Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Wahldebakel

Als Berliner musste man in den Boden versinken, als der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages stundenlang das Berliner Wahldebakel aus dem Herbst diskutierte.

Der Bundeswahlleiter dringt wegen der systematischen Probleme auf Neuwahlen in der Hälfte aller Bundestags-Wahlkreise, auch für die Abgeordnetenhauswahlen ist eine Wiederholung angesichts der Fülle geschilderter Probleme nicht unwahrscheinlich. Immer wieder fragten der Bundeswahlleiter und die Bundestagsabgeordneten völlig zurecht fassungslos, warum es überall anders klappt, nur in Berlin nicht. Die Antwort ist klar: Niemand ist hier verantwortlich. Die Landeswahlleiterin verweist auf die Bezirke, die die Wahl vor Ort organisieren müssen. Anweisen könnte sie die aber nicht. Also macht jeder, wie er denkt. Die Politik sagt, die Wahl sei eine Veranstaltung der Bürger, man müsse sich nicht kümmern. Deswegen hält sich die für die Aufsicht über Wahlen zuständige Innenverwaltung fein raus. Es ist eine Schande.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu den Wahlverstößen in Berlin

Das einzig Beruhigende an dem Wahldesaster ist: Es folgte keinem Plan.

... Aber so beruhigend ist das auch wieder nicht: Schließlich ging es hier nicht um die Organisation der Love Parade oder des Marathons, der in Berlin zur gleichen Zeit stattfand, sondern um die Wahl zum Bundestag. In sage und schreibe sechs Wahlkreisen ... traten so erhebliche Unregelmä-ßigkeiten auf, dass der Bundeswahlleiter selbst Einspruch einlegte und jetzt der Berliner Landeswahlleitung systemati-sches Versagen bescheinigte. ... So vielfältig die Kreativ- und Kneipenszene, so heruntergewirtschaftet ist die res publica. ... Folgt nun also der Bundestag dem Bundeswahlleiter, wird in Teilen der Hauptstadt neu gewählt. Die Linke wird wohl nicht aus dem Parlament fliegen. Aber die Zusammensetzung der Volksvertretung mag sich ändern, wenn alles glattgeht.


«Frankfurter Rundschau» zu angekündigten Wiederaufbauhilfen/Ukraine

Wer über den Ukraine-Krieg spricht, darf von dessen Ende nicht Schweigen.

Dabei geht es nicht um vertragsfertige Vereinbarungen. Es kann und soll auch nicht ignoriert werden, dass den Krieg nur der Despot Wladimir Putin und die Regierung in Kiew beenden können. Aber darum geht es auch nicht, wenn EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen der Ukraine Hilfe zum Wiederaufbau verspricht. Vielmehr wird deutlich, dass es nicht alleine darum geht, die Menschen in der Ukraine mit allen Mitteln zu unterstützen, um sich zu verteidigen. Darüber hinaus müssen sich die Ukraine und die westlichen Verbündeten darüber klar werden, ob Russland nach dem Krieg ein Gegner oder Rivale sein soll oder vielleicht doch langfristig wieder ein Partner werden. Kiew und die Verbündeten müssen sich auch mit der Frage beschäftigen, ob der Status Quo vor dem Krieg wiederhergestellt werden soll oder womöglich auch die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Krim wieder Teil der Ukraine werden soll.


«Handelsblatt» zu OECD-Ranking/Steuern und Abgaben

Es ist ein unrühmlicher zweiter Platz: In einem Ranking der Industrieländerorganisation OECD ist Deutschland bei der Belastung von Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben Vizeweltmeister.

Nur in Belgien muss ein Durchschnittsverdiener mehr an den Staat abführen. Und anders als bei früheren Untersuchungen zeigt sich mittlerweile nicht nur bei gut verdienenden Singles eine vergleichsweise hohe Belastung, sondern auch bei Familien. Auch wenn solch internationale Vergleiche manch Unzulänglichkeiten aufweisen, sind die Zahlen ein bedenklicher Befund - und eine Handlungsaufforderung an die Politik. (...) Leider hat auch die Ampel wie zuvor die Großen Koalitionen in der Steuerpolitik nur Stillstand vereinbart. Das Ergebnis des Nichtstuns ist im OECD-Ranking zu besichtigen: Einkommen sind in Deutschland besonders belastet. Eine Steuerreform wäre deshalb überfällig, das hat auch die EU-Kommission zu Recht angemahnt.


