Zeit gleich Lebenszeit

Zeit gleich Lebenszeit

Ein Leser präsentiert seine Gedanken zum Thema „Zeit“:

Inzwischen bin ich schon einige Jahre wohnhaft in Thailand und verbringe die Zeit mit vielen Gleichgesinnten. Ich schreibe diesen Leserbrief bewusst langsam, dass auch Menschen, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, meinen Ausführungen bzw. Gedanken folgen können.

„Time is money“ heißt es so schön, dazu gibt es viele diskussionswürdige Ansichten. In der Jugend läuft die Zeit viel zu langsam. Das Geburtsdatum bis zum Erhalt des sehnlichst erträumten Fahrausweises liegt in weiter Ferne. Ist der Zeitpunkt endlich da, passiert mangels Fahrpraxis oft, dass das vom Vater heimlich entwendete Auto in einer anderen Form in die Garage zurückgestellt wird.

In meinem Alter bin ich viel gereist und besitze mangels genügender Seiten bereits den siebten Pass. Im Juni werde ich 81, habe Zeit, dass es kracht und bin zwecks Schwunghaltung meiner grauen Zellen beinah dazu gezwungen, mir stets neue Geschichten auszudenken.

Bei einem Baum kann man sein Alter an den Ringen zählen, aber nur wenn man ihn fällt. Bei Menschen würde das zu einem Blutbad führen! Beim Homo sapiens entstehen allenfalls Augenringe oder treten vermehrt Winkel auf. Für diese Zunahme hatte ich in der Schweiz ein gutes Argument, ich wohnte an der Winkelstraße. Hier in Thailand ist mir noch keine plausible Ausrede eingefallen. Die Kopfhaare schwinden, aber Ihr kennt vielleicht den Spruch über einen Mann mit Glatze: „Ein schönes Gesicht braucht Platz!“

„Passé“ heißt vorüber, was zählt ist das Heute. Im Alter kommt man jedoch nicht drumherum in der Vergangenheit zu schwelgen. In dieser Jahreszeit zum Beispiel meiner zweiten Heimat, das Oberengadin. Die sich in weiß präsentierende Seenlandschaft mit den flankierenden Bergen Corvatsch, Piz Nair, das Bernina-Massiv usw. sind ein Traum für Naturfreunde, Skifahrer und Langläufer. Was macht mehr Spaß als mit harmonischer Musik im Ohr über die gefrorenen Seen zu skaten? Bei zu starkem Maloja-Wind dreht man sich, genießt den zusätzlichen Rückenschub und spart Körner, Menschen mit Segelohren profitieren doppelt. Anstelle des Plätscherns der Meereswellen kann ich das Knirschen des Schnees beim Abdruck des Skis oder den Sound, bzw. das Gieren des Stockeinsatzes, noch heute hören. Meine damalige Ausrüstung wäre 2019 museumswürdig. Holzlatten mit der ersten Rotefellabindung, zwei Haselnussstecken mit Schlaufen und Stockteller wie Tretminen. Das bestreiten eines Wasalaufes (92 km) benötigte einiges mehr an Kraft. Die heutigen Carbonstöcke sind viel leichter, leider wurde die Gewichtseinbuße beim Kauf in Franken hochgerechnet, sie sind saumäßig teuer. Die Schnabelschuhe ermöglichten einen geschmeidigeren und harmonischeren Bewegungsablauf. Die Schuhe zu der neuen Bindung wurden breiter, meine beiden deformierten kleine Zehennägel sind jedoch als lebendes Andenken geblieben. Bis zum Einzug der Skating-Skis, schnellere Fortbewegung auf gewalztem Trasse, vergingen noch einige Jahre. Es ist ein Traum im Einerschritt über die gefrorenen Seen zu flitzen. Bei guten Bedingungen ist ein Tempo von 30 km/h über eine kurze Distanz locker einzuhalten.

Bei den Neuerungen war auch ein Schweizer beteiligt: Franz Krienbühl. Er war Architekt, wurde bekannt als Eisschnellläufer und neben seinen Leistungen, vor allem durch die Erfindung des aerodynamisch, hautengen Anzuges, der später im Langlauf Einzug fand. Ich startete meine ersten Rennen mit einem Outfit bestehend aus: Mütze, dünner Jacke, Knickerbocker und dicken, weißen Socken. Seit der Premiere des Engadin-Skimarathons im März 1969 hat sich im Materialbereich, Wachssortiment sowie in der Lauftechnik viel geändert. Dem Klassischen Stile folgte der Siitonen-Schritt. Die von Pauli Siitonen bekanntgemachte Technik wurde zum wichtigsten Wegbereiter der modernen Skating-Technik. Diese Schrittart war effektiver, schneller und dadurch nicht beliebt bei den nachfolgenden Läufern. Sie war gleichzeitig der Totengräber für die klassische LL-Spur. Zum Glück folgten postwendend zwei separate Spuren: Gewalzt und gespurt, der Frieden war eingekehrt und die weiße Flagge wurde gehisst!

Sorry, ich bin vom Thema abgeschweift. Der amerikanische Dichter und Pulitzerpreisträger Carl Sandburg sagte einmal, diese eindrücklichen Worte, die das Leben von denkenden Menschen verändern können: „Zeit ist die Münze deines Lebens! Es ist die einzige Münze, die du hast und nur du kannst entscheiden, wofür du sie ausgibst. Sei daher auf der Hut, ...sonst werden es andere für dich tun!“ Wir stöhnen, dass wir trotz der modernen Technik zu wenig davon haben. Manches ist für Geld nicht zu kaufen. Heutzutage steht fast alles zum Verkauf, in einigen Ländern sogar Menschen! Ebenfalls Verhandlungssache ist das Salär für menschliche Versuchskaninchen unserer Pharmabranche! Die Meisten sagen, sie haben nicht genügend Zeit, weil sie sie nicht richtig nutzen. Das Leben fliegt so vorüber, viel zu schnell. Eigentlich habe ich nicht gelebt, ich wurde gelebt, sagen einige. Wir vernachlässigen die Gesundheit, weil wir auf der Jagd nach dem Wohlstand sind und haben wir dieses Ziel erreicht, dann benötigen wir diesen wieder, um Gesundheit zu kaufen. Zum Glück ist das Grab nicht die Endstation (?). Ich bin die Auferstehung und das Leben und wer mir vertraut, wird leben selbst wenn er stirbt. Der weise Salomo hat schon geschrieben alles hat seine Zeit. Zeit gleich Lebenszeit. Ich weiß, Zeit wird in meinem Alter ein knappes Gut. Wir erkennen dies in den Ferien, sie beginnt langsam und beschleunigt sich gegen Ende rasant.

Walo Haller, Northpoint, Pattaya


Die im Magazin veröffentlichten Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. DER FARANG behält sich darüber hinaus Sinn wahrende Kürzungen vor. Es werden nur Leserbriefe mit Namensnennung veröffentlicht!

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 11.04.19 16:51
Wie schreibt man "bewußt l a n g s a m"?? Wie man auch schreiben mag, die Worte stehen bei langsamer oder schneller Schreibweise nun einmal nebeneinander.