte sind in einem derart katastrophalen Zustand, dass die Verteidigungskraft des Landes durch die Abgabe von Panzern eine weitere Schwächung erfahren würde. Es ist dies die Sünde sämtlicher Regierungen der letzten Jahrzehnte. Zugleich ist möglichst rasches Handeln vonnöten. Denn würde Moskau einen militärischen Durchbruch erzielen, würde dies die westliche Welt einen ungleich höheren Preis kosten - nicht nur in materieller, sondern auch in politischer Hinsicht.»


«Dagens Nyheter»: Schwedische Regierung vor Erdogan wie Hundewelpen

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert die anhaltende türkische Blockade der Nato-Aufnahme Schwedens und Finnlands und das Aufhängen einer Erdogan-Puppe in der Nähe des Stockholmer Rathauses:

«Schwedische Minister rennen heute wie eifrige Hundewelpen los, um Erdogan in allen erdenklichen Fragen entgegenzukommen - und beschönigen außerdem die hysterische türkische Reaktion. Und wie reagiert Ankara auf diese Unterwürfigkeit? Die Verurteilungen der schwedischen Regierung reichten nicht aus, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Wisst ihr was: Es wird niemals reichen. Schweden kann Zugeständnis um Zugeständnis machen, aber je mehr wir nachgeben, desto stärker wird Erdogan Druck machen. Wir haben nichts zu bieten, was ihm Anlass zum Nachgeben gibt, außer Dingen, die mit der schwedischen Demokratie und Rechtstradition unvereinbar sind. Wie die Auslieferung von Regimegegnern, harte Maßnahmen gegen schwedische Kurden und eine erstickte Meinungsfreiheit.»


«The Irish Times»: Westen muss Ukraine weiter mit Waffen versorgen

DUBLIN: Zur Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine schreibt die in Dublin erscheinende «Irish Times» am Dienstag:

«In den Augen der Russen geht es dabei nicht einfach um eine Verstärkung des westlichen Engagements für Kiew mit mehr Waffen, sondern um eine qualitative Veränderung dieser Unterstützung durch die Lieferung schwerer Gefechtsfeldwaffen. Dadurch würde sich die Art des Engagements der Nato ändern. Bundeskanzler Olaf Scholz befürchtet, dass eine solche Verschiebung - vereinfacht gesagt, eine Verschiebung von defensiven zu offensiven Waffen - von Russland als Rechtfertigung für eine Eskalation mit der Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland oder sogar eines Einsatzes von Atomwaffen durch Putin angesehen werden könnte.

Innenpolitisch bewegt sich Scholz auf einem schmalen Grat. Seine eigene Partei ist zurückhaltend. Und jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit der Deutschen die Lieferung von Panzern an die Ukraine ablehnt. Doch wenn man Putin erlaubt, mit seinen angedeuteten Drohungen die Grenzen der westlichen Unterstützung für die Ukraine zu bestimmen, besteht die Gefahr einer Selbstentmannung Deutschlands und seiner Nato-Verbündeten, die nur zu einer längeren Pattsituation auf dem Schlachtfeld führen würde. Solange der Westen die eigene rote Linie einer direkten Auseinandersetzung mit Russland nicht überschreitet, muss er Kiew weiter mit Waffen versorgen.»


«de Volkskrant»: Lambrecht hatte eine undankbare Aufgabe

AMSTERDAM: Zum Rücktritt von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht heißt es am Dienstag in der niederländischen Zeitung «de Volkskrant»:

«Lambrecht hatte eine undankbare Aufgabe. Die deutschen Streitkräfte sind seit vielen Jahren dramatisch unterfinanziert. Die Soldaten beklagen sich über vieles, von fehlender Ausrüstung bis hin zu defekten Fahrzeugen. (...) Damit müsse nun endgültig Schluss sein, entschied Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar vergangenen Jahres. In seiner berühmt gewordenen Zeitenwende-Rede versprach er, 100 Milliarden Euro in eine umfassende Reform der deutschen Streitkräfte zu investieren.

Das sei nichts weniger als «eine strategische Revolution», urteilte die ARD seinerzeit. Es war die Aufgabe der Verteidigungsministerin, diese «Revolution» in einem Ministerium mit 265.000 Mitarbeitern (davon 180.000 Soldaten) zu managen. Doch seit Lambrechts Amtsantritt häuften sich nur die schlechten Nachrichten.»


«NZZ»: Der Fall Lambrecht ist auch ein Fall SPD

ZÜRICH: Zum Rücktritt von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Dienstag:

«Lambrechts Fehler war es, aus Selbstüberschätzung eine Aufgabe anzunehmen, die ihr aus Paritätsgründen angetragen worden war. Eine Frau musste her, nachdem mit Karl Lauterbach überraschend ein weiterer sozialdemokratischer Mann den Weg ins Kabinett gefunden hatte. Der Kanzler wurde zum Gefangenen seines Versprechens, für eine gleiche Repräsentanz der Geschlechter unter seinen SPD-Ministern zu sorgen. Doch wenn Quoten die Qualität übertrumpfen, bleibt Kompetenz auf der Strecke. (...) Der Fall Lambrecht ist auch ein Fall SPD. Als «Partei des Friedens, des Internationalismus und der friedlichen Verständigung» - so die Vorsitzende Saskia Esken - hat die Sozialdemokratie trotz manchen verteidigungspolitischen Experten in den eigenen Reihen eine antimilitärische Berührungsscheu entwickelt. (...) Im Programm der SPD taucht die Landesverteidigung erstmals auf Seite 47 auf, im Kontext von «Rechtsextremismus bei der Bundeswehr». Noch Ende August unterzeichneten zahlreiche Vertreter der Partei den Aufruf «Die Waffen müssen schweigen!»


«El Mundo»: Unentschlossener Scholz muss Kiew endlich Panzer liefern

MADRID: Die spanische Zeitung «El Mundo» kommentiert am Dienstag den Rücktritt von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und die Ukraine-Politik von Kanzler Olaf Scholz:

«Das Bundeskabinett hat ausgerechnet an der für Bundeskanzler Olaf Scholz sensibelsten Stelle einen Riss bekommen. Der Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht löst eine mitten im Krieg in der Ukraine unpassende Regierungskrise aus, nachdem Scholz vor nur wenigen Monaten eine historische Aufrüstung Deutschlands angekündigt hatte. Das war eine Wende um 180 Grad in Bezug auf Grundsätze, die das Land seit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg befolgt hatte.

Der Rücktritt der Ministerin ist ein herber Rückschlag für Scholz, dem eine nur lauwarme militärische Unterstützung Kiews vorgeworfen wird. Seine Reaktion auf Russlands Angriff ist von Unentschlossenheit geprägt. Jetzt kommt er unter Druck seiner Partner, die Lieferung von Kampfpanzern aus Deutschland, die in 13 europäischen Armeen im Einsatz sind, zu genehmigen. Frankreich und Großbritannien wollen bereits Panzer entsenden. Berlin muss sich ihnen anschließen, um mit einem stärkeren militärischen Engagement in der schlimmsten Sicherheitskrise seit 1945 eine Wende zu bringen. Auf dem Spiel steht die Verteidigung der liberalen Demokratie.»

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