«Wall Street Journal»: Taiwan-Ausschluss aus Indopazifik-Pakt Fehler

NEW YORK: Zur Erklärung von US-Präsident Joe Biden, Taiwan im Falle eines Angriffs durch China militärisch zu verteidigen, und dem Ausschluss des Landes aus der verabredeten Wirtschaftsinitiative für den Indopazifik schreibt das «Wall Street Journal»:

«In der Presse heißt es, Präsident Biden habe sich am Montag vertan, als er die USA zur Verteidigung Taiwans verpflichtete. Aber nach drei ähnlichen Erklärungen im vergangenen Jahr meint er das vielleicht auch so. Der wohl weitaus größere Fehler ist seine Entscheidung, Taiwan nicht in den neuen indopazifischen Wirtschaftsrahmen aufzunehmen, den die Regierung am Montag vorgestellt hat. (...)

Die neue Plattform zielt klar darauf ab, dem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas entgegenzutreten. Sie umfasst Japan, Südkorea, Indien, Australien, Neuseeland und große Teile Südostasiens. Der Ausschluss Taiwans macht keinen Sinn, wenn es darum geht, das Engagement der USA in der Region zu zeigen. Taiwan ist ein wirtschaftliches Kraftzentrum, dessen Teilnahme alle Handels- oder Lieferkettenabkommen stärken würde.»


«DNA»: Amerikas Feind Nummer 1 ist und bleibt China

STRAßBURG: Zur Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs militärisch zu unterstützen, schreibt die französische Tageszeitung «Les Dernières Nouvelles d'Alsace» am Dienstag:

«Für die USA hat der Krieg in der Ukraine nichts Grundlegendes geändert: Der Feind Nr. 1 Amerikas und der westlichen Welt ist und bleibt China. (...)

Das (amerikanische) Engagement an der Seite der Regierung in Kiew (...) und die Bekräftigung eines Stellvertreterkriegs zwischen Demokratien und Autokratien ist teilweise von dem Willen getrieben, dem kommunistischen Regime zeigen zu wollen, dass der Westen nicht die geschwächte und korrupte Bestie ist, für den der chinesische Präsident ihn hält.

Joe Bidens Drohung ist ein klarer Ausdruck einer neuen Eindämmungspolitik und er will klare Grenzen setzen. Das erklärt auch, was in der von Kriegsschiffen durchkreuzten und von Kampfflugzeugen überflogenen Pazifikzone vor sich geht. Hier sind die Spannungen so groß wie wahrscheinlich seit dem Korea-Krieg nicht mehr.»


«Lidove noviny»: Für und Wider eines «Marshall-Plans» für Ukraine

PRAG: Zum Ruf des Präsidenten des Weltwirtschaftsforums, Børge Brende, nach einem sogenannten Marshall-Plan für einen Wiederaufbau der Ukraine schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Dienstag:

«Ist es sinnvoll, etwas Derartiges zu planen, solange nicht ernsthaft über einen Frieden verhandelt wird? Zyniker werden einwenden, dass dies ein Hasardspiel ist, wenn nicht gar Unfug. Selbst wenn die Ukraine etwas wiederaufbauen sollte, werde die russische Armee es zerstören. Doch andere, durchaus realistische Stimmen verweisen auf das Sprichwort, das besagt, dass der Zufall nur den vorbereiteten Geist begünstigt. Zwar wisse niemand, wann und auf welcher Linie ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine vereinbart werden wird - aber es sei gut, sich darauf vorzubereiten, um zumindest einen einigermaßen durchdachten Plan parat zu haben.»


