Zeit des Unglücks – Zeit des Glücks

übersetzt von Dr. Christian Velder

Einst prophezeite ein Wahrsager einem Mann sein Schicksal. Er sprach:

"Der Geist der Finsternis, Phra Rahu, verdunkelt dir das Geschick. Du wirst viel Unglück haben. Alles, was du an Reichtum besitzt, wirst du verlieren. Du wirst die königliche Bestrafung erleiden müssen.”

Der Mann lachte. Er glaubte es nicht und erwiderte:

"Hoe... Statt die Wahrheit vorauszusagen, rätst du nur herum. Wer dir glaubt, ist arm dran!”

Dann kümmerte er sich nicht weiter darum.

Es kam ein Tag in der kühlen Jahreszeit, da war es empfindlich kalt geworden. Während der Mann seiner Tätigkeit nachging, gesellte sich ein Jungmönch zu ihm. Er trat auf den Mann zu und bat ihn um ein Obdach für die Nacht. Der Mann hatte nichts dagegen und bereitete dem Jungmönch das Lager. Als es fertig war, legte er sich ans Herdfeuer, das im Sandkasten noch lustig flackerte. Weil es damals nämlich noch keine Zündhölzer gab, musste jede Familie ihr Feuer sorgsam Tag und Nacht am Glimmen halten.

Der Mann dämmerte im Halbschlaf dahin, richtete sich aber immer wieder auf, wenn das Feuer fast erloschen war, um es erneut anzufachen.

In jener Nacht war es wirklich frisch. Der Mann blinzelte zu dem schlafenden Jungmönch hinüber und sah ihn zusammengerollt auf der Matte schlummern. Der Junge fühlte die Kälte nicht, denn er hatte seine Ohrmuscheln lang und breit ausgefaltet und sich ganz und gar hineingeduckt in diese Umhüllung.

Das war ein Wunder! Der Mann sah genau hin und prägte sich das Bild sorgfältig ein. So war es und nicht anders.

Am Morgen ging er zum Fürsten der Stadt und erzählte ihm, was er gesehen. Der Fürst begleitete ihn, um mit eigenen Augen das Wunder anzuschauen. Aber es zeigte sich, dass es nichts gab, was den Jungmönch von allen andren Menschen unterschied, nichts Sonderbares war an ihm erkennbar. Der Fürst wurde zornig. Dieser Mann bringt eine schwere Beschuldigung hervor. Er will wohl gar wider die Heiligkeit der Religion des Buddha lästern.

Alle Besitztümer des Mannes liess der Fürst einziehen, jedwedes persönliche Eigentum, bis nichts mehr übrig war. Dann liess er den Mann einkerkern.

Nachdem er die Strafe abgebüsst, kehrte er in sein Dorf zurück und nahm seine Arbeit wieder auf.

Als zwölf Jahre vergangen waren, verschwand Phra Rahu, der Geist. der Finsternis.

Der Mann sass allein in seiner Hütte, da näherte sich ihm abermals jener Jungmönch und bat um eine Herberge für die Nacht.

Auch diesmal war es kalt geworden, der Mönch weitete seine Ohrmuscheln und hüllte sich in ihre Decke ein. Der Mann schlich sich fort und berichtete dem Fürsten der Stadt, was sich zugetragen. Er möge kommen, leise, leise, und es sich anschauen noch in derselben Nacht. Wenn es nicht wahr sei, was er gesagt, nun gut, dann möge der Fürst ihm das Leben nehmen! Der Fürst schlich sich heran und sah in aller Heimlichkeit in das Schlafgemach des Hauses. Dort erblickte er den Jungmönch mit den eigenen Augen, und er hatte sich eingehüllt in seine ausgebreiteten Ohrmuscheln. Was der Mann gesagt, war die Wahrheit gewesen. Der Fürst der Stadt fühlte sein Gewissen schwer bedrückt. Er hob sogleich die Beschlagnahmung der Güter des Mannes auf. Am nächsten Tag öffnete er seine Schatzkammern. Er schenkte dem Manne soviel Silber, dass seine Verluste wieder aufgewogen waren und ihm in allen Stücken Genüge getan war.

Den Mann hatte nun sein Glück wieder eingeholt. Er dachte:

"Verdienste aus einem früheren Leben haben nun das Verhängnis vorheriger Verfehlungen aufgehoben.”

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