LÜDENSCHEID: Über Stau und Verkehrschaos hinweg - schnell, umweltfreundlich. In Lüdenscheid startet eine voll automatisierte Drohnenflotte, die Unternehmen benötigte Teile liefert. Experten sehen viele Chancen.
Ein Satz Schraubendreher und eine Kneifzange kommen aus der Luft, auch ein paar Kleinteile für eine Industriemaschine: Ein voll automatisierter Drohnen-Lieferservice für Unternehmen ist am Mittwoch im nordrhein-westfälischen Lüdenscheid gestartet - als Deutschland-Premiere, wie die Projektpartner betonten.
Mit dem bundesweit ersten kommerziellen Linienflugbetrieb und der eigens entwickelten Transportdrohne Auriol werde «der Weg für eine schelle und umweltfreundliche Alltags-Logistik aus der Luft frei», meinen der Drohnenhersteller Third Element Aviation (3EA), die Lüdenscheider Koerschulte Group und der Software-Entwickler HHLA Sky.
Nach gut zweieinhalb Jahren Testbetrieb im Sauerland hebt Auriol zum Jungfernflug ab. Die Drohne fliegt über Staus und Verkehrschaos hinweg, kann bis zu 80 Pakete täglich ausliefern. «Es geht nicht um Zementsäcke für die Baustelle, sondern um wichtige Teile, die unmittelbar in den Betrieben fehlen», sagt Marius Schröder von 3EA, der Auriol mitentwickelt hat.
Eine Besonderheit: Die Drohnen werden nicht einzeln gesteuert
Mitarbeiter vom Service-Anbieter Koerschulte beobachten die Flüge lediglich und greifen nur bei Abweichungen ein. Das Besondere: «Eine Person kann zehn bis zwölf Drohnen gleichzeitig im Blick behalten», erläutert Matthias Gronstedt von HHLA Sky, die Firma hat den Leitstand - eine Art Kontrollzentrum - ausgetüftelt. Das sei ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem bisher üblichen Verfahren mit jeweils einem Piloten pro einzelner Drohne.
Auriol kann mithilfe eines Greifers Pakete zentimetergenau absetzen oder auch aufnehmen. Das Luftfahrbundesamt (LBA) habe erstmals in Deutschland eine Genehmigung für einen derartigen Logistik-Linienflugbetrieb erteilt, schildern die Projektpartner. Sie wollen schnell weitere Transportdrohnen bauen und peilen längere Flugrouten in Deutschland und Europa an. Nachdem Technologie und Sicherheit nun vom LBA gründlich geprüft worden seien, rechnen die drei Unternehmen damit, dass sie für die nächsten anvisierten Strecken zügig weitere Genehmigungen bekommen werden. Örtlich sei ein solcher Liefereinsatz überall «von Langeoog bis Oslo» möglich.
Die neue Transportdrohne schafft den Angaben zufolge ein Lastgewicht von bis zu 6,5 Kilogramm und maximal 45 Minuten Flugdauer. Ein Tempo von höchstens 65 Kilometern pro Stunde sei machbar, zur Sicherheit sei ein Fallschirm eingebaut. Die Akkus können mit Ökostrom betrieben werden. Die Luftlinie sei immer die kürzeste, das Ganze besonders effizient, zeit-, kosten- und personalsparend. Genaue Angaben zu Lieferpreisen machten die Unternehmen zunächst nicht. Notfallservices für eilige Teile seien aber teurer als regelmäßig vereinbarte Lieferungen, hieß es.
Viele Experten sehen grundsätzlich große Chancen und Einsatzmöglichkeiten in Deutschland für viele Bereiche. Der Verband für unbenannte Luftfahrt, UAV DACH, spricht von einem «wichtigen Meilenstein». Die drei Partner aus NRW sehen eine «Transport-Revolution in der Luft» angestoßen.
Warum ausgerechnet Lüdenscheid?
Die Stadt liegt inmitten von Südwestfalen, einer der wirtschaftsstärksten Regionen Deutschlands. Und Lüdenscheid ist drastisch vom Rahmen-Brückendesaster an der A45 betroffen. Wegen der Autobahnunterbrechung gehören Verkehrschaos und Lieferverzögerungen zum Alltag, hohe Umsatzeinbußen werden beklagt. Die Zukunft der Logistik liege in der Luft, meint Schröder. Probleme würden einfach überflogen, sagt Geschäftsführer Norman Koerschulte. Für die erste Route von gut einem Kilometer habe Auriol nur zwei Minuten gebraucht. Die Koerschulte Group will den Luft-Service aus der Luft möglichst vielen seiner rund 3000 Kunden aus Industrie und Handwerk anbieten - und dann auch darüber hinaus.
Es geht noch mehr - Ausbau ist geplant
Dem Experten für unbemannte Luftfahrt, Achim Friedl, zufolge hat das Projekt in Lüdenscheid im Bereich der Industrielogistik hohes Potenzial. Auf anderen Gebieten laufen aber bereits rund ein Dutzend Projekte mit beschränkten Reichweiten - etwa in der Notfalllogistik, wie Friedl schildert: So gebe es einen Drohnen-Transport in Hamburg zwischen Krankenhäusern und Pathologie etwa für eilige Blut- und Gewebeproben, der viel schneller sei als eine Lieferung auf der Straße. «Umfragen zeigen hier auch eine sehr hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.»
Im Privatlogistikbereich sei ebenfalls das ein oder andere im Gang. Automatisierte Drohnenflüge hält Friedl für einen «Trend der Zeit». Was konkret eine Zukunft habe und was wieder eingestellt werde, sei schwer absehbar. Eine grundsätzliche Regel gelte aber immer und bleibe unverzichtbar: «Drohnen sind verpflichtet, allen anderen im Flugverkehr auszuweichen.»