«The Telegraph»: Verwirrung stiften ist gefährlich

LONDON: Der Londoner «Telegraph» kommentiert am Dienstag die Äußerung von US-Präsident Joe Biden in Tokio, wonach die USA sich verpflichtet hätten, Taiwan im Angriffsfall auch militärisch zu verteidigen:

«In Wirklichkeit sind die USA diese Verpflichtung niemals eingegangen. Ihre Taiwan-Politik stützt sich auf den «Taiwan Relations Act», in dem es heißt, dass die Vereinigten Staaten dem Land Waffen und Dienste defensiver Art in dem Umfang zur Verfügung stellen werden, der erforderlich ist, um «Taiwan in die Lage zu versetzen, eine ausreichende Selbstverteidigung zu wahren».

Darüber hinaus besagt das Gesetz, dass diese Politik nicht einseitig vom Präsidenten geändert werden kann und dass jede Entscheidung zur Verteidigung Taiwans der Zustimmung des Kongresses bedarf. Natürlich war das Außenministerium erneut gezwungen, Äußerungen Bidens zu relativieren, wie es in Washington euphemistisch heißt. Amerikas Politik sei unverändert, erklärten Beamte.

Ähnliches geschah bereits im März, als Biden anscheinend zu einem Regimewechsel in Moskau aufrief, woraufhin das Weiße Haus bestritt, dass dies ein erklärtes Ziel der USA sei. Strategische Zweideutigkeit mag dazu beitragen, sich von Autokratien wie China und Russland nicht in die Karten schauen zu lassen, aber Verwirrung zu stiften ist gefährlich.»


«de Volkskrant»: Kein Business as usual in Davos

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Dienstag Warnungen von Hilfsorganisationen vor Hungerkatastrophen in armen Ländern:

«Am dringlichsten ist die Situation in Ostafrika, das seit drei Jahren eine extreme Trockenheit erlebt und stark von ukrainischem und russischem Getreide abhängig ist. Schon jetzt stirbt dort nach Schätzungen der Hilfsorganisationen Oxfam und Save the Children alle 48 Sekunden ein Mensch an den Folgen von Hunger und Unterernärung. Mindestens 46 Milliarden Dollar sollen nötig sein, um die schlimmste Not zu lindern. Sechs Milliarden davon sind bisher zugesagt worden. (...)

Es ist zu hoffen, dass die in dieser Woche auf dem (Weltwirtschaftsforum) in Davos versammelten Politiker und die Reichen der Welt erkennen, dass dies unhaltbar ist. Die Erhebung einer Sondersteuer auf Riesengewinne wäre keine schlechte Idee. Eine Pandemie, ein Krieg, eine Klimakatastrophe, eine Hungersnot: Diese vierfache Krise macht deutlich, dass die Zeiten des Business as usual vorbei sind.»


«De Standaard»: Treffen in Davos ist nützlicher denn je

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Standaard» kommentiert am Dienstag die Gespräche einflussreicher Politiker und Manager beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos:

«Sie werden lukrative Geschäfte machen und ihre Überzeugung bekräftigen, dass Liberalisierung und internationaler Handel die Antwort auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel, Pandemien und Ungleichheit sind. (...) Dabei hat jedoch der Glaube an die Globalisierung als Weg zu Wohlstand, Zusammenarbeit und Frieden einen kräftigen Dämpfer abbekommen. Russland brachte den Krieg zurück nach Europa. Die Vorstellung, dass sich Autokratien durch freien Handel zu freien Demokratien entwickeln würden, hat sich als Illusion erwiesen. Auch China wird immer repressiver, und autoritäre Führer auf der ganzen Welt eifern diesem Beispiel nach. (...)

Davos ist eigentlich nicht der richtige Ort, um die Probleme der Welt anzugehen. Die Konferenz ist zu elitär, zu sehr von Eigeninteressen durchdrungen, zu wenig demokratisch legitimiert und zu naiv in ihrem Glauben an den Freihandel. Und doch ist Davos nützlicher als je zuvor. Denn wenn rivalisierende Machtblöcke jegliches gemeinsame Interesse verlieren, wird die Welt ganz bestimmt nicht sicherer werden.»


