Wünscht sich Libyen einen Gaddafi zurück?

Zehn Jahre nach dessen Tod 

Ein Konservator hängt einen Waschlappen auf, auf dem das Porträt des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi gemalt ist. Foto: epa/Oliver Berg
Ein Konservator hängt einen Waschlappen auf, auf dem das Porträt des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi gemalt ist. Foto: epa/Oliver Berg

TRIPOLIS: Nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis träumten viele Libyer von einer besseren Zukunft. Doch stattdessen versank das Land in einem Bürgerkrieg. Heute ist al-Gaddafis Sohn der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat.

Zehn Jahre nach dem Tod von Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi sehnen sich viele Libyer nach der Stabilität seiner Langzeitherrschaft zurück. Der jahrelange Bürgerkrieg und Existenznöte haben die Bevölkerung zermürbt. Al-Gaddafi sei einst der Garant für eine prosperierende Wirtschaft und die Einheit des ölreichen Landes gewesen, sagt Günter Meyer, der das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz leitet.

Unter al-Gaddafi genossen Libyer einen vergleichsweise hohen Lebensstandard. Doch gegen seine Kritiker ging er hart vor. Am 20. Oktober 2011 spürten Milizionäre den nach seinem Sturz untergetauchten Machthaber auf. Sie folterten und erschossen al-Gaddafi in dessen Heimatstadt Sirte. Aufnahmen vom blutüberströmten Körper des 69-Jährigen gingen damals um die Welt.

Viele Libyer feierten das Ende der knapp 42 Jahre langen Herrschaft al-Gaddafis frenetisch. Der Weg für demokratische Wahlen schien frei. Doch es sollte anders kommen. Die Rebellen verstrickten sich in Konflikte, Libyen versank in einen Bürgerkrieg. Erst in diesem Frühjahr wurde unter UN-Vermittlung eine Übergangsregierung gebildet. Sie löste die international anerkannte Regierung mit Sitz in Tripolis sowie die Gegenregierung im Osten des Landes ab. Am 24. Dezember sollen die Libyer dann eine neue legitime Regierung wählen.

Seit einem Jahr herrscht eine Waffenruhe. Die Sicherheitslage im Land ist aufgrund der vielen schwerbewaffneten Milizen und ausländischen Kämpfer aber weiterhin angespannt, sagt Meyer. Noch viel mehr junge Libyer als zu al-Gaddafis Zeiten fänden heute keine Arbeit und die Korruption habe inzwischen ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht. «Deshalb ist es nur zu verständlich, dass sich ein immer größerer Teil der libyschen Bevölkerung eine Rückkehr zu den früheren stabilen Verhältnissen unter einem starken Führer wie Gaddafi wünscht.»

Auch andere Experten glauben das angesichts der Rückschläge für die Menschen in den vergangenen Jahren. Einige Libyer seien der Ansicht, dem Land sei es unter al-Gaddafi besser gegangen, zitierte die «Deutsche Welle» etwa kürzlich den Politologen Tim Eaton vom Londoner Thinktank Chatham House. Sogar manch ein früherer Gegner von al-Gaddafi sei inzwischen dieser Meinung.

Vielleicht erklärt dies die Popularität von al-Gaddafis Sohn Saif al-Islam. Er ist laut jüngsten Umfragen der aussichtsreichste Kandidat bei einer möglichen Präsidentschaftswahl. Er könne zwar vom Ansehen seines Vaters profitieren, glaubt Meyer. Weil er 2011 die brutale Niederschlagung von Protesten gegen seinen Vater unterstützt hat, wird al-Islam allerdings vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gesucht. «Vor diesem Hintergrund und angesichts der politischen Zerrissenheit des Landes ist nicht zu erwarten, dass der Sohn die Chance bekommt, als Präsident Libyens und neuer starker Mann in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.» Ob die Wahlen tatsächlich wie geplant bald stattfinden werden, ist unklar.

Meyer hält ein vereintes Libyen aufgrund der tiefen Spaltung des Landes auch unter einem starken und autokratischen Herrscher für unwahrscheinlich. Ein föderaler Staat mit einem westlichen, östlichen und südlichen Landesteil sei für das Land künftig eine gute Lösung. «Nicht auszuschließen ist aber auch die endgültige Teilung.»

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