«El País»: Verunglückter Heimatbesuch von Spaniens Altkönig

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Dienstag den Kurzbesuch von Altkönig Juan Carlos in seiner Heimat:

«Der Besuch von Juan Carlos bei (seinem Sohn) König Felipe VI. war der Höhepunkt einer verunglückten Reise nach Spanien. Sein Aufenthalt in (dem Küstenort) Sanxenxo im grellen Licht der Medien widersprach den vom Königshaus auferlegten ethischen Regeln und der geforderten Diskretion. Die vorgebliche Normalität des Auftritts von Juan Carlos (bei einer Segelregatta) kann die bekannten Tatsachen über sein (Fehl-)Verhalten als König nicht überdecken. Das Königshaus hat kein Geheimnis aus seinem Missfallen an dem Besuch gemacht. Die Ankündigung gleich einer weiteren Reise nach Spanien schon im Juni kommt da fast einer Auflehnung des Vaters gegen den Sohn gleich.

Aber die Autorität von Felipe VI. derart in Frage zu stellen, grenzt an Ungehorsam. Es ist möglich, dass Juan Carlos immer noch nicht versteht, warum und welche Erklärungen von ihm verlangt werden. Die Regierung hatte ihn dazu öffentlich aufgefordert. Seine Antwort («Welche Erklärung?») grenzt an Sarkasmus. Jetzt müssen das Königshaus und die Regierung einen Plan entwerfen, um eine Wiederholung des Spektakels zu verhindern, bei dem der Altkönig das Staatsoberhaupt, die Regierung und die Bürger allesamt vorführt.»


«NZZ»: USA wollen Multilateralismus von Amerikas Gnaden

ZÜRICH: US-Präsident Joe Biden hat in Tokio den Startschuss für ein Rahmenabkommen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Indopazifik-Raum (IPEF) gegeben, dem auch Japan, Australien, Indien und neun weitere Staaten angehören. Dazu meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Dienstag:

«Biden will damit den Grundstein für eine US-zentrierte Wirtschaftsordnung im Zeitalter des Großmachtkonflikts mit China legen, mit globalen Risiken und Nebenwirkungen auch für exportorientierte Länder. (...) Die Details des IPEF zeigen, dass die USA in diesem Modell kein Vorkämpfer für globalen Freihandel mehr sind, sondern einer für einen neuen Multilateralismus von Amerikas Gnaden. Die weltgrößte Wirtschaft setzt jetzt eher auf strategischen Handel, bei dem ausgesuchten Partnern Zusammenarbeit in bestimmten, für die USA industrie- und geopolitisch wichtigen Bereichen angeboten wird.

Die teilnehmenden Länder dürfen dann mit den USA gemeinsam Lieferketten für Halbleiter und andere Produkte entwickeln. Zusätzlich wollen die USA Regeln für die digitale Wirtschaft aufstellen, erneuerbare Energien fördern und in Asiens Infrastruktur investieren. Allerdings erhalten die Partner im Gegenzug keinen zollfreien Zugang zum amerikanischen Markt, was in einigen Ländern Asiens kritisch gesehen wird.»


«Die Presse»: Van der Bellen «Kandidat mit Augenzwinkern»

WIEN: Die österreichische Zeitung «Die Presse» kommentiert die Kandidatur von Bundespräsident Alexander Van der Bellen für eine weitere Amzszeit:

«Alexander Van der Bellen hat das Amt des Bundespräsidenten gewissermaßen auch neu interpretiert - als oberster Sympathieträger des Landes. Der mit ruhiger Hand, mitunter auch augenzwinkernd, die Republik durch die wechselvolle Zeit geleitet.

An seiner Wiederwahl besteht also kein Zweifel. SPÖ und Neos, die ihm ideologisch durchaus nahestehen, haben gleich klargemacht, dass sie ihn unterstützen werden. Die Grünen sowieso. Auch die ÖVP wird das Geld nicht für einen aussichtslosen Präsidentschaftswahlkampf verbrennen wollen. Zumal deren führende Vertreter von Sebastian Kurz bis Karl Nehammer sich vom Bundespräsidenten auch immer gut behandelt gefühlt haben. Mit Kurz verband Van der Bellen sogar lange Zeit ein Vertrauensverhältnis, das in den Medien als eines ähnlich jenem zwischen einem Großvater und seinem Enkel interpretiert wurde.

Alexander Van der Bellen hat das bisher gut gemacht. Vielleicht bringt er in seiner zweiten Amtszeit ja dann auch noch den Mut zu der einen oder anderen kontroversiellen Stellungnahme auf.